Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Aktenzeichen 23 B 99.32503)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe sind zum Teil nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargetan, zum Teil liegen sie nicht vor.

Die Beschwerde rügt unter Punkt 1 der Beschwerdebegründung eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 1999 – BVerwG 9 C 15.99 – (BVerwGE 109, 353 = NVwZ 2000, 332). Sie macht geltend, das Berufungsgericht habe bei der Prüfung, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist sei, nur auf die kurdischen Provinzen im Nordirak abgestellt. Damit habe es sich in Widerspruch zu dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gesetzt, nach dem für die Prognose einer politischen Verfolgung stets das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen sei. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist damit schon deshalb nicht dargetan, weil sich der angegebene Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts erkennbar nur auf die Prüfung einer bei der Rückkehr in den Heimatstaat drohenden politischen Verfolgung bezieht (vgl. auch den amtlichen Leitsatz zu 1 der Entscheidung), nicht aber auf die Prüfung der Vorverfolgung. Bei dieser Prüfung ist vielmehr naturgemäß in erster Linie auf den konkreten Aufenthaltsort des Asylsuchenden vor seiner Ausreise abzustellen; andere Gebiete des Heimatstaates spielen bei festgestellter Verfolgung am Aufenthaltsort nur insofern eine Rolle, als sie eine inländische Fluchtalternative bieten. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es eine verfolgungsbedingte Ausreise des Klägers verneint hat, können deshalb von vornherein nicht in Widerspruch zu dem angegebenen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts stehen.

Soweit die Beschwerde unter Punkt 2 der Beschwerdebegründung eine Abweichung von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2000 – 2 BvR 260 und 1353/98 – (NVwZ 2000, 1165) rügt, fehlt es ebenfalls an der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Darlegung einer Divergenz. Die Beschwerde macht geltend, der vom Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellte Rechtssatz, eine inländische Fluchtalternative könne auch dort bestehen, wo eine staatliche oder staatsähnliche Friedensordnung nicht existiere, stehe in Widerspruch zu der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Sie zeigt indes keinen Rechtssatz aus dieser Entscheidung auf, aus dem sich der behauptete Widerspruch ergeben soll. Ein solcher Widerspruch kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss nicht mit den Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative befasst hat, sondern mit den Anforderungen, die an das Vorliegen einer staatsähnlichen oder quasistaatlichen Gewalt zu stellen sind. Auch die in diesem Zusammenhang von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, ob im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Nordirak immer noch, da er zumindest staatstheoretisch Teil des Irak sei, wegen fehlender Staatlichkeit oder Quasistaatlichkeit seiner Ordnung als inländische Fluchtalternative in Betracht komme, kann nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen. Denn die Beschwerde legt auch nicht ansatzweise dar, inwiefern sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Auswirkungen auf die von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative ergeben sollen, und zeigt damit weder die Klärungsfähigkeit noch die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage auf.

Die unter Punkt 3 der Beschwerdebegründung gerügte weitere Divergenz ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß dargetan. Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht verstoße mit seinen Feststellungen zur Eignung des Nordirak als inländische Fluchtalternative gegen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Dezember 1998 – BVerwG 9 C 17.98 – (BVerwGE 108, 84) und vom 5. Oktober 1999 (a.a.O.). In diesen Entscheidungen sei ausgeführt, dass auch gegen einzelne Personen gerichtete Anschläge die Verfolgungssicherheit und damit die Eignung des Nordirak als inländische Fluchtalternative ausschließen könnten. Da das Berufungsgericht festgestellt habe, dass sich nach dem Rückzug irakischer Truppen aus dem Nordirak die Infiltrationsmöglichkeiten für irakische Sicherheitsdienste vergrößert hätten und wiederholt Kurden in den nordöstlichen Provinzen Opfer von Mordanschlägen irakischer Agenten geworden seien, hätte es auf dieser Basis konsequenterweise eine inländische Fluchtalternative im Nordirak verneinen müssen. Abgesehen davon, dass die Beschwerde damit nicht eine Divergenz von Rechtssätzen, sondern lediglich eine fehlerhafte Anwendung eines vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatzes geltend macht, geht die Rüge schon im Ansatz von einem falschen Verständnis der genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht den Rechtssatz aufgestellt, dass ein Gebiet als inländische Fluchtalternative generell dann ausscheidet, wenn dort gegen einzelne Personen gerichtete Anschläge des Verfolgerstaates stattfinden, sondern hat die Verfolgungssicherheit und damit das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative nur für die Personen verneint, denen derartige Agentenanschläge tatsächlich drohen (Urteil vom 8. Dezember 1998 a.a.O. S. 91). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat aber der Kläger persönlich weder wegen seiner Vorfluchtaktivitäten noch wegen der ungenehmigten Ausreise und der Asylantragstellung in Deutschland derartige Anschläge zu befürchten (UA S. 6, 10 f.). Insofern steht die Berufungsentscheidung mit den genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts durchaus in Einklang. Deshalb geht auch der Hinweis der Beschwerde auf die nach ihrer Ansicht widersprüchliche Argumentation des Berufungsgerichts in diesem Zusammenhang fehl.

Die unter Punkt 4 der Beschwerdebegründung geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob die freiwillige zumutbare Erreichbarkeit des Gebiets der inländischen Fluchtalternative auf der Basis des vom Berufungsgericht angelegten generellen Maßstabs bejaht werden kann oder ob nicht im konkreten Einzelfall zu prüfen ist, ob der Kläger subjektiv die Möglichkeit einer zumutbaren freiwilligen Ausreise (hier: über das Transitland Türkei) überhaupt hat. Diese Frage ist, soweit sie überhaupt in einem Revisionsverfahren verallgemeinerungsfähig beantwortet werden kann, durch das inzwischen ergangene Urteil des Senats vom 16. Januar 2001 – BVerwG 9 C 16.00 – (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt) geklärt. Danach scheidet die Verweisung auf eine inländische Fluchtalternative im Heimatstaat erst dann aus, wenn feststeht, dass dem Asylbewerber die Rückkehr in diese Region des Heimatstaates dauerhaft nicht zumutbar möglich ist. Dies ist von den Gerichten zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 AsylVfG) im Wege der Prognose nach dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu beurteilen, wobei es in erster Linie Sache des Asylbewerbers ist, die dauerhafte Nichterreichbarkeit des Gebiets der inländischen Fluchtalternative substantiiert geltend zu machen (BVerwG a.a.O. UA S. 7 f.). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Eine Zulassung der Revision kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der nachträglichen Divergenz in Betracht, weil die rechtlichen Maßstäbe, von denen das Berufungsgericht bei der Prüfung der Erreichbarkeit des Nordirak ausgeht, nicht in Widerspruch zu der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehen.

Schließlich kann auch die unter Punkt 5 der Beschwerdebegründung geltend gemachte Divergenz nicht zur Zulassung der Revision führen. Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht sei im Rahmen der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zu Unrecht davon ausgegangen, dass in den nordirakischen Provinzen keine staatliche oder staatsähnliche Gewalt der dort herrschenden kurdischen Parteien KDP und PUK existiere; diese Feststellungen beruhten erkennbar auf der bisherigen, vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 10. August 2000 (a.a.O.) beanstandeten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an eine staatsähnliche Gewalt. Ob mit den näheren Ausführungen der Beschwerde hierzu eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ordnungsgemäß dargetan ist, kann dahinstehen. Denn unabhängig davon kommt eine Zulassung der Revision deshalb nicht in Betracht, weil sich die Versagung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO in entsprechender Anwendung). Nach den an anderer Stelle getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind nämlich die Angaben des Klägers über seine Bedrohung durch die KDP wegen unauflöslicher Widersprüche insgesamt nicht glaubhaft (UA S. 14). Da dem Kläger eine nach Lage der Dinge allein in Erwägung zu ziehende Verfolgung seitens der KDP nach diesen für das Revisionsgericht bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen nicht droht, käme es in einem Revisionsverfahren auf die Beurteilung der Staatsähnlichkeit der von der KDP ausgeübten Herrschaft im Nordirak im Ergebnis nicht an. Deshalb kann auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision insoweit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Beck, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI600260

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