Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Aktenzeichen 9 A 5371/97.A)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. April 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Mit der Frage,

„ob die Grundsätze über die inländische Fluchtalternative auch dann anwendbar sind, wenn der Verfolgerstaat in einer Region (wie hier: Der Irak in den autonomen kurdischen Provinzen im Norden) seine Gebietsgewalt vorübergehend praktisch verloren hat und der auf dieses Gebiet verwiesene Flüchtling dort schutzlos gestellt ist, weil in dem Gebiet ein schutzbereites und -fähiges Machtpotential nicht existiert” (Beschwerdebegründung S. 9),

bezeichnet die Beschwerde keine in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftige Rechtsfrage. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass die Grundsätze über die inländische Fluchtalternative auf die Verhältnisse im Nordirak anwendbar sind, obwohl der irakische Staat seine Gebietsgewalt dort vorübergehend faktisch verloren hat und dass es dabei nicht darauf ankommt, ob die Sicherheit vor (erneuter) Verfolgung am Ort der inländischen Fluchtalternative durch eine (andere) staatliche oder staatsähnliche Gewalt gewährleistet oder vermittelt wird und ob dort eine (andere) staatliche oder staatsähnliche Friedensordnung überhaupt existiert (Urteil vom 8. Dezember 1998 – BVerwG 9 C 17.98 – BVerwGE 108, 84 ≪88 ff.≫; seit dem stRspr, vgl. etwa Urteil vom 5. Oktober 1999 – BVerwG 9 C 15.99 – BVerwGE 109, 353 ≪355 ff.≫). Erneuten oder weitergehenden Klärungsbedarf zu dieser Frage zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei – entgegen der Auffassung der Beschwerde – den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 (BVerfGE 80, 315) nicht übersehen, sondern sich in seinem Urteil vom 8. Dezember 1998 ausdrücklich darauf bezogen. Zu Unrecht meint die Beschwerde dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts entnehmen zu können, es habe den Verweis des Ausländers auf eine inländische Fluchtalternative vom Vorhandensein einer staatlichen Schutzmacht in diesem Gebiet abhängig gemacht. Der von der Beschwerde zum Beleg hierfür herangezogenen Textstelle im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 („… so ist er gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG asylberechtigt, es sei denn, er kann in seinem eigenen Staat wieder Schutz finden.” ≪a.a.O. S. 345 2. Absatz≫) kann diese Bedeutung nach dem Begründungszusammenhang, in dem sie steht, ersichtlich nicht entnommen werden. So führt das Bundesverfassungsgericht in unmittelbarem Anschluss an die zitierte Textstelle aus:

„…; eine Anerkennung als Asylberechtigter ist nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht geboten, wenn der Asylsuchende vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher sein kann (vgl. BVerfGE 54, 341 ≪360≫). Gleiches gilt, wenn sich – bei fortbestehender regional begrenzter politischer Verfolgung – nach der Einreise in den Geltungsbereich des Grundgesetzes eine zumutbare inländische Fluchtalternative eröffnet. Dies setzt voraus, daß der vor Verfolgung Geflohene in diesen Landesteilen nicht nur vor politischer Verfolgung, sondern auch vor denjenigen Nachteilen und Gefahren hinreichend sicher ist, die ihm im Zeitpunkt seiner Flucht ein Ausweichen unzumutbar machten, und daß ihm auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren drohen, durch die er in eine ausweglose Lage geriete”.

Konstitutiv für die inländische Fluchtalternative sind danach auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allein die hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung und das Fehlen sonstiger Nachteile und Gefahren, die dem Ausländer ein Ausreisen in dieses Gebiet unzumutbar machten (ebenso bereits BVerfG, a.a.O., S. 344 letzter Absatz). Die Unterstellung unter eine übergeordnete Schutzmacht verlangt hingegen auch das Bundesverfassungsgericht insoweit nicht.

Die weiteren als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen (Beschwerdebegründung S. 9, Abs. 2 bis 5) bezeichnen gleichfalls keine klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung. Mit ihnen beanstandet die Beschwerde die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung sowie die Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht im Zusammenhang mit dessen Annahme einer inländischen Fluchtalternative im Nordirak, weil sie auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage erfolgt sei. In Wahrheit wendet sie sich damit in der Art einer Berufungsbegründung gegen die dem Tatsachengericht vorbehaltene Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Einen Revisionszulassungsgrund zeigt die Beschwerde in diesem Zusammenhang nicht auf.

Auch die von der Beschwerde gerügten Divergenzen liegen nicht vor.

Wie bereits ausgeführt, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 10. Juli 1989 (BVerfGE 80, 315) nicht den von der Beschwerde behaupteten Rechtssatz aufgestellt, der Schutz des Flüchtlings im Gebiet einer inländischen Fluchtalternative müsse „durch den Staat oder ein staatsähnliches schutzwilliges und -fähiges Machtpotential gewährleistet sein” (Beschwerdebegründung S. 14). Ein solcher Rechtssatz ergibt sich auch nicht aus den weiteren, von der Beschwerde hierfür in Anspruch genommenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 74, 51 und 76, 143).

Ohne Erfolg macht die Beschwerde schließlich auch eine Abweichung des Berufungsgerichts von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 1997 – BVerwG 9 C 9.96 – BVerwGE 104, 97) geltend. Der in jener Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht geforderte strenge Maßstab für die Annahme hinreichender Sicherheit vor erneuter politischer Verfolgung wird vom Berufungsgericht weder grundsätzlich in Frage gestellt noch verkannt. Mit der tatrichterlichen Feststellung, „objektive Anhaltspunkte, die eine Änderung dieser Situation in absehbarer Zeit und damit als ‚reale’ Möglichkeit erscheinen lassen, sind nicht gegeben” (BA S. 7), wird das Berufungsgericht den rechtlichen Anforderungen des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs gerecht. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat gerade aus Anlass von Entscheidungen zum Nordirak ausgeführt, dass der Ausländer dann nicht hinreichend sicher vor politischer Verfolgung wäre, wenn tatsächlich „die reale Möglichkeit” einer erneuten Gefährdung bestünde (BVerwGE 108, 84 ≪90≫) und dass der Nordirak als inländische Fluchtalternative nur dann in Betracht komme, wenn dort „nach der tatrichterlichen Prognose auf absehbare Zeit tatsächlich kein Verfolgungszugriff” zu befürchten sei (BVerwGE 109, 353 ≪357≫).

Die schließlich noch geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Beschwerdebegründung S. 6 Mitte) ist schon nicht ordnungsgemäß, sondern unstrukturiert – im Rahmen der Ausführungen zur Grundsatzrüge – und unschlüssig sowie ohne Mitteilung des verhinderten Vortrags, dargelegt (vgl. § 133 Abs. 3 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Hund, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI567180

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