Leitsatz (redaktionell)
Beschlüsse und Urteile der Disziplinarsenate und der Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts – ebenso wie die Entscheidungen des ehemaligen Bundesdisziplinarhofs und des Bundesdisziplinargerichts – ergehen in einem Verfahren, in dem kraft Gesetzes im Interesse der Betroffenen die Öffentlichkeit in der Regel ausgeschlossen ist. In den Verfahren wird regelmäßig auch der Inhalt der nichtöffentlichen Personalakten erörtert und bei den Entscheidungen berücksichtigt. Zum Schutz berechtigter Interessen der betroffenen Personen und Dienststellen bedürfen die Entscheidungen daher vertraulicher Behandlung.
Eine Veröffentlichung der Entscheidungen wird im allgemeinen nur auszugsweise in Betracht kommen. Falls Sie eine Veröffentlichung beabsichtigen, empfiehlt es sich, über die Fassung ein Einvernehmen mit dem Vorsitzenden des Disziplinarsenats herbeizuführen.
Verfahrensgang
BDIG (Beschluss vom 01.11.1984; Aktenzeichen XIV VL 46/83) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Bundesdisziplinaranwalts wird der Beschluß des Bundesdisziplinargerichts, Kammer XIV – … –, vom 1. November 1984 aufgehoben.
Tatbestand
I.
1. Der Bundesdisziplinaranwalt legt den Beamten mit am 29. August 1983 beim Bundesdisziplinargericht eingegangener Anschuldigungsschrift als Dienstvergehen zur Last, seit 1975 seine politische Treuepflicht durch Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei und weitere Aktivitäten für diese Partei fortgesetzt verletzt zu haben.
2. Das Bundesdisziplinargericht, Kammer XIV – … –, hat das Verfahren mit Beschluß vom 1. November 1984 eingestellt, weil die Einleitungsbehörde in unzulässiger Weise vor der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens mit Verfügung vom 2. Februar 1983 durch Einstufung des Vorganges als Verschlußsache „VS-Vertraulich” bewirkt habe, daß anstelle des nach § 78 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG zur Mitwirkung berufenen zuständigen Personalrats lediglich der in diesem Pall nach § 93 Abs. 1 BPersVG zu bildende Ausschuß an der Einleitung des Verfahrens beteiligt worden sei; das hatte die Unwirksamkeit der Einleitungsverfügung zur Folge.
3. Der Bundesdisziplinaranwalt wendet sich mit seiner rechtzeitigen Beschwerde gegen diesen Beschluß. Er hält das Verfahren der Einleitungsbehörde für zulässig. Der Beamte hat sich auch nach Ablauf der ihm hierfür gesetzten Frist nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist begründet. Sie für zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens nach §§ 76 Abs. 3, 64 Abs. 1 Nr. 1 BDO sind nicht gegeben. Entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts leidet die Einleitungsverfügung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen nicht an einem schweren, nicht behebbaren Verfahrensmangel.
1. Der Senat läßt es auch in diesem Verfahren dahingestellt, ob die Prämisse des angefochtenen Beschlusses zutrifft, eine mangelhafte Beteiligung des Personalrats bei der Einleitung des Disziplinarverfahrens berühre die Rechtswirksamkeit der Einleitungsverfügung mit der Folge, daß das Verfahren einzustellen sei. Das bedarf hier keiner Entscheidung. Ein Mangel des Beteiligungsverfahrens ist nicht erkennbar. Die in § 78 Abs. 1 Nr. 3 Bundespersonalvertretungsgesetz – BPersVG – vom 15. März 1974 (BGBl. I S. 693) auf Antrag des Beamten vorgesehene Mitwirkung des Personalrats bei der Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens ist ordnungsgemäß geschehen. Zwar hatte die Einleitungsbehörde die den Beamten betreffenden Vorermittlungsakten mit dem Vermerk „VS-Vertraulich” versehen, so daß nicht der Hauptpersonalrat in seiner Gesamtheit, sondern der gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG gebildete Ausschuß mit der Sache befaßt wurde. Das Bundesdisziplinargericht hat hierin einen Verstoß gegen Vorschriften des Bundespersonalvertretungsgesetzes gesehen, der zur Unwirksamkeit der Einleitungsverfügung führe. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.
Daß anstelle des Hauptpersonalrats in seiner Gesamtheit nur der gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG gebildete Ausschuß das Mitwirkungsrecht des Personalrats nach § 78 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 3 BPersVG wahrgenommen hat, ist nicht zu beanstanden. Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG tritt an die Stelle der Personalvertretung ein Ausschuß, soweit eine Angelegenheit, an der eine Personalvertretung zu beteiligen ist, als Verschlußsache mindestens des Geheimhaltungsgrades „VS-Vertraulich” eingestuft ist. Diese Voraussetzung war hier gegeben, nachdem die Einleitungsbehörde die den Beamten betreffenden Vorgänge in einen solchen Geheimhaltungsgrad eingestuft hatte. Das hatte zur Folge, daß dem Hauptpersonalrat in seiner regelmäßigen. Zusammensetzung die Behandlung der Angelegenheit entzogen und die Zuständigkeit des Ausschusses nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG gegeben war. Das Bundesdisziplinargericht hat gemeint, darüber hinaus auch prüfen zu müssen, ob die Einstufung der Personalvorgänge des Beamten in den Geheimhaltungsgrad „VS-Vertraulich” mit der Verschlußsachenanweisung der Bundesregierung vereinbar war. Diese Auffassung kann nicht geteilt werden. Die Vorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG knüpft nach seinem eindeutigen Wortlaut die Zuständigkeit des Ausschusses allein an die Tatsache, daß die Angelegenheit als Verschlußsache mindestens des Geheimhaltungsgrades „VS-Vertraulich” eingestuft ist, nicht aber daran, ob eine solche Einstufung rechtmäßig war. Richtig ist zwar, daß die Dienststelle pflichtgemäß zu prüfen hat, ob eine Beteiligungsangelegenheit der Einstufung in einen Geheimhaltungsgrad bedarf oder ob sie nicht in eine für den Personalrat zugängliche Stufe eingeordnet werden kann (Fischer/Goeres, GKöD, Bd. V, RdNr. 3 zu § 93 BPersVG), denn schließlich ist die Personalvertretung in ihrer Gesamtheit das originäre Organ zur Interessenvertretung der Beschäftigten und nicht der Ausschuß. Inwieweit unter diesen Umständen in einem von der Personalvertretung zur Wahrung ihrer Rechte nach § 83 Abs. 1 BPersVG eingeleiteten Verfahren die Einstufung einer Angelegenheit als „VS-Vertraulich” der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. hierzu Kuhn/Sabottig, BPersVG, 1975, RdNr. 8 zu § 93), bedarf hier keiner Erörterung. Weder der Hauptpersonalrat noch der hier befaßt gewesene Ausschuß haben beanstandet, daß die ihm vorgelegten Verfahrensunterlagen als „VS-Vertraulich” eingestuft waren und schon gar nicht dieserhalb ein Verfahren nach § 83 Abs. 1 BPersVG anhängig gemacht.
Der einzelne Beamte wird, auch soweit gegen ihn ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet werden soll, durch die Anordnung der Geheimhaltung regelmäßig nicht in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt. Die in dein angefochtenen Beschluß vertretene Auffassung, in diesem Falle werde anstelle der Personalvertretung ein „aliud”, nämlich, der nach § 93 Abs. 1 Satz 2 BPersVG gebildete Ausschuß, tätig, überzeugt nicht. Der Ausschuß in dem in Satz 1 dieser Vorschrift genannten Fall ist die Personalvertretung im Sinne des Bundespersonalvertretungsgesetzes. Er hat alle durch §§ 68 Abs. 2, 69, 72 BPersVG für die Personalvertretung vorgesehenen Rechte, Aufgaben und Befugnisse (Fischer/Goeres, a.a.O., RdNr. 7 zu § 93 BPersVG). Lediglich seine Zusammensetzung ist gesondert geregelt. Durch eine Anordnung nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG können deshalb grundsätzlich nur Rechte der Personalvertretung in ihrer Gesamtheit, nicht dagegen diejenigen einzelner Beschäftigter berührt sein.
Eine Verletzung eigener Rechte des Beamten durch eine Maßnahme der Dienststelle nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG kann allerdings in Betracht kommen, wenn die Einstufung des ihn betreffenden Vorganges in einen Geheimhaltungsgrad zu dem Zweck geschieht, die Angelegenheit dem gegenüber dem Ausschuß regelmäßig größeren Plenum der Personalvertretung zu entziehen. Ein solcher Sachverhalt liegt hier jedoch entgegen der Behauptung des Beamten nicht vor. Schon im Hinblick darauf, daß sich der Ausschuß in anderen gleichgelagerten Fällen gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens ausgesprochen hatte, konnte die Einleitungsbehörde nicht damit rechnen, er werde nunmehr seine Meinung ändern und ihren Standpunkt billigen. Davon abgesehen, lagen aber auch sachliche Gründe vor, die die Einleitungsbehörde zu einer Prüfung veranlassen konnten, ob die dem Hauptpersonalrat vorgelegten Aktenvorgänge in einen Geheimhaltungsgrad einzustufen seien. Der Stellungnahme des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen vom 28. August 1984 ist zu entnehmen, daß der Entscheidung, ein Disziplinarverfahren gegen den Beamten einzuleiten auch Erkenntnisse u.a. des Bundesamts für Verfassungsschutz zugrunde lagen, die ihrer Natur nach der Geheimhaltung bedurften. Wäre der Hauptpersonalrat in seiner Gesamtheit mit der Angelegenheit befaßt worden, so hätten auch solche Mitglieder Zugang zu diesen Informationen gehabt, die nach den geltenden Geheimhaltungsbestimmungen hierzu nicht ermächtigt waren. Andererseits sollte dein Hauptpersonalrat eine umfassende Information gegeben werden. Ob diese Gründe sowie der umstand, daß Einzelheiten aus den Vorermittlungen in anderen gleichgelagerten Verfahren durch Indiskretionen vorzeitig in die Öffentlichkeit gelangt waren, eine Einstufung der Sache in einen der in § 7 Nr. 1 bis 3 der Verschlußsachenanweisung angeführten Geheimhaltungsgrade rechtfertigen konnten, kann hier dahinstehen. Von einem Mißbrauch der durch § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG gegebenen Möglichkeit, auf die es hier allein ankommt, kann jedenfalls keine Rede sein.
2. Weitere die Wirksamkeit der Einleitungsverfügung zu berühren geeignete Mängel sind nicht erkennbar. Insbesondere war hier die bei der Einleitungsbehörde gebildete Stufenvertretung, mithin der Hauptpersonalrat und nicht etwa der Personalrat der Beschäftigungsbehörde zuständig. Die Angelegenheit ist mit diesem ausreichend erörtert worden. Der diese Pflicht regelnde § 72 Abs. 1 BPersVG schreibt eine mündliche Verhandlung zwischen Dienststellenleiter und Personalrat nicht vor. Die Vorschrift gebietet auch nicht die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten. Der Konsultationspflicht ist deshalb auch dann genügt, wenn die Erörterung mit dem Personalrat schriftlich geschieht und dieser hinreichend Gelegenheit erhält, zur Einleitung des förmlichen Verfahrens im Rahmen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BPersVG Stellung zu nehmen. Das ist hier geschehen. Ob die Einleitungsbehörde dem Hauptpersonalrat gem. § 72 Abs. 3 BPersVG die Gründe schriftlich mitgeteilt hat, die sie veranlaßt hatten, seinen Einwendungen nicht zu entsprechen, kann hier dahinstehen. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 9. Mai 1984- – BVerwG 1 D 7.83 – ausgeführt, daß ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 72 Abs. 3 BPersVG dann keine rechtlichen Auswirkungen hat, wenn die zur Unterrichtung verpflichtete Dienststelle, wie hier, die oberste Dienstbehörde ist. Unbegründet ist auch die Büge, die Einleitungsbehörde habe zu Unrecht von der Untersuchung abgesehen. Ob die Wirksamkeit der vorher verfügten Verfahrenseinleitung dadurch überhaupt betroffen werden könnte, steht dahin, weil der Beamte in den Vorermittlungen ausreichend Gelegenheit hatte, sich zur Sache zu äußern.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Unterschriften
Dr. Schwarz, Janzen, Pellnitz
Fundstellen