Leitsatz (amtlich)
Normative Zulassung der Anwesenheit prüfungskommissionsfremder Personen bei der Notenberatung.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 29.09.2022; Aktenzeichen 19 A 295/21) |
VG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 02.12.2020; Aktenzeichen 4 K 1177/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. September 2022 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Die Klägerin unterzog sich am 31. August 2018 der zweiten Wiederholung der mündlichen Prüfung in der Fachwissenschaft im Fach Englisch im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen gemäß der für sie noch anwendbaren Ordnung der Ersten Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen (Lehramtsprüfungsordnung - LPO) des beklagten Landes vom 27. März 2003 (GV. NRW. S. 182), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Juni 2006 (GV. NRW. S. 278) - LPO NW 2003. Mit Bescheid vom 10. September 2018 setzte das Landesprüfungsamt für Lehrämter an Schulen des Beklagten für die Prüfungsleistung der mündlichen Prüfung in der Fachwissenschaft im Fach Englisch die Note "mangelhaft" (5,0) fest und traf die Feststellung, dass die Klägerin die Erste Staatsprüfung endgültig nicht bestanden habe.
Rz. 2
Mit der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen, auf die Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Durchführung der mündlichen Prüfung als zweite Wiederholung gerichteten Klage hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Erfolg gehabt. Die mündliche Prüfung vom 31. August 2018 sei - so das Verwaltungsgericht - verfahrensfehlerhaft durchgeführt worden, weil mit Herrn Dr. K., dem kommissarischen Leiter der Außenstelle Paderborn des Landesprüfungsamts, ein dazu nicht Berechtigter an der Notenberatung der beiden Prüferinnen über die mündliche Prüfung teilgenommen habe. Die Regelung des § 31 Abs. 2 LPO NW 2003, wonach bei den Beratungen über die Festsetzung der Note für mündliche Prüfungsleistungen neben den Prüfern auch Leitungsmitglieder des Prüfungsamts (§ 30 Abs. 5 LPO NW 2003) anwesend sein dürfen, sei in Bezug auf die letztgenannten Personen mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und deshalb nicht anzuwenden. Das Gebot der Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Prüfer bei der Leistungsbewertung werde beeinträchtigt, ohne dass dies durch einen legitimen Zweck gerechtfertigt sei.
Rz. 3
Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. Durch die in § 31 Abs. 2 LPO NW 2003 - wie auch in der Nachfolgeregelung des § 31 Abs. 4 Satz 2 der nordrhein-westfälischen Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen vom 10. April 2011 (GV. NRW. S. 218) - enthaltene ausdrückliche Bestimmung, dass bei der Beratung und Feststellung des Prüfungsergebnisses neben den Prüfern auch Leitungsmitglieder des Prüfungsamts zugegen sein dürften, unterscheide sich das nordrhein-westfälische Lehramtsprüfungsrecht von Prüfungsordnungen, die nur die Anwesenheit prüfungskommissionsfremder Personen bei der mündlichen Prüfung selbst zuließen, wie sie in § 31 Abs. 4 LPO NW 2003 eigenständig geregelt sei. Während nach den letztgenannten Regelungen eine Anwesenheit prüfungskommissionsfremder Personen bei der Beratung über die mündliche Prüfungsleistung nach allgemeinen prüfungsrechtlichen Grundsätzen unzulässig sei, sei die in § 31 Abs. 2 LPO NW 2003 getroffene Anwesenheitsregelung durch Sachgründe gerechtfertigt. Durch die Anwesenheit von Leitungsmitgliedern des Prüfungsamts auch bei der Beratung der Prüfungskommission könne das nach dem Landesrecht für die administrativ-organisatorische und institutionelle Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens verantwortliche Amt Erkenntnisse über die sachdienliche Fortentwicklung des Prüfungsverfahrens erlangen. Daneben entfalte die Anwesenheit der genannten Personen eine Schutzwirkung für die Interessen sowohl der Prüflinge als auch der Prüfer. Ein dem Erfordernis der eigenständigen und unabhängigen Bewertung widersprechendes erhebliches Risiko einer Beeinflussung der Prüfer könne bei einer solchen Anwesenheitsregelung nur dann angenommen werden, wenn dafür im Einzelfall Anhaltspunkte bestünden. Dies sei hier nicht der Fall. Schließlich habe das Verwaltungsgericht ohne Rechtsfehler erkannt, dass Herr Dr. K. Leitungsmitglied des Prüfungsamts gemäß § 31 Abs. 2 i. V. m. § 30 Abs. 5 LPO NW 2003 gewesen sei.
Rz. 4
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der der Beklagte entgegentritt.
II
Rz. 5
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 6
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Dies kann auf der Grundlage der Darlegungen in der Beschwerdebegründung, die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO für die Entscheidung des Senats maßgeblich sind, nicht angenommen werden.
Rz. 7
1. Die Beschwerde wirft zunächst als grundsätzlich bedeutsam folgende Fragen auf:
"Ist eine prüfungsordnungsrechtliche Regelung, die die Anwesenheit prüfungskommissionsfremder Dritter bei der Notenberatung gestattet, mit höherrangigem Recht vereinbar?",
und
"Ist die prüfungsordnungsrechtliche Regelung des § 31 Abs. 2 LPO NRW 2003 - sowie dessen aktuelles Pendant in § 31 Abs. 4 S. 2 OVP NRW -, die die Anwesenheit der dort genannten Dritten bei der Notenberatung gestattet, mit höherrangigem Recht vereinbar?"
Rz. 8
Diese miteinander im Zusammenhang stehenden Fragen, die die Vereinbarkeit der Anwesenheit von nicht der Prüfungskommission angehörenden Personen bei der Beratung über die Festsetzung der Noten mit den aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG ableitbaren prüfungsrechtlichen Grundsätzen thematisieren, können die Zulassung der Grundsatzrevision nicht rechtfertigen. Sie bedürfen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil die betreffende Problematik - soweit hier von Belang - in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt ist.
Rz. 9
Aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sind für berufsbezogene Abschlussprüfungen die Regelungen über das Verfahren der Bewertung der Prüfungsleistungen, die Bestehensvoraussetzungen und die Notenvergabe rechtssatzmäßig festzulegen. Diese Regelungen müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein, um eine Feststellung über die berufliche Qualifikation der Bewerber zu erreichen. Es bedarf einer objektivitäts- und neutralitätssichernden Ausgestaltung des Bewertungsverfahrens. Die Regelungen müssen zudem dem prüfungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG genügen. Der Normgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass für alle Teilnehmer vergleichbarer Prüfungen so weit wie möglich gleiche Prüfungsbedingungen und Bewertungsmaßstäbe gelten. Für das Prüfungsverfahren, das heißt für Form und Verlauf der Prüfungen, müssen einheitliche Regeln bestehen, die auch einheitlich angewandt werden. Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Teilnehmer oder Teilnehmergruppen müssen vermieden werden, um gleiche Erfolgschancen zu gewährleisten. Sämtliche mit einer Bewertung betrauten Prüfer müssen ihre Beurteilung der Prüfungsleistung eigenständig und unabhängig voneinander vornehmen (vgl. zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 - BVerfGE 84, 34 ≪45 f., 52≫; BVerwG, Beschlüsse vom 9. Oktober 2012 - 6 B 39.12 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 417 Rn. 5, 7 und vom 5. März 2018 - 6 B 71.17 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 429 Rn. 8; Urteile vom 10. April 2019 - 6 C 19.18 - BVerwGE 165, 202 Rn. 11 f. und vom 28. Oktober 2020 - 6 C 8.19 - BVerwGE 170, 1 Rn. 21).
Rz. 10
Hiernach ist es, sofern nicht eine anderweitige ausdrückliche Regelung des zuständigen Normgebers besteht, im Grundsatz nicht angängig, dass bei der Beratung einer Prüfungskommission, die den Kernbereich der Prüfertätigkeit darstellt, andere Personen als die bestellten Prüfer anwesend sind. Durch diese grundsätzliche Exklusivität wird der Besonderheit des Prüfungsverfahrens Rechnung getragen, welche durch die Unabhängigkeit der Prüfer, den diesen zuerkannten Beurteilungsspielraum und die Vertraulichkeit ihrer Beratung geprägt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 2009 - 6 P 8.08 - BVerwGE 133, 289 Rn. 35 zu der bis zum 14. Juni 2021 geltenden Fassung des § 80 BPersVG; BFH, Urteil vom 18. September 2012 - VII R 41/11 - BFHE 239, 280 Rn. 18 ff.). Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht in dem von der Beschwerde angegriffenen Urteil zutreffend ausgegangen (vgl. hierzu im Übrigen: Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022 Rn. 452 m. w. N.). Das angegriffene Urteil befindet sich indes auch mit der Annahme, dass im Fall der ausdrücklichen normativen Zulassung der Anwesenheit prüfungskommissionsfremder Personen etwas Anderes gilt, im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach kann der zuständige Normgeber die Exklusivität der Beratung einer Prüfungskommission in Ausübung des ihm insoweit zustehenden Regelungsspielraums modifizieren und gestalten (BVerwG, Beschluss vom 25. März 2009 a. a. O; im Ergebnis ebenso BFH, Urteil vom 18. September 2012 a. a. O.), sofern ihm dafür ein sachlicher Grund zur Seite steht.
Rz. 11
Das Oberverwaltungsgericht hat als Sachgrund für die durch § 31 Abs. 2 LPO NRW 2003 ausdrücklich modifizierte Exklusivität der Beratung der Prüfungskommission durch die Zulassung der Anwesenheit von Leitungsmitgliedern des Prüfungsamts in seiner den Senat nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO bindenden Auslegung des Landesrechts in erster Linie die Erlangung von Erkenntnissen für die sachdienliche Fortentwicklung des Prüfungsverfahrens identifiziert. Dafür, dass der nordrhein-westfälische Verordnungsgeber durch das Abstellen vor allem auf diesen Sachgrund seinen Regelungsspielraum überschritten haben könnte, ist entgegen der Ansicht der Beschwerde nach Maßgabe des revisiblen Rechts nichts ersichtlich. Insbesondere spricht entgegen der Ansicht der Beschwerde nichts durchgreifend dafür, dass § 31 Abs. 2 LPO NRW 2003 einen Raum für die Ausübung eines unzulässigen Einflusses auf die Prüfer bei der Bewertung der Prüfungsleistungen geschaffen hätte. Das Prüfungsrecht ist insgesamt von dem Bild eines Prüfers geprägt, der zu einer selbständigen, eigenverantwortlichen, nur seinem Wissen und Gewissen verpflichteten Bewertung fähig und bereit ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2012 - 6 C 19.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 412 Rn. 35 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für unterschiedliche Fallgestaltungen). Dieses Bild durfte auch der Normgeber des § 31 Abs. 2 LPO NW 2003 zu Grunde legen.
Rz. 12
2. Die Beschwerde sieht des Weiteren grundsätzlichen Klärungsbedarf mit der Frage verbunden:
"Werden Leiter einer Außenstelle des Prüfungsamtes durch den in den §§ 31 Abs. 2, 30 Abs. 5 LPO NRW 2003 geregelten Personenkreis erfasst?"
Rz. 13
Auch diese Frage führt auf keine die Zulassung der Revision rechtfertigende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Sie wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, denn sie bezieht sich ausschließlich auf die von dem Oberverwaltungsgericht im Rahmen des nach § 137 Abs. 1 VwGO nicht revisiblen Landesrechts vorgenommene Auslegung von § 31 Abs. 2 und § 30 Abs. 5 LPO NRW 2003.
Rz. 14
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich unter Berücksichtigung von Ziffer 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen