Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 15.09.2011; Aktenzeichen 1 LB 8/11) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. September 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 24 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Zur Begründung seiner Divergenzrüge i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO trägt der Kläger vor, das Oberverwaltungsgericht habe den Rechtssatz aufgestellt, “dass ‘privilegierungsfähig’ – unabhängig von der jagdlichen Provenienz der Vereinsmitglieder … und unabhängig davon, ob die Anlage generell einem größeren Personenkreis offen steht – nur das jagdliche Ausbildungs- und Übungsschießen ist”. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene “Trennung zwischen ‘privilegierungsfähigem’ jagdlichen Ausbildungs- und Übungsschießen auf der einen und ‘nicht privilegierungsfähigem’ sportlichen und Wettkampfschießen auf der anderen Seite” stehe in Widerspruch zum Urteil des Senats vom 28. April 1978 – BVerwG 4 C 53.76 – (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 150), bestätigt durch Beschluss vom 10. Februar 2009 – BVerwG 7 B 46.08 – (BRS 74 Nr. 108).
Rz. 3
Dieser Vortrag genügt nicht den Anforderungen an die ordnungsgemäße Darlegung einer Divergenzrüge. Der Kläger zitiert zwar einzelne Sätze aus dem Urteil des Senats vom 28. April 1978. Der von ihm aus der Entscheidung abgeleitete Rechtssatz, “dass Anlagen, die … nicht nur dem jagdlichen Ausbildungs- und Übungsschießen, sondern (auch oder gar ausschließlich) dem sportlichen Schießen und/oder dem (sportlichen und/oder jagdlichen) Wettkampfschießen dienen und der Allgemeinheit, nicht nur einem einzigen Sportverein zur Verfügung stehen, prinzipiell im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert zulässig sein können” (Beschwerdebegründung S. 2), findet sich jedoch nicht in dem Urteil vom 28. April 1978.
Rz. 4
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr der Kläger beimisst.
Rz. 5
Mit den von ihm unter 2. der Beschwerdebegründung formulierten Fragen macht der Kläger geltend, das Oberverwaltungsgericht habe schießsportliche Anlagen prinzipiell als nicht privilegierungsfähig deklariert. Es gehe dabei nicht um die Einordnung von Kriterien, sondern allgemein darum, dass das Gericht den Schießsport zwar im Grundsatz als förderungswürdig betrachte, solchen Sportanlagen, die nur sinnvoll im Außenbereich errichtet werden könnten, jedoch die Privilegierungsfähigkeit generell abspreche. Die unter 3. der Beschwerdebegründung formulierte Frage hält er im Hinblick auf die “gleichsam duale Nutzung” der Anlage einerseits für das jagdliche Ausbildungs- und Übungsschießen und andererseits für das sportliche Schießen und das Wettkampfschießen für klärungsbedürftig.
Rz. 6
Unabhängig davon, dass die Fragen zum Teil auf Annahmen beruhen, die das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat (zu den Verfahrensrügen siehe unter 3.), sind die Fragen, soweit sie überhaupt einer verallgemeinernden Beantwortung zugänglich sind, nicht klärungsbedürftig.
Rz. 7
Nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist ein Vorhaben im Außenbereich u.a. privilegiert zulässig, wenn es wegen seiner “besonderen Zweckbestimmung” nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Nicht jedes Vorhaben, das – wenn überhaupt – sinnvoll nur im Außenbereich errichtet werden kann, ist aber schon deshalb nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Außenbereich bevorzugt zuzulassen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nur solche Vorhaben privilegiert sind, die über eine individuelle und die Allgemeinheit ausschließende Nutzung des Außenbereichs hinausgehen. Das Bedürfnis nach Erholung in der freien Natur ist allgemein. Am Merkmal des “Sollens” i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB fehlt es immer dann, wenn gegenüber dem allgemeinen Bedürfnis nach Erholung in der freien Natur, dem der Außenbereich dient, individuelle Freizeitwünsche bevorzugt werden sollen. Ob, in welchem Umfang und zu welchen Zwecken Anlagen zur Freizeitgestaltung im Außenbereich geschaffen werden sollen, ist Sache der planenden Gemeinde (Beschlüsse vom 13. September 1989 – BVerwG 4 B 93.89 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 257 und vom 29. November 1991 – BVerwG 4 B 209.91 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 278).
Rz. 8
Schießplätze und Schießstände können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall im Außenbereich privilegiert sein, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Zwar trifft es zu, dass ein allgemeines Interesse daran besteht, Personen die Möglichkeit zu Schießübungen zu geben, die als Jäger oder aus anderen Gründen berechtigt sind, Schusswaffen zu führen (Urteil vom 28. April 1978 a.a.O.; Beschlüsse vom 9. September 2004 – BVerwG 4 B 58.04 – BRS 67 Nr. 96 und vom 10. Februar 2009 a.a.O.). Das bedeutet aber nicht, dass Anlagen des Schießsports generell als im Außenbereich privilegiert anzusehen sind. Es genügt nicht, dass der Schießsport als Sport grundsätzlich förderungswürdig ist. Entscheidend ist, ob an der Vornahme einer bestimmten Tätigkeit ein überwiegendes allgemeines Interesse besteht (Urteil vom 4. November 1977 – BVerwG 4 C 30.75 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 143; Beschluss vom 10. Februar 2009 a.a.O.). Bei der Bewertung, ob ein Vorhaben angesichts des mit ihm verfolgten Zwecks eine Privilegierung i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB rechtfertigt, ist das Gesamtvorhaben in den Blick zu nehmen. Es genügt daher nicht, dass eine Schießanlage auch von Jägern (vgl. dazu auch Urteil vom 4. November 1977 a.a.O.) oder anderen Personen genutzt werden soll, die berechtigt sind, Schusswaffen zu führen und bei denen deswegen ein allgemeines Interesse daran besteht, dass sie sich im Umgang mit der Waffe auch üben. Ob bei der Errichtung bzw. Erweiterung eines Schießplatzes im Außenbereich die Befriedigung individueller Interessen im Vordergrund steht oder die Anlage einem Personenkreis offen steht, der die Annahme eines überwiegenden allgemeinen Interesses rechtfertigt, beurteilt sich nicht nach mathematischen Maßstäben etwa anhand der Größe der jeweiligen Benutzerkreise, sondern ist aufgrund einer umfassenden, die gesamten Umstände des konkreten Vorhabens würdigenden Wertung zu entscheiden. Das ist Aufgabe des Tatsachengerichts und einer verallgemeinerungsfähigen, rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich (Beschluss vom 10. Februar 2009 a.a.O.).
Rz. 9
Von diesen Grundsätzen ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat es sich nicht grundsätzlich der Möglichkeit einer Privilegierung verschlossen, sondern hat ausdrücklich zugrunde gelegt, dass Schießplätze und -stände im Außenbereich privilegiert sein können, wenn sie überwiegend für Schießübungen von Jägern oder anderen zum Führen von Schusswaffen berechtigten Personen vorgesehen sind, und ist zu dem Ergebnis gekommen, nach dem Gesamtbild der Anlage überwiege nicht das im Allgemeininteresse liegende jagdliche Ausbildungs- und Übungsschießen, sondern das sonstige – sportliche – Trainings- und Wettkampfschießen und andere – nicht-schießsportliche – Aktivitäten (UA Rn. 32 f.).
Rz. 10
3. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 11
3.1 Die Gehörsrüge, mit der der Kläger unter Bezugnahme auf das Verfahren der Anhörungsrüge und der dazu ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 15. Februar 2011 – 1 BvR 980/10 – NVwZ-RR 2011, 460) geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe seinen Vortrag zur Konzeption des Gesamtvorhabens mit Angaben zur Zahl der jeweiligen Benutzer sowie die von ihm vorgelegten sachverständigen Stellungnahmen außer Betracht gelassen, bleibt ohne Erfolg.
Rz. 12
Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das gilt auch für Vorbringen, das in den Entscheidungsgründen nicht erörtert ist. Das Gericht muss sich in seinem Urteil nicht mit jedem Vorbringen auseinandersetzen. Es darf sich auf die Gründe beschränken, die für seine Entscheidung leitend gewesen sind (stRspr vgl. nur Beschluss vom 31. Mai 2010 – BVerwG 4 BN 15.10 –; BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪146≫).
Rz. 13
Gemessen an diesen Maßstäben sind Anhaltspunkte für einen Gehörsverstoß nicht zu erkennen. Das Oberverwaltungsgericht hat im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausdrücklich auf das Verfahren der Anhörungsrüge und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen (UA Rn. 15). In den Entscheidungsgründen verweist das Gericht zunächst darauf, es habe bereits entschieden, dass das Schießsportzentrum keine Privilegierung nach der genannten Vorschrift für sich beanspruchen könne und zitiert zur Begründung aus seinem Urteil vom 23. Juli 2009 – 1 KN 11/05 –, das sich im Rahmen der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags zur Frage der Privilegierung der Schießanlage verhält. An diese Ausführungen schließt sich dann die Feststellung an: “An dieser Beurteilung ist auch nach – nochmaliger – ausführlicher Erörterung der für und gegen eine Privilegierung sprechenden Gesichtspunkte in der mündlichen Berufungsverhandlung festzuhalten” (UA Rn. 32). Das Oberverwaltungsgericht hat damit erkennbar den (gesamten) Sachvortrag des Klägers zur Kenntnis genommen; es zieht im Rahmen seiner Sachverhaltswürdigung aus den Angaben des Klägers lediglich nicht dieselben Schlussfolgerungen wie dieser. Gründe, dass sich der Kläger im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung gehindert gesehen haben könnte, sich zu den von ihm vorgetragenen Umständen der Nutzung Gehör zu verschaffen, werden nicht vorgetragen.
Rz. 14
Soweit der Kläger rügt, das Oberverwaltungsgericht habe darauf abgestellt, dass in der Bauvoranfrage eine eindeutige Konzeption und Baubeschreibung fehle, die das (eindeutige) Überwiegen eines “privilegierungsfähigen” jagdlichen Ausbildungs- und Übungsschießbetriebs belege, und damit zum Ausdruck gebracht, dass der Mangel durch die weiteren konzeptionellen Darstellungen nicht behoben worden sei, zeigt er keinen Verfahrensfehler auf, sondern greift den materiell-rechtlichen Standpunkt des Gerichts an, das die Bauvorlagen als maßgebliche Grundlage zur Beurteilung des Vorhabens ansieht und daher auch dem in der mündlichen Verhandlung erörterten Internetauftritt des Klägers keine entscheidende Bedeutung für die vorzunehmende Beurteilung (mehr) beigemessen hat (UA Rn. 35 – Klammerzusatz im Original). Eine Überprüfung dieser Rechtsauffassung wäre nur unter den in § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VwGO genannten Voraussetzungen möglich.
Rz. 15
3.2 Der Vortrag, die Annahme eines fehlenden Überwiegens eines privilegierungsfähigen Zwecks sei aktenwidrig, genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Verfahrensrüge der “Aktenwidrigkeit” verlangt eine genaue Darstellung des Verstoßes, und zwar durch konkrete Angaben von Textstellen aus den vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll. Diese Voraussetzungen sind erforderlich, da mit einer Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung ein Verfahrensmangel nicht dargelegt wird.
Rz. 16
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Feststellungen zur Zahl der (jeweiligen) Nutzer der Schießanlage enthält das angefochtene Urteil nicht. Soweit der Kläger zur Nutzung der Kleinkaliberschießstände (K3 und K4) vorträgt, setzt er lediglich seine Auffassung, diese seien für das jagdliche Schießen relevant, an die Stelle des Oberverwaltungsgerichts, das ausgeführt hat, als “jagdliches” Schießen werde gemäß § 6 Abs. 3 der Jägerprüfungsverordnung das Büchsen- (Kugel; Kaliber mind. .22) und Flintenschießen (Schrot; Kal. .12 und kleiner) erfasst; hinzu komme auf Verbandsebene noch Kurzwaffenschießen (Kaliber mind. .22 lfB), wobei die drei Disziplinen auch im Rahmen von Wettkämpfen ausgetragen würden (UA Rn. 31). Dass das Oberverwaltungsgericht der Einschätzung des Klägers nicht folgt und auf dieser Grundlage die Nutzung der Kleinkaliberbahnen nicht als “jagdliches” Schießen ansieht, begründet keine Aktenwidrigkeit, sondern ist das Ergebnis tatrichterlicher Sachverhaltswürdigung. Im Übrigen decken sich die Angaben “Kaliber .22 lfB” und “Kaliber .22” mit den Angaben im Schreiben des Landesjagdverbandes vom 22. September 2009.
Rz. 17
Mit dem Vorwurf, die Annahme, Pistolen- bzw. Gewehrschießbahnen für Sport- und Wettkampfschützen seien auf einen Außenbereichsstandort nicht angewiesen, sei eine willkürliche Behauptung ins Blaue hinein, zeigt er Kläger keinen Verfahrensfehler auf. Wie die Bezugnahme auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 10. Januar 1979 – VII A 439/77 – deutlich macht, bringt das Oberverwaltungsgericht mit diesem Hinweis nur zum Ausdruck, dass solche Anlagen einen Standort am Rande der bebauten Ortsteile einer Gemeinde finden können. Feststellungen zur Nutzung der Anlage durch Biathleten enthält das angefochtene Urteil nicht.
Rz. 18
3.3 Die Aufklärungsrüge, mit der der Kläger geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe “erforderlichenfalls” ein Sachverständigengutachten einholen müssen zur Frage, welche Schießbahnen auf einen Außenbereichsstandort angewiesen seien, scheitert daran, dass der Kläger darauf verzichtet, unter Auseinandersetzung mit dem Prozessgeschehen und der Begründung der vorinstanzlichen Entscheidung schlüssig aufzuzeigen, dass sich dem Gericht auch ohne unbedingten Beweisantrag auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen. Dafür genügt es nicht, geltend zu machen, er habe, da sein Vortrag unbestritten geblieben sei, davon ausgehen können, dass das Gericht nicht an den Ausführungen im Normenkontrollurteil festhalte. Gerade wenn es – wie im angefochtenen Urteil ausgeführt – im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu einer ausführlichen Erörterung der für und gegen eine Privilegierung sprechenden Gesichtspunkte gekommen ist (UA Rn. 32), bedarf es der nachvollziehbaren Darlegung, warum von der Stellung eines als notwendig erachteten Beweisantrags abgesehen wurde.
Rz. 19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Jannasch, Dr. Bumke
Fundstellen
BauR 2012, 1360 |
NordÖR 2012, 538 |
BBB 2012, 60 |