Entscheidungsstichwort (Thema)
Bebauungsplan. Mängel der Satzung. Abwägungsfehler. ergänzendes Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Ein Mangel des Bebauungsplans, der im Sinne des § 215a Abs. 1 BauGB in einem ergänzenden Verfahren behoben werden kann, liegt nicht vor, wenn der festgestellte Fehler so schwer wiegt, daß er den Kern der Abwägungsentscheidung betrifft.
Normenkette
BauGB § 215a Abs. 1
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 22.06.1998; Aktenzeichen 7a D 170/95.NE) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Juni 1998 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsgegnerin beimißt.
1. Mit der Frage, ob “ein Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. vorliegt, wenn allein der hinterste Gartenbereich eines größeren Wohngrundstückes durch Verkehrsimmissionen von 20 offenen Stellplätzen eines Hotelkomplexes sowie einer Vorfahrt zu diesem Hotel in 25 m Entfernung bzw. 20 m Entfernung beeinträchtigt werden kann”, zeigt die Beschwerde keinen Klärungsbedarf auf. Seit der Grundsatzentscheidung vom 9. November 1979 – BVerwG 4 N 1.78 u.a. – (BVerwGE 59, 87) entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats, daß ein Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. gegeben ist, wenn der Antragsteller durch den angegriffenen Bebauungsplan oder dessen Anwendung in einem Interesse negativ betroffen wird, das im Rahmen der planerischen Abwägung gemäß § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen ist. Der Senat hat wiederholt bestätigt, daß zu den abwägungserheblichen Belangen Planbetroffener auch das Interesse gehört, vor Verkehrslärm verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Februar 1992 – BVerwG 4 NB 11.91 – und vom 18. März 1994 – BVerwG 4 NB 24.93 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nrn. 63 und 88). Ebenfalls geklärt ist, daß es zu den anerkennenswerten Wohnbedürfnissen gehört, nicht nur innerhalb der Wohngebäude vor Beeinträchtigungen durch Außengeräusche geschützt zu sein, sondern auch die für das Wohnen im Freien geeigneten und bestimmten Grundstücksflächen angemessen nutzen zu können (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Mai 1976 – BVerwG 4 C 80.74 – BVerwGE 51, 15, vom 11. November 1988 – BVerwG 4 C 11.87 – Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 6 und vom 16. September 1993 – BVerwG 4 C 9.91 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 94). Daß auch und gerade der “hinterste Gartenbereich” im Sinne der Fragestellung der Beschwerde unter diesem Blickwinkel schutzwürdig sein kann, bedarf nicht eigens der Bestätigung in einem Revisionsverfahren.
2. Auch die Frage, “welche rechtlichen Voraussetzungen und Anforderungen für ein ergänzendes Verfahren im Sinne des § 215a Abs. 1 BauGB erforderlich (sind)”, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Der Senat hätte auf der Grundlage der vom Normenkontrollgericht hierzu vertretenen Auffassung keinen Anlaß, zu dem Problemkreis in dieser Allgemeinheit Stellung zu nehmen. Nach § 215 a Abs. 1 Satz 1 BauGB kommt ein ergänzendes Verfahren nur bei Mängeln in Betracht, die behebbar sind. Auch Abwägungsfehler werden von dieser Regelung erfaßt. § 215a Abs. 1 Satz 1 BauGB bietet Gelegenheit, Satzungen, die an einem behebbaren Mangel leiden, unter Ausnutzung der geleisteten Vorarbeiten nachzubessern. Das Normenkontrollgericht steht auf dem Standpunkt, daß von einer Korrekturmöglichkeit jedenfalls dann keine Rede sein kann, wenn ein Abwägungsmangel von solcher Art und Schwere ist, daß er die Planung als Ganzes von vornherein in Frage stellt. Dies entspricht der Ansicht, die der Senat im Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 19.94 – (BVerwGE 100, 370) zu § 17 Abs. 6c Satz 2 FStrG vertreten hat. Auf diese Rechtsprechung zurückzugreifen, liegt schon deshalb nahe, weil § 215a Abs. 1 Satz 1 BauGB, was die Möglichkeit der Mangelbehebung in einem ergänzenden Verfahren angeht, § 17 Abs. 6c Satz 2 FStrG und den in anderen Fachplanungsgesetzen enthaltenen vergleichbaren Vorschriften nachgebildet ist (vgl. BTDrucks 13/6392, S. 74) und sich von der Interessenlage her nicht von diesen Regelungen unterscheidet. Haftet dem hier angegriffenen Bebauungsplan nach der Wertung des Normenkonrollgerichts ein Fehler an, der so schwer wiegt, daß er den Kern der Abwägungsentscheidung betrifft, so erübrigt sich die Erörterung, ob das Nachbesserungsregime des § 215a BauGB schon bei weniger grundlegenden Mängeln versagt.
3. Die Frage, ob “ein städtebaulicher Vertrag im Sinne des § 11 BauGB (bzw. § 6 BauGB – MaßnG) die Festsetzungen eines Bebauungsplans auch im Hinblick auf den Nachbarschutz in ausreichender Form ergänzen (kann)”, rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Sie ist auf der Grundlage der von der Beschwerde nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Normenkontrollgerichts nicht entscheidungserheblich. Aus dem Normenkontrollurteil erhellt, daß in dem nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB für die Abwägungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlußfassung über den Bebauungsplan kein städtebaulicher Vertrag vorlag, der hätte geeignet sein können, die planerischen Festsetzungen im Sinne der Beschwerde zu ergänzen. Vielmehr waren die Vertragsverhandlungen seinerzeit nach der Darstellung des Normenkontrollgerichts noch nicht über das Entwurfsstadium hinaus gediehen.
4. Auch die Frage, ob “nach Satzungsbeschluß für einen Bebauungsplan, der die Zulässigkeit eines Bauvorhabens eines einzigen Bauherrn regelt, durch städtebaulichen Vertrag mit diesem Bauherrn eine Heilung eventueller Mängel im Bebauungsplan erfolgen (kann)”, nötigt zu keiner vertieften Auseinandersetzung. Sie würde sich in dem erstrebten Revisionsverfahren so nicht stellen. Denn das Normenkontrollgericht legt im einzelnen dar, daß der nachträglich abgeschlossene Vertrag gerade kein taugliches Instrument ist, um wesentliche Defizite auszugleichen, an denen die planerischen Festsetzungen der Antragsgegnerin leiden. Nach seiner Darstellung hindert die vertragliche Vereinbarung den Investor insbesondere weder daran, zusätzlich zu dem bestehenden Gastronomiebetrieb ein Hotel zu errichten, noch daran, in der Garagenanlage mehr als 100 Pkw-Stellplätze zu schaffen. Fehlt dem Vertrag insoweit die ihm von der Beschwerde unterstellte Eignung schon aus tatsächlichen Gründen, so erübrigen sich grundsätzliche Überlegungen dazu, ob es rechtlich zulässig ist, den Anforderungen des Abwägungsgebots in der Weise zu genügen, daß Festsetzungen, die für sich genommen unzureichend sind, mit Hilfe eines städtebaulichen Vertrages ergänzt werden.
5. Gleiches gilt, soweit die Beschwerde die Fragen aufwirft, ob “ein städtebaulicher Vertrag zwischen Gemeinde und Bauherr mit Regelungen zum Nachbarschutz drittschützende Wirkung (hat), auch wenn dies nicht ausdrücklich Erwähnung findet”, und ob “ein städtebaulicher Vertrag zwischen Gemeinde und Bauherr unter Bezugnahme auf einen konkreten Bebauungsplan und ein konkretes Bauvorhaben objektbezogen (ist), so daß hieran Rechtsnachfolger auch ohne gesonderte Rechtsnachfolgeklausel gebunden sind”. Nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts ist der zwischen der Antragsgegnerin und dem Bauherrn abgeschlossene Vertrag nicht geeignet, die Defizite auszugleichen, die der angegriffene Bebauungsplan zu Lasten der Antragsteller aufweist. Trägt er in wesentlichen Punkten zur Wahrung der nachbarlichen Belange nichts bei, so bedarf es nicht der Klärung, ob ein Vertrag dieser Art im Sinne der Fragestellung drittschützende Wirkung entfalten oder objektbezogen sein kann.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Hien, Halama
Fundstellen
BauR 1999, 361 |
NVwZ 1999, 420 |
DÖV 1999, 340 |
NuR 1999, 220 |
ZfBR 1999, 106 |
BRS 1999, 198 |
GV/RP 2000, 83 |
KomVerw 2000, 24 |
FuBW 1999, 901 |
FuNds 2000, 52 |