Lärmschutz vs. Wohnungsbau: Neue Auflagen immer noch zu streng?
Der Bundestagsausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen befasst sich am 25.9.2024 mit Änderungen der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) – das nimmt der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) zum Anlass, auf mögliche Schwächen am Referentenentwurf aus dem Umweltministerium hinzuweisen.
ZIA: "An die TA Lärm muss man noch mal ran"
Die jetzt gestartete Initiative "reagiert auf eine jahrelange Forderung, um durch Neubau und Nutzungsänderung den Weg freizumachen für mehr Wohnungen in zentralen Lagen", sagte ZIA-Präsidentin Iris Schöberl. Es gebe allerdings noch Defizite: "Mit dem Vorschlag, über den wir bisher diskutieren, bleibt Deutschland hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die Auflagen werden Extrawohnungen auch künftig noch im Weg stehen."
Der Ansatz, Gewerbe nicht zu verdrängen, sondern durch Lärmschutzmaßnahmen zusätzlichen Wohnraum zu ermöglichen, sei richtig, die Gestaltung aber sei ungeeignet, um Lärmkonflikte in gemischt genutzten Immobilien und Quartieren zu verhindern.
Kritikpunkte des ZIA im Überblick:
- Die neuen Lärmschutzregeln sollen nur für "überplante" Gebiete in Städten und Gemeinden gelten – jedoch sei ein Großteil innerstädtischer Flächen "unbeplant".
- Dass Lärmmesspunkte außerhalb des Gebäudes liegen sollen, sei veraltet. "Es ist nicht zu verstehen, warum Verkehrslärm im Innenbereich, beim Gewerbe aber weiter außen gemessen werden soll", so Schöberl. Der ZIA schlägt vor, alle Lärmwerte innen zu ermitteln.
- Die neue TA Lärm soll als Sonderregelung nur bis Ende 2032 gelten – die Befristung ist aus Sicht der ZIA-Präsidentin nicht sinnvoll: "Im Umbau der Innenstädte mit einem verstärkten Nutzungsmix aus Wohnen und Gewerbe steckt ein großes Potenzial, das wir unbedingt ausschöpfen müssen. An die TA Lärm muss man noch mal ran."
TA Lärm: Baulandkommission und Koalitionsvertrag
Die Anpassung der Lärmschutzvorgaben in der TA Lärm werden auch von der Wohnungswirtschaft seit Jahren gefordert. "Für attraktivere Innenstädte brauchen wir ein stärkeres Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe. Das kann nur funktionieren, wenn die Immissionsrichtwerte entsprechend angepasst werden", sagte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes GdW, bereits vor vier Jahren – als eine im Jahr 2018 von der alten Bundesregierung eingesetzte Baulandkommission im September 2020 den ersten Zwischenbericht und Handlungsempfehlungen vorlegte.
Darin wird eine Experimentierklausel begrüßt, um beim Lärmschutz Nutzungskonflikte zwischen Gewerbebetrieben und heranrückender Wohnbebauung zu lösen. Es wurde eine Arbeitsgemeinschaft eingerichtet. Die Baulandkommission appelliert in dem Papier an die Umweltministerkonferenz und die Bauministerkonferenz der Länder, die für diese Problematiken einzurichtende Arbeitsgruppe schnell zum Abschluss zu bringen.
Und im Koalitionsvertrag 2021 der Ampel-Regierung heißt: "Die TA Lärm werden wir modernisieren und an die geänderten Lebensverhältnisse in den Innenstädten anpassen, um Zielkonflikte zwischen Lärmschutz und heranrückender Wohnbebauung aufzulösen."
BMUV: Referentenentwurf zur Änderung der TA Lärm
Das Bundesministerium für Umwelt und Verkehr (BMUV) hat im Mai 2024 einen Referentenentwurf einer zweiten Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm vorgelegt.
Gegenstand des Entwurfs sind insbesondere folgende Regelungsinhalte:
- Es wird eine neue Nummer 7.5 eingeführt mit einer zeitlich befristeten Sonderregelung. Diese setzt für heranrückende Wohnbebauung nachts erhöhte Immissionsrichtwerte fest, sofern ein Bebauungsplan die in der Vorschrift bezeichneten Voraussetzungen erfüllt ("Experimentierklausel"). Gleichzeitig verbessert die Regelung die Bedingungen für Clubs und Livemusik-Spielstätten.
- Es werden erstmalig Immissionsrichtwerte für den Gebietstyp "Dörfliches Wohngebiet" eingeführt.
- Verweise auf externe Regelwerke werden aktualisiert.
- Redaktionelle Verweisfehler infolge der Einführung des Gebietstyps "Urbanes Gebiet" in Jahr 2017 werden korrigiert.
Der Entwurf wird derzeit innerhalb der Bundesregierung diskutiert. Es wird beim BMUV ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um einen Entwurf handelt, zu dem die Ressortabstimmung noch nicht abgeschlossen ist. Die Verbände hatten bis zum 21.6.2024 Zeit für Stellungnahmen.
Ausschuss: Sachverständige für Ergänzungen der TA Lärm
Im öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen am 25. September begrüßten die kommunalen Spitzenverbände in einer gemeinsamen Stellungnahme den Versuch der Bundesregierung, mit Lärmkonflikte zwischen Wohnbebauung, Gewerbe und Industrie zu lösen.
Die geplante Experimentierklausel sei sinnvoll, da sie den Einsatz besonderer Fensterkonstruktionen erlaube. Damit könnten Lärmkonflikte bewältigt und mehr Flächen für den Wohnungsbau nutzbar gemacht werden. Es sollten aber nicht nur Bebauungsplangebiete einbezogen werden, sondern auch andere Gebiete.
Tine Fuchs, Abteilungsleiterin Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen beim ZIA, sagte, der vorliegende Entwurf sei nur bedingt geeignet, um die vorhandenen Konflikte zwischen Wohnen und Gewerbe gerade in Innenstädten zu lösen. Sie sprach sich unter anderem dafür aus, höhere Lärmwerte und bessere Schallschutzmaßnahmen zuzulassen.
Wie schon der ZIA kritisierte auch Dr. Oliver Gewand, Referatsleiter Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Raumordnung beim GdW, dass die Anwendung der Experimentierklausel auf Gebiete mit Bebauungsplänen beschränkt sei. Auch sei der Zeitrahmen für die Anwendung der Klausel zu kurz, sechs Jahre seien zu wenig. "Das Bauen wird nicht entsprechend vorangebracht", erklärte Dirk Saleweski, Präsident beim Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). Flächenpotenziale für ein Mehr an Wohnungsbau würden mit der Experimentierklausel kaum mobilisiert. Ein Motor für das Bauen seien die Änderungen nicht. Diese Auffassung vertrat auch Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus & Grund Deutschland.
Fachgespräch zur TA Lärm im Bundestagsausschuss: Alle Stellungnahmen
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