Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 05.05.2022; Aktenzeichen 10 K 2997/19) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 5. Mai 2022 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I
Rz. 1
Die Kläger begehren die Überprüfung von Bescheiden, mit denen sie jeweils für die Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen für ihre beiden Kinder in einer gemeindlichen Kindertagesstätte zu Elternbeiträgen herangezogen worden sind.
Rz. 2
Mit mehreren im Zeitraum von November 2014 bis September 2018 erlassenen Bescheiden zog der Beklagte die Kläger auf der Grundlage seiner Gebührensatzung für die Inanspruchnahme von kommunalen Kindertagesbetreuungsleistungen (in Kindertagesstätten, Tagespflegestellen und anderen Angeboten) - Kita-Gebührensatzung - vom 31. August 2004 zu einem monatlichen Elternbeitrag heran. In der dieser Satzung zugrunde liegenden Kalkulation der Platzkosten für die Jahre 2014, 2017 und 2018 wurden als Erlöse unter anderem Zuschüsse des Landkreises gemäß § 16 Abs. 2 und § 16a Abs. 2 KitaG BB einbezogen. Außerdem wurden als Kosten unter anderem auch grundstücks- und gebäudebezogene Betriebskosten wie "Miete/Pacht/AfA für Gebäude", "Heizungskosten" sowie "Reinigung und Sanitärbedarf" eingestellt.
Rz. 3
Mit Schreiben vom 22. November 2018 beantragten die Kläger bei dem Beklagten die Überprüfung der ihnen gegenüber festgesetzten Kostenbeiträge gemäß § 44 SGB X. Hierauf teilte der Beklagte den Klägern Anfang Januar 2019 mit, dass derzeit eine neue Elternbeitragssatzung erarbeitet werde.
Rz. 4
Mit Urteil vom 5. Mai 2022 hat das Verwaltungsgericht die Klage der Kläger, gerichtet auf Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung ihres Antrags auf Überprüfung der Kostenbeitragsbescheide, abgewiesen. Die Klage sei zwar als Untätigkeitsklage zulässig, da über den Antrag der Kläger vom 22. November 2018 ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden sei. Der Hinweis des Beklagten, dass die Verwaltung auf Grundlage einer zwischenzeitlich durchgeführten Kalkulation eine neue Elternbeitragssatzung erarbeite, die im Laufe des 1. Quartals 2019 von der Gemeindevertretung beschlossen werden solle, stelle keinen derartigen Grund dar. Die Klage sei aber unbegründet. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme der unanfechtbar gewordenen Kostenbeitragsbescheide. Diese seien nicht rechtswidrig. Die Kammer habe zwar erhebliche Zweifel an der Auffassung des übergeordneten Oberverwaltungsgerichts, dass eine Berücksichtigung von gebäude- und grundstücksbezogenen Betriebskosten (vgl. § 16 Abs. 3 Satz 1 KitaG BB) wie etwa Miete, Pacht, Absetzung für Abnutzungen, Gebäudereinigung und Heizungskosten in der Kalkulation der Elternbeiträge zulässig sei. Sie schließe sich aber trotz der im Einzelnen dargelegten gravierenden Bedenken allein zur Wahrung der Rechtsprechungseinheit einstweilen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts an.
Rz. 5
Gegen das ihnen am 20. Juni 2022 zugestellte Urteil haben die Kläger am 19. Juli 2022 beim Verwaltungsgericht die im Urteil zugelassene (Sprung-)Revision eingelegt. Sie sind der Ansicht, die Revision sei zulässig. Die der Revisionsbegründung vom 15. August 2022 als beglaubigte Abschrift beigefügte Zustimmungserklärung des Beklagten vom 1. September 2020 beziehe sich ausdrücklich auch auf die Einlegung der Revision, nicht nur auf den Antrag auf Zulassung der Revision. Der Beklagte habe seine Zustimmung zur Sprungrevision zum besagten Zeitpunkt in Kenntnis der unterschiedlichen Rechtsauffassungen des Verwaltungsgerichts Potsdam und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg über die Berücksichtigungsfähigkeit von grundstücks- und gebäudebezogenen Kosten in der Kalkulation von Elternbeiträgen abgegeben. Entsprechendes gelte auch für ihre ebenfalls als beglaubigte Abschrift vorgelegte Zustimmungserklärung vom 11. August 2020.
Rz. 6
Der Beklagte hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
II
Rz. 7
Die Revision der Kläger ist unzulässig und deshalb nach § 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss in der Besetzung des Gerichts nach § 10 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO zu verwerfen.
Rz. 8
1. Die mit Schriftsatz vom 19. Juli 2022 eingelegte Sprungrevision entspricht nicht der gesetzlichen Form (§ 134 Abs. 1 Satz 3, § 143 Satz 1 VwGO).
Rz. 9
Nach § 134 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht den Beteiligten gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Kläger und der Beklagte der Einlegung der Sprungrevision schriftlich zustimmen und sie vom Verwaltungsgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Bezüglich der Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision ist das Formerfordernis des § 134 Abs. 1 Satz 3 VwGO zu beachten. Danach ist die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision, wenn die Revision - wie hier - im Urteil zugelassen ist, der Revisionsschrift beizufügen (§ 134 Abs. 1 Satz 3 VwGO) oder innerhalb der Revisionsfrist (§ 139 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nachzureichen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 8. März 2002 - 5 C 54.01 - juris Rn. 2 m. w. N.). Erklärungen nach Ablauf der Revisionsfrist sind rechtlich ohne Bedeutung (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. November 1992 - 4 C 16.92 - Buchholz 310 § 134 VwGO Nr. 40 S. 12 und vom 22. Juni 2022 - 2 C 12.21 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 101 Rn. 10). Ein solcher Fall ist hier gegeben.
Rz. 10
Soweit die Kläger auf eine vom Beklagten am 1. September 2020 abgegebene Erklärung verwiesen haben, genügte deren Vorlage nicht den vorbezeichneten Erfordernissen. Denn ungeachtet der nachfolgend behandelten Frage, ob diese schriftliche Erklärung des Beklagten überhaupt den inhaltlichen Anforderungen des § 134 Abs. 1 Satz 1 VwGO entsprach, haben die Kläger diese Erklärung jedenfalls nicht fristgerecht vorgelegt, weil sie diese weder ihrer Revisionsschrift vom 19. Juli 2022 beigefügt noch innerhalb der Revisionsfrist des § 139 Abs. 1 Satz 1 VwGO nachgereicht haben. Die Kläger haben den betreffenden Schriftsatz des Beklagten vom 1. September 2020 vielmehr erst der Revisionsbegründung vom 15. August 2022 als Anlage beigefügt. Diese ging am 18. August 2022 und damit nach Ablauf der ab Zustellung des Urteils des Verwaltungsgerichts am 20. Juni 2022 laufenden Revisionsfrist von einem Monat (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB) bei Gericht ein.
Rz. 11
Unabhängig davon und überdies genügt die Erklärung des Beklagten vom 1. September 2020 bereits nicht den Anforderungen des § 134 Abs. 1 Satz 1 VwGO und kann auch deshalb nicht das Formerfordernis des § 134 Abs. 1 Satz 3 VwGO wahren. Die Zustimmung des Rechtsmittelgegners zur Einlegung der Sprungrevision muss eindeutig formuliert sein. Das folgt aus dem Zweck des Zustimmungserfordernisses, den Rechtsmittelgegner davor zu schützen, ohne sein ausdrückliches Einverständnis die vorgesehene zweite Tatsacheninstanz zu verlieren (BVerwG, Beschluss vom 25. November 1992 - 4 C 16.92 - Buchholz 310 § 134 VwGO Nr. 40 S. 13). Die Zustimmung zur Einlegung der Revision gilt - ebenso wie die Einlegung der Sprungrevision selbst - gemäß § 134 Abs. 5 VwGO als Verzicht auf die Berufung. Sie hat den Verlust einer Tatsacheninstanz zur Folge. Zudem kann die Sprungrevision gemäß § 134 Abs. 4 VwGO nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden, sodass das Revisionsgericht an die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts gebunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 2019 - 1 C 46.18 - Buchholz 402.251 § 33 AsylG Nr. 1 Rn. 14 m. w. N.). Wegen dieser weitreichenden Wirkungen schließt eine vor Erlass des angefochtenen Urteils erteilte Zustimmung zur Zulassung der Sprungrevision die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision nicht ein und kann grundsätzlich auch nicht in diesem weitergehenden Sinne ausgelegt werden (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2013 - 1 C 1.13 - BVerwGE 148, 297 Rn. 8; Beschlüsse vom 8. März 2002 - 5 C 54.01 - juris Rn. 5 und vom 22. Juni 2022 - 2 C 12.21 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 101 Rn. 14, jeweils m. w. N.). Denn ohne Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe kann regelmäßig nicht beurteilt werden, ob die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die Rügebeschränkung nach § 134 Abs. 4 VwGO den Erfolg der Revision erwarten lassen (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1988 - 5 C 9.85 - BVerwGE 81, 81 ≪83 f.≫). Gemessen daran fehlt es an einer (schriftlichen) Zustimmung des Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision.
Rz. 12
In dem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 1. September 2020 hat der Beklagte explizit "die Zustimmung zur Zulassung der Sprungrevision durch die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Potsdam" erklärt. Diese Erklärung kann angesichts der konkreten Umstände des vorliegenden Falles auch nicht ausnahmsweise als Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision verstanden werden (vgl. dazu etwa BVerwG, Urteile vom 1. September 2009 - 6 C 30.08 - NVwZ-RR 2010, 146 Rn. 10 und vom 30. Januar 2013 - 9 C 1.12 - BVerwGE 146, 1 Rn. 9; Beschluss vom 8. März 2002 - 5 C 54.01 - juris Rn. 6, jeweils m. w. N.). Denn hierfür genügt es nicht, dass die Beteiligten nach dem Vorbringen der Kläger ihre Zustimmung jeweils in Kenntnis der unterschiedlichen Rechtsauffassungen des Verwaltungsgerichts Potsdam und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg über die Auslegung der landesrechtlichen Vorschrift des § 16 Abs. 3 Satz 1 KitaG BB und damit die Berücksichtigungsfähigkeit grundstücks- und gebäudebezogener Kosten in der Kalkulation von Elternbeiträgen erklärt haben sollen. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Instanzgerichten sind nicht derart ungewöhnlich, dass mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, der Beklagte habe mit der Zustimmung zur Zulassung der Sprungrevision zugleich oder in erster Linie auch bereits seine Zustimmung zu deren Einlegung erklären wollen. Gegen eine derartige Auslegung spricht vielmehr, dass der Beklagte die Zustimmung zur Zulassung der Sprungrevision über eineinhalb Jahre vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und annähernd zwei Jahre vor der Einlegung der Sprungrevision durch die Kläger abgegeben hat. Hinzu kommt, dass er nach den Ausführungen seiner Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 1. September 2020 zum Zeitpunkt der Erklärung die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht nur für zutreffend erachtet hat, sondern davon ausgegangen ist, die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts sei gefestigt und werde insbesondere auch durch die mit Wirkung vom 1. August 2018 in Kraft getretene Änderung des § 17 Abs. 2 KitaG BB nicht in Frage gestellt. Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, dass der Beklagte mit seiner Erklärung vom 1. September 2020 entgegen deren Wortlaut bereits auch eine Entscheidung über die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision für den Fall treffen wollte, dass sich das Verwaltungsgericht der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts anschließen und die Klage abweisen sollte.
Rz. 13
Mit Rücksicht darauf, dass die von den Klägern allein vorgelegte Erklärung des Beklagten vom 1. September 2020 nicht als Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision auszulegen ist, ist nicht zu entscheiden, ob sich der mit Schriftsatz vom 2. August 2022 gestellte Antrag der Kläger "bezüglich der Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren" möglicherweise auch auf die innerhalb der Revisionsfrist vorzunehmende Vorlage der erforderlichen Zustimmungserklärung des Beklagten bezieht und die Kläger ohne Verschulden (auch) an der formgerechten und damit wirksamen Einhaltung der Revisionsfrist verhindert gewesen sind. Denn eine Wiedereinsetzung scheidet insoweit jedenfalls deshalb aus, weil die Zustimmung des Beklagten, deren Vorlage gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen wäre, um eine Wiedereinsetzung gewähren zu können, den Anforderungen des § 134 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügen müsste, was - wie dargelegt - nicht der Fall ist.
Rz. 14
2. Da die Zulässigkeit der eingelegten Sprungrevision bereits an der fehlenden Zustimmung des Beklagten scheitert, bedarf es auch keiner Entscheidung darüber, ob die Sprungrevision als solche nicht fristgerecht eingelegt wurde, weil die Revisionsschrift innerhalb der Frist des § 139 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), sondern per Fax an das Verwaltungsgericht übermittelt wurde. Aus demselben Grund kann offenbleiben, ob den Klägern für den Fall, dass die Revisionsfrist nicht eingehalten worden sein sollte, gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in die Revisionsfrist als solche zu gewähren wäre.
Rz. 15
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Fundstellen
Dokument-Index HI16130465 |