Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 02.09.2004; Aktenzeichen 8 UE 2251/04) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. September 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der die Berufungsentscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
Der von der Beschwerde allein geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die vom Kläger ohne Zulassung eingelegte Berufung zu Recht als unzulässig verworfen.
War die Berufung lediglich bedingt durch die Gewährung von Wiedereinsetzung erhoben, wie der Kläger mit Schriftsatz vom 30. August 2004 ausgeführt hat, so war sie allein deswegen unzulässig, wie das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat. Unter diesen Umständen könnte auch eine Umdeutung des Rechtsmittels in einen Antrag auf Zulassung der Berufung nicht zu einem zulässigen Antrag führen, da auch dieser Antrag bedingungsfeindlich ist. Selbst in dem Schriftsatz vom 30. August 2004 ist der dort formulierte Antrag auf Zulassung der Berufung noch von dem Erfolg des Wiedereinsetzungsgesuchs abhängig gemacht worden.
Geht man dennoch zu Gunsten des Klägers davon aus, dass er im Einklang mit der Vorschrift des § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO mit dem Wiedereinsetzungsantrag zugleich die versäumte Rechtshandlung – unbedingt – nachgeholt hat, so hat der Verwaltungsgerichtshof das Rechtsmittel ebenfalls mit Recht als unzulässig verworfen.
Er hat zutreffend angenommen, dass unter den hier gegebenen Umständen in dem Schriftsatz vom 16. Juli 2004 kein Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 VwGO gesehen werden kann.
Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass die Prozesshandlungen der Beteiligten eines Rechtsstreits der Auslegung unterliegen, zu der auch das Revisionsgericht ohne Einschränkung befugt ist. Die Auslegung hat den Willen des Erklärenden zu ermitteln. Dabei kommt es nicht auf den inneren, sondern auf den erklärten Willen an. Die Auslegung darf nicht am Wortlaut der Erklärung haften. Der maßgebende objektive Erklärungswert bestimmt sich danach, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere der recht verstandenen Interessenlage, die Erklärung verstehen muss (Beschluss vom 3. Dezember 1998 – BVerwG 1 B 110.98 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 6 = NVwZ 1999, 405).
Nach diesen Maßstäben ist nicht zweifelhaft, dass der Kläger Berufung eingelegt hat. Das ergibt sich aus den folgenden Umständen.
Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28. Mai 2004 ergangene, am selben Tage verkündete Urteil des Verwaltungsgerichts wurde den bevollmächtigten Rechtsanwälten des Klägers am 15. Juni 2004 zugestellt. Aus der dem Urteil beigefügten ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung ergab sich eindeutig, dass als Rechtsbehelf nur der Antrag auf Zulassung der Berufung gegeben war. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 16. Juli 2004, der die hervorgehobene Überschrift “Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Berufung” trägt, “Wiedereinsetzung in den vorigen Stand” beantragt und ausgeführt: “Nach Wiedereinsetzung legen wir … gegen das … Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden BERUFUNG ein.” Die Begründung der Berufung sollte einem weiteren Schriftsatz vorbehalten bleiben. Sodann haben die Prozessbevollmächtigten den Wiedereinsetzungsantrag begründet. Der in diesem Schriftsatz enthaltene Antrag auf Wiedereinsetzung und die Ankündigung der Berufung enthalten keinen Hinweis darauf, dass die Zulassung der Berufung beantragt werden sollte. Die einzelnen Zulassungsvoraussetzungen des § 124 Abs. 2 VwGO werden weder genannt noch unter dem Gesichtspunkt der Zulassung erörtert. Vielmehr werden in dem Schriftsatz die “Frist zur Einlegung der Berufung” und ein Mandat zur “fristwahrenden Einlegung der Berufung” angesprochen. Das alles unterscheidet den vorliegenden von dem dem Beschluss vom 3. Dezember 1998 zugrunde liegenden Fall, auf den der Kläger sich beruft.
Die unzulässige Berufung eines anwaltlich vertretenen Rechtsmittelführers kann nicht als (nach Wiedereinsetzung fristwahrender) Antrag auf Zulassung der Berufung angesehen werden. Die Berufung umfasst nicht zugleich auch den Antrag auf Zulassung dieses Rechtsmittels. Die beiden Rechtsbehelfe betreffen unterschiedliche Gegenstände. Der Antrag auf Zulassung der Berufung begehrt ausschließlich die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das Berufungsgericht. Die Berufung richtet sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache. Beide Rechtsbehelfe sind nicht austauschbar. Sie haben unterschiedliche Ziele und stehen in einem Stufenverhältnis selbständig nebeneinander. Erst ein erfolgreicher Antrag auf Zulassung der Berufung eröffnet die prozessrechtliche Möglichkeit zur Durchführung eines Berufungsverfahrens, wenn die Berufung nicht bereits vom Verwaltungsgericht zugelassen worden ist.
Die von einem Rechtsanwalt gegen die Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts ohne Zulassung eingelegte Berufung kann nach Ablauf der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 VwGO auch nicht in einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels umgedeutet werden. Insoweit gilt nichts anderes als für die vergleichbare Frage der Umdeutung einer Revision in eine Nichtzulassungsbeschwerde oder umgekehrt einer Nichtzulassungsbeschwerde in eine Revision (vgl. Beschluss vom 13. Juni 1994 – BVerwG 9 B 374.94 – Buchholz 310 § 125 Nr. 11 m.w.N.). Der Anwaltszwang (§ 67 VwGO) setzt der Zulässigkeit einer Umdeutung enge Grenzen (vgl. Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, Rn. 211). Eine Rechtsmittelerklärung, die ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter abgegeben hat, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer gerichtlichen Umdeutung grundsätzlich unzugänglich (vgl. etwa Beschlüsse vom 29. Januar 1962 – BVerwG 2 C 83.60 – Buchholz 310 § 132 Nr. 27 und vom 12. September 1988 – BVerwG 6 CB 35.88 – Buchholz 310 § 133 Nr. 83). Ein von einem Anwalt eindeutig eingelegter Rechtsbehelf kann jedenfalls dann nicht in einen anderen umgedeutet werden, wenn die Rechtsbehelfe unterschiedlichen Zwecken dienen (zum Ganzen Beschluss vom 12. März 1998 – BVerwG 2 B 20.98 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 2 = NVwZ 1999, 641). So verhält es sich hier.
Dass der Verwaltungsgerichtshof die Berufung als unzulässig verworfen hat, verstößt entgegen der Ansicht des Klägers nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot des fairen Verfahrens. Anders als in dem von dem Kläger angeführten, dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2004 (– 1 BvR 622/98 – NJW 2004, 2149) zugrunde liegenden Fall hat weder das Verwaltungsgericht noch der Verwaltungsgerichtshof eine Vertrauensgrundlage dafür geschaffen, dass in der Sache entschieden werde. Das Verwaltungsgericht hat den Schriftsatz des Klägers vom 16. Juli 2004, der an diesem Tag per Fax und am 19. Juli 2004 in Papierform bei ihm eingegangen war, am 20. Juli 2004 an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet. Mit Verfügung vom 28. Juli 2004 hat der Berichterstatter des Verwaltungsgerichtshofs auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der “Berufung” und eine Umdeutung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung hingewiesen. Danach konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass das Gericht die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht zur Grundlage seiner Entscheidung machen würde.
Hat demnach der Verwaltungsgerichtshof die Berufung schon deshalb mit Recht als unzulässig verworfen, weil sie ohne Zulassung nicht statthaft war, so ist es ohne Bedeutung, ob dem Kläger insoweit wegen der Versäumung einer Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewährt werden können.
Der mit Schriftsatz vom 30. August 2004 – wie hier unterstellt wird – ohne Bedingung gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung war verspätet (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Kläger insoweit nicht gewährt werden. Selbst wenn der Kläger aus den im Schriftsatz vom 16. Juli 2004 dargelegten Gründen am 15. Juli 2004, dem Tag des Ablaufs der Rechtsmittelfrist, schuldlos an der Einlegung des zulässigen Rechtsmittels gehindert gewesen sein sollte, hätten seine Prozessbevollmächtigten nach dem Wegfall des Hindernisses am 16. Juli 2004 bis zum Ablauf der zweiwöchigen Frist gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1 VwGO am 30. Juli 2004 den versäumten Antrag auf Zulassung der Berufung nachholen müssen. Dies wäre ihnen bei der gebotenen sorgfältigen Kenntnisnahme von der mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts erteilten zutreffenden Rechtsmittelbelehrung ohne weiteres möglich gewesen. Abgesehen davon sind sie mit der ihnen am 29. Juli 2004 per Fax zugegangenen Verfügung des Berichterstatters vom 28. Juli 2004 – und damit noch vor dem Ablauf der Frist gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1 VwGO – ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass mit dem Schriftsatz vom 16. Juli 2004 statt des Antrags auf Zulassung der Berufung ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden war. Unter diesen Umständen fällt die unterbliebene Nachholung des Antrags auf Zulassung der Berufung bis zum 30. Juli 2004 den Prozessbevollmächtigten des Klägers als Verschulden zur Last, das dieser sich gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss. Der Kläger hat daher jedenfalls die Frist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 VwGO versäumt, ohne dass ihm (auch) wegen dieser Fristversäumung Wiedereinsetzung gewährt werden konnte.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Graulich
Fundstellen