Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 06.10.2020; Aktenzeichen 1 A 11357/19) |
VG Koblenz (Urteil vom 28.03.2019; Aktenzeichen 4 K 269/18.KO) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Der Kläger, ein Naturschutzverband, wendet sich gegen eine mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen. Der Kläger macht insbesondere artenschutzrechtliche Verstöße zulasten des Rotmilans und des Schwarzstorchs geltend.
Rz. 2
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Rz. 3
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Rz. 4
1. Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.
Rz. 5
a) Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt, also näher ausgeführt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 21. Mai 2021 - 7 B 14.20 - juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Rz. 6
Die Frage, ob
der Rechtssatz, dass für die gerichtliche Überprüfung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung zugrunde zu legen ist, wobei Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten eines Anlagenbetreibers bei der Überprüfung der Genehmigung im Gegensatz zu solchen zu seinen Lasten zu berücksichtigen sind, auch im Hinblick auf die Prüfung des Vorliegens von Verboten des Artenschutzrechts uneingeschränkt gilt,
ist auf der Grundlage der für den Senat - mangels einer (durchgreifenden) Verfahrensrüge - bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) hinsichtlich der Frage einer Beeinträchtigung der Art Rotmilan schon nicht entscheidungserheblich, weil eine diesbezügliche Änderung der Sachlage nicht festgestellt worden ist. Vielmehr ordnet das Berufungsgericht die aus einer nach Genehmigungserteilung erstellten weiteren Raumnutzungsanalyse vom 15. September 2020 gewonnenen Informationen zur Tötungsgefahr für den Rotmilan als nachträglich gewonnene Erkenntnisse hinsichtlich der ursprünglichen Sachlage ein (UA S. 21).
Rz. 7
b) Hinsichtlich einer etwaigen Beeinträchtigung der Art Schwarzstorch stellt das Oberverwaltungsgericht fest, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein im Genehmigungsverfahren für weggefallen erachteter Horst mehr als fünf Jahre nicht besetzt gewesen sei. Insoweit handele es sich um nachträglich gewonnene Erkenntnisse hinsichtlich der Frage, ob im Zeitpunkt der Behördenentscheidung über die Genehmigung noch mit einer Wiederbesetzung des Horsts zu rechnen gewesen sei (UA S. 28 f.). Auch insoweit stellt sich die vom Kläger aufgeworfene Frage zum Umgang mit Änderungen der Sach- oder Rechtslage auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.
Rz. 8
Allerdings legt das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung hinsichtlich des Schwarzstorchs weiter zugrunde, dass im Jahr 2019 innerhalb des 1 000-Meter-Bereichs der Windenergieanlagen ein Schwarzstorchhorst neu entdeckt worden sei. Gleichzeitig fehle es an Anhaltspunkten, dass der Horst schon im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung oder des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2018 vorhanden gewesen sei. Für den Bereich zwischen 1 000 und 3 000 Meter um die Anlagen sei weder im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung noch der Entscheidung über den Widerspruch ein Schwarzstorchhorst zu berücksichtigen gewesen (UA S. 29). Hiernach ist auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Feststellungen die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage mit Blick auf den 2019 neu entdeckten Schwarzstorchhorst insoweit entscheidungserheblich, als es um die Berücksichtigung von Änderungen der Sachlage zulasten des Betreibers einer genehmigungspflichtigen Anlage - hier nach Erlass des Widerspruchsbescheides - geht.
Rz. 9
c) Diese Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig. Vielmehr ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt, dass bei der Überprüfung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten des Anlagenbetreibers - im Gegensatz zu solchen zu seinen Lasten - auch in Ansehung eines etwaigen Verstoßes gegen ein Verbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urteil vom 26. September 2019 - 7 C 5.18 - BVerwGE 166, 321 Rn. 43 im Anschluss an Beschluss vom 23. April 1998 - 4 B 40.98 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 87 S. 43 f.; vgl. auch Urteil vom 27. August 2020 - 4 C 1.19 - BVerwGE 169, 207 Rn. 35). Erneuten oder weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Der Kläger bezeichnet es vielmehr selbst als ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Inhaber einer ursprünglich rechtmäßigen Genehmigung eine gegenüber späteren nachteiligen Änderungen der Sach- oder Rechtslage in ihrem Bestand grundsätzlich geschützte Rechtsposition erlangt habe. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das Oberverwaltungsgericht die Frage nach der ursprünglichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Genehmigung nicht offen gelassen, sondern bejaht (UA S. 22 ≪zum Rotmilan≫, S. 28 f. ≪zum Schwarzstorch≫).
Rz. 10
2. Der Kläger weist darauf hin, die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts so zu verstehen, dass es sich bei den nach der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gewonnenen weiteren Erkenntnissen hinsichtlich des Rotmilans um Erkenntnisse zur ursprünglichen Sachlage handele, mache diese aktenwidrig. Legte man diesen Hinweis als Verfahrensrüge aus (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), bliebe auch diese ohne Erfolg. (Vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) können einen Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründen. Eine Ausnahme hiervon kommt bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht (vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 12. Februar 2008 - 9 B 70.07 - juris Rn. 2 und vom 2. Juli 2021 - 7 B 15.20 - juris Rn. 3). Wird gerügt, das Gericht habe bei seiner Überzeugungsbildung gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, müssen jedoch die Aktenteile, aus denen der Verstoß abgeleitet wird, gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genau bezeichnet werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Februar 2001 - 9 B 3.01 - juris Rn. 7 und vom 28. November 2013 - 9 B 14.13 - DVBl 2014, 237 Rn. 28). Daran fehlt es hier schon im Ansatz.
Rz. 11
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14892014 |