Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Aktenzeichen 1 K 5147/97) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. September 1999 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Die in erster Linie gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
a) Die Beschwerde meint, das angefochtene Urteil sei in sich widersprüchlich und lasse daher entgegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erkennen, welche Gründe für das Normenkontrollgericht leitend gewesen seien. Die vom Gericht vertretenen Rechtsansichten schlössen sich gegenseitig aus. Zunächst halte es die von der Antragsgegnerin vorgenommene Planung, im Wege der Gliederung die Landwirtschaft in etwa 2/5 des Plangebiets auszuschließen, für zulässig, um sodann die konkrete Planung der Antragsgegnerin, für diesen Bereich des Plangebiets ein eingeschränktes Dorfgebiet („MDe”) festzusetzen, zu beanstanden. Damit lasse das Normenkontrollgericht in widersprüchlicher Weise offen, ob es denn eine solche Gliederung für zulässig oder unzulässig halte.
Diese Interpretation des Normenkontrollurteils wird dem Urteil nicht gerecht. Das Gericht hält zunächst (vgl. S. 7, 2. Absatz des Urteils) die von der Antragsgegnerin festgesetzte Gliederung des Dorfgebiets für grundsätzlich zulässig, um im Anschluß daran (vgl. S. 8 unten) die konkrete Planung der Antragsgegnerin als Verstoß gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB zu verwerfen. Dieses Argumentationsmuster des Normenkontrollgerichts ist weder widersprüchlich noch ungewöhnlich, sondern durchaus gebräuchlich: Zunächst wird eine Regel („grundsätzlich”) aufgestellt, um im Anschluß daran darzulegen, weshalb die Regel im konkret zu entscheidenden Einzelfall einer Einschränkung bedarf. Das Normenkontrollgericht ist nicht anders verfahren. Nach seinen Feststellungen hat die Antragsgegnerin im unmittelbaren Anschluß an ein Dorfgebiet abweichend von der Bezeichnung „eingeschränktes Dorfgebiet” (MDe) faktisch ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt, was angesichts der Emissionsträchtigkeit des landwirtschaftlichen Betriebs des Antragstellers künftige Konflikte heraufbeschwören und im übrigen der vorrangigen Rücksichtnahme auf die Belange landwirtschaftlicher Betriebe in § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nicht gerecht werde. Dies hat das Normenkontrollgericht als „Etikettenschwindel” bezeichnet und damit – anders als die Beschwerde es verstanden wissen will – gemeint, unter der Festsetzung „MDe” habe die Antragsgegnerin ein „WA”-Gebiet angestrebt. In diesem Zusammenhang referiert es die Vorgeschichte des Bebauungsplans und setzt sich mit den Nutzungsmöglichkeiten der im „MDe”-Gebiet gelegenen Grundstücke auseinander.
b) Entgegen der Auffassung der Beschwerde beruht das Urteil auch nicht auf Tatsachen, zu denen sich die Antragsgegnerin nicht hat äußern können. Das Normenkontrollgericht, das in Gegenwart auch von Vertretern der Antragsgegnerin eine Ortsbesichtigung durchgeführt hat, hat dem „MDe”-Gebiet rechtlich eine andere Bedeutung beigemessen als ihm nach dem Willen der Antragsgegnerin zukommen soll. Wenn ein Gericht der rechtlichen Deutung eines Prozeßbeteiligten nicht folgt, ist dies weder eine aktenwidrige Verwertung von Tatsachen noch ein Verstoß gegen die Verpflichtung, in dem Urteil die Gründe mitzuteilen, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Es ist gerade die ureigene Aufgabe eines Gerichts, den ihm unterbreiteten Sachverhalt selbständig zu würdigen. Daß es hierbei eine andere rechtliche Auffassung als ein Prozeßbeteiligter vertreten kann, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterung.
c) Das Normenkontrollgericht hat auch nicht gegen § 215 a Abs. 1 BauGB und gegen § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO verstoßen. Nach § 215 a Abs. 1 Satz 1 BauGB kommt ein ergänzendes Verfahren nur bei Mängeln in Betracht, die behebbar sind. Folglich kann ein Bebauungsplan auch nur dann – nur – für „nicht wirksam” erklärt werden, wenn der ihm anhaftende Mangel reparabel ist. Ein in diesem Sinne behebbarer Mangel liegt hingegen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vor, wenn der festgestellte Fehler so schwer wiegt, daß er den Kern der Abwägungsentscheidung betrifft (BVerwG, Beschluß vom 10. November 1998 – BVerwG 4 BN 45.98 – Buchholz 406.11 § 215 a BauGB Nr. 2 = NVwZ 1999, 420). Auf diese Rechtsprechung hat sich das Normenkontrollgericht bezogen. Sein Urteil kann deshalb nur so verstanden werden, daß es – unabhängig von seiner Bezeichnung im streitigen Bebauungsplan als „MDe”-Gebiet – die Planung eines allgemeinen Wohngebiets in der unmittelbaren Nachbarschaft des emissionsträchtigen landwirtschaftlichen Betriebs des Antragstellers wegen eines Verstoßes gegen das Gebot gerechter Abwägung für irreparabel unzulässig hält. Hierfür spricht auch, daß sich die Kritik des Normenkontrollgerichts nicht darauf beschränkt, der Antragsgegnerin vorzuwerfen, sie habe die durch ihre Planung ausgelösten Konflikte nicht ausreichend erkannt. Nach der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts leidet die Planung der Antragsgegnerin nicht nur an Fehlern im Abwägungsvorgang, die bei einer Neuplanung vermieden werden könnten. Vielmehr bemängelt das Normenkontrollgericht, daß der Bebauungsplan die durch die Planung verursachten Konflikte nicht gelöst habe, weil das unmittelbar benachbarte eingeschränkte Dorfgebiet den Betrieb des Antragstellers angesichts seiner Emissionen über Gebühr einschränke und damit jede Rücksichtnahme auf diesen Betrieb vermissen lasse (Urteil, S. 10). Daß das Normenkontrollgericht bei einem solchen Fehler im Abwägungsergebnis eine mehr oder weniger unveränderte Planungswiederholung in einem ergänzenden Verfahren für ausgeschlossen hält, ist nachvollziehbar und entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts.
Unerheblich ist es, wie der festgestellte Planungsmangel bezeichnet worden ist. Wenn das Normenkontrollgericht formuliert, die Mängel beträfen „das ‚Grundgerüst’ der Abwägung”, so meint es damit dasselbe, was der Senat mit seiner Formulierung, der festgestellte Mangel wiege so schwer, daß er den „Kern der Abwägungsentscheidung” betreffe (BVerwG, Beschluß vom 10. November 1998 – BVerwG 4 BN 45.98 – Buchholz 406.11 § 215 a BauGB Nr. 2 = NVwZ 1999, 420), ausgedrückt hat.
2. Damit erledigt sich zugleich die von der Beschwerde erhobene Divergenzrüge. Mit dem vom Normenkontrollgericht benutzten Ausdruck „Mängel, die das Grundgerüst der Abwägung betreffen”, werden erkennbar Fehler von solcher Art und Schwere bezeichnet, die – in der Terminologie des Bundesverwaltungsgerichts – die Planung als Ganzes von vornherein in Frage stellen (Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 19.94 – BVerwGE 100, 370 ≪373≫, zu § 17 Abs. 6 c FStrG) oder die im Sinne von § 13 BauGB die Grundzüge der Planung berühren (Urteil vom 8. Oktober 1998 – BVerwG 4 CN 7.97 – ZfBR 1999, 107).
3. Auch die zur Bindungswirkung von Normenkontrollentscheidungen und zum Normwiederholungsverbot formulierten Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Sie sind nämlich für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung; denn die Entscheidung des Normenkontrollgerichts, den streitigen Bebauungsplan für nichtig zu erklären, beruht nicht auf einer bestimmten Rechtsauffassung zu ihnen; das Normenkontrollgericht hat sich zu ihnen überhaupt nicht geäußert. Die Fragen können zwar möglicherweise bei einer erneuten Überplanung des Plangebiets durch die Antragsgegnerin wichtig werden. Gegebenenfalls müssen sie aber dann geklärt werden. Jedenfalls ist es nicht Aufgabe des vorliegenden Normenkontrollverfahrens, schon jetzt vorsorglich Probleme eines künftigen Bebauungsplans für dasselbe Gebiet zu erörtern. – Im übrigen hat der Senat inzwischen in seinem Urteil vom 24. November 1999 – BVerwG 4 CN 17.98 – die Frage verneint, ob die Gemeinde im Falle der Nichtigkeitserklärung eines Bebauungsplans bei unveränderter Sach- und Rechtslage einen neuen Bebauungsplan mit (annähernd) gleichem Inhalt erlassen dürfe.
Schließlich kommt es auch auf die zur Zulässigkeit der Gliederung eines Dorfgebietes formulierte Frage nicht an; denn sie ist nicht entscheidungserheblich. Das Normenkontrollgericht hat diese Frage, die nach dem Vortrag der Beschwerde im Vordergrund des Rechtsstreits stand, im Sinne der Rechtsauffassung der Beschwerde entschieden. Dadurch ist die Antragsgegnerin nicht beschwert. Für nichtig ist der Bebauungsplan aus einem anderen Grund, nämlich wegen eines irreparablen Verstoßes gegen das Abwägungsgebot, erklärt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Heeren
Fundstellen
Haufe-Index 566315 |
BauR 2000, 1018 |
ZfBR 2000, 353 |
BRS 2000, 369 |