Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 27.05.2014; Aktenzeichen 28 A 1177/12.D) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben. Aufgrund des Darlegungserfordernisses nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist der Senat darauf beschränkt, über die Revisionszulassung ausschließlich auf der Grundlage der Beschwerdebegründung zu entscheiden. Aus der Beschwerdebegründung des Beklagten ergibt sich nicht, dass der geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegt. §§ 132 und 133 VwGO sind hier nach § 73 des Hessischen Disziplinargesetzes vom 21. Juli 2006 – HDG – (GVBl. I S. 394) anwendbar.
Der Beklagte, der als Kriminaloberkommissar im Dienst des klagenden Landes steht, wurde im November 2007 rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt, weil er in der Zeit von November 2001 bis März 2004 in 20 Fällen das Dienstgeheimnis verletzt hatte. Der Beklagte hatte jeweils vertraulich oder geheim eingestufte Dokumente der Polizei und des Verfassungsschutzes über Ermittlungen und Erkenntnisse mit islamistischem Bezug einem Journalisten übergeben. Auf die im Januar 2011 erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt; die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. In den Gründen des Berufungsurteils heißt es im Wesentlichen, für Verletzungen der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit habe sich wegen der Bandbreite möglicher Verfehlungen keine Regeleinstufung herausgebildet. Das Fehlverhalten des Beklagten sei wegen der Vertraulichkeit der Dokumente sowie der Häufigkeit der Verstöße über einen längeren Zeitraum als schwerwiegend einzustufen. Erschwerend komme hinzu, dass der Beklagte uneinsichtig sei. Er gehe nach wie vor davon aus, die Weitergabe der Dokumente sei die angemessene Reaktion darauf gewesen, dass seine innerdienstlichen Bemühungen um eine Änderung der behördlichen Praxis gegenüber dem islamistischen Umfeld erfolglos geblieben seien. Eine übermäßige Verzögerung des Disziplinarverfahrens sei nur im Bereich mittlerer Disziplinarmaßnahmen mildernd zu berücksichtigen, stehe aber der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht entgegen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wirft der Beklagte die Fragen als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf, ob die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei der unangemessen langen Dauer des Disziplinarverfahrens wegen der sich daraus ergebenden, vom Dienstherrn verursachten Nachteile aus Fürsorgegründen verwirkt sein kann.
Damit kann der Beklagte die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreichen, weil die mit dem Beschwerdevortrag in Zusammenhang stehenden Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich geklärt sind. Die einschlägige Rechtsprechung zur Bedeutung einer unangemessen langen Dauer des Disziplinarverfahrens für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme lässt sich wie folgt zusammenfassen (vgl. insbesondere Urteil vom 28. Februar 2013 – BVerwG 2 C 3.12 – BVerwGE 146, 98):
Die gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßende unangemessen lange Dauer eines behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens kann nicht dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Rechtsstellung zuwächst, die ihnen nach dem innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht. Daher kann der Verstoß für die Sachentscheidung in dem zu lange dauernden Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn das materielle Recht dies vorschreibt oder zulässt. Ob diese Möglichkeit besteht, ist durch die Auslegung der entscheidungserheblichen materiell-rechtlichen Normen und Rechtsgrundsätze zu ermitteln. Bei dieser Auslegung ist das Gebot der konventionskonformen Auslegung im Rahmen des methodisch Vertretbaren zu berücksichtigen (Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 50).
Dementsprechend hat der Gesetzgeber die Verfahrensbeteiligten wegen der unangemessen langen Verfahrensdauer auf Entschädigungsansprüche nach Maßgabe der §§ 198 ff. GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 ≪BGBl I S. 2302≫) verwiesen. Diese Vorschriften finden auch für gerichtliche Disziplinarverfahren Anwendung (Urteil vom 28. Februar 2012 a.a.O. Rn. 51). Für den vorliegenden Fall ergibt sich dies aus § 173 Satz 2 VwGO, § 6 HDG.
Ergibt die für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme erforderliche Gesamtwürdigung aller erschwerenden und mildernden Umstände des Dienstvergehens, im vorliegenden Fall nach § 16 Abs. 1 Satz 2 bis 4 HDG, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, kann davon nicht abgesehen werden, weil das Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. Ein Verbleib im Beamtenverhältnis ausschließlich aufgrund einer überlangen Verfahrensdauer lässt sich nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und der Integrität des Berufsbeamtentums, vereinbaren. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen aus, dass ein Beamter weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn auftreten kann, obwohl er durch ein gravierendes Fehlverhalten untragbar geworden ist. Die Dauer des Disziplinarverfahrens ist nicht geeignet, das von dem Beamten zerstörte Vertrauensverhältnis wiederherzustellen (Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 53).
Ergibt die Gesamtwürdigung dagegen, dass eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme ausreichend ist, steht fest, dass der Beamte im öffentlichen Dienst verbleiben kann. Hier kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden, wenn das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis wegen der mit dem Verfahren verbundenen Belastungen gemindert ist (Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 54).
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung in dem Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 (2 BvR 1912/12, NVwZ 2013, 788) gebilligt. Danach ist es mit dem Grundgesetz vereinbar, dass einem Beamten, der während seiner Dienstzeit durch ein schwerwiegendes Dienstvergehen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verwirkt hat, trotz der unangemessen langen Dauer des Disziplinarverfahrens das Ruhegehalt aberkannt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat diese zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung veröffentlichte Rechtsprechung des Senats zwar nicht berücksichtigt. Seine Rechtsauffassung, eine unangemessen lange Verfahrensdauer sei unbeachtlich, wenn die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten sei, stimmt damit jedoch im Ergebnis überein.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch geklärt, dass der Disziplinaranspruch des Dienstherrn, d.h. der Anspruch auf Bestimmung der für ein Dienstvergehen erforderlichen Disziplinarmaßnahme, nicht durch Verwirkung untergehen kann. Die gesetzlich geregelten Fälle, in denen eine Disziplinarmaßnahme wegen eines Maßnahmeverbots nicht verhängt werden darf, sind abschließend; sie können nicht durch ein ungeschriebenes Maßnahmeverbot wegen Verwirkung ergänzt werden. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der Zweck der disziplinarischen Sanktionierung nicht darin liegt, begangenes Unrecht zu vergelten. Vielmehr geht es darum, die Integrität des Berufsbeamtentums und die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes aufrechtzuerhalten (Urteil vom 5. Mai 1998 – BVerwG 1 D 12.97 – Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 16; Beschlüsse vom 6. Juli 1984 – BVerwG 1 DB 21.84 – BVerwGE 76, 176 ≪177 f.≫ und vom 13. Oktober 2005 – BVerwG 2 B 19.05 – Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 5).
Schließlich ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass bei einem Beamten, der durch gravierendes Fehlverhalten untragbar geworden ist, das Beamtenverhältnis nicht deshalb aufrechterhalten werden kann, um soziale Härten, etwa die Folgen des Verlusts der Beihilfeberechtigung, zu vermeiden. Damit sind Folgen angesprochen, die nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind; sie können bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme durch die Gesamtwürdigung der erschwerenden und mildernden Umstände, im vorliegenden Fall nach § 16 Abs. 1 Satz 2 bis 4 HDG, nicht zugunsten des Beamten berücksichtigt werden. Dieser ist bei der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gegebenenfalls darauf verwiesen, die sozialrechtlichen Schutzvorschriften in Anspruch zu nehmen (Beschluss vom 17. Mai 2006 – BVerwG 2 B 15.06 – Buchholz 235.1 § 12 BDG Nr. 1 Rn. 5 f.). So kann ein pflichtversicherter Arbeitsuchender im Rahmen des Bezugs von Arbeitslosengeld II (§§ 19 ff. SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende) in eine Krankenkasse der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V) und damit zugleich in eine Pflegekasse der sozialen Pflegeversicherung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB XI) wechseln (vgl. Müller, Beamtendisziplinarrecht, Rn. 165).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 HDG. Einer Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach der Anlage zu § 82 Abs. 1 Satz 1 HDG erhoben werden (Nr. 62).
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Heitz, Dr. Hartung
Fundstellen