Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzinteresse. Anfechtungsklage. Subsidiarität der Feststellungsklage. Luftaufsicht. Flughafen. Hochbauten. wesentliche Änderung. Planfeststellung. Baugenehmigung. Bauantrag. verwaltungsinternes Zwischenverfahren. Freistellungsentscheidung. Anfechtungslast. Rechtsmittel. Drittschutz. Abwägungsgebot
Leitsatz (amtlich)
1. Wird für Hochbauten auf einem Flughafengelände eine Baugenehmigung beantragt, so darf die Entscheidung, ob das Vorhaben planfeststellungsbedürftig ist, in einem verwaltungsinternen Zwischenverfahren getroffen werden. Die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde, von einer Planfeststellung abzusehen, ergeht in diesem Fall nicht als Verwaltungsakt. Dritte, die geltend machen wollen, das Vorhaben hätte nur im Wege einer Planfeststellung zugelassen werden dürfen, trifft insoweit keine Anfechtungslast.
2. Mit einer gegen eine Baugenehmigung für Flughafenhochbauten gerichteten Anfechtungsklage können Drittbetroffene rügen, die planerische Abwägung ihrer dem Vorhaben entgegenstehenden Belange sei ihnen rechtswidrig vorenthalten worden, indem anstelle des an sich gebotenen Planfeststellungsverfahrens nur ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt worden sei. Daneben ist für eine Klage, mit der die Luftaufsicht zu einem Einschreiten gegen das Bauvorhaben verpflichtet werden soll, kein Rechtsschutzinteresse gegeben.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; LuftVG 1999 § 8 Abs. 1, 3, 4 S. 1, § 9 Abs. 1 S. 3, § 10 Abs. 1 S. 3, § 29 Abs. 1 S. 1; VwGO § 43 Abs. 2 S. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin wendet sich gegen den weiteren Ausbau der Abfertigungsanlagen des Berliner Flughafens Tegel, in dessen Nähe sie wohnt. Nach ihren Angaben liegt ihr Haus ca. 1,5 km von dem westlichen Ende der nördlichen Start- und Landebahn entfernt.
Der Flughafen Tegel wurde 1948 im Rahmen des Luftbrückenbetriebs von der französischen Besatzungsmacht als Militärflugplatz in Betrieb genommen und unterstand bis zum 2. Oktober 1990 der französischen Militärregierung von Berlin. Seit 1960 wurde auf dem Flughafen auf Grund von Vereinbarungen zwischen der französischen Militärregierung und der Beigeladenen auch ziviler Flugverkehr abgewickelt. Diese Vereinbarungen sowie eine Grundsatzgenehmigung des zuständigen französischen Generals waren Grundlage dafür, dass die Beigeladene südlich der Landebahnen ein neues Abfertigungsgebäude (sechseckiger Flugsteigring) errichtete, das 1974 eingeweiht wurde. Das nördlich der Landebahnen gelegene alte Abfertigungsgebäude (sog. Touristikhalle) blieb der militärischen Nutzung vorbehalten. In der Folgezeit wurde der südliche Gebäudekomplex laufend umgebaut und erweitert. Dabei wurden auch weitere Abfertigungseinrichtungen geschaffen.
Durch § 2 Abs. 5 des am 3. Oktober 1990 in Kraft getretenen Sechsten Überleitungsgesetzes vom 25. September 1990 (BGBl I S. 2106) wurde bestimmt, dass die Berliner Flughäfen nach ihrer Übergabe durch die Alliierten im Sinne der §§ 6 bis 10 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) als genehmigt und im Plan rechtskräftig festgestellt gelten. Die Übergabe des Flughafens Tegel durch die französischen Militärdienststellen erfolgte im Wesentlichen mit In-Kraft-Treten des Sechsten Überleitungsgesetzes und war mit der vollständigen Aufgabe der Nutzung des militärischen Bereichs im Nordteil bis zum Jahre 1994 abgeschlossen.
Im April 1999 stellte die Beigeladene beim Bezirksamt Reinickendorf den Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheids für einen Umbau des 1992 fertig gestellten Gebäudeteils A 1. Es handelte sich dabei ursprünglich um ein Bürogebäude, in dem sich zusätzlich ein Sammelwarteraum befand. Durch eine Aufstockung sollte das Gebäude eine neue Check-In-Ebene mit 20 Abfertigungsschaltern und einem Abflugwarteraum erhalten. Auf der darunter liegenden Ebene sollte die Kapazität der benachbarten Ankunftsposition 16 (u.a. durch neue Gepäckabfertigungseinrichtungen) erweitert werden. Das im Gebäudeteil A 1 bisher untergebrachte Mietwagencenter sollte an die vorgesehene Terminalerweiterung anschließend nach Süden verlegt werden.
In einer Stellungnahme vom 22. März 2000 teilte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dem Bezirksamt Reinickendorf auf entsprechende Anfrage mit, bei dem Vorhaben handele es sich nicht um eine wesentliche Änderung des Flughafens, sodass eine Planfeststellung unterbleiben könne. Die Belange des Schutzes vor Fluglärm und flugbetriebsbedingten Abgasen würden durch die geplante Terminalerweiterung nicht berührt. Flugbetriebsbedingte Emissionen könnten nämlich nur durch die Nutzung von Flugbetriebsflächen entstehen, nicht aber durch die Nutzung von Gebäuden. Zwar nehme die Ausstattung mit Abfertigungseinrichtungen Einfluss auf das Angebots- und Nachfrageverhalten bei Fluggesellschaften und Fluggästen und damit auf das Fahrgastaufkommen eines Flughafens; für die Lärm- und Abgasbelastung der Flughafenumgebung seien aber vorrangig die technische Kapazität des Flughafens, das Emissionsverhalten des eingesetzten Fluggeräts und die Flugstreckengeometrie von Bedeutung, die durch das Bauvorhaben nicht geändert würden.
Daraufhin wurde der Bauvorbescheid vom Bezirksamt Reinickendorf unter dem 3. Juli 2000 antragsgemäß erteilt. Ebenso wurde auf den zwischenzeitlich am 5. Mai 2000 gestellten Bauantrag hin am 11. September 2000 die Baugenehmigung erlassen. Gegen diese legte die Klägerin mit Schreiben vom 11. September 2000 Widerspruch ein, der – im Einvernehmen mit der Klägerin – nicht beschieden wurde. Einen im Verfahren BVerwG 11 VR 16.00 von der Klägerin gestellten Antrag, den Beklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, gegenüber der Beigeladenen einen Baustopp oder hilfsweise ein Nutzungsverbot auszusprechen, hat der erkennende Senat durch Beschluss vom 11. Januar 2001 abgelehnt.
Am 2. Februar 2001 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie der vom erkennenden Senat im Beschluss vom 11. Januar 2001 geäußerten Rechtsauffassung widerspricht, die Erweiterung der Abfertigungskapazität sei als eine unwesentliche Änderung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 LuftVG a.F. von der Planfeststellung freigestellt. Zumindest müsse eine Einzelfallbetrachtung zu dem Ergebnis gelangen, dass der streitgegenständliche Ausbau, der die Abfertigungskapazität um zwei bis drei Millionen Passagiere im Jahr steigere, mit einer wesentlichen Steigerung der Flugbewegungen einhergehen werde und deswegen einer Planfeststellung bedürfe.
Die Klägerin beantragt,
Der Beklagte und die Beigeladene treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen und sind der Meinung, dass der Klägerin im Hinblick darauf, dass ihr der Klageweg gegen die Baugenehmigung offen stehe, für die vorliegende Klage bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Sie beantragen,
die Klage abzuweisen.
Der Oberbundesanwalt unterstützt die vom erkennenden Senat im Beschluss vom 11. Januar 2001 geäußerte Rechtsauffassung und vertritt die Ansicht, dass ein Rechtsschutzinteresse für eine gegen die Luftaufsicht gerichtete Klage nur zu bejahen wäre, wenn das Bauvorhaben nicht bereits Gegenstand eines Verfahrens geworden wäre; wenn – wie hier – ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt worden sei, könne nur gegen die Baugenehmigung geklagt werden.
Die Klägerin begegnet den gegen die Zulässigkeit ihrer Klage geäußerten Bedenken mit dem Hinweis, bereits in früherer Zeit habe das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 85, 251 ≪258≫) entschieden, dass es eine Baugenehmigung für Flughafenhochbauten nicht rechtsfehlerhaft mache, wenn die Bauaufsicht die Planfeststellungsbedürftigkeit des Vorhabens zu Unrecht verneint habe. Ihr müsse deswegen durch die vorliegende Klage die Möglichkeit eröffnet werden, den Lärmschutz einzufordern, der ihr im Baugenehmigungsverfahren versagt geblieben sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Streitakten, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Akten des Verfahrens OVG Berlin 2 A 5.92 Bezug genommen; diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist unzulässig.
1. Für das mit dem Hauptantrag verfolgte Begehren auf Einschreiten der Luftaufsicht ist ein Rechtsschutzinteresse nicht erkennbar.
Für eine Verpflichtungsklage ist das Rechtsschutzinteresse zwar nur dann zu verneinen, wenn besondere Umstände vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1989 – BVerwG 9 C 44.87 – BVerwGE 81, 164 ≪166≫). Ein solcher Ausnahmefall ist aber anzunehmen, wenn für die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine andere, sachnähere und wirksamere Klageart zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2000 – BVerwG 7 C 3.00 – BVerwGE 111, 306 ≪308≫). Das ist hier der Fall, weil das streitige Vorhaben durch eine Baugenehmigung zugelassen worden ist und die Klägerin gegen diesen Verwaltungsakt gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1, § 75 Satz 1 VwGO) wird die Klägerin Gelegenheit haben, gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. September 2000 Anfechtungsklage zu erheben (vgl. § 42 VwGO). Falls sie sich nicht entgegenhalten lassen muss, dass der Bauvorbescheid vom 3. Juli 2000 inzwischen unanfechtbar geworden ist, wird die Klägerin in jenem Klageverfahren rügen können, die Baugenehmigung sei rechtswidrig, weil die Zulassung des Vorhabens einer Planfeststellung bedurft hätte. Solange die Baugenehmigung auf ihre Klage hin nicht aufgehoben worden ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann sie der Luftaufsicht gegenüber jedoch nicht mit Erfolg geltend machen, das Vorhaben habe nicht allein durch eine Baugenehmigung zugelassen werden dürfen. Der von ihr gegen die Baugenehmigung eingelegte Widerspruch ändert daran nichts, weil er keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. § 212 a BauGB, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Luftaufsicht (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG) wären deshalb derzeit selbst dann nicht erfüllt, wenn es zutreffen sollte, dass das Vorhaben nicht von der Planfeststellung freigestellt werden durfte.
Es ist eine Besonderheit des Flughafenzulassungsrechts, dass bei der Zulassung von Hochbauten auf dem Flughafengelände Planfeststellung und Baugenehmigung nach § 8 Abs. 4 Satz 1 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) i.d.F. vom 27. März 1999 (BGBl I S. 550) nebeneinander treten können. Dies rechtfertigt eine abweichende Beurteilung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Klägerin jedoch nicht. Die genannte Vorschrift, die durch Art. 4 Nr. 1 des Planungsvereinfachungsgesetzes (PlVereinfG) vom 17. Dezember 1993 (BGBl I S. 2123) in das Luftverkehrsgesetz eingefügt worden ist, bestimmt, dass bei der Planfeststellung von Flughäfen auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Flughafenhochbauten Regelungsgegenstand sein kann (vgl. BTDrucks 12/4328, S. 22). Der Gesetzgeber hat damit die bereits unter der Geltung von § 8 LuftVG a.F. (Luftverkehrsgesetz i.d.F. vom 14. Januar 1981 – BGBl I S. 61) vom – seinerzeit für das Luftverkehrsrecht zuständigen – 4. Senat des erkennenden Gerichts vertretene Ansicht bestätigt, dass Flughafenhochbauten planfeststellungsfähig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juli 1990 – BVerwG 4 C 30.87 – BVerwGE 85, 251 ff.). Allerdings hatte der 4. Senat seinerzeit zusätzlich angenommen, dass es der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung in diesem Fall überlassen bleibe, „auch bauordnungsrechtliche Festlegungen zu treffen” (a.a.O., S. 256). Diese Aussage berücksichtigte nicht, dass ausweislich der Gesetzesbegründung (BTDrucks III/100, S. 13) speziell das Baugenehmigungsverfahren von der Planfeststellung ausgenommen bleiben sollte. Wie inzwischen erneut durch § 9 Abs. 1 Satz 3 LuftVG (i.d.F. von Art. 1 Nr. 8 des Elften Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes vom 25. August 1998 – BGBl I S. 2432) klargestellt worden ist (vgl. BTDrucks 13/9513, S. 27), sollte aus diesem Grunde durch § 8 Abs. 4 LuftVG zugleich die zuvor zitierte Aussage der Rechtsprechung korrigiert werden.
Unverändert festzuhalten ist dagegen an der weiteren Aussage des 4. Senats, dass die Entscheidung, ob die Zulassung von Flughafenhochbauten Anlass für die Durchführung einer Planfeststellung ist, in einemverwaltungsinternen Zwischenverfahren (a.a.O., S. 259) getroffen werden darf. Dieses ist von der Bauaufsichtsbehörde einzuleiten, sobald sich ihr die Frage stellt, ob das bei ihr zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben, das eine Änderung oder Erweiterung des Flughafens darstellt, i.S. von § 8 Abs. 3 Satz 1 LuftVG (= § 8 Abs. 2 Satz 1 LuftVG a.F.) von wesentlicher oder unwesentlicher Bedeutung ist (a.a.O., S. 258). In diesem Verfahren ist die Planfeststellungsbehörde zum einen dazu aufgerufen, darüber zu befinden, ob eine Änderung oder Erweiterung von wesentlicher Bedeutung vorliegt, die planfeststellungsbedürftig ist. Zum anderen hat sie, wenn sie einen Fall von nur unwesentlicher Bedeutung als gegeben ansieht, die Möglichkeit, das ihr in § 8 Abs. 3 Satz 1 LuftVG eingeräumte Ermessen („können”) dahingehend auszuüben, dennoch ein Planfeststellungsverfahren durchzuführen (a.a.O., S. 260). Letzteres kommt in Betracht, wenn der Flughafenbetreiber ein berechtigtes Interesse daran geltend macht, dass das Vorhaben Gegenstand einer Planfeststellung wird. In beiden der genannten Fälle ist die Bauaufsichtsbehörde gehindert, dem Bauantrag stattzugeben, ohne dass für das Vorhaben zuvor eine Planfeststellung beantragt und erfolgreich durchgeführt worden ist.
Entscheidet sich die Planfeststellungsbehörde – wie im vorliegenden Fall – dafür, von einer Planfeststellung abzusehen, so verlangt § 10 Abs. 1 Satz 3 LuftVG (= § 10 Abs. 1 Satz 2 LuftVG a.F.) nicht, dass diese Entscheidung in der Form eines Verwaltungsakts ergeht. Die Bauaufsichtsbehörde hat nunmehr das Bauantragsverfahren fortzusetzen und muss die Baugenehmigung erteilen, wenn das Vorhaben baurechtlich genehmigungsfähig ist. Dies hat notwendig Rückwirkungen auf die Drittbetroffenen zustehenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Mit der zitierten Rechtsprechung ist die von der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vertretene Meinung unvereinbar, ein Drittbetroffener müsse, wenn er das Vorhaben für planfeststellungsbedürftig halte, in jedem Fall gegen die Entscheidung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 LuftVG Klage erheben. Dies trifft nicht zu, wenn die Entscheidung – wie hier – verwaltungsintern geblieben ist. Mit der Billigung eines verwaltungsinternen Zwischenverfahrens hat die Rechtsprechung Dritte gerade der Anfechtungslast entheben wollen, die notwendig auf sie zugekommen wäre, wenn die Freistellung von der Planfeststellung in einem Verwaltungsakt auszusprechen wäre.
Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der 4. Senat des erkennenden Gerichts sowohl zum Personenbeförderungsgesetz wie auch zum Bundesfernstraßengesetz – vor ihrer Novellierung durch das Planungsvereinfachungsgesetz – angenommen hat, die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde, ein Änderungsvorhaben als unwesentlich von der Planfeststellung freizustellen, sei durch einen – von Dritten anfechtbaren – Verwaltungsakt zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 1976 – BVerwG 7 C 24.73 – Buchholz 442.01 § 28 PBefG Nr. 3, S. 4; Urteil vom 15. Januar 1982 – BVerwG 4 C 26.78 – BVerwGE 64, 325 ≪329 f.≫). Vor diesem Hintergrund hat der 4. Senat sich in seinem Urteil vom 20. Juli 1990 bezüglich des Luftverkehrsrechts bewusst für eine abweichende Lösung entschieden. Diese besteht darin, gegen eine Freistellungsentscheidung, die verwaltungsintern bleibt, kein Rechtsmittel zuzulassen.
Da Drittbetroffene die Baugenehmigung anfechten können, führt diese Lösung auch nicht zu einer Rechtsschutzlücke, wie sie die Klägerin befürchtet. Einem Drittbetroffenen steht zwar auch im Luftverkehrsrecht kein Anspruch auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens zu (vgl. die Zusammenfassung der Rechtsprechung in BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1990 – BVerwG 7 C 55 und 56.89 – BVerwGE 85, 368 ≪377≫). Er kann aber beanspruchen, dass ihm daraus, dass das Planfeststellungsverfahren rechtswidrig unterblieben ist, keine Beeinträchtigung seiner materiellen Rechtsposition erwächst (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1973 – BVerwG 4 C 50.71 – BVerwGE 44, 235 ≪240 f.≫). Eine derartige Beeinträchtigung liegt vor, wenn einem Drittbetroffenen die planerische Abwägung seiner dem Vorhaben entgegenstehenden Belange wegen der fehlerhaften Wahl der Verfahrensart versagt geblieben ist. Dies kann ein Drittbetroffener mit seiner Klage gegen die Baugenehmigung geltend machen.
Jede Baugenehmigung setzt nach Landesrecht – hier nach § 62 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung für Berlin (BauO Bln) i.d.F. vom 3. September 1997 (GVBl S. 421) – die Feststellung voraus, dass das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Diese Feststellung kann die Bauaufsichtsbehörde nicht ohne Rechtsverstoß treffen, wenn einem Drittbetroffenen dadurch sein Anspruch auf planerische Abwägung vorenthalten wird. Der Umstand, dass die Bauaufsichtsbehörde in dieser Beziehung keine eigene Entscheidungskompetenz besitzt, ändert nichts daran, dass sie es nach außen hin zu verantworten hat, wenn die von der Planfeststellungsbehörde nach § 10 Abs. 1 Satz 3 LuftVG getroffene Entscheidung Rechte Dritter verletzt. Die Anwendung von Normen, die Drittschutz vermitteln, führt nach Art. 19 Abs. 4 GG nämlich notwendig zu einer Klagebefugnis gegenüber derjenigen Behörde, die von Gesetzes wegen zu einem Verwaltungshandeln mit unmittelbarer Außenwirkung berufen ist.
§ 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 LuftVG – hier noch anwendbar in der vor In-Kraft-Treten der Neuregelung in Art. 17 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1950) – ist eine drittschützende Norm. Wenn die Vorschrift es zur Voraussetzung für die Freistellungsentscheidung macht, dass Rechte anderer nicht unmittelbar beeinflusst werden, verweist sie damit auf den Drittschutz, den das Abwägungsgebot des § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG vermittelt. Dieses Abwägungsgebot soll nicht zu Lasten Dritter umgangen werden können, indem anstelle des an sich gebotenen Planfeststellungsverfahrens nur ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt wird, das eine abwägende Berücksichtigung der dem Vorhaben entgegenstehenden privaten Belange nicht vorsieht. Die gerichtliche Überprüfung der Baugenehmigung umfasst aus diesem Grunde die Frage, ob das Vorhaben unter Beachtung von § 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 LuftVG als nicht planfeststellungsbedürftig eingestuft werden durfte.
Soweit die Klägerin dem Urteil vom 20. Juli 1990 Gegenteiliges entnehmen will, weil dort davon die Rede ist, es mache „die dennoch erteilte Baugenehmigung nicht rechtsfehlerhaft” (a.a.O., S. 258), wenn die Bauaufsichtsbehörde eine Änderung oder Erweiterung zu Unrecht verneint habe, ist ihr nicht zu folgen. Die zitierte Aussage steht in einem Zusammenhang, der darauf hindeutet, dass damit nicht der – hier vorliegende – Fall angesprochen ist, in dem die Baugenehmigung erst im Anschluss an eine Freistellungsentscheidung der Planfeststellungsbehörde erteilt wird. Mit dieser Aussage sollte offenbar lediglich darauf hingewiesen werden, dass eine verwaltungsinterne Beteiligung der Planfeststellungsbehörde nicht zwingend vorgeschrieben ist, wenn die Bauaufsichtsbehörde nicht einmal von einer Änderung oder Erweiterung des Flughafens ausgeht.
2. Auch das mit dem Hilfsantrag verfolgte Feststellungsbegehren erweist sich als unzulässig. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist eine Feststellungsklage nämlich nur zulässig, wenn der Kläger seine Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Die Klägerin hat hier – wie zuvor ausgeführt wurde – die Möglichkeit, gegen die Baugenehmigung eine Anfechtungsklage zu erheben mit der Folge, dass gerichtlich überprüft wird, ob das Vorhaben der Beigeladenen planfeststellungsbedürftig ist.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Kipp, Vallendar, Prof. Dr. Rubel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 26.09.2001 durch Oertel Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 158 |
IBR 2002, 41 |
NuR 2002, 490 |
ZLW 2002, 428 |
DVBl. 2002, 272 |
UPR 2002, 73 |