Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Aktenzeichen 9 A 5076/98.A) |
Tenor
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 1999 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Fragen,
- „ob die nordirakischen Kurdenprovinzen angesichts des vom Deutschen Orient-Institut vorausgesagten horrenden Blutbades im Falle des wiederum ermöglichten Zugriffes der irakischen Staatsmacht auf diese Gebiete als inländische Fluchtalternative in Betracht kommen können, wenn das Deutsche Orient-Institut diesen Zugriff für die nächsten Jahre voraussagt” (Beschwerdebegründung S. 6);
- „ob es hinreichend sicher ist, daß die irakische Staatsmacht in absehbarer Zeitnicht mehr die Gebietsgewalt über die nordirakischen Kurdenprovinzen zurückgewinnt sowie
- ob es mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß die irakische Staatsmacht in absehbarer Zeit die unterbrochene Al-Anfal-Kampagne gegen die Kurden fortsetzt” (Beschwerdebegründung S. 8).
Die erste Frage würde sich in einem Revisionsverfahren schon deshalb nicht stellen, weil sie von tatsächlichen Annahmen des Deutschen Orient-Instituts ausgeht, die so nicht vom Berufungsgericht festgestellt wurden. Eigene Tatsachenfeststellungen sind dem Bundesverwaltungsgericht in der Revisionsinstanz jedoch grundsätzlich verwehrt. Im übrigen zielen alle drei Fragen in erster Linie auf die den Tatsachengerichten vorbehaltene Ermittlung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Irak, insbesondere in den nordirakischen Kurdenprovinzen. Soweit die Fragen in rechtlicher Hinsicht auch den hier für die Verfolgungsprognose anzulegenden Maßstab der hinreichenden Sicherheit zum Gegenstand haben, ist er in der Rechtsprechung des Senats rechtsgrundsätzlich umfassend geklärt (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 – BVerwG 9 C 17.98 – BVerwGE 108, 84 ≪89 ff.≫; Urteil vom 25. September 1984 – BVerwG 9 C 17.84 – BVerwGE 70, 169 ≪170≫; Urteil vom 27. April 1982 – BVerwG 9 C 308.81 – BVerwGE 65, 250 ≪251 f.≫ jew. m.w.N.). Soweit die Beschwerde meint, das Berufungsgericht lege einen falschen Maßstab an, wenn es auf hinreichende Sicherheit in bezug auf die Rückeroberung des Nordirak anstatt in bezug auf weitere „Verfolgungsgefahren oder ihnen gleichkommenden existenzbedrohenden Gefahren” abstelle (Beschwerdebegründung S. 8), scheint sie zu verkennen, daß der herabgestufte Prognosemaßstab der hinreichenden Sicherheit nach der zitierten Rechtsprechung nur für die Prüfung einer Gefahr (erneuter) politischer Verfolgung am Ort der Fluchtalternative gilt. Auch die Bemerkung (Beschwerdebegründung S. 7/8), die Feststellungen des Berufungsgerichts genügten nicht der verfassungsrechtlich zu fordernden „Entscheidungstiefe”, führt nicht auf einen Revisionszulassungsgrund.
Die von der Beschwerde weiter als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
„ob innerhalb des irakischen Staates in einem Gebiet (Nordirak), in welchem weder der irakische Staat noch eine quasi-staatsähnliche Organisationsform der Schutzfunktion nachkommt bzw. nachkommen kann oder will, mangels ausreichenden Schutzes überhaupt eine inländische Fluchtalternative angenommen werden kann” (Beschwerdebegründung S. 9),
ist hinsichtlich der in ihr enthaltenen Rechtsfrage, ob eine inländische Fluchtalternative auch dort bestehen kann, wo eine staatliche oder staatsähnliche Friedensordnung nicht existiert, im bejahenden Sinn geklärt (Urteil des Senats vom 8. Dezember 1998, a.a.O.). Neue oder weitergehende Rechtsfragen hierzu zeigt die Beschwerde nicht auf.
Die Beschwerde rügt eine Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) des Berufungsgerichts von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 1999 – BVerwG 9 C 15.99 – (= NVwZ 2000, 332) und vom 16. November 1999 – BVerwG 9 C 4.99 – (= NVwZ 2000, 331). Gemessen an diesen Entscheidungen habe das Berufungsgericht einen falschen Maßstab bei der Beurteilung des dem Beigeladenen drohenden Verfolgungsrisikos angelegt: zum einen bei der Bewertung seiner Schilderung des Vorfluchtgeschehens – wonach er nach der Verhaftung des Kontaktmannes in Mossul und der Ermordung seines Mitschülers und Helfers beim Flugblatttransport unmittelbar darauf in Arbil selbst eine entsprechende Bedrohung durch den irakischen Geheimdienst befürchtet habe – als „reine Spekulation”, zum anderen bei der Beurteilung der Gefahr eines Wiedereinmarsches durch die irakische Armee in die Kurdengebiete (Beschwerdebegründung S. 10 ff.). Damit genügt die Beschwerde schon nicht den Anforderungen an die hinreichende Darlegung einer Divergenz. Denn sie benennt im Hinblick auf keinen der beiden Sachverhalte – wie nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO geboten – einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten und dessen Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (zu diesen Anforderungen vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Mit den Angriffen gegen die tatrichterliche Würdigung des Vorfluchtvorbringens des Beigeladenen durch das Berufungsgericht, wie sie die Beschwerde im Kern geltend macht, kann die Abweichungsrüge nicht begründet werden (vgl. dazu etwa BVerwG, Beschluß vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302).
Zu Unrecht rügt die Beschwerde in diesem Zusammenhang – wiederum ohne ordnungsgemäße Bezeichnung eines Rechtssatzwiderspruchs –, das Berufungsgericht habe „entgegen der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts” (Beschwerdebegründung S. 12) nicht geprüft, ob der Wiedereinmarsch der irakischen Armee in die Kurdengebiete mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Mit dieser Frage hat sich das Berufungsgericht im übrigen auf den Seiten 8 bis 10 seines Beschlusses auseinandergesetzt, worauf die Beschwerde im Rahmen ihrer Grundsatzrüge auch näher eingegangen ist. Das Berufungsgericht hat hierbei nicht die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Sicherheit vor politischer Verfolgung rechtsmaßstäblich verkannt. Dies wäre zwar der Fall, wenn es – wie die Beschwerde der Sache nach vor allem im Rahmen der Grundsatzrüge geltend macht – im Anschluß an die Stellungnahmen des Deutschen Orient-Instituts vom 30. März 1999 und vom 30. Juni 1999 den Wiedereinmarsch der irakischen Armee in die kurdischen Autonomiegebiete für jederzeit möglich hielte. Denn der beschließende Senat hat in seinem Urteil vom 5. Oktober 1999 – BVerwG 9 C 15.99 – a.a.O. (UA S. 8) ausgeführt, der Nordirak komme als inländische Fluchtalternative „allerdings nur dann in Betracht, wenn die Beigeladenen dort nach der tatrichterlichen Prognose auf absehbare Zeit tatsächlich keinem Verfolgungszugriff durch den irakischen Staat … ausgesetzt wären”. Eine Aussage des Inhalts, daß ein Verfolgungszugriff nach Rückeroberung jederzeit möglich erscheine, kann dem Beschluß des Berufungsgerichts indes nicht entnommen werden. Das Gericht stellt vielmehr unter Verweis auf sein Grundsatzurteil vom 5. Mai 1999 – 9 A 4671/98.A – ausdrücklich fest, daß es u.a. den zentralirakischen Behörden in den autonomen Kurdengebieten im Norden des Irak an der für eine politische Verfolgung erforderlichen Gebietsgewalt fehle und keine objektiven Anhaltspunkte dafür gegeben seien, „die eine Änderung dieser Situation in absehbarer Zeit und damit als ‚reale’ Möglichkeit erscheinen lassen” (BA S. 8 sowie S. 45 ff. des in Bezug genommenen Urteils des Berufungsgerichts vom 5. Mai 1999). An dieser Lagebeurteilung hält das Berufungsgericht auch unter Berücksichtigung der genannten Stellungnahmen des Deutschen Orient-Instituts, auf die sich der Beigeladene berufen hat, ausdrücklich fest (BA S. 8 unten).
Auch die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg. Das Vorbringen des Beigeladenen zu den Geschehnissen vor seiner Flucht aus dem Nordirak hat das Berufungsgericht in seinem Tatsachenkern seiner Entscheidung zugrunde gelegt; es hat lediglich nicht die von der Beschwerde erwarteten Schlußfolgerungen hieraus gezogen. Einen Gehörsverstoß bedeutet dies nicht. Die Tatsachenwürdigung des Berufungsgerichts, auch unter Berücksichtigung der kurz zuvor erfolgten Verhaftung des Kontaktmanns in Mossul bleibe völlig offen, ob die Ermordung des Mitschülers des Beigeladenen in Arbil auf Veranlassung des irakischen Geheimdienstes erfolgt sei (BA S. 10 f.), ist keinesfalls willkürlich. Es kann auch keine Rede davon sein, daß diese Würdigung des Berufungsgerichts für den Beigeladenen eine unzulässige Überraschungsentscheidung darstelle; insbesondere konnte der bisherige Verfahrensverlauf dem Beigeladenen keine Anhaltspunkte für die berechtigte Annahme geben, das Berufungsgericht werde die von ihm erwartete Schlußfolgerung aus seinem Vorfluchtvortrag ziehen, zumal da es weder für das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge noch für das Verwaltungsgericht auf diesen Vortrag angekommen war.
Die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang erhobene Aufklärungsrüge ist schon nicht hinreichend dargetan. Sie zeigt nicht auf, weshalb sich dem Berufungsgericht Aufklärungsmaßnahmen zur Bewertung des Vorfluchtgeschehens hätten aufdrängen müssen, obwohl der anwaltlich vertretene Beigeladene hierzu keine Beweisanträge gestellt hatte, inwiefern das Auswärtige Amt oder das Deutsche Orient-Institut sachkundige Auskünfte zu der offenen Frage erteilen könnten, ob der Mord an dem Mitschüler auf Veranlassung des irakischen Geheimdienstes erfolgt ist und welche voraussichtlichen Erkenntnisse von ihnen zu erwarten gewesen wären (zu diesen Anforderungen vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. August 1997, a.a.O.).
Soweit die Beschwerde schließlich „eine unter Verletzung seines rechtlichen Gehörs ergangene Überraschungsentscheidung” im Zusammenhang mit den Feststellungen des Berufungsgerichts zur Frage des Existenzminimums in den kurdischen Autonomiegebieten rügt, legt sie schon nicht schlüssig dar, daß der Beschluß des Berufungsgerichts auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen könnte. Hierfür sind im übrigen auch keine Anhaltspunkte ersichtlich. Denn ein Ausländer, dem in seinem Heimatland politische Verfolgung droht, kann einer Verweisung auf Gebietsteile in dem Heimatstaat, in denen er vor dieser Verfolgung hinreichend sicher ist, regelmäßig nur dann ihm dort drohende andere unzumutbare Nachteile – wie etwa ein Leben unter dem Existenzminimum – entgegenhalten, wenn sie an seinem Herkunftsort so nicht bestünden. Hat der Ausländer hingegen, wie hier der Beigeladene, vor seiner Ausreise in dieser Gegend gelebt, die nunmehr als inländische Fluchtalternative in Frage kommt, kann er sich regelmäßig nicht auf ihm dort drohende sonstige Gefahren und Nachteile berufen, sofern sie nicht verfolgungsbedingt sind (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1999 – BVerwG 9 C 15.99 – a.a.O.; Urteil vom 9. September 1997 – BVerwG 9 C 43.96 – BVerwGE 105, 204 ≪211 ff.≫). Im übrigen trifft der Vorwurf der Beschwerde, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Beigeladenen insoweit nicht zur Kenntnis genommen oder seiner Entscheidung fehlerhaft zugrunde gelegt, nicht zu. Das Berufungsgericht geht von der Behauptung des Beigeladenen aus, seine Eltern seien mittlerweile aus dem Irak geflohen (BA S. 12 oben). Daß die Familie seiner Frau „verschollen” sei, wie die Beschwerde nunmehr geltend macht, hat der Beigeladene entgegen ihrer Behauptung im Berufungsverfahren nicht vorgetragen. Im Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Beigeladenen vom 9. Dezember 1999 (GA Bl. 141 ff.) heißt es insoweit lediglich, der Beigeladene wisse nicht, wo sich seine Ehefrau befinde, und auch ein Freund, der von einer Reise aus Arbil zurückgekehrt sei, habe den Aufenthalt seiner Ehefrau nicht feststellen können und keine Informationen über die Eltern seiner Ehefrau. Das Berufungsgericht nimmt schließlich, entgegen der Behauptung der Beschwerde, auch nicht an, die KDP werde den Beigeladenen bei seiner Rückkehr in den Nordirak finanziell unterstützen; es spricht lediglich die Erwartung aus, daß er als Kurde und Mitglied der Studenten und Jugendlichen Kurdistans der KDP über diese Organisation Informationen über den Aufenthalt seiner Eltern und seiner Ehefrau und deren Familie erlangen können wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Hund, Dr. Eichberger
Fundstellen