Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitwirkung des Personalrats. Überprüfung einer Geheimhaltungseinstufung nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG im Disziplinarverfahren
Leitsatz (amtlich)
Im Disziplinarverfahren kann eine Anordnung nach § 93 Abs. 1 BPersVG dahin überprüft werden, ob die Einstufung des den Beamten betreffenden Vorgangs in einen Geheimhaltungsgrad zu dem Zweck erfolgt, die Angelegenheit dem Plenum der Personalvertretung zu entziehen.
Leitsatz (redaktionell)
Beschlüsse und Urteile der Disziplinarsenate und der Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts – ebenso wie die Entscheidungen des ehemaligen Bundesdisziplinarhofs und des Bundesdisziplinargerichts – ergehen in einem Verfahren, in dem kraft Gesetzes im Interesse der Betroffenen die Öffentlichkeit in der Regel ausgeschlossen ist. In den Verfahren wird regelmäßig auch der Inhalt der nichtöffentlichen Personalakten erörtert und bei den Entscheidungen berücksichtigt. Zum Schutz berechtigter Interessen der betroffenen Personen und Dienststellen bedürfen die Entscheidungen daher vertraulicher Behandlung.
Eine Veröffentlichung der Entscheidungen wird im allgemeinen nur auszugsweise in Betracht kommen. Falls Sie eine Veröffentlichung beabsichtigen, empfiehlt es sich, über die Fassung ein Einvernehmen mit dem Vorsitzenden des Disziplinarsenats herbeizuführen.
Verfahrensgang
BDIG (Beschluss vom 09.11.1984; Aktenzeichen II VL 36/83) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Bundesdisziplinaranwalts wird der Beschluß des Bundesdisziplinargerichts, Kammer II – … –, vom 9. November 1984 aufgehoben.
Die Entscheidung über die Kosten folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Tatbestand
I.
Nach Abschluß von Vorermittlungen, die die Einleitungsbehörde gegen den Beamten wegen des Verdachts eines Dienstvergehens hatte durchführen lassen, teilte sie dem Hauptpersonalrat mit Schreiben vom 22. Dezember 1982 mit, daß sie die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens beabsichtige, und bat hierzu um Stellungnahme, weil der Beamte die Mitwirkung der Personalvertretung beantragt hatte. Dieses Schreiben enthält den Vermerk „VS-Vertraulich, amtlich geheimhalten” sowie ein „VS-Vertr.”-Geschäftszeichen. Vermerk und Geschäftszeichen sind durch einen Beamten der Einleitungsbehörde am 23. Februar 1983 gestrichen und durch den handschriftlichen Vermerk „offen” ersetzt worden, nachdem der beim Hauptpersonalrat nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG gebildete Ausschuß mit Schreiben vom 21. Februar 1983 der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens widersprochen hatte.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat daraufhin mit Verfügung vom 15. März 1983 gegen den Beamten das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet und mit Zustimmung des Bundesdisziplinaranwalts von einer Untersuchung abgesehen. Am 11. August 1983 hat der Bundesdisziplinaranwalt den Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, daß er seine politische Treuepflicht durch Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei (…) und weitere Aktivitäten für diese Partei fortgesetzt verletzt habe. Der Beamte hat ein Dienstvergehen in Abrede gestellt und beantragt, das Disziplinarverfahren einzustellen, weil Mitwirkungsrechte des Personalrats verletzt worden sein. Auch sei in unzulässiger Weise von einer Untersuchung abgesehen worden.
Das Bundesdisziplinargericht hat durch Beschluß vom 9. November 1984 das Verfahren eingestellt, weil die Einleitungsverfügung an einem schweren, nicht behebbaren Verfahrensmangel leide. Die Personalvertretung sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Für eine Einschaltung des nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG bei dem Hauptpersonalrat gebildeten Ausschuß habe es an den rechtlichen Voraussetzungen gefehlt. Der dem Schreiben der Einleitungsbehörde vom 22. Dezember 1982 aufgestempelte Vermerk „VS-Vertraulich” sei nicht geeignet gewesen, den mitübersandten Vorermittlungsakten den erforderlichen Geheimhaltungsgrad materiell zu verschaffen.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des Bundesdisziplinaranwalts. Er macht im wesentlichen geltend: Die Einstufung der dem Hauptpersonalrat übersandten Aktenvorgänge als „VS-Vertraulich” sei ermessensfehlerfrei. Im übrigen beeinträchtige aber auch ein Verfahrensmangel im personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsverfahren nicht die Wirksamkeit der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens.
Der Beamte tritt der Beschwerde entgegen.
Er macht hierzu geltend, die durch das Bundesdisziplinargericht beschlossene Einstellung des Verfahrens rechtfertige sich im übrigen auch daraus, weil in unzulässiger. Weise von einer Untersuchung abgesehen worden sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde des Bundesdisziplinaranwalts hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 76 Abs. 3, 64 Abs. 1 Nr. 1 BDO sind nicht gegeben. Entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts leidet die Einleitungsverfügung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen nicht an einem schweren, nicht behebbaren Verfahrensmangel. Der Senat läßt es auch in diesem Verfahren dahingestellt, ob die Prämisse des angefochtenen Beschlusses zutrifft, eine mangelhafte Beteiligung der Personalvertretung bei der Einleitung des Disziplinarverfahrens berühre die Rechtswirksamkeit der Einleitungsverfügung mit der Felge, daß das Verfahren einzustellen sei. Das bedarf hier keiner Entscheidung. Ein Mangel des Beteiligungsverfahrens ist nicht erkennbar. Die in § 78 Abs. 1 Nr. 3 Bundespersonalvertretungsgesetz – BPersVG – vom 15. März 1974 (BGBl. I S. 693) auf Antrag des Beamten vorgesehene Mitwirkung des Personalrats bei der Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens ist ordnungsgemäß erfolgt. Zwar hatte die Einleitungsbehörde die den Beamten betreffenden Vorermittlungsakten mit dem Vermerk „VS-Vertraulich” versehen, so daß nicht der Hauptpersonalrat in seiner Gesamtheit, sondern der gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG gebildete Ausschuß mit der Sache befaßt wurde. Das Bundesdisziplinargericht hat hierin einen Verstoß gegen Vorschriften des Bundespersonalvertretungsgesetzes gesehen, der zur Unwirksamkeit der Einleitungsverfügung führe. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.
Daß anstelle des Hauptpersonalrats in seiner Gesamtheit nur der gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 und 2 BPersVG gebildete Ausschuß das Mitwirkungsrecht des Personalrats nach § 78 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 3 BPersVG wahrgenommen hat, ist beanstanden. Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG tritt an die Stelle der Personalvertretung ein Ausschuß, soweit eine Angelegenheit, an der eine Personalvertretung zu beteiligen ist, als Verschlußsache mindestens des Geheimhaltungsgrades „VS-Vertraulich” eingestuft ist. Diese Voraussetzung war hier gegeben, nachdem die Einleitungsbehörde die den Beamten betreffenden Aktenvorgänge in einen solchen Geheimhaltungsgrad eingestuft hatte. Das hatte zur Folge, daß dem Hauptpersonalrat in seiner regelmäßigen Zusammensetzung die Behandlung der Angelegenheit entzogen und die Zuständigkeit des Ausschusses nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG gegeben war. Das Bundesdisziplinargericht hat gemeint, darüber hinaus auch prüfen zu müssen, ob die Einstufung der Personalvorgänge des Beamten in den Geheimhaltungsgrad „VS-Vertraulich” mit der Verschlußsachenanweisung der Bundesregierung vom 2. März 1982 vereinbar war. Diese Auffassung kann der Senat nicht teilen. Eine solche Nachprüfung findet in Verfahren vor den Disziplinargerichten regelmäßig nicht statt. § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG knüpft nach seinem eindeutigen Wortlaut die Zuständigkeit des Ausschusses allein an die Tatsache, daß die Angelegenheit als Verschlußsache mindestens des Geheimhaltungsgrades „VS-Vertraulich” eingestuft ist, nicht aber daran, ob eine solche Einstufung rechtmäßig war. Richtig ist zwar, daß die Dienststelle pflichtgemäß zu prüfen hat, ob eine Beteiligungsangelegenheit der Einstufung in einen Geheimhaltungsgrad bedarf oder ob sie nicht in eine für den Personal rat zugängliche Stufe eingeordnet werden kann (Fischer/Goeres, GKöD, Band V, Rdnr. 3 zu § 93 BPersVG), denn schließlich ist die Personalvertretung in ihrer Gesamtheit das originäre Organ zur Interessenvertretung der Beschäftigten und nicht der Ausschuß. Inwieweit unter diesen Umständen in einem von der Personalvertretung zur Wahrung ihrer Rechte nach § 83 Abs. 1 BPersVG eingeleiteten Verfahren die Einstufung einer Angelegenheit als „VS-Vertraulich” der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. hierzu Kuhn/Sabottig, BPersVG, 1975, Rdnr. 8 zu § 93), bedarf hier keiner Erörterung. Weder der Hauptpersonalrat noch der an seine Stelle getretene Ausschuß haben beanstandet, daß die ihm vorgelegten Verfahrensunterlagen als „VS-Vertraulich” eingestuft waren und schon gar nicht dieserhalb ein Verfahren nach § 83 Abs. 1 BPersVG anhängig gemacht.
Der einzelne Beamte wird, auch soweit gegen ihn ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet werden soll, durch die Anordnung der Geheimhaltung regelmäßig nicht in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt. Die in dem angefochtenen Beschluß vertretene Auffassung, in diesem Falle werde anstelle der Personalvertretung ein „Aliud” nämlich der nach § 93 Abs. 1 Satz 2 BPersVG gebildete Ausschuß, tätig, ist unrichtig. Sie verkennt, daß der Ausschuß in dem in Satz 1 dieser Vorschrift genannten Fall die Personalvertretung im Sinne des Bundespersonalvertretungsgesetzes ist. Er hat alle durch § 68 Abs. 2, §§ 69, 72 BPersVG für die Personalvertretung vorgesehenen Rechte, Aufgaben und Befugnisse (Fischer/Goeres, a.a.O., Rdnr. 7 zu § 93 BPersVG). Lediglich seine Zusammensetzung ist gesondert geregelt. Durch eine Anordnung nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG können deshalb grundsätzlich nur Rechte der Personalvertretung in ihrer Gesamtheit, nicht dagegen diejenigen einzelner Beschäftigten berührt werden.
Eine Verletzung eigener Rechte des Beamten durch eine Maßnahme der Dienststelle nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG kann allerdings dann in Betracht kommen, wenn die Einstufung des ihn betreffenden Vorgangs in einen Geheimhaltungsgrad zu dem Zweck erfolgt, die Angelegenheit dem gegenüber dem Ausschuß regelmäßig größeren Plenum der Personalvertretung zu entziehen. Ein solcher Sachverhalt liegt jedoch hier entgegen der Behauptung des Beamten nicht vor. Schon im Hinblick darauf, daß sich der Ausschuß in anderen gleichgelagerten Fällen gegen die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ausgesprochen hatte, konnte die Einleitungsbehörde nicht damit rechnen, er werde nunmehr seine Meinung ändern und ihren Standpunkt billigen. Davon abgesehen lagen aber auch sachliche Gründe vor, die die Einleitungsbehörde zu einer Prüfung veranlassen konnten, ob die dem Hauptpersonalrat vorgelegten Aktenvorgänge in einen Geheimhaltungsgrad einzustufen seien. Der dienstlichen Äußerung des damals im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen mit der Angelegenheit befaßt gewesenen Ministerialdirigenten … vom 11. Juli 1984 ist zu entnehmen, daß der Entscheidung, ein Disziplinarverfahren gegen den Beamten einzuleiten, auch Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz zugrunde lagen, die ihrer Natur nach geheimhaltungsbedürftig waren. Wäre der Hauptpersonalrat in seiner Gesamtheit mit der Angelegenheit befaßt worden, so hätten auch solche Mitglieder Zugang zu diesen Informationen gehabt, die nach den geltenden Geheimhaltungsbestimmungen hierzu nicht ermächtigt waren. Andererseits sollte dem Hauptpersonalrat eine umfassende Information gegeben werden. Ob diese Gründe sowie der Umstand, daß Einzelheiten aus den Vorermittlungen in anderen gleichgelagerten Verfahren durch Indiskretionen vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt waren, eine Einstufung der Angelegenheit in einen der in § 7 Nr. 1 bis 3 der Verschlußsachenanweisung angeführten Geheimhaltungsgrade rechtfertigen konnten, kann hier dahinstehen. Von einem Mißbrauch der durch § 93 Abs. 1 Satz 1 BPersVG gegebenen Möglichkeit, auf die es hier allein ankommt, kann jedenfalls keine Rede sein.
Ein gemäß §§ 64 Abs. 1 Nr. 1, 76 Abs. 3 BDO zur Einstellung des Verfahrens führender Mangel liegt auch nicht darin, daß die Einleitungsbehörde von einer Untersuchung abgesehen hat. Die Voraussetzungen hierfür waren, wie das Bundesdisziplinargericht insoweit zutreffend ausgeführt hat, gegeben. Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 BDO kann mit Zustimmung des Bundesdisziplinaranwalts von einer Untersuchung abgesehen werden, wenn der Beamte in den Vorermittlungen gehört worden ist und der Sachverhalt und die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsamen umstände aufgeklärt sind. In dem angefochtenen Beschluß wird bereits darauf hingewiesen, daß der Beamte mit Ausnahme der ihm vorgeworfenen Mitgliedschaft in der … sowie seiner Zugehörigkeit zum Bezirksvorstand … dieser Partei, zu denen er keine Angaben macht, den ihm zur Last gelegten Sachverhalt, sich aktiv für die Ziele der … eingesetzt zu haben, einräumt. Er hat mehrfach unter Darstellung von Einzelheiten seiner Tätigkeit und seiner Motive solche Aktivitäten zugegeben. Soweit er in Abrede stellt, damit seine politische Treuepflicht nach § 52 Nr. 2 BBG verletzt zu haben, wendet er sich lediglich gegen die disziplinare Wertung des hinreichend aufgeklärten Sachverhalts, die Gegenstand der disziplinargerichtlichen Entscheidung sein wird und die nicht dem Untersuchungsführer obliegt.
Da Art und Umfang der Erörterung mit dem Personalrat hier nicht zu beanstanden (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 10. Mai 1984 – BVerwG 1 D 7.83) und sonstige Gründe, die die Einstellung des Verfahrens nach §§ 76 Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 BDO gebieten könnten nicht ersichtlich sind, wird das Bundesdisziplinargericht das Verfahren fortführen und in der Sache selbst entscheiden müssen.
Unterschriften
Dr. Schwarz, Janzen, Pellnitz
Fundstellen
Haufe-Index 1215811 |
BVerwGE, 322 |
DVBl. 1985, 742 |