Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung. Folgenbeseitigungsanspruch bei zweckverfehlten Vermögensdispositionen aufgrund einer fehlerhaften Behördenentscheidung. Flughafen Berlin-Tegel. Flughafenerweiterung. Steigerung der Abfertigungskapazität;. wesentliche Änderung. Fluglärm. Luftaufsicht
Leitsatz (amtlich)
Die Beseitigung eines in der Abfertigungskapazität eines Flughafens (hier: Berlin-Tegel) aufgetretenen Engpasses durch einen Erweiterungsbau erfordert regelmäßig nicht die Durchführung eines Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens.
Normenkette
VwGO §§ 83, 91 Abs. 1, § 123; GVG § 17a Abs. 2 S. 3; VerkPBG § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1; LuftVG § 8 Abs. 3, § 29 Abs. 1 S. 1; 6. ÜberleitungsG § 2 Abs. 5
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen den weiteren Ausbau des Berliner Flughafens Tegel, in dessen Nähe sie als Mieterin wohnt.
Unter dem 11. September 2000 erteilte das Bezirksamt Reinickendorf von Berlin der Beigeladenen (Berliner Flughafengesellschaft mbH) die Baugenehmigung für einen Umbau des vorhandenen Gebäudeteils A 1. Dieser soll durch eine Aufstockung eine neue Check-In-Ebene mit 20 Abfertigungsschaltern und einem Abflugwarteraum erhalten. Auf der darunter liegenden Ebene soll die Kapazität der benachbarten Ankunftsposition 16 (u.a. durch neue Gepäckabfertigungseinrichtungen) erweitert werden. Das im Gebäudeteil A 1 untergebrachte Mietwagencenter soll an die vorgesehene Terminalerweiterung anschließend nach Süden verlegt werden.
Die Antragstellerin, die geltend macht, schon gegenwärtig durch den Flugbetrieb unzumutbar beeinträchtigt zu sein, hält den Ausbau für planfeststellungsbedürftig. Sie hat deswegen gegen die Baugenehmigung Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden worden ist, und beim Oberverwaltungsgericht Berlin beantragt, im Wege einer einstweiligen Anordnung
- den Antragsgegner (das Land Berlin) zu verpflichten, der Beigeladenen zu untersagen, die durch die Baugenehmigung vom 11. September 2000 genehmigten baulichen Änderungen und Erweiterungen auf dem Flugplatz Berlin-Tegel vorzunehmen,
- hilfsweise, den Antragsgegner zu verpflichten, der Beigeladenen zu untersagen, die durch die Baugenehmigung vom 11. September 2000 genehmigten Änderungen und Erweiterungen auf dem Flugplatz Berlin-Tegel in Betrieb zu nehmen.
Gleichlautende Anträge hat die Antragstellerin zugleich bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gestellt. Das Oberverwaltungsgericht hat das vorläufige Rechtsschutzverfahren zuständigkeitshalber an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene treten dem Vorbringen der Antragstellerin entgegen und beantragen,
die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist aufgrund der Verweisung durch das Oberverwaltungsgericht für die Entscheidung über den Antrag zuständig. Die Verweisung ist bindend (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG) und steht im Übrigen im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, seine Zuständigkeit nach § 5 Abs. 1 VerkPBG zu bejahen, wenn darüber gestritten wird, ob bestimmten Baumaßnahmen an Anlagen i.S. von § 1 Abs. 1 VerkPBG ein Planfeststellungsverfahren hätte vorangehen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 1994 – BVerwG 7 VR 12.93 – Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 1 und vom 7. Juli 1995 – BVerwG 11 VR 11.95 – Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 7). Im Hinblick auf den Schriftsatz der Antragstellerin vom 8. Januar 2001 ist klarzustellen, dass die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nur gegeben ist, soweit eine Verpflichtung der Anlagenaufsicht im Streit steht, im Vorgriff auf eine planfestzustellende Regelung gegen die Baumaßnahmen einzuschreiten. Dies ist bei den hier gestellten Anträgen der Fall, weil sie sich gegen die Luftaufsicht richten (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG). Wenn die Antragstellerin dagegen vorsorglich einer Umdeutung ihrer Anträge zustimmt, weil sie diese auch gegen die Bauaufsichtsbehörde richten möchte, ist dies wegen der insoweit fehlenden Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts unbeachtlich.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg. Dabei geht der Senat zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass eine etwaige Möglichkeit, im Aussetzungsverfahren nach den §§ 80, 80 a VwGO einen Baustopp gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zu erwirken, kein Verfahrenshindernis nach § 123 Abs. 5 VwGO darstellt, wenn ein Anspruch auf Einschreiten der Luftaufsicht geltend gemacht wird. Die Antragstellerin hat jedoch einen derartigen Anspruch und auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 1 u. Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Eine Flughafenerweiterung, die einer Planfeststellung oder einer Plangenehmigung bedarf, ist in dem Bauvorhaben der Beigeladenen nicht zu sehen. Nachdem die Planfeststellungsbehörde dies gegenüber der Bauaufsicht auf ihre Anfrage hin verlautbart hatte, konnte das Vorhaben ohne Rechtsverstoß durch eine Baugenehmigung zugelassen werden. Dementsprechend liegen die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Luftaufsicht nach § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG nicht vor und kann die Antragstellerin deren Tätigwerden nicht beanspruchen.
Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 LuftVG können Planfeststellung und Plangenehmigung bei Änderungsvorhaben von unwesentlicher Bedeutung unterbleiben. Was die Rechte Dritter angeht, setzt dies nach § 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 LuftVG voraus, dass diese durch die geänderte oder erweiterte Anlage nicht unmittelbar beeinflusst werden. Dies ist vorliegend der Fall.
Ihren gegenteiligen Standpunkt stützt die Antragstellerin darauf, dass ohne die Erweiterung der Abfertigungskapazität der Flughafen Tegel eine Kapazitätsgrenze erreiche, die zudem – wie das Oberverwaltungsgericht Berlin durch Urteil vom 2. Mai 1996 – OVG 2 A 5.92 – (DVBl 1997, 73 ff. ≪insoweit nicht abgedruckt≫) entschieden habe – die Reichweite der Planfeststellungs- und Genehmigungsfiktion durch § 2 Abs. 5 des Gesetzes zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin (West) vom 25. September 1990 – BGBl I S. 2106 – (6. ÜberleitungsG) bestimme (UA S. 29 f.). Denn das Oberverwaltungsgericht habe den sich in der Abfertigungskapazität bereits seinerzeit abzeichnenden Engpass bewusst als rechtlichen Anknüpfungspunkt gewählt, damit es der Antragsgegnerin und der Beigeladenen verwehrt sei, „unter dem rechtlichen Schirm der gesetzlichen Fiktion den Flugbetrieb und damit auch die Umweltbelastung beliebig zu erweitern” (UA S. 27). Eine bloße Anknüpfung an die luftseitige Kapazität des Flughafens habe sich insoweit verboten, weil damit der Beigeladenen in diesem Rahmen die Möglichkeit zu einer unkontrollierten Erweiterung des Flughafens zugestanden würde, welche aufgrund eines nach dem Luftverkehrsgesetz durchgeführten Planfeststellungsverfahrens so in keinem Falle eingeräumt werden könne (UA S. 28).
Auf der Grundlage einer summarischen rechtlichen Würdigung, auf die sich der Senat im vorläufigen Rechtsschutzverfahren beschränken muss, wird dieser Auslegung des Bundesrechts durch das Oberverwaltungsgericht Berlin nicht uneingeschränkt zu folgen sein. Sie berücksichtigt nämlich nicht, dass durch das Planungsvereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1993 – BGBl I S. 2123 – (PlVereinfG) die früher in § 8 Abs. 2 LuftVG a.F. geregelten Voraussetzungen, unter denen bei Änderungen oder Erweiterungen von unwesentlicher Bedeutung eine Planfeststellung sich als entbehrlich erweist, mit Wirkung vom 24. Dezember 1993 geändert worden sind. Nach dem seither insoweit geltenden § 8 Abs. 3 Satz 2 LuftVG ist maßgebend darauf abzustellen, ob durch die geänderte oder erweiterte Anlage Rechte Dritter „unmittelbar” beeinflusst werden. Die Bedeutung dieses Erfordernisses der Unmittelbarkeit ist in der Rechtsprechung des Senats noch nicht geklärt. Es spricht aber einiges dafür, dass insoweit der Auslegung zu folgen ist, die das Hamburgische Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 20. Januar 1997 – Bf III 54/95 P – (HmbJVBl 1997, 81 ff.) vertreten hat. Danach ist wertend zu bestimmen, ob der Änderung oder Erweiterung der Flughafenanlagen nach ihrer Eigenart und Zielrichtung als typische Folge eine Steigerung des Fluglärms zuzuordnen ist.
Nicht sämtliche bauliche Veränderungen sind in gleichem Maße geeignet, zusätzlichen Fluglärm auszulösen und damit Rechte Dritter zu berühren. Der Fluglärm geht von den Flugbewegungen aus. Diese werden typischerweise von Lage, Art und Umfang der luftseitigen Anlagen des Flughafens unmittelbar beeinflusst, während dies für landseitige Anlagen regelmäßig ausgeschlossen werden kann. So ist insbesondere die Abfertigungskapazität kein geeigneter Maßstab zur Beurteilung der Lärmeinwirkung, weil – etwa wegen der Abhängigkeit vom eingesetzten Fluggerät – kein verlässlicher Erfahrungswert über den Zusammenhang zwischen der Abfertigungskapazität und den flugbewegungsabhängigen Lärmeinwirkungen zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. September 1999 – BVerwG 11 A 22.98 – Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 17).
Insofern ist – anders als im Immissionsschutz- und im Atomrecht (vgl. BVerwGE 101, 347 ≪353≫ m.w.N.) – eine Änderung nach § 8 Abs. 3 LuftVG nicht schon dann wesentlich, wenn Belange Dritter in rechtserheblicher Weise berührt seinkönnen. Es kommt vielmehr darauf an, ob – dem Wortsinn entsprechend – die Änderung unmittelbar auf die Flugbewegungen durchschlägt. Davon kann auch dann nicht ausgegangen werden, wenn – wie hier – durch die Erweiterung der Abfertigungsanlagen gezielt ein Kapazitätsengpass beseitigt werden soll. Denn die erweiterte Abfertigungskapazität lässt auch in diesem Fall keinen ausreichend sicheren Rückschluss auf einen verstärkten Flugbetrieb zu. Es werden dadurch zunächst nur Einschränkungen des Komforts beseitigt, die die Fluggäste hinzunehmen haben, wenn wegen einer Überlastung der vorhandenen Abfertigungsanlagen überflüssige Wartezeiten und andere Unzuträglichkeiten auftreten.
Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis auch durch einen Blick auf die bisherige Rechtslage. Bereits unter der Geltung von § 8 Abs. 2 LuftVG a.F. setzte eine wesentliche Änderung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der Flughafen nicht nur in einem peripheren, sondern in einem für den Charakter des Unternehmens kennzeichnenden Bereich zumindest teilweise erheblich anders ausgestaltet wurde. Es wurde gefordert, dass der Flughafen „sein Gesicht ändert” (so BVerwGE 81, 95 ≪104≫). Es liegt auf der Hand, dass bei einem internationalen Großflughafen eine Erweiterung der Abfertigungsfläche um nur rd. 2 800 qm in diesem Sinne unwesentlich ist. Dies wird durch das Erfordernis der Unmittelbarkeit, das dem geltenden § 8 Abs. 3 Satz 2 LuftVG zu entnehmen ist, in gewisser Weise nur klargestellt.
Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen überzeugt es den Senat nicht, wenn das Oberverwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 2. Mai 1996 – OVG 2 A 5.92 – (a.a.O.) versucht, den faktischen Engpass in der Abfertigungskapazität als eine Art Schutzauflage zugunsten der Flughafenanwohner zu werten. § 2 Abs. 5 des 6. ÜberleitungsG gibt für diese Auslegung nichts her. Es ist dem Senat bekannt, dass auch andere deutsche Großflughäfen auf der Grundlage alter Genehmigungen operieren, die keine landseitigen Kapazitätsbeschränkungen vorgeben. Wenn der Bundesgesetzgeber für den Flughafen Berlin-Tegel eine abweichende Handhabung hätte durchsetzen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass dies in dem 6. ÜberleitungsG hinreichend deutlich Ausdruck gefunden hätte.
Das Ergebnis, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf ein Einschreiten der Luftaufsicht hat, rechtfertigt auch nicht die Schlussfolgerung der Antragstellerin, sie sei einer Steigerung des Fluglärms schutzlos ausgesetzt, weil die Beigeladene bei ihren Erweiterungsmaßnahmen eine „Salamitaktik” verfolge. Der Antragstellerin verbleibt insoweit die Möglichkeit, andere Anspruchsgrundlagen geltend zu machen. Diese sind von dem Oberverwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 2. Mai 1996 – OVG 2 A 5.92 – (a.a.O.) erörtert worden.
Im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 8. Januar 2001 hervorhebt, sie werde bereits durch den laufenden Flugbetrieb in ihrer Gesundheit gefährdet, ist darauf hinzuweisen, dass eine einstweilige Anordnung des von ihr beantragten Inhalts als Abhilfe offensichtlich ungeeignet wäre. Der Erlass einer anders formulierten einstweiligen Anordnung kommt schon mangels eines Anordnungsgrundes nicht in Betracht. Die Antragstellerin hat für ein diesbezüglich denkbares Begehren bislang nämlich nicht einmal das Verwaltungsverfahren eingeleitet, dessen Durchführung Voraussetzung für eine gerichtliche Sachentscheidung wäre (vgl. BVerwGE 65, 45 ≪49≫; auch BVerwGE 40, 25 ≪28 f.≫). Vorsorglich ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass für eine spätere Rechtsschutzgewährung insoweit die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nicht eröffnet sein dürfte (vgl. zu Ansprüchen aus § 75 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 VwVfG BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 2000 – BVerwG 11 A 6.99 – UPR 2000, 458 f.).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Hien, Vallendar, Prof. Dr. Rubel
Fundstellen
NVwZ 2001, 566 |
DÖV 2002, 305 |
NJ 2001, 385 |
DVBl. 2001, 402 |
UPR 2001, 228 |
VA 2001, 85 |