Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfolglose Beschwerde gegen truppendienstrichterliche Durchsuchungsanordnung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine richterliche Durchsuchungsanordnung nach § 20 Abs. 1 WDO muss vom zuständigen Richter nicht handschriftlich unterzeichnet werden.
2. § 20 Abs. 1 WDO ist eine verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage für die richterliche Anordnung einer Durchsuchung von Datenträgern und darauf gespeicherten Daten (hier: Smartphones und Tablets).
3. Einwendungen gegen die Dauer der Durchsicht von Datenträgern, die aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses dem Soldaten vorläufig entzogen wurden, sind im Beschwerdeverfahren nach § 42 Nr. 5 WDO geltend zu machen.
4. Die mit einer richterlichen Durchsuchungsanordnung verbundene allgemeine Beschlagnahmegestattung ersetzt nicht die konkrete Beschlagnahme einzelner beweiserheblicher Gegenstände bzw. Daten nach § 20 Abs. 1 WDO.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Nord (Beschluss vom 03.09.2021; Aktenzeichen N 5 DsL 12/21 und N 5 BLd 1/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Soldaten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 3. September 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Soldaten auferlegt.
Tatbestand
Rz. 1
Das Verfahren betrifft die Durchsuchung elektronischer Kommunikationsmittel wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung.
Rz. 2
1. Der Soldat, ein Major, war... beim... Mit Beschluss vom 3. September 2021 ordnete der Vorsitzende der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord auf Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft die Durchsuchung des Soldaten, seiner persönlichen Sachen, seines Fahrzeugs, seines Spindes und des Wertfachs, seiner persönlichen/dienstlichen elektronischen Datenträger oder EDV-Anlagen, der dienstlichen Behältnisse und privaten Mobiltelefone in unbekannter Anzahl sowie "gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln" an. Der Soldat sei hinreichend verdächtig, unter Ausnutzung seiner Dienststellung... mindestens sechs weibliche Untergebene seiner Kompanie sexuell belästigt zu haben, indem er ihnen per WhatsApp von seinem privaten Mobiltelefon entsprechende Textnachrichten zugeschickt habe. Einer Untergebenen habe er unaufgefordert Fotos seines erigierten Penis übersandt und sie gedrängt, ihm eigene Intimfotos zu senden. Er habe diese Untergebene wiederholt per WhatsApp von seinem privaten Mobiltelefon zur Vornahme sexueller Handlungen aufgefordert. Dem sei diese teilweise nachgekommen. Der Verdacht stütze sich auf Aussagen der Zeuginnen Stabsgefreiter A., Oberstabsgefreiter C., Hauptgefreiter B. und Hauptgefreiter D. sowie des Soldaten. Es sei zu erwarten, dass eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismaterial führen werde. Die angeordneten Maßnahmen seien zur Aufklärung des Dienstvergehens und zur Überführung des Soldaten notwendig und stünden in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und Stärke des Tatverdachts. Der Beschluss wurde mittels einer PKI (Public Key Infrastructure)-Karte der Bundeswehr signiert.
Rz. 3
2. Der Soldat hat gegen den ihm am 8. September 2021 bekannt gegebenen Beschluss am 8. Oktober 2021 Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 hat der Vorsitzende der Truppendienstkammer der bis dahin nicht begründeten Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Rz. 4
3. Mit seiner dort am 15. Dezember 2021 eingereichten Beschwerdebegründung macht der Soldat geltend, es fehle an einer verfassungskonformen Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Beschluss. § 20 Abs. 1 WDO genüge für Zugriffe auf Smartphones nicht dem Bestimmtheitsgebot. Insbesondere seien die Auswertung, deren Dauer, die Beschlagnahme von Daten und Rechte der Nutzer zur partiellen Datensicherung und Einrichtung von Ersatzgeräten nicht geregelt. Smartphones erfüllten zahlreiche Funktionen mit Grundrechtsbezug. § 20 WDO gewährleiste nicht den erforderlichen Ausgleich zwischen den betroffenen Grundrechten und den Ermittlungserfordernissen. Zudem verstoße § 20 WDO gegen das Zitiergebot, weil § 148 WDO als eingeschränkte Grundrechte nur die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Person erwähne. Durch Maßnahmen nach § 20 WDO seien aber zahlreiche andere Grundrechte betroffen.
Rz. 5
Des Weiteren ergebe sich weder aus seinen Angaben noch aus den Aussagen der Zeuginnen der Verdacht eines Dienstvergehens. Ferner sei ein Zugriff auf seine Mobiltelefone nicht erforderlich gewesen. Denn die Zeugin Stabsgefreiter A. habe die sie betreffende WhatsApp-Kommunikation mit Bildern vorgelegt und die Zeuginnen Hauptgefreiter D. und Hauptgefreiter B. seien weder gefragt worden, ob sie noch über Kommunikationsdaten mit ihm verfügten, noch seien von ihnen Screenshots angefordert worden.
Rz. 6
Er sei durch den inzwischen mehrmonatigen Entzug seines Smartphones erheblich beeinträchtigt. Wegen der Absicherung seiner Accounts müsse er sog. Zwei-Faktoren-Verifizierungen vornehmen, d.h. alle Anforderungen neuer Zugangsdaten müssten über die Telefonnummer seines Smartphones bestätigt werden. Er habe zudem keinen Zugriff mehr auf Schriftverkehr über seine E-Mail-Adresse. Er sei vom sozialen Leben im Internet abgeschnitten worden und erhalte wegen des Wegfalls des Online-Bankings Mahnungen. Er habe ohne das Smartphone auch nicht mehr ohne Weiteres mit seinem Kind und der Kindesmutter, seiner weiteren Familie und Bekannten, seinem Anwalt, seiner Steuerberaterin, der Psychologin und öffentlichen Stellen kommunizieren können. Er habe ein neues digitales Parallelleben aufbauen müssen (neue E-Mail- und Paypal-Adressen, Übersendung der neuen Kontaktdaten an alle wichtigen Stellen). Des Weiteren habe er finanzielle Einbußen erlitten. Denn sein Smartphone-Vertrag sei weitergelaufen und er habe ein neues Smartphone kaufen und einen Prepaid-Vertrag schließen müssen.
Rz. 7
Er beantrage daher neben der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, ihm alle beschlagnahmten Gegenstände, insbesondere das iPhone XS Max mit Hülle, das Tablet iPad Air, das dienstliche Handy Samsung Galaxy S8 in Hülle und das dienstliche Tablet Samsung Galaxy Tab S6 mit Hülle unverzüglich auszuhändigen, sämtliche Auswertungsergebnisse dieser Geräte unverzüglich zu vernichten, hilfsweise, die Auswertung dieser Geräte unverzüglich zu unterlassen.
Rz. 8
4. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 10
1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist ausschließlich der Beschluss des Vorsitzenden der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 3. September 2021. Nur gegen diesen hat der Soldat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8. Oktober 2021 Beschwerde eingelegt. Dies ergibt sich auch aus dessen Schriftsatz vom 15. Dezember 2021, mit dem "das eingelegte Rechtsmittel gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Truppendienstgerichts Nord - 5. Kammer vom 03.09.2021" begründet wird.
Rz. 11
2. Mit dem angefochtenen Beschluss wurde ungeachtet der missverständlichen Formulierung ("wird die Durchsuchung... und gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln angeordnet") nur eine Durchsuchung und keine Beschlagnahme angeordnet.
Rz. 12
Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen nach § 20 Abs. 1 WDO sind rechtlich selbständige, regelmäßig in einem Stufenverhältnis stehende Entscheidungen. Eine Durchsuchungsanordnung setzt eine berechtigte Auffindevermutung im Hinblick auf potenzielle Beweismittel voraus. Da bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung im Regelfall nicht feststeht, ob und welche potenziellen Beweisgegenstände im Einzelnen bei der Durchsuchung vorgefunden werden, müssen diese in der Durchsuchungsanordnung noch nicht konkret bezeichnet werden. Demgegenüber muss sich eine Beschlagnahmeanordnung als gewichtiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) auf Einzelgegenstände beschränken, deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit bereits konkret gegenstandsbezogen geprüft worden ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 28. April 2003 - 2 BvR 358/03 - BVerfGK 1, 126 Rn. 23 und vom 18. März 2009 - 2 BvR 1036/08 - BVerfGK 15, 225 Rn. 50). Dazu dient insbesondere bei elektronischen Speichermedien die in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 110 StPO gesondert geregelte Durchsicht, die vorliegend noch nicht abgeschlossen ist. Sie bewegt sich zwischen der Durchsuchung und der Beschlagnahme und dient erst der Klärung, ob und in welchem Umfang eine richterliche Beschlagnahmeanordnung zu erwirken ist oder die vorläufig zur Durchsicht sichergestellten Gegenstände zurückzugeben sind. Die Durchsicht ist zwar angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in ihrer Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert, ist aber noch Teil der Durchsuchung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. November 2021 - 2 BvR 2038/18 - juris Rn. 44 m.w.N.).
Rz. 13
Dementsprechend ist eine bereits vorab mit einem Durchsuchungsbeschluss verbundene allgemeine Beschlagnahmegestattung, die keine Konkretisierung der erfassten Gegenstände, sondern nur gattungsmäßige Umschreibungen enthält, ungeachtet ihrer Bezeichnung noch keine Beschlagnahmeanordnung im Rechtssinne. Ihr kommt lediglich die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung mit dem Ziel der Begrenzung des Durchsuchungsbeschlusses zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06 - BVerfGE 124, 43 ≪76≫ zu §§ 94 ff. StPO sowie Kammerbeschlüsse vom 29. Juni 2009 - 2 BvR 174/05 - juris Rn. 25 und vom 20. September 2018 - 2 BvR 708/18 - NJW 2018, 3571 Rn. 22).
Rz. 14
Hier wurde mit dem Durchsuchungsbeschluss nur eine solche allgemeine Beschlagnahmegestattung verbunden. Der Beschluss enthält eine Auflistung gattungsmäßig umschriebener Durchsuchungsobjekte und gestattet "gegebenenfalls" die Beschlagnahme von "Beweismitteln", ohne dass diese konkret und eindeutig benannt werden. Eine gegenstandsbezogene Prüfung von Einzelgegenständen auf deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit hat vor Erlass des Beschlusses ersichtlich nicht stattgefunden. Auch haben weder die Wehrdisziplinaranwaltschaft noch der Truppendienstrichter die im Rahmen der Beschlagnahme notwendige Prüfung vorgenommen, ob die zur Durchsicht mitgenommenen Smartphones und Tablets nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zurückgegeben werden können, ob die Beschlagnahme einer Kopie der auf den Geräten befindlichen Daten ausreicht, inwiefern dabei eine Trennung der potenziell beweiserheblichen Daten von den restlichen Daten möglich und in welchem Umfang eine Löschung oder Herausgabe der für das Verfahren irrelevanten Daten geboten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 - BVerfGE 113, 29 Rn. 114 ff.).
Rz. 15
3. Die Beschwerde gegen die Anordnung der Durchsuchung ist zwar zulässig.
Rz. 16
a) Ihre Statthaftigkeit folgt aus § 114 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO. Danach sind Beschwerden gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, ausnahmsweise zulässig, wenn sie eine Durchsuchung oder Beschlagnahme betreffen, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. § 114 WDO gilt nach seiner systematischen Stellung in der Wehrdisziplinarordnung auch für richterliche Beschlüsse, die - wie hier - in einem von der Wehrdisziplinaranwaltschaft geführten Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) ergangen sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2009 - 2 WDB 3.08 - BVerwGE 133, 231 Rn. 18 und vom 7. August 2012 - 2 WDB 1.12 - juris Rn. 21 m.w.N.). Für Durchsuchungsanordnungen, die nach § 20 Abs. 1 WDO durch den Truppendienstrichter ergehen, sieht die Wehrdisziplinarordnung - anders als bei Entscheidungen der Truppendienstkammer nach § 20 Abs. 2 Satz 8 WDO - auch nicht vor, dass das Truppendienstgericht "endgültig" entscheidet.
Rz. 17
Nicht hingegen handelt es sich um eine Beschwerde nach § 42 Nr. 5 WDO. Diese Norm eröffnet keine Beschwerdemöglichkeit gegen richterliche Anordnungen, sondern nur gegen sonstige - vollzogene oder in Vollzug befindliche - Maßnahmen nach § 20 WDO seitens des Disziplinarvorgesetzten, der Wehrdisziplinaranwaltschaft oder sonst beteiligter Ermittlungsbehörden, wobei das Gericht in diesen Fällen gemäß § 42 Nr. 5 Satz 3 i.V.m. Nr. 4 Satz 5 WDO - anders als in den Beschwerdeverfahren nach § 114 Abs. 1 WDO - zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung trifft. Für diese Beschwerde ist grundsätzlich das Truppendienstgericht zuständig; richtet sich die Beschwerde gegen eine Maßnahme oder Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung oder Generalinspekteurs der Bundeswehr, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht (§ 42 Nr. 5 Satz 2 WDO).
Rz. 18
b) Die Beschwerde ist gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 WDO am 8. Oktober 2021 innerhalb eines Monats nach der am 8. September 2021 erfolgten Bekanntgabe des Beschlusses an den Soldaten fristgerecht erhoben worden.
Rz. 19
c) Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat - wie sich aus seinem Nichtabhilfebeschluss vom 27. Oktober 2021 ergibt - eine Abhilfe gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 WDO nicht für angebracht gehalten.
Rz. 20
4. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Der Durchsuchungsbeschluss ist rechtmäßig. Prüfungsmaßstab ist dabei die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 9. Februar 2005 - 2 BvR 1108/03 - juris Rn. 15, vom 10. September 2010 - 2 BvR 2561/08 - NJW 2011, 291 Rn. 28 und vom 26. Mai 2014 - 2 BvR 683/12 - juris Rn. 17).
Rz. 21
a) Der Beschluss findet seine Rechtsgrundlage in § 20 WDO. Diese Vorschrift gilt nach ihrer systematischen Stellung im Ersten Abschnitt (Allgemeine Bestimmungen) des Zweiten Teils (Ahndung von Dienstvergehen durch Disziplinarmaßnahmen) der Wehrdisziplinarordnung für alle Arten der im Zweiten Teil geregelten Disziplinarverfahren. Sie geht in gerichtlichen Disziplinarverfahren (Dritter Abschnitt des Zweiten Teils) als spezielle Regelung über Durchsuchungen in der Wehrdisziplinarordnung dem lediglich ergänzenden und damit subsidiären Verweis in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO auf die Vorschriften der Strafprozessordnung vor (BVerwG, Beschluss vom 7. August 2012 - 2 WDB 1.12 - juris Rn. 25).
Rz. 22
b) Der Senat hält § 20 WDO als Ermächtigungsgrundlage für die hier in Rede stehende Durchsuchungsanordnung nicht für verfassungswidrig, sodass das Verfahren nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen ist.
Rz. 23
aa) Die vorliegende Anordnung der Durchsuchung der Person des Soldaten und seiner Sachen außerhalb von Wohnungen greift in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ein. Da die Durchsuchungsanordnung auch zum Zweck der Sicherstellung von Datenträgern und darauf gespeicherten Daten aus abgeschlossenen Kommunikationsvorgängen erfolgte, ist damit zudem ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verbunden, das vor jeder Form der Erhebung personenbezogener Daten schützt (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 - BVerfGE 115, 166 ≪190≫).
Rz. 24
Demgegenüber liegt mit der auf den Ermittlungszweck begrenzten Durchsuchungsanordnung kein zusätzlicher Eingriff in das ebenfalls vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasste Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme vor, welches insbesondere vor einem heimlichen Zugriff schützt, durch den die auf einem informationstechnischen System vorhandenen Daten ganz oder zu wesentlichen Teilen ausgespäht werden können (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 - BVerfGE 120, 274 Rn. 205). Denn dieses Grundrecht kommt entsprechend seiner lückenfüllenden Funktion nicht zur Anwendung, weil bereits der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung tangiert ist.
Rz. 25
Ebenso wenig greift die Anordnung in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) ein. Dessen Schutzbereich erstreckt sich nicht auf die außerhalb eines laufenden Kommunikationsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Inhalte und Umstände der Kommunikation (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06 - BVerfGE 124, 43 Rn. 45). Dem Durchsuchungsbeschluss ist auch nicht zu entnehmen, dass damit ein Zugriff auf Kommunikationsinhalte angeordnet wird, die außerhalb der Endgeräte des Soldaten auf dem Server eines Providers gespeichert sind, auf die der Soldat nur über eine Internetverbindung zugreifen kann (dazu BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06 - BVerfGE 124, 43 ≪54 f.≫).
Rz. 26
bb) Beschränkungen des Art. 2 Abs. 1 GG bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 - BVerfGE 113, 29 ≪50≫).
Rz. 27
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass §§ 94 ff. StPO diesem verfassungsrechtlichen Gebot der Normenklarheit auch hinsichtlich der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten genügen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 - BVerfGE 113, 29 ≪50 ff.≫), und dies auch für die §§ 102 ff. StPO gilt, die zur Vornahme von dazu erforderlichen Durchsuchungsmaßnahmen ermächtigen (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 - BVerfGE 115, 166 ≪191≫).
Rz. 28
Nichts anderes gilt für § 20 WDO, der wie § 94 StPO ursprünglich auf körperliche Gegenstände zugeschnitten wurde. Der Wortsinn des § 20 WDO gestattet es ebenfalls, nichtkörperliche Gegenstände einzubeziehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06 - BVerfGE 124, 43 ≪61≫). Darunter fallen auch auf Datenträgern befindliche Daten. Dies ergibt sich zudem aus der ergänzenden Anwendbarkeit des Strafprozessrechts.
Rz. 29
Soweit der Verteidiger des Soldaten vorträgt, die Wehrdisziplinarordnung habe die Durchsuchung moderner Smartphones nicht im Auge gehabt und auch nicht ausdrücklich geregelt, geht dies fehl. Zwar erwähnt § 20 WDO moderne Kommunikationsmittel nicht eigens. Die Vorschrift wird jedoch für den hier maßgeblichen Bereich der Vorermittlung im gerichtlichen Disziplinarverfahren durch den Verweis des § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO auf die entsprechenden strafprozessualen Vorschriften ergänzt, die auch die Durchsuchung elektronischer Kommunikationsmittel im Auge haben (vgl. § 110 Abs. 3 StPO). Die ergänzende Anwendbarkeit aller mit der Eigenart des gerichtlichen Disziplinarverfahrens vereinbaren strafprozessualen Vorschriften entspricht dem historischen Willen des Gesetzgebers, der mit § 20 Abs. 5 WDO lediglich für Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einfachen Disziplinarverfahren eine dort fehlende zusätzliche Verweisung vornehmen wollte (vgl. BT-Drs. 14/4660 S. 27). Soweit der Senat § 20 Abs. 5 WDO früher auf gerichtliche Disziplinarverfahren angewandt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2008 - 2 WDB 3.08 - BVerwGE 133, 231 Rn. 22), hält er daran nicht mehr fest.
Rz. 30
Ebenso entspricht § 20 WDO hinsichtlich der Durchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den darauf gespeicherten Daten der verfassungsrechtlichen Vorgabe für Eingriffe in das Recht der informationellen Selbstbestimmung, dass der Verwendungszweck der erhobenen Daten bereichsspezifisch, präzise und für den Betroffenen erkennbar bestimmt sein muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 - NJW 2005, 1917 ≪1919 f.≫, Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 - BVerfGE 115, 166 ≪191≫ und Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06 - BVerfGE 124, 43 ≪60 f.≫, jeweils zu § 94 StPO). Dem wird durch die strenge Begrenzung aller Maßnahmen auf den Ermittlungszweck - die Aufklärung des konkreten Dienstvergehens, hinsichtlich dessen ein Verdacht besteht - Genüge getan (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 - BVerfGE 115, 166 ≪191 ff.≫ zu § 102 ff. StPO).
Rz. 31
cc) § 20 WDO genügt für die Anordnung von Durchsuchungen zwecks Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und darauf gespeicherten Kommunikationsinhalten auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Vorschrift ermöglicht dem Richter eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem staatlichen Verfolgungsinteresse des Dienstvergehens und dem Interesse des betroffenen Soldaten am Schutz der genannten Grundrechte.
Rz. 32
Bei der insoweit erforderlichen Abwägung ist einerseits zu berücksichtigen, dass moderne Kommunikationsmittel wie Smartphones und Tablets nicht mehr nur Telekommunikation ermöglichen, sondern mobile und umfangreiche Datenspeicher mit einer umfassenden Dokumentation von geschäftlichen, privaten und intimen Text-, Bild- und Sprachnachrichten geworden sind. Im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre gilt, dass der Inhalt von Kommunikationen schutzbedürftiger ist als bloße Kommunikationsdaten. Zudem kann ein Zugriff auf Kommunikationsinhalte erhebliche Rückschlüsse auf den Nutzer, sein Sozialverhalten, sein Geschäftsgebaren, seine persönlichen Interessen und Aufenthaltsorte zulassen. Denn moderne Smartphones ermöglichen über verschiedene Anwendungen (Apps) zahlreiche kulturelle, wirtschaftliche und finanzielle Aktivitäten, die auf den Datenträgern dokumentiert werden. Im Falle einer Durchsuchung der Geräte werden zahlreiche sensible Daten des Betroffenen offengelegt. Der Eingriff gewinnt zusätzliches Gewicht, wenn dadurch unbeteiligte Kommunikationsteilnehmer in ihren Grundrechten betroffen sind. Hinzukommen kann eine besondere Schutzbedürftigkeit von Vertrauensverhältnissen.
Rz. 33
Andererseits ist das staatliche Interesse an der Verfolgung von Dienstvergehen in Rechnung zu stellen. Die vermehrte Nutzung elektronischer und digitaler Kommunikationsmittel und ihr Vordringen in nahezu alle Lebensbereiche verändern die Praxis der Verfolgung von Dienstvergehen. Dadurch, dass nahezu alle Soldatinnen und Soldaten private und zum Teil auch dienstliche Smartphones, Tablets oder Laptops besitzen, findet die private und dienstliche Kommunikation in erheblichem Umfang elektronisch statt. Dementsprechend werden moderne Kommunikationstechniken auch im Zusammenhang mit der Begehung unterschiedlichster Dienstvergehen zunehmend eingesetzt. Das Schritthalten der Ermittlungsbehörden mit der technischen Entwicklung ist daher nicht mehr nur als sinnvolle Abrundung des Arsenals wirkungsvoller herkömmlicher Ermittlungsmethoden zu begreifen, sondern vor dem Hintergrund der Verlagerung herkömmlicher Kommunikationsformen hin zum elektronischen Nachrichtenverkehr unverzichtbar.
Rz. 34
Unter diesen Umständen ist es geboten, offene (d.h. nicht heimliche) und durch den Ermittlungszweck begrenzte Maßnahmen wie die Anordnung von Durchsuchungen zwecks Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und darauf gespeicherten Kommunikationsinhalten aus abgeschlossenen Kommunikationsvorgängen jedenfalls zuzulassen, wenn der Anfangsverdacht eines mit einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme zu ahndenden Dienstvergehens besteht. Dabei scheidet allerdings aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Durchsuchung privater elektronischer Kommunikationsmittel zur Verfolgung geringfügiger Dienstvergehen aus; im Einzelfall können auch eine geringe Beweisbedeutung der auf dem Datenträger genutzten Informationen sowie die Vagheit eines Auffindeverdachts einer Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 - BVerfGE 113, 29 Rn. 121). Hingegen ist es zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit angesichts des Gewichts des staatlichen Interesses an einer Verfolgung von Dienstvergehen nicht geboten, die damit verbundenen Zugriffe auf Kommunikationsinhalte nur beim Verdacht eines mit einer besonders schweren gerichtlichen Disziplinarmaßnahme zu ahndenden Dienstvergehens zu ermöglichen oder einen höheren Verdachtsgrad als den für die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausreichenden Anfangsverdacht zu verlangen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene Einwirkungsmöglichkeiten auf die von ihm auf dem Endgerät gespeicherten Kommunikationsinhalte hat und bereits der Durchführung der Maßnahme entgegentreten kann, wenn es an den gesetzlichen Voraussetzungen fehlt, jedenfalls aber die Einhaltung der im Durchsuchungsbeschluss gezogenen Grenzen einschließlich der für die Beschlagnahme vorgegebenen Richtlinien überwachen und Ausuferungen des Vollzugs der richterlichen Anordnungen entgegentreten kann (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 - BVerfGE 115, 166 Rn. 108 und Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06 - BVerfGE 124, 43 Rn. 63 ff.). Denn nach § 20 Abs. 4 Satz 1 WDO sind dem betreffenden Soldaten die Gründe für die Maßnahme nach § 20 Abs. 1 WDO mündlich zu eröffnen, soweit der Ermittlungszweck nicht gefährdet ist; zudem ist ihm gemäß § 20 Abs. 4 Satz 2 WDO die Anwesenheit bei ihrer Durchführung zu gestatten.
Rz. 35
dd) Schließlich verstößt § 20 WDO, soweit er zur Anordnung von Durchsuchungen zwecks Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und darauf gespeicherten Kommunikationsinhalten aus abgeschlossenen Kommunikationsvorgängen ermächtigt, auch nicht gegen das in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehene Zitiergebot.
Rz. 36
Danach muss ein Gesetz, welches ein Grundrecht einschränkt, dieses unter Angabe des Artikels nennen. Das Zitiergebot wendet sich an den nachkonstitutionellen Gesetzgeber, der neue Grundrechtseinschränkungen vornimmt. Es bezweckt, dass er nur Eingriffe vornimmt, die ihm als solche bewusst sind und über deren Auswirkungen auf die betroffenen Grundrechte er sich Rechenschaft ablegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10 - BVerfGE 130, 1 Rn. 150 m.w.N.).
Rz. 37
Das Zitiergebot findet indes nur Anwendung auf Grundrechte, die nach dem Wortlaut des Grundgesetzes nur aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 ≪154≫ m.w.N.). Zu diesen Grundrechten mit einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt gehören nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person, die daher in § 148 WDO ausdrücklich erwähnt werden.
Rz. 38
Hingegen gibt es für die Grundrechte auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt. Soweit § 20 WDO Eingriffe in diese Grundrechte ermöglicht, gilt das Zitiergebot nicht. Auf die allgemeine Handlungsfreiheit bezieht es sich nicht, weil diese von vornherein nur unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR 394/58 - BVerfGE 10, 89 ≪99≫). Nichts anderes gilt wegen der dogmatischen Zuordnung zu Art. 2 Abs. 1 GG für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 25. Juli 2018 - 6 A 673/15 - juris Rn. 37 f.; OVG Münster, Beschluss vom 23. Juni 2020 - 13 B 695/20.NE - juris Rn. 49 ff.; VGH München, Beschluss vom 2. Juli 2020 - 10 ZB 20.821 - juris Rn. 15).
Rz. 39
In alle weiteren vom Soldaten benannten Grundrechte wird mit der angefochtenen Durchsuchungsanordnung nicht zielgerichtet eingegriffen. Soweit § 20 WDO solche nur mittelbaren Grundrechtseingriffe ermöglicht, findet das Zitiergebot schon deshalb keine Anwendung, weil es nur Gesetze erfasst, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 - BVerfGE 28, 36 Rn. 45 und - 2 BvR 746/68 - BVerfGE 28, 55 Rn. 24; Kammerbeschluss vom 11. August 1999 - 1 BvR 2181/98 u.a. - juris Rn. 55).
Rz. 40
c) Der Durchsuchungsbeschluss ist formell rechtmäßig.
Rz. 41
aa) Er erging auf Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Diese war im Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) als Vertreterin der Einleitungsbehörde (vgl. § 81 Abs. 2 Satz 1 WDO) befugt, die richterliche Anordnung der Durchsuchung zu beantragen. Denn § 20 WDO sieht keine Beschränkung des Antragsrechts auf den Disziplinarvorgesetzten vor.
Rz. 42
bb) Der Wirksamkeit des Durchsuchungsbeschlusses steht nicht entgegen, dass der Vorsitzende der Truppendienstkammer ihn digital unter Verwendung einer ihm von der Bundeswehr zur Verfügung gestellten PKI-Karte unterzeichnet hat, deren Nutzung nicht den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur i.S.d. § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG entspricht (dazu BVerwG, Beschluss vom 25. November 2021 - 1 WB 27.21 - juris Rn. 22).
Rz. 43
Denn weder die Wehrdisziplinarordnung noch die gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO ergänzend geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung enthalten eine zwingende Vorgabe, dass Durchsuchungsbeschlüsse handschriftlich zu unterzeichnen oder schriftlich abzufassen sind oder einer bestimmten elektronischen Form bedürfen. Zwar soll ein Durchsuchungsbeschluss in der Regel schriftlich ergehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. August 1966 - 1 BvR 586/62 u. a. - BVerfGE 20, 162 Rn. 159 und Beschluss vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 Rn. 41 zu § 105 StPO). Rechtlich zwingend ist dies aber nicht. Daher unterliegt es - namentlich bei Gefahr im Verzug - keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Richter eine Durchsuchungsanordnung nur mündlich erlässt, sofern er sie zeitnah schriftlich dokumentiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10 u. a. - BVerfGE 139, 245 Rn. 71 zu § 105 StPO; siehe auch BGH, Urteil vom 13. Januar 2005 - 1 StR 531/04 - juris Rn. 13 zu § 105 StPO).
Rz. 44
Allerdings muss für die Wirksamkeit eines richterlichen Beschlusses auch bei einer fehlenden handschriftlichen Unterzeichnung zweifelsfrei feststehen, dass es sich nicht nur um einen Entwurf, sondern um eine willentlich in den Rechtsverkehr gebrachte Entscheidung handelt. Daran bestehen hier nach dem äußeren Erscheinungsbild des Beschlusses und dem unter dem Beschlusstext angebrachten Signaturvermerk mit Datum und Uhrzeit der digitalen Unterzeichnung keine Zweifel.
Rz. 45
Aus dem mittig unter den Beschluss getippten Vor- und Nachnamen des Verfassers, der links daneben gesetzten Dienstbezeichnung (Vorsitzender Richter am Truppendienstgericht) einschließlich der Wiederholung von dessen Nachnamen sowie dem rechts unter dem Beschlusstext befindlichen Signaturvermerk, der noch einmal den Vor- und Nachnamen des digital unterzeichnenden Richters ausweist, ergibt sich ferner, dass der Beschluss - entsprechend dem Briefkopf links oben über dem Beschluss - vom Vorsitzenden der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord erlassen wurde.
Rz. 46
d) Der Durchsuchungsbeschluss ist auch materiell rechtmäßig. Er entspricht den Vorgaben des § 20 Abs. 1 WDO und ist verhältnismäßig.
Rz. 47
aa) Der Durchsuchungsbeschluss ist "zur Aufklärung eines Dienstvergehens" ergangen. Der Tatvorwurf ist im Durchsuchungsbeschluss hinreichend genau umschrieben worden, um den mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung verbundenen Eingriff in Grundrechte messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Juli 2020 - 2 BvR 1324/15 - WM 2020, 1701 Rn. 23 m.w.N.). In den Gründen heißt es, der Soldat sei hinreichend verdächtig, unter Ausnutzung seiner Dienststellung als... mindestens sechs weibliche Untergebene seiner Kompanie sexuell belästigt zu haben. Die dortige Umschreibung des Tatvorwurfs hat es dem Soldaten ermöglicht, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten.
Rz. 48
bb) Bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses bestand auch der Verdacht eines Dienstvergehens zu Lasten zwar nicht von mindestens sechs, aber jedenfalls fünf untergebenen Soldatinnen.
Rz. 49
Das Gewicht des Grundrechtseingriffs verlangt insoweit auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Eine Durchsuchung darf einerseits nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, noch keine exakte Tatpräzisierung ergeben. Denn das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass noch Ermittlungen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist.
Rz. 50
Als Erkenntnisquellen standen dem Vorsitzenden der Truppendienstkammer die Protokolle über die Aussagen des Soldaten und der Zeuginnen Stabsgefreiter A., Oberstabsgefreiter C., Hauptgefreiter B. und Hauptgefreiter D. sowie ein von der Zeugin Stabsgefreiter A. vorgelegter WhatsApp-Nachrichtenverlauf zur Verfügung.
Rz. 51
Es ist nicht zu beanstanden, dass er auf dieser Grundlage den Anfangsverdacht eines Dienstvergehens durch eine sexuelle Belästigung (§ 7 Abs. 2, § 3 Abs. 4 SoldGG) gegenüber der Zeugin Stabsgefreiter A. angenommen hat; auch ist ihr gegenüber eine Verletzung der Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG), des Zurückhaltungsgebots (§ 10 Abs. 6 SG) und der Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 SG) möglich. Denn der vorgelegte WhatsApp-Auszug enthält neben einem Foto des erigierten Penis des Soldaten zahlreiche Textnachrichten von ihm, die aus Sicht eines objektiven Lesers sexuell bedrängend wirken; zwar hat diese Zeugin dem Soldaten ihrer Erinnerung nach ebenfalls ein Foto ihres Intimbereichs und mehrere Fotos ihrer Brust gesandt, weil der Soldat ihren Angaben zufolge nahezu täglich danach gefragt habe. Der von ihr vorgelegte Chatauszug und ihre Aussagen lassen es möglich erscheinen, dass gleichwohl keine Einvernehmlichkeit zwischen beiden vorlag.
Rz. 52
Darüber hinaus ergibt sich aus den Aussagen der weiteren Zeuginnen auch ein Anfangsverdacht zumindest einer Verletzung der Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG), des Zurückhaltungsgebots (§ 10 Abs. 6 SG) und der Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 SG) durch unsachliche und deplatzierte WhatsApp-Nachrichten des Soldaten gegenüber den Zeuginnen Hauptgefreiter B. und Hauptgefreiter D. sowie den Soldatinnen Hauptgefreiter E. und Stabsunteroffizier F. Die Zeugin B. hat ausgesagt, sie habe sich durch persönliche Nachrichten des Soldaten belästigt gefühlt und ihn mehrfach darauf hingewiesen, dass er verheiratet und ihr Chef sei und seine Bemerkungen daher unpassend seien. Die Zeugin Hauptgefreiter D. hat bekundet, der Soldat habe ihr Nachrichten geschrieben, die etwas anzüglich gewesen seien und von denen sie denke, "dass man so etwas als Chef nicht schreiben sollte". Die Zeugin C. hat ausgesagt, dass sie untereinander Nachrichten des Soldaten verglichen hätten, die "nicht gut und normal" gewesen seien und aus denen sich ergeben habe, dass er es bei den betreffenden Soldatinnen "auch versucht hat"; sie hat als betroffene Soldatinnen Hauptgefreiter B., Hauptgefreiter D., Stabsgefreiter A., Hauptgefreiter E. und Stabsunteroffizier F. bezeichnet.
Rz. 53
cc) Die Durchsuchung wurde ferner nur außerhalb von Wohnungen angeordnet. Bei der dienstlichen Unterkunft, in der sich die zu durchsuchenden Sachen teilweise befanden, handelt es sich nicht um eine Wohnung i.S.d. § 20 WDO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2009 - 2 WDB 3.08 - BVerwGE 133, 231 Rn. 26).
Rz. 54
dd) Die im Durchsuchungsbeschluss aufgeführten Durchsuchungsgegenstände sind durchweg "Sachen des Soldaten". Dies gilt auch für den Spind und das Wertfach, die dienstlichen elektronischen Datenträger oder EDV-Anlagen und die dienstlichen Behältnisse. Unerheblich ist insoweit, dass diese Gegenstände nicht im Eigentum des Soldaten, sondern seines Dienstherrn stehen. Zu den durchsuchungsfähigen Sachen i.S.d. § 20 Abs. 1 Satz 3 WDO gehören vielmehr auch die im (Mit-)Besitz oder (Mit-)Gewahrsam eines Soldaten befindlichen dienstlichen Gegenstände einschließlich elektronischer Datenträger oder EDV-Anlagen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. September 2007 - 1 WB 57.06 - Buchholz 450.2 § 20 WDO 2002 Nr. 1; LS und Urteil vom 31. März 2011 - 2 A 11/08 - Buchholz 235.1 § 27 BDG Nr. 1 Rn. 16).
Rz. 55
ee) Die Anordnung der Durchsuchung war auch verhältnismäßig. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die Durchsuchung auch im Einzelfall mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung des Dienstvergehens erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des vorgeworfenen Dienstvergehens und der Stärke des Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die Bedeutung der potenziellen Beweismittel für das Disziplinarverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. November 2019 - 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19 - NJW 2020, 384 Rn. 25 m.w.N.).
Rz. 56
Diesen Vorgaben wird der Durchsuchungsbeschluss gerecht. An der Eignung zum Auffinden von Beweismitteln für das vorgeworfene Dienstvergehen bestehen keine Zweifel. Die Durchsuchungsanordnung war auch erforderlich, um an die auf den Smartphones und Tablets des Soldaten gespeicherten Daten als primäre Beweismittel zu gelangen und ein möglichst vollständiges Bild über die WhatsApp-Kommunikation des Soldaten mit den betroffenen Soldatinnen gewinnen zu können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zeugin Stabsgefreiter A. ausgesagt hat, der von ihr vorgelegte Chatauszug sei nicht vollständig, weil sie die Nachrichten teilweise gelöscht habe. Schließlich war die Anordnung der Durchsuchung angesichts der Schwere des im Raum stehenden Vorwurfs und der Stärke des Tatverdachts angemessen. Denn sexuelle Belästigungen von Untergebenen durch Vorgesetzte im Dienst sind im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen mit einer Herabsetzung im Dienstgrad zu ahnden (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 WD 15.20 - juris Rn. 35). Außerdem stützt sich der Verdacht auf Aussagen mehrerer Zeuginnen und wird durch einen Chatauszug untermauert.
Rz. 57
ff) Soweit der Soldat die Dauer der noch laufenden Auswertung der Geräte rügt, betrifft dies den Vollzug der Durchsuchungsanordnung, macht diese als solche aber nicht rechtswidrig. Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist - wie ausgeführt - allein die Rechtmäßigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnung, nicht die Rechtmäßigkeit seiner Ausführung. Diese kann im Verfahren nach § 114 WDO, das auf richterliche Beschlüsse und richterliche Verfügungen beschränkt ist, nicht überprüft werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. August 2012 - 2 WDB 1.12 - juris Rn. 32).
Rz. 58
5. Gegen die Durchführung von Maßnahmen nach § 20 WDO kann der Soldat gemäß § 42 Nr. 5 Satz 1 WDO mit einer in die abschließende Zuständigkeit des Truppendienstgerichts fallenden Beschwerde vorgehen. In einem solchen Verfahren wäre insbesondere die von ihm aufgeworfene Frage der Verhältnismäßigkeit der fortdauernden Besitzentziehung der elektronischen Geräte zur Durchsicht zu prüfen, wobei die vom Bundesverfassungsgericht zur Durchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den darauf befindlichen Daten entwickelten Maßstäbe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 - BVerfGE 113, 29 Rn. 113 ff.) zu berücksichtigen und die im Strafprozessrecht zur angemessenen Dauer einer Durchsicht entwickelten Grundsätze (vgl. Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 110 Rn. 22) heranzuziehen wären.
Rz. 59
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2 WDO, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.
Fundstellen
Haufe-Index 15159708 |
BVerwGE 2023, 1 |
ZBR 2022, 357 |
JZ 2022, 387 |
NZWehrr 2022, 160 |