Leitsatz (amtlich)
1. Nach Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage sind Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten des Anlagenbetreibers im Gegensatz zu solchen zu seinen Lasten zu berücksichtigen.
2. Die Auslegung einer raumordnenden Zielfestsetzung durch das Tatsachengericht, die in einem nach Landesplanungsrecht beschlossenen Landesentwicklungsplan enthalten ist und Begriffe der Baunutzungsverordnung verwendet, ist nicht revisibel.
3. Eine entsprechende Anwendung von § 412 ZPO ist angezeigt, wenn ein Gutachten einem behördlich veranlassten Gutachten gleichzustellen ist. Dies ist insbesondere bei komplexen Verfahren mit umweltrechtlichem Einschlag der Fall.
4. Das Tatsachengericht darf eine für nicht entscheidungserheblich erachtete Tatsache nicht ohne weitere Tatsachenermittlung seiner Entscheidung zugrunde legen, wenn es einen Beweisantrag wegen rechtlicher Unerheblichkeit dieser Tatsache abgelehnt hat. Wenn das Tatsachengericht einen Umstand in den Entscheidungsgründen als Indiz oder Bestätigung für die Richtigkeit einer Prognose benennt, folgt daraus hingegen nicht ohne Weiteres, dass es diesem Umstand entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat.
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 31.03.2021; Aktenzeichen 1 A 10858/20) |
VG Koblenz (Urteil vom 03.07.2020; Aktenzeichen 4 K 907/17.KO) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. März 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 45 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen.
Rz. 2
Der Kläger ist Eigentümer eines in der Gemeinde M. gelegenen und mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks. Die inzwischen errichteten und in Betrieb genommenen Windenergieanlagen sind ca. 1 000 m bzw. 1 250 m von dem klägerischen Grundstück entfernt. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2016 hatte der Beklagte die Errichtung und den Betrieb der drei Windenergieanlagen genehmigt. Der dagegen erhobene Widerspruch des Klägers wurde bislang nicht beschieden. Mit Änderungsbescheiden vom 13. und 14. Juni 2018 genehmigte der Beklagte die Erhöhung des Schallleistungspegels für den Nachtbetrieb und konkretisierte mit Änderungsbescheiden vom 16. November 2017 und 16. Januar 2019 die Nebenbestimmungen zum Schattenwurf.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Die Genehmigung halte die Mindestabstände von Windenergieanlagen zu Baugebieten gemäß § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BauGB i. V. m. der Zielfestsetzung Z 163 h des Landesentwicklungsprogramms i. d. F. der Dritten Landesverordnung zur Änderung der Landesverordnung über das Landesentwicklungsprogramm nicht ein. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Zielfestsetzung Z 163 h entfalte keine nachbarschützende Wirkung. Vor der Genehmigungserteilung sei keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich gewesen, da im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung keine Windfarm mit 20 oder mehr Anlagen existiert habe. Der Kläger werde durch die Zulassung der streitgegenständlichen Windenergieanlagen keinen unzumutbaren Schallimmissionen ausgesetzt. Es lägen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass der für faktische Dorfgebiete maßgebliche Immissionsrichtwert von 45 dB(A) nachts am Wohnhaus des Klägers möglicherweise nicht eingehalten werde. Die Einwände des Klägers gegen die gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord seien nicht geeignet, Zweifel an deren Aussagekraft über die zu erwartenden Schallimmissionen zu begründen. Die Zulassung der Windenergieanlagen habe überdies weder eine unzumutbare Beeinträchtigung durch Infraschall oder Schattenwurf noch eine optisch bedrängende Wirkung zur Folge.
Rz. 4
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Rz. 5
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 6
1. Die Rechtssache hat nicht die vom Kläger geltend gemachte rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Rz. 7
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 11. Februar 2022 - 7 B 9.21 - juris Rn. 5).
Rz. 8
a) Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei,
auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, ob Errichtung und Betrieb einer WEA mit 20 oder mehr Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von jeweils mehr als 50 Metern UVP-pflichtig ist.
Rz. 9
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 10
Die Revisionszulassung setzt eine Rechtsfrage voraus, die für das angegriffene Urteil entscheidungserheblich war (BVerwG, Beschlüsse vom 4. Oktober 2013 - 6 B 13.13 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 181 Rn. 19 und vom 21. Dezember 2018 - 7 BN 3.18 - Buchholz 406.27 § 32 BBergG Nr. 2 Rn. 11). Daran fehlt es hier.
Rz. 11
Das Oberverwaltungsgericht hat tragend ausgeführt, dass die drei streitgegenständlichen Windenergieanlagen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung mit 16 bereits bestehenden Windenergieanlagen eine Windfarm von insgesamt nur 19 Windenergieanlagen gebildet hätten. Hinsichtlich drei geplanter Windenergieanlagen in der Gemeinde R., für die erst im März 2017 ein Genehmigungsantrag gestellt worden sei, habe es zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung zugunsten der streitgegenständlichen Windenergieanlagen an einer ausreichenden Fixierung auf ein Vorhaben gefehlt, das Gegenstand einer gemeinsamen Umweltverträglichkeitsprüfung sein könne. Zum anderen hat das Berufungsgericht ausgeführt, es sei nicht dargelegt worden oder ersichtlich, dass die in R. geplanten Windenergieanlagen in dem erforderlichen engen räumlichen Zusammenhang zu den bereits vorhandenen 19 Windenergieanlagen stünden (UA S. 14 bis 16). Aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts liegt damit selbst bei Berücksichtigung der bislang lediglich geplanten Windenergieanlagen in R. keine Windfarm mit 20 oder mehr Windkraftanlagen vor (Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG). Hiergegen hat die Beschwerde keinen Zulassungsgrund geltend gemacht.
Rz. 12
Die Frage lässt sich zudem auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Der Senat hat bereits entschieden, dass bei der Überprüfung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten des Anlagenbetreibers im Gegensatz zu solchen zu seinen Lasten zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2019 - 7 C 5.18 - BVerwGE 166, 321 Rn. 43 und Beschluss vom 8. Oktober 2021 - 7 B 1.21 - juris Rn. 9; vgl. auch Beschluss vom 23. April 1998 - 4 B 40.98 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 87 S. 43 f.).
Rz. 13
b) Die sinngemäß vom Kläger aufgeworfene Frage,
ob § 9 Abs. 2 UVPG Anwendung findet, wenn sich eine Anlage als solche unverändert im Betrieb befindet und lediglich Modifikationen in Bezug auf den zulässigen Schallleistungspegel zur Nachtzeit erfolgen,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Der Kläger vermengt die Frage der Anwendbarkeit von § 9 Abs. 2 UVPG, wonach die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unter anderem voraussetzt, dass durch die Änderung des Vorhabens die unter Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Werte erstmals erreicht oder überschritten werden, mit der Frage des Vorliegens einer Windfarm mit mindestens 20 Windenergieanlagen, die das Oberverwaltungsgericht verneint hat.
Rz. 14
c) Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
ob für eine Schallimmissionsprognose, die der Genehmigung einer WEA zugrunde liegt, das sog. Interimsverfahren irrelevant ist,
war für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblich (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 Rn. 5). Denn das Oberverwaltungsgericht hat nicht den Rechtssatz aufgestellt, dass das Interimsverfahren irrelevant sei, die Anwendung des alternativen Verfahrens statt des Interimsverfahrens durch den TÜV Nord deswegen nicht beanstandet, weil das Interimsverfahren erst durch das Schreiben des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten vom 23. Juli 2018 in das rheinland-pfälzische Genehmigungsverfahren eingeführt worden sei und sich aus diesem Schreiben ergebe, dass das Interimsverfahren für bereits laufende Genehmigungsverfahren in Rheinland-Pfalz grundsätzlich nicht gelte (UA S. 35). Entsprechendes gilt für die nur angedeutete Grundsatzfrage, ob das Interimsverfahren anzuwenden ist, obwohl in der TA Lärm unter A.2.2 und A.2.3.4 auf DIN ISO 9613-2 und mithin auf das alternative Verfahren verwiesen wird; auch insoweit fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit.
Rz. 15
d) Die Frage,
welche WEA beim Nachweis, dass die Richtwerte der TA Lärm eingehalten werden, zu berücksichtigen sind,
genügt nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Der Kläger legt nicht dar, welche abstrakte Rechtsfrage im Rahmen des angestrebten Revisionsverfahrens beantwortet werden soll.
Rz. 16
e) Die zur optisch bedrängenden Wirkung von Windenergieanlagen aufgeworfenen Fragen,
ob Pflanzen maßgeblich für die Beurteilung sein können, ob von WEA eine optisch bedrängende Wirkung ausgeht,
und
ab wann eine unzumutbare, umzingelnde Wirkung durch eine Vielzahl von umgebenden WEA an einem Wohnhaus vorliegt,
führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 17
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anhand einer Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob von einer Windenergieanlage eine optisch bedrängende Wirkung und unzumutbare Beeinträchtigung der benachbarten Wohnbebauung ausgeht (BVerwG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2006 - 4 B 72.06 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 374 Rn. 10 und vom 23. Dezember 2010 - 4 B 36.10 - BRS 76 Nr. 185 Rn. 3). Die Beschwerde moniert die Würdigung der Einzelfallumstände durch das Berufungsgericht, bei der es auch auf eine durch die Topografie bzw. Bewuchs teilweise verdeckte Sicht auf die Windenergieanlagen (UA S. 45) sowie den Blickwinkel des scharfen Sehens (UA S. 47) abgestellt hat. Dieses Vorbringen kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Das Revisionszulassungsrecht kennt keinen Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2021 - 4 BN 1.21 - juris Rn. 3 m. w. N.).
Rz. 18
Das Oberverwaltungsgericht hat hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens einer optisch bedrängenden Wirkung auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz zur Berücksichtigung von Bewuchs, zur maßgeblichen Anzahl von Windenergieanlagen in der Umgebung eines Wohnhauses oder zur eingeschränkten Sicht aufgestellt, der der revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich wäre (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 2010 - 4 B 36.10 - juris Rn. 3 m. w. N.). Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht insbesondere nicht den allgemeinen Erfahrungssatz aufgestellt, dass eine unzumutbare optisch bedrängende Wirkung nicht vorliegt, wenn der Blickwinkel des scharfen Sehens von ca. 24 bis 35 Grad von der Windenergieanlage frei bleibt. Es hat diesen Umstand im Rahmen der vorgenommenen Gesamtbewertung lediglich als einen von mehreren Aspekten berücksichtigt.
Rz. 19
f) Die Frage,
wie die Bezugnahme eines Raumordnungsplans auf die einzelnen (Bau-)Gebiete der Baunutzungsverordnung zu verstehen ist,
wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie die Auslegung nicht revisiblen Rechts betrifft (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die Frage zielt ihrem Wortlaut nach auf die Auslegung eines Raumordnungsplans, konkret auf die Auslegung des Landesentwicklungsprogramms. In beiden Fällen handelt es sich ausschließlich um Landesrecht. Die Revisibilität der aufgeworfenen Rechtsfrage folgt auch nicht daraus, dass in der Zielfestsetzung Z 163 h des Landesentwicklungsprogramms Begriffe der Baunutzungsverordnung verwendet werden. Denn die Auslegung von Z 163 h beruht nicht auf einem bestimmten Verständnis der Baunutzungsverordnung als Teil des revisiblen Bundesrechts (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 21. September 2005 - 6 C 16.04 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 40 Rn. 18 m. w. N. und vom 17. September 2008 - 9 C 17.07 - Buchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 24 Rn. 14 m. w. N.).
Rz. 20
g) Der Kläger möchte ferner grundsätzlich geklärt wissen,
mit welchem Schallleistungspegel ein Industriegebiet in die Berechnung der Vorbelastung einzubeziehen ist, wenn in dem Industriegebiet aufgrund der TA Lärm sowie den Festsetzungen des dort maßgeblichen Bebauungsplans ein Immissionsrichtwert von bis 70 dB(A) einzuhalten ist.
Rz. 21
Die Frage ist auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, die der Kläger nicht mit Verfahrensrügen angreift und an die der Senat deshalb in einem Revisionsverfahren gebunden wäre (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO), nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat tragend ausgeführt, dass der maßgebliche Immissionsrichtwert von 45 dB(A) nachts am Wohnhaus des Klägers auch bei der von ihm befürworteten Annahme eines flächenbezogenen Schallleistungspegels von 70 dB(A)/qm im Industriegebiet an der B421 in Kirchberg (Hunsrück) nicht überschritten sei (UA S. 37).
Rz. 22
2. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nicht das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das angegriffene Urteil beruhen kann.
Rz. 23
a) Der Kläger rügt, das Oberverwaltungsgericht habe den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zur Überschreitung des Immissionsrichtwertes an seinem Wohnhaus zu Unrecht abgelehnt sowie seine Einwände gegen die vorgelegten Schallimmissionsprognosen und -messungen übergangen und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. Es habe dadurch auch gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO) verstoßen. Diese Rügen greifen nicht durch.
Rz. 24
Das Oberverwaltungsgericht hat ausgehend von gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord und des vom Kläger beauftragten Ingenieurbüros P. keine konkreten Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass der für faktische Dorfgebiete maßgebliche Immissionsrichtwert von 45 dB(A) nachts am Wohnhaus des Klägers möglicherweise nicht eingehalten werden kann (UA S. 33 ff.). Es hat den Antrag des Klägers, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben zu der Tatsache, dass durch die genehmigten Windenergieanlagen und die Bestandsanlagen der Immissionsrichtwert für den Beurteilungspegel von 45 dB(A) nachts (22.00 bis 6.00 Uhr) an seinem Wohnhaus überschritten wird, als unsubstantiiert und ins Blaue hinein gestellt abgelehnt (UA S. 41). Damit hat es weder die nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO bestehende Aufklärungspflicht noch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
Rz. 25
aa) Liegen - wie hier - bereits Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es nach § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt. Das Tatsachengericht kann sich dabei ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen, die eine Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 1978 - 4 C 79.76 - BVerwGE 56, 110 ≪127≫; Beschlüsse vom 18. Januar 1982 - 7 B 254.81 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 137, vom 30. Dezember 1997 - 11 B 3.97 - Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 1 S. 5, vom 3. Februar 2010 - 7 B 35.09 - juris Rn. 12 und vom 8. März 2018 - 9 B 25.17 - Buchholz 406.403 § 44 BNatSchG 2010 Nr. 4 Rn. 32). Gutachterliche Stellungnahmen, die erst während eines gerichtlichen Verfahrens von einer beteiligten Behörde eingeholt und als Parteivortrag in das Verfahren eingeführt werden, sind insoweit nicht anders zu behandeln (BVerwG, Beschlüsse vom 13. März 1992 - 4 B 39.92 - NVwZ 1993, 268 und vom 26. Juni 2020 - 7 BN 3.19 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 122 Rn. 5). Angezeigt ist eine entsprechende Anwendung des § 412 ZPO auch dann, wenn ein Gutachten einem behördlich veranlassten Gutachten gleichzustellen ist. Anwendungsfälle für ein solches Vorgehen sind insbesondere komplexe Verfahren mit umweltrechtlichem Einschlag, bei denen bereits normativ durch die Anordnung des Einreichens detaillierter und prüffähiger Unterlagen schon bei Antragstellung der Grundstein für eine Kooperation zwischen Vorhabenträger und Genehmigungsbehörde gelegt ist, um einen zügigen Ablauf des Zulassungsverfahrens zu sichern (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65; Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2022, § 98 Rn. 182). Solch ein Fall ist das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren (Rudisile, a.a.O., § 98 Rn. 182).
Rz. 26
Ein Verfahrensmangel liegt in dieser Situation nur dann vor, wenn sich dem Tatsachengericht die Einholung eines weiteren Gutachtens hätte aufdrängen müssen, weil die vorliegenden Gutachten objektiv ungeeignet sind, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Dies ist im allgemeinen der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügt oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird. Die Verpflichtung zur Ergänzung des Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter dieses als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2012 - 7 C 8.11 - Buchholz 419.01 § 26 GenTG Nr. 1 Rn. 37; Beschlüsse vom 3. Februar 2010 - 7 B 35.09 - juris Rn. 12 und vom 26. Juni 2020 - 7 BN 3.19 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 122 Rn. 6).
Rz. 27
bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das Oberverwaltungsgericht ermessensfehlerfrei die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage der Überschreitung des Immissionsrichtwertes von 45 dB(A) nachts am Wohnhaus des Klägers abgelehnt. Die Einholung eines weiteren Gutachtens musste sich dem Oberverwaltungsgericht nicht aufdrängen. Der Kläger hat nicht substantiiert aufgezeigt, dass die von der Beigeladenen vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord offen erkennbare Mängel aufweisen. Vielmehr fehlt es nach dem vom Kläger beauftragten Ingenieurbüros P. ebenfalls an Anhaltspunkten für eine Überschreitung des Immissionsrichtwertes von 45 dB(A) nachts am Wohnhaus des Klägers. Anhaltspunkte für eine Unverwertbarkeit dieser Stellungnahmen sind für den Senat nicht ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit der angewandten Berechnungsmethode befasst und ausgeführt, dass sich das Interimsverfahren noch nicht in einem Maße durchgesetzt habe, dass eine abweichende Verfahrensweise unter Zugrundelegung des alternativen Verfahrens nach DIN ISO 9613-2 fachwissenschaftlich nicht mehr vertretbar erschiene (UA S. 34 f.). Auch kommt die anhand des Interimsverfahrens vorgenommene Immissionsprognose (gutachterliche Stellungnahme des TÜV Nord vom 14. Dezember 2018) ebenfalls zu keiner Überschreitung des maßgeblichen Immissionsrichtwertes.
Rz. 28
Ein offen erkennbarer Mangel der gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord resultiert nicht aus einer nach Auffassung der Beschwerde evident fehlerhaften Berücksichtigung des Industriegebiets an der B421 in Kirchberg (Hunsrück) bei der Ermittlung der Vorbelastung mit einem flächenbezogenen Schallleistungspegel von (zuletzt) lediglich 65 dB(A)/qm. Das Oberverwaltungsgericht ist im Rahmen seiner Tatsachen- und Beweiswürdigung unter Berücksichtigung von DIN 18005-1, Nr. 5.2.3, der Auskunft des in der mündlichen Verhandlung befragten Erstellers der gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord sowie einer Stellungnahme der Regionalstelle Gewerbeaufsicht der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord vom 14. Februar 2019 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einhaltung eines Immissionsrichtwertes von 70 dB(A) zur Nachtzeit von vornherein unmöglich wäre, wenn dort auf jedem Quadratmeter Fläche ein Schallleistungspegel von 70 dB(A)/qm erreicht würde (UA S. 35 bis 37).
Rz. 29
Dem Oberverwaltungsgericht musste sich die Einholung eines weiteren Gutachtens auch nicht aufgrund einer evident fehlerhaften Berücksichtigung der von bestehenden Windenergieanlagen ausgehenden Vorbelastung aufdrängen. Es hat insoweit auf die Vorgaben der TA Lärm zur Ermittlung der Vorbelastung durch Bestandsanlagen sowie das Einführungsschreiben des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten vom 23. Juli 2018 abgestellt, aus dem sich eine Berücksichtigung nur noch von Anlagen, die den jeweiligen Immissionsrichtwert um maximal 12 dB(A) unterschreiten, ergibt (UA S. 37 f.). Der Verwertbarkeit der gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord stehen auch keine vom Kläger gesehenen nicht nachvollziehbaren Aussagen und unauflöslichen Widersprüche zur Vorbelastung durch bestehende Windenergieanlagen in vorangegangenen Immissionsprognosen entgegen. Der Kläger gibt selbst an, dass der TÜV Nord die auf verschiedene Immissionsorte einwirkenden Immissionen im Auftrag der Beigeladenen erneut berechnet habe. Der Umstand, dass er dabei zu anderen Ergebnissen gelangt ist als zuvor tätige Gutachter, hat keine erkennbare Mangelhaftigkeit seiner gutachterlichen Stellungnahmen zur Folge.
Rz. 30
Auch das Vorbringen der Beschwerde, die gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord seien "ergebnisorientiert" und "realitätsfern und nur durch weitere unzulässige Abschirmungen erreicht worden", erschüttert die Aussagekraft der gutachterlichen Stellungnahmen nicht. Dies gilt auch, soweit der Kläger einwendet, der TÜV Nord habe hinsichtlich der für sein Wohnhaus maßgeblichen Immissionsorte in unzulässiger Weise eine Abschirmwirkung von fiktiv angenommenen Gebäuden auf dem Bebauungsplangebiet "Auf‚m Acker" berücksichtigt. Der TÜV Nord hat in seiner Stellungnahme vom 24. Mai 2019 dazu ausgeführt, dass diese für die Immissionsorte im Bebauungsplangebiet "Auf‚m Acker" angenommene Fiktion für andere Immissionsorte ohne Relevanz gewesen sei (UA S. 38 f.). Der Kläger behauptet, eine unzulässige Einbeziehung hypothetischer Abschirmwirkungen für die Immissionsorte im Bebauungsplangebiet "Auf‚m Acker" führe zu fehlerhaften Werten der Berechnung der Gesamtbelastung (S. 21 der Beschwerdebegründung), spricht damit aber offensichtlich die Gesamtbelastung der Immissionsorte im Bebauungsplangebiet "Auf‚m Acker" an und zeigt nicht auf, inwieweit dies für die hier maßgeblichen Immissionsorte an seinem Wohnhaus von Relevanz ist.
Rz. 31
Erkennbar mangelbehaftet sind die gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord auch nicht aufgrund evident falsch gewählter Immissionsorte am Wohnhaus des Klägers. Der maßgebliche Immissionsort ist nach Nr. 2.3 TA Lärm der nach A.1.3 TA Lärm zu ermittelnde Ort im Einwirkungsbereich der Anlage, an dem eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte am ehesten zu erwarten ist; dieser liegt bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes nach DIN 4109. Der Kläger zeigt nicht auf, dass nach der TA Lärm die südlich gelegene, vom Schlafzimmer abgehende Dachterrasse als schutzwürdigster Raum anzusehen ist. Die streitgegenständlichen Windenergieanlagen wurden östlich und westlich vom Wohnhaus des Klägers errichtet.
Rz. 32
Zu Recht weist die Beschwerde dagegen auf einen offensichtlichen Additionsfehler in der gutachterlichen Stellungnahme des TÜV Nord vom 20. September 2018 zum Immissionsort 33 (Wohnhaus des Klägers) hin, da die Gesamtbelastung niedriger ausfällt als die Vorbelastung. Aus der gutachterlichen Stellungnahme des TÜV Nord vom 14. Dezember 2018 ergibt sich indes, dass die fehlerhafte Addition der nächtlichen Schallpegel in den nachfolgenden Berechnungen korrigiert worden ist.
Rz. 33
cc) Die Rüge des Klägers, das Oberverwaltungsgericht habe seine Einwendungen gegen die gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord übergangen, führt nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht zwar, entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, nicht aber, jedes Vorbringen der Beteiligten zu bescheiden. Das Gericht muss nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Nur bei Vorliegen deutlich gegenteiliger Anhaltspunkte ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es sind daher im Einzelfall besondere Umstände deutlich zu machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 ≪145 f.≫; BVerwG, Beschlüsse vom 27. Oktober 1998 - 8 B 132.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 162 S. 507, vom 2. Juli 2007 - 7 B 65.06 - juris Rn. 12 und vom 8. August 2012 - 7 B 1.12 - juris Rn. 5). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht. Die Rüge des Klägers beschränkt sich insoweit darauf, seine bereits vorinstanzlich vorgetragenen Einwände zu wiederholen und pauschal zu behaupten, das Oberverwaltungsgericht habe diesen Vortrag nicht berücksichtigt.
Rz. 34
b) Der Kläger macht zudem eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) geltend, da das Oberverwaltungsgericht einen weiteren Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt, seine Einwände gegen die vorgelegten schalltechnischen Messberichte übergangen und das angegriffene Urteil ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf diese Messberichte gestützt habe.
Rz. 35
aa) Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben zu der Tatsache, dass die schalltechnischen Messberichte vom 31. Januar 2019, vom 18. Februar 2019 und vom 21. März 2019 des Ingenieurbüros für A. GmbH und die ihnen zugrundeliegenden Messungen fachlich unzureichend sind, als ins Blaue hineingestellt und entscheidungsunerheblich abgelehnt (UA S. 41 f.). Auch diese Ablehnung des Beweisantrages findet eine Stütze im Prozessrecht.
Rz. 36
Ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens muss wenigstens in Umrissen den Inhalt und das Ziel der vom Sachverständigen zu beantwortenden Frage hervortreten lassen, um dem Tatsachengericht überhaupt Überlegungen zu ermöglichen, ob Punkte vorliegen, die der Klärung durch ein Gutachten bedürfen (BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1984 - 9 C 558.82 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 164 S. 29). Ob der Beweisantrag diesen Anforderungen entsprach oder ob das Oberverwaltungsgericht trotz der klägerischen Ausführungen in den Schriftsätzen vom 25. April 2019 und vom 24. Mai 2019 ohne Rechtsfehler annehmen durfte, dass das Beweisthema mangels konkreter Bezeichnung, inwieweit die Messungen nicht den "fachlichen Vorgaben" entsprechen sollen, nicht hinreichend präzisiert wurde, lässt der Senat offen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat den Beweisantrag verfahrensfehlerfrei und selbstständig tragend aufgrund fehlender Entscheidungserheblichkeit abgelehnt.
Rz. 37
Das Tatsachengericht kann wegen rechtlicher Unerheblichkeit der Tatsache auf eine Tatsachenermittlung verzichten (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1990 - 9 C 39.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 122 S. 208). Nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts kam es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung darauf an, ob die von den Windenergieanlagen ausgehenden Emissionen eine Einhaltung der maßgeblichen Beurteilungspegel am klägerischen Grundstück von vornherein erst gar nicht erwarten ließen oder deren Überwachung mit für den Kläger unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden wäre (UA S. 32 ff., 42). Damit hat es allein die Immissionsprognosen, nicht jedoch die Immissionsmessungen, deren Verwertbarkeit der Kläger in Zweifel zieht, für rechtlich entscheidungsrelevant erachtet.
Rz. 38
Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich das Oberverwaltungsgericht in den Urteilsgründen nicht in Widerspruch zu dieser Ablehnung des Beweisantrages gesetzt. Das Tatsachengericht darf seiner Entscheidung zwar keinen Sachverhalt zugrunde legen, der von einer Tatsache abweicht, die es bei der Ablehnung eines Beweisantrages als wahr unterstellt hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. September 2018 - 6 B 134.18 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 114 Rn. 8 zur Wahrunterstellung einer unter Beweis gestellten Tatsache). So liegt es hier jedoch nicht, weil das Oberverwaltungsgericht die Messung des Ingenieurbüros für A. GmbH vom 9. Januar 2019 (Messbericht vom 18. Februar 2019) lediglich als "Indiz" bzw. "Bestätigung" für die Richtigkeit der Immissionsprognosen des TÜV Nord herangezogen hat (UA S. 39 f., 42) und somit der Messung gerade keine die Entscheidung tragende Relevanz beigemessen. Dabei hat es zu erkennen gegeben, dass ein Verstoß gegen fachliche Vorgaben bei der Durchführung dieser Messung ohne Auswirkung auf die eigene Entscheidungsfindung wäre.
Rz. 39
bb) Es liegt auch kein Gehörsverstoß in Form einer Überraschungsentscheidung vor. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 ≪144 f.≫ sowie Kammerbeschluss vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 - NVwZ-RR 2011, 460 Rn. 13 m. w. N.). Der Kläger sieht eine Überraschungsentscheidung darin, dass das Oberverwaltungsgericht einerseits in der mündlichen Verhandlung seinen Beweisantrag wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit abgelehnt, andererseits aber ohne richterlichen Hinweis in den Urteilsgründen auf die Messberichte des Ingenieurbüros für A. GmbH abgestellt hat. Eine Überraschungsentscheidung folgt daraus jedoch nicht. Da das Oberverwaltungsgericht diese Messberichte - wie dargelegt - in den Urteilsgründen nicht entscheidungserheblich berücksichtigt hat, hat es auch nicht für den Kläger unerwartet und entgegen vorheriger Äußerungen in der mündlichen Verhandlung auf einen Gesichtspunkt entscheidend abgestellt, zu dem sich dieser nicht (mehr) äußern konnte.
Rz. 40
c) Unbegründet ist die weitere Rüge des Klägers, das Oberverwaltungsgericht habe seinen Vortrag zur Impulshaltigkeit und zu tonalen Auffälligkeiten nicht berücksichtigt, eine weitere Sachaufklärung unterlassen und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sowie die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO) verletzt.
Rz. 41
Nach Nr. 6.8 TA Lärm erfolgt die Ermittlung der Geräuschimmissionen nach den Vorschriften des Anhangs zur TA Lärm. Nach A.3.3.5 TA Lärm ist bei Messungen ein Zuschlag für Ton- und Informationshaltigkeit zu berücksichtigen, nach A.3.3.6 TA Lärm ein Zuschlag für Impulshaltigkeit. Der Kläger verweist in der Beschwerdebegründung auf sein bisheriges Vorbringen zur Impulshaltigkeit und zu tonalen Auffälligkeiten, zeigt aber keine besonderen Umstände des Einzelfalls auf, aus denen sich ergibt, dass das Oberverwaltungsgericht dieses Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidungsfindung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Er legt nicht dar, dass es sich bei diesem Kritikpunkt zu den Schallimmissionsprognosen des TÜV Nord um eine so wesentliche, der Rechtsverfolgung dienende Tatsachenbehauptung handelt, die in den Entscheidungsgründen hätte verarbeitet werden müssen (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - 9 B 6.06 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66 Rn. 24). Wesentlicher Kern des Tatsachenvorbringens des Klägers war die geltend gemachte Mangelhaftigkeit der gutachterlichen Stellungnahmen des TÜV Nord, mit der sich das Oberverwaltungsgericht im angegriffenen Urteil auseinandergesetzt hat; die unterbliebene Berücksichtigung von Zuschlägen für eine Ton- oder Impulshaltigkeit war einer von vielen Kritikpunkten des Klägers. Das wiederholte schriftsätzliche Eingehen auf diesen Kritikpunkt macht ihn nicht ohne Weiteres zum wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags, zumal der Kläger zu den weiteren Kritikpunkten ebenfalls wiederholt vortrug.
Rz. 42
Der Kläger hat keinen Beweisantrag zum Vorliegen von außergewöhnlichen Störwirkungen gestellt und auch nicht substantiiert dargelegt, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Oberverwaltungsgericht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Unzureichend ist insoweit der Verweis darauf, dass es Aufgabe der Tatsachengerichte sei, zu überprüfen, ob Windenergieanlagen - oder bestimmte Typen von Windenergieanlagen - Geräusche hervorrufen, die im Hinblick auf ihre außergewöhnliche Störwirkung die Vergabe eines Impulszuschlags rechtfertigen (so BVerwG, Urteil vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 31). Aus der vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts folgt nicht, dass die Tatsachengerichte unabhängig von bereits vorliegenden Erkenntnismitteln zu derartigen Störwirkungen zur Frage der Ton- oder Impulshaltigkeit Beweis erheben müssten. Dem Oberverwaltungsgericht lag hier eine sachverständige Auskunft zum (Nicht-)Vorliegen von ton- oder impulshaltigen Auffälligkeiten vor (gutachterliche Stellungnahmen des TÜV Nord vom 6. Juni 2017 und vom 21. Februar 2019), der es sich ersichtlich angeschlossen hat.
Rz. 43
d) Dem Oberverwaltungsgericht ist bei der Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) kein Verfahrensfehler in Form aktenwidriger Feststellungen unterlaufen.
Rz. 44
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Grenzen der "Freiheit" des Gerichts sind jedoch überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Solche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 30. August 2018 - 7 B 5.18 - juris Rn. 6 m. w. N.). Eine "aktenwidrige Entscheidung" liegt erst vor, wenn der Streitstoff, den das Tatsachengericht seiner Entscheidung zugrunde legt, von dem tatsächlichen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergibt, zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht, sei es, dass er darüber hinausgeht, indem aktenwidrig - "ins Blaue hinein" - Tatsachen angenommen werden, sei es, dass er dahinter zurückbleibt, indem Akteninhalt übergangen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 - 8 C 5.11 - Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 28 Rn. 25).
Rz. 45
Die vom Kläger geltend gemachte aktenwidrige Feststellung zur Anzahl der Wohnhäuser in der Umgebung seines Wohnhauses liegt nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat seinen im Rahmen der Ortsbesichtigung vom 25. März 2021 getroffenen Feststellungen nicht widersprochen, indem es in den Entscheidungsgründen (UA S. 30) zur Annahme eines faktischen Dorfgebiets ausgeführt hat:
"Insgesamt handelt es [sich] jedoch nur um insgesamt neun Häuser ("Am Südhang" 1, 3, 5 und 7 sowie "Auf der Forst" 9, 11, 16, 18 und 20). Eine weitere Erstreckung der insoweit bestehenden einheitlichen Wohnbebauung nach Süden hin ist nicht festzustellen."
Rz. 46
Es hat seiner Entscheidung entgegen der Auffassung des Klägers nicht zugrunde gelegt, dass sich südlich vom Grundstück des Klägers keine weitere (einheitliche) Wohnbebauung befindet. Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts beziehen sich unter Berücksichtigung der beiden vorangegangenen Absätze in den Urteilsgründen erkennbar auf die in östlicher Richtung der Parzelle 30 gelegene Umgebung. Soweit das Oberverwaltungsgericht sodann eine weitere Erstreckung der "insoweit bestehenden einheitlichen Wohnbebauung" nach Süden hin verneint, ist Bezugspunkt der Einheitlichkeit die Wohnbebauung in Gestalt der angesprochenen neun Häuser; eine Aussage dazu, ob sich im Süden des klägerischen Grundstücks eine (einheitliche) Wohnbebauung anschließt, hat es damit nicht getroffen. Die vom Oberverwaltungsgericht verneinte Erstreckung ist bereits Teil seiner rechtlichen Würdigung zur Einordnung der Umgebung als faktisches Dorfgebiet. Denn es hat darauf abgestellt, dass dieser südliche Bereich landwirtschaftlich dominiert wird (UA S. 31). Die Rüge des Klägers, aufgrund des Vorliegens von insgesamt 21 Wohnhäusern in der näheren Umgebung seines Grundstücks habe das Oberverwaltungsgericht ein faktisches Wohngebiet annehmen müssen, zielt damit auf das Ergebnis der Beweiswürdigung ab und ist damit nicht geeignet, eine Aktenwidrigkeit aufzuzeigen.
Rz. 47
Die Rüge des Klägers, das Oberverwaltungsgericht habe in den Urteilsgründen (UA S. 40) ohne Anhaltspunkte in den Akten darauf abgestellt, dass die Schallmessung des Ingenieurbüros für A. GmbH im leistungsoptimierten Betrieb mit einer Nennleistung von 3,3 MW erfolgt sei, dringt ebenfalls nicht durch. Diese Angabe lässt sich dem Messbericht vom 18. Februar 2019 zur Messung vom 9. Januar 2019 entnehmen (S. 3, 4 und 6).
Rz. 48
e) Ohne Erfolg bleibt die Gehörsrüge des Klägers (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), das Oberverwaltungsgericht habe sein entscheidungserhebliches Vorbringen zur optisch bedrängenden Wirkung übergangen. Der Vorwurf ist sachlich unzutreffend, da das Oberverwaltungsgericht sein Vorbringen im Tatbestand des angegriffenen Urteils zusammengefasst wiedergegeben hat (UA S. 6). In den Entscheidungsgründen hat es sich zudem ausführlich mit der Frage des Vorliegens einer optisch bedrängenden Wirkung und dabei insbesondere mit dem freien Blickwinkel auseinandergesetzt (UA S. 44 ff.). Der Kläger hält die vom Oberverwaltungsgericht nach einer Gesamtbewertung getroffene Einschätzung zur optisch bedrängenden Wirkung für falsch und macht dem Grunde nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, auf die ein Erfolg der hiesigen Beschwerde nicht zu stützen ist.
Rz. 49
f) Soweit der Kläger rügt, das Oberverwaltungsgericht habe gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO) verstoßen, weil es keine Aufklärung zur Infraschalleinwirkung betrieben habe, legt er nicht dar, dass er bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, insbesondere durch einen förmlichen Beweisantrag, hingewirkt hat. Er zeigt zudem nicht auf, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Oberverwaltungsgericht eine Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Entgegen seiner Auffassung drängte sich eine Sachverhaltsaufklärung insbesondere nicht aufgrund in das Verfahren eingebrachter fachlicher Stellungnahmen auf. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit den vom Kläger vorgelegten Literaturstellen inhaltlich auseinandergesetzt und dargelegt, dass es mangels valider Daten zur Infraschallbelastung durch Windenergieanlagen von keiner unzumutbaren Beeinträchtigung durch Infraschall ausgeht (UA S. 43 f.).
Rz. 50
g) Die Gehörsrüge (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) zum Übergehen des Oberverwaltungsgerichts von Vorbringen zur fehlerhaften UVP-Vorprüfung bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der Kläger legt keine besonderen Umstände des Einzelfalls dar, aus denen sich ergibt, dass das Oberverwaltungsgericht sein Vorbringen zur UVP-Vorprüfung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidungsfindung nicht in Erwägung gezogen hat. Das Oberverwaltungsgericht hat auch dieses Vorbringen im Tatbestand des angegriffenen Urteils zusammengefasst wiedergegeben (UA S. 6 f.), sich mit einem Teil der Einwände des Klägers in den Entscheidungsgründen auseinandergesetzt (UA S. 14 ff.) und dabei insbesondere auf die Ausführungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der Ehefrau des Klägers gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 27. Dezember 2016 (OVG Koblenz, Beschluss vom 6. Juli 2017 - 1 B 11015/17.OVG) verwiesen. Indem das Oberverwaltungsgericht neben diesem Verweis auch auf weitere Einwände des Klägers gegen die UVP-Vorprüfung eingegangen ist (UA S. 23 bis 26), hat es zu erkennen gegeben, dass es sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Eingehen auf lediglich zwei dieser Einwände lässt nicht darauf schließen, dass der Kläger aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts darüber hinausgehend keine weiteren Einwände gegen die UVP-Vorprüfung erhoben hat.
Rz. 51
h) Zu Unrecht rügt der Kläger, das Oberverwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt, indem es sein Vorbringen zur Nichtigkeit des Flächennutzungsplans nicht berücksichtigt habe. Der Kläger zeigt bereits nicht auf, dass es sich dabei um entscheidungserheblichen Vortrag handelt. Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, dass sich eine etwaige Nichtigkeit des Flächennutzungsplans auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigung vom 27. Dezember 2016 auswirken kann.
Rz. 52
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 15344339 |
DÖV 2022, 1050 |
UPR 2022, 510 |
UPR 2023, 20 |
ZNER 2022, 497 |
FSt 2023, 518 |