Verfahrensgang
VG Leipzig (Aktenzeichen 7 K 257/98) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 26. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 11 812 DM festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin macht Ansprüche nach dem Vermögensgesetz (VermG) in bezug auf ein Grundstück geltend, das im Eigentum einer Erbengemeinschaft stand, zu der ihr Rechtsvorgänger gehörte. Die Ansprüche wurden durch den Bevollmächtigten der Klägerin im Juni 1996 angemeldet. Nach Ansicht des Bevollmächtigten steht die Ausschlußfrist des § 30 a VermG dem Rückübertragungsanspruch nicht entgegen, weil die Klägerin seit 1990/91 schwer erkrankt sei (senile Demenz, Alzheimertyp) und erstmals Ende Mai 1996 von der Existenz des Vermögenswerts durch den Bevollmächtigten erfahren habe. Das Verwaltungsgericht hat die Klage in Übereinstimmung mit den angefochtenen Bescheiden wegen des Ablaufs der Ausschlußfrist abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen ergibt die vorgebrachten Zulassungsgründe nicht.
1. Der als Zulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Die Beschwerde trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht habe sich dem in den Mittelpunkt des Klagevorbringens gerückten Rechtsproblem, ob das verfassungsrechtliche Verbot der Diskriminierung Behinderter (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) angesichts der krankheitsbedingten Schwerstbehinderung der Klägerin die Nichtanwendung der Ausschlußfrist verlange, entzogen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. Diese Rüge ist unbegründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 86, 133 ≪145 f.≫), der das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung folgt, ist in der Regel davon auszugehen, daß das Gericht bei seiner Entscheidung die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das gilt auch für das Vorbringen, das in den Entscheidungsgründen nicht eigens behandelt ist, weil das Gericht sich in seinem Urteil nicht mit jedem Vorbringen auseinandersetzen muß, sondern sich auf die Gründe beschränken darf, die für seine Entscheidung leitend gewesen sind. Darum ist der Schluß von der Nichtbehandlung eines Vorbringens in den Entscheidungsgründen auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur unter der Voraussetzung zulässig, daß das betreffende Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts entscheidungserheblich war. Daran fehlt es hier. Wie den Entscheidungsgründen zu entnehmen ist, beruht das angegriffene Urteil auf der Rechtsauffassung, daß es auf die in der Person der Klägerin liegenden krankheitsbedingten, der rechtzeitigen Anmeldung entgegenstehenden Umstände und Gründe nicht ankomme, weil § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG Ausnahmen von der Ausschlußfrist nach Art einer „Härtefallregelung” nicht zulasse. Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung mußte das Verwaltungsgericht auf das Vorbringen der Klägerin zum Diskriminierungsverbot zugunsten Behinderter nicht eingehen, weil es für die Auslegung und Anwendung des § 30 a VermG nicht entscheidungserheblich war.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimißt.
a) Unter welchen Voraussetzungen die Versäumung der Ausschlußfrist des § 30 a VermG ausnahmsweise unbeachtlich sein kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt (vgl. Urteil vom 28. März 1996 – BVerwG 7 C 28.95 – BVerwGE 101, 39 ≪45 ff.≫; Beschluß vom 30. Juli 1998 – BVerwG 8 B 31.98 –, VIZ 1998, 632). Das Bundesverfassungsgericht hat die dieser Rechtsprechung zugrunde- liegende Auslegung der Ausschlußfrist wiederholt gebilligt und festgestellt, daß § 30 a Abs. 1 VermG verfassungsgemäß ist (Kammerbeschluß vom 20. Oktober 1998 – 1 BvR 1730/98 –, VIZ 1999, 146; zuletzt Kammerbeschlüsse vom 10. Januar 2000 – 1 BvR 1398/99 – und vom 11. Januar 2000 – 1 BvR 1437/99). Das Beschwerdevorbringen zeigt revisionsrechtlich klärungsbedürftige neue rechtliche Gesichtspunkte nicht auf. Das gilt insbesondere für die von der Beschwerde vertretene Auffassung, daß in Fällen, in denen die Frist aufgrund einer krankheitsbedingten Schwerstbehinderung versäumt wurde, mit Blick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Behindertenschutz (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) Nachsicht gewährt werden müsse. Zwar kann dieses verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot, das sich primär an den Gesetzgeber richtet und ihn zur Gewährung des gebotenen Schutzes durch ausgleichende und begünstigende Regelungen für behinderte Menschen verpflichtet, als Ausdruck einer prinzipiellen Wertentscheidung des Verfassungsgebers geeignet sein, auf die Anwendung und Auslegung des Gesetzesrechts im Einzelfall einzuwirken (vgl. BVerfG, Kammerbeschluß vom 30. Juli 1996 – 1 BvR 1308/96 –, NJW 1997, 1062). Über eine derartige mittelbare Wirkung des Diskriminierungsverbots wäre aus Anlaß des vorliegenden Falles in einem Revisionsverfahren nicht zu entscheiden. Die Berücksichtigung eines verspätet angemeldeten Anspruchs hängt nämlich nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. dazu BVerwGE 101, 39 ≪45 ff.≫) nicht allein davon ab, aus welchem Grunde der Antragsteller gehindert war, die in § 30 a Abs. 1 VermG vorgesehene Frist einzuhalten. Selbst wenn dieser Grund, für sich betrachtet, Anlaß geben könnte, die mit dem Fristablauf an sich verbundende Anspruchsvernichtung in Zweifel zu ziehen, muß für eine solche Rechtsfolge stets die weitere Voraussetzung erfüllt sein, daß eine derartige Fristdurchbrechung mit dem Zweck der Frist, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu gewährleisten, vereinbar ist. Das ist nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats zu verneinen, wenn der betreffende Vermögenswert bei Fristablauf nicht anmeldebelastet war. Nach den dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Feststellungen waren in bezug auf das streitbefangene Grundstück bis zum Fristablauf, also bis zum 31. Dezember 1992, Restitutionsansprüche nicht geltend gemacht worden. Damit steht der Fristdurchbrechung der Zweck des Gesetzes entgegen, eine bereits eingetretene Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ohne jede Ausnahme zu gewährleisten. Eine solche gesetzliche Regelung berührt ersichtlich nicht den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und widerspricht damit auch nicht dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse der Klägerin, wegen ihrer Behinderung nicht benachteiligt zu werden. Auch die Beschwerde macht hierzu nichts geltend.
b) Grundsätzliche Bedeutung verleiht der Rechtssache auch nicht die sinngemäß aufgeworfene weitere Frage der Beschwerde, ob § 30 a Abs. 1 VermG auch dann gilt, wenn im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG über das Eigentum verfügt worden ist. Diese Frage ist für Fälle der vorliegenden Art, in denen der Restitutionsanspruch nach Ablauf der Ausschlußfrist angemeldet wurde, aufgrund des Gesetzeswortlauts (§ 30 a Abs. 1 Satz 4 VermG) ohne weiteres zu bejahen, ohne daß es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. Hierzu hat sich das Verwaltungsgericht in den Gründen der angefochtenen Entscheidung eingehend geäußert. Die Beschwerde setzt sich mit diesen zutreffenden Erwägungen nicht einmal ansatzweise auseinander, was offenbar darauf beruht, daß sie Wortlaut und Regelungszweck des § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG mißversteht. Diese Vorschrift besagt, daß ein rechtzeitig angemeldeter Restitutionsanspruch untergeht, wenn – erlaubt oder unerlaubt – über das restitutionsbelastete Eigentum verfügt wurde. Sie trägt damit dem Umstand Rechnung, daß die durch einen Antrag gemäß § 30 VermG ausgelöste Verfügungssperre des § 3 Abs. 3 VermG nur schuldrechtliche Wirkung enfaltet (vgl. Urteil vom 28. August 1997 – BVerwG 7 C 63.96 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 20). Der damit für den Fall der Unmöglichkeit einer Rückübertragung infolge Verfügung über das Eigentum begründete Anspruch auf Erlösauskehr knüpft jedoch stets an die rechtswirksame Anmeldung des Restitutionsanspruchs an; denn die Vorschrift setzt – nicht anders als § 16 Abs. 1 Satz 1 InVorG – voraus, daß der Vermögenswert allein deswegen nicht zurückübertragen werden kann, weil über das Eigentum verfügt worden ist (vgl. Urteil vom 29. Juli 1999 – BVerwG 7 C 31.98 –, SächsVBl 2000, 7).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Gödel, Herbert
Fundstellen