Verfahrensgang

VG Berlin (Aktenzeichen 23 A 189.98)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. April 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen einen Musterungsbescheid, in welchem der Tauglichkeitsgrad „verwendungsfähig für bestimmte Tätigkeiten des Grundwehrdienstes unter Freistellung von der Grundausbildung” (T 7) festgesetzt worden ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.

Auch die Beschwerde, mit der der Kläger die Zulassung der Revision erreichen möchte, bleibt ohne Erfolg.

1. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem mit der Beschwerdebegründung bezeichneten Verfahrensmangel (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

Die mit der Beschwerde erhobene Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt, weil es dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers nicht entsprochen habe, ein medizinisches Sachverständigen-Obergutachten einzuholen sowie aufgrund des Fehlens aktueller Röntgenaufnahmen den Kläger einer röntgenologischen Untersuchung sowie einer Elektromyographie unterziehen zu lassen, greift nicht durch.

Das dem Tatsachengericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 98 VwGO in Verbindung mit §§ 404, 412 ZPO zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (stRspr; vgl. etwa Urteil vom 6. Oktober 1987 – BVerwG 9 C 12.87 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1 ≪2≫ m.w.N. und Beschluss vom 30. September 1988 – BVerwG 9 CB 47.88 – Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 84 S. 25 ≪28 f.≫ sowie Beschluss vom 30. März 1995 – BVerwG 8 B 167.94 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 48). So verhält es sich, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit bereits vorliegender Gutachten – sei es im Allgemeinen oder sei es mit Blick auf die besonderen Verhältnisse des konkreten Streitfalles – nicht gegeben sind, weil Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen offen erkennbare Mängel aufweisen, namentlich von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, wenn Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder wenn ihnen ein spezielles Fachwissen fehlt, das für die Beantwortung einer besonders schwierigen Fachfrage erforderlich ist (stRspr; vgl. z.B. Urteile vom 6. Oktober 1987, a.a.O. S. 2 und vom 23. Mai 1989 – BVerwG 7 C 2.87 – Buchholz 11 Art. 4 GG Nr. 45 S. 4 ≪20≫ sowie Beschluss vom 30. März 1995 – BVerwG 8 B 167.94 – a.a.O.). Ein Tatsachengericht ist hingegen nicht allein schon deshalb verpflichtet, ein weiteres Gutachten oder zusätzliche gutachterliche Äußerungen einzuholen oder in sonstige Ermittlungen einzutreten, weil ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1987, a.a.O. S. 2 m.w.N.).

Das angefochtene Urteil nimmt entscheidungstragend an, der Kläger sei nach seinem Gesundheitszustand in der Lage, den Mindestanforderungen an die militärische Verwendbarkeit zu entsprechen, die er mit seinem Tauglichkeitsgrad T 7 erfüllen können müsse. Diese Annahme stützt sich auf die Feststellungen des vom Gericht herangezogenen Sachverständigen Dr. S. Dieser habe in seinem schriftlichen Gutachten überzeugend dargelegt, dass zwar durchaus Schäden an der Wirbelsäule des Klägers vorhanden seien, jedoch keine schwerwiegenden pathologischen Veränderungen vorlägen. Ferner habe er dargelegt, dass keine relevanten Nervenwurzelschäden vorlägen und auch die Kniegelenksymptomatik nicht schwer wiege. Die Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. würden durch die schriftlichen Ausführungen von Dr. W. nicht in Frage gestellt. Diese Würdigung liefert keinen Anhalt dafür, dass die oben genannten Voraussetzungen für die gerichtliche Verpflichtung zur Einholung eines Obergutachtens im vorliegenden Fall gegeben waren.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat sich das Ermessen des Gerichts bezüglich der beantragten zusätzlichen Untersuchungsmaßnahmen auch nicht dadurch auf null reduziert, dass der Sachverständige „zumindest inzident erklärt hatte, dass man angesichts des permanent fortschreitenden Krankheitsbildes, insbesondere bei Bandscheibenproblemen, lediglich dann zu dem Gesundheitszustand des Wehrpflichtigen und somit zur Wehrdienstfähigkeit Auskunft geben könne, wenn die eingereichten Röntgenaufnahmen im Zeitpunkt der Untersuchung nicht älter als ein bis anderthalb Jahre alt seien”. Diese Bewertung der Aussage des Sachverständigen Dr. S. ist unzutreffend. Der Sachverständige hat bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wiederholt darauf hingewiesen, der Kläger selbst habe im Zeitpunkt der von ihm durchgeführten Begutachtung keine neuen Röntgenaufnahmen anfertigen lassen wollen. Eine neue Elektromyographie sei nur sinnvoll gewesen, wenn bei der klinischen Untersuchung Ausfälle erkennbar gewesen wären, z.B. Nervenausfälle, Muskelschwächen oder Muskellähmungen. Solche hätten bei seiner Untersuchung nicht vorgelegen. Eine Elektromyographie sei eine relativ unangenehme Untersuchung, bei der dem Patienten Nadeln eingeführt würden. Deshalb führe man sie nur durch, wenn Verschlechterungen des Zustandes erkennbar seien. Nervenwurzelreizungen oder -schädigungen seien auch ohne Elektromyographie erkennbar. Es gebe dafür klinisch objektivierbare Untersuchungszeichen. Er habe den Kläger daraufhin untersucht, aber nichts feststellen können. Reizungen der Nervenwurzeln kämen ohnehin bei fast jedem einmal vor und vergingen dann wieder, z.B. beim sog. Hexenschuss. Gravierend sei weniger eine solche Reizung der Nervenwurzeln als eine richtige Schädigung, die Denervation. Eine solche könne er beim Kläger ausschließen. Das führe er darauf zurück, dass bei dem Kläger keinerlei Muskelausfälle feststellbar seien. Der Sachverständige hat demnach die ihm zur Verfügung stehenden Untersuchungsbefunde des Klägers für seine fachliche Bewertung für ausreichend und nicht ergänzungsbedürftig gehalten. Darauf durfte das Gericht sein Urteil aufbauen, ohne dem Beweisantrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung entsprechen zu müssen.

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht, soweit es die vom Kläger beantragte Anfertigung neuer Röntgenaufnahmen betrifft, von einer weiteren Beweisaufnahme unter dem selbständig tragenden Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs abgesehen. Dies ist den Ausführungen auf Seite 9 des angefochtenen Urteils zu entnehmen. Danach hat der Kläger bei der Untersuchung durch den Sachverständigen die Erstellung neuer Röntgenaufnahmen abgelehnt und sich auch anschließend weder bis zur Anfertigung des Gutachtens noch bis zur mündlichen Verhandlung um neue Röntgenaufnahmen bemüht. Wenn er gleichwohl im Termin eine röntgenologische Untersuchung beantragt hat, so hat er sich damit in Widerspruch zum eigenen vorherigen Verhalten gesetzt. Auch insoweit stützt sich das Verwaltungsgericht auf einen Beweisablehnungsgrund, der im Prozessrecht allgemein anerkannt ist. Auf diesen Gesichtspunkt ist die Beschwerdebegründung nicht eingegangen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

2. Die außerdem erhobene Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist offensichtlich unbegründet. Die insoweit von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob ein Gericht die Einholung eines Obergutachtens „bei eindeutiger Unrichtigkeit des dem Gericht vorliegenden Sachverständigengutachtens lapidar zurückweisen kann”, ist ohne weiteres im Sinne der Beschwerde zu beantworten, d.h. zu verneinen und damit nicht klärungsbedürftig. Das Verwaltungsgericht hat dem jedoch nicht zuwidergehandelt, weil es – verfahrensfehlerfrei – nicht von der eindeutigen Unrichtigkeit des eingeholten Gutachtens ausgegangen ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

 

Unterschriften

Bardenhewer, Büge, Graulich

 

Fundstellen

Dokument-Index HI642536

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