Entscheidungsstichwort (Thema)
Angemessene Alterssicherung, Schutz vor Vermögenseinsatz im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Einsatz von Kapitallebensversicherungen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Härte eines Vermögenseinsatzes. Kapitallebensversicherung, Rückkaufswert einer – als einzusetzendes Vermögen. Rückkaufswert einer Kapitallebensversicherung als einzusetzendes Vermögen
Leitsatz (amtlich)
- Der Einsatz einer Kapitallebensversicherung mit ihrem Rückkaufswert ist im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht zu beanstanden, auch wenn sie vom Hilfesuchenden zur Alterssicherung bestimmt ist, er aber über das Kapital aus der Versicherung jederzeit frei verfügen kann.
- Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Frage der Zumutbarkeit der Verwertung einer der Alterssicherung dienenden Kapitallebensversicherung im Rahmen der Arbeitslosenhilfe (§ 6 Abs. 3 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 7. August 1974) ist auf § 88 Abs. 3 BSHG nicht übertragbar.
Normenkette
BSHG § 88 Abs. 3
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 07.01.2003; Aktenzeichen 7 S 2615/00) |
VG Karlsruhe (Urteil vom 29.02.2000; Aktenzeichen 2 K 3212/99) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt.
Der am 10. Dezember 1938 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 %. Seit dem 1. Januar 1999 erhält er von der Landesversicherungsanstalt eine Altersrente, deren Höhe zunächst 971,62 DM betrug; ferner erhielt er Wohngeld in Höhe von zunächst 193 DM monatlich.
Der Kläger beantragte im März 1999 die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt und gab dabei an, dass er eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen habe, deren Rückkaufswert sich nach Mitteilung der Versicherungsgesellschaft zum Stichtag vom 1. Mai 1999 auf den Betrag von 24 760,24 DM abzüglich 7 000 DM Policendarlehen belief.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab, da der Kläger vorrangig zum Einsatz seines Vermögens und zur Verwertung der Lebensversicherung verpflichtet sei (Bescheid vom 4. Juni 1999; Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 1999).
Die vom Kläger erhobene Klage, mit welcher er geltend machte, der Einsatz der Lebensversicherung bedeute für ihn eine schwere Härte, weil diese ausschließlich der Alterssicherung als Ergänzung zu einer kleinen Rente diene, ist vom Verwaltungsgericht abgewiesen worden (Urteil vom 29. Februar 2000); die hiergegen eingelegte Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:
Es handle sich bei der Lebensversicherung um verwertbares Vermögen i.S. des § 88 Abs. 1 BSHG, welches nur teilweise geschont sei. Die vom Kläger abgeschlossene Kapitallebensversicherung bzw. der hieraus resultierende Rückkaufswert stelle einen sonstigen Geldwert i.S. von § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG dar. Auf die Härteregelung des § 88 Abs. 3 BSHG könne der Kläger sich nicht erfolgreich berufen, denn es begründe regelmäßig keine Härte im Sinne dieser Bestimmung, dass der Rückkaufswert einer Lebensversicherung erheblich hinter den auf sie erbrachten Eigenleistungen des Versicherungsnehmers zurückbleibe. Nach § 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG liege eine solche Härte bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen vor allem dann vor, wenn eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Auch in den Fällen der Hilfe zum Lebensunterhalt könne die Gefährdung einer angemessenen Alterssicherung eine Härte im Sinne dieser Bestimmung begründen. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 3 Satz 2 BSGH könne zwar nicht geschlossen werden, dass nur in Fällen der Hilfe in besonderen Lebenslagen eine Härte entstehen könne, wenn bei einem Vermögenseinsatz eine angemessene Alterssicherung nicht mehr sichergestellt wäre, doch sei daraus für die Hilfe zum Lebensunterhalt zu schließen, dass bei dieser Hilfeart nicht regelmäßig von einer Härte ausgegangen werden könne, wenn eine angemessene Alterssicherung gefährdet sei, sondern nur, wenn nach Lage des Einzelfalls der Vermögenseinsatz und damit die Gefährdung der Alterssicherung als unzumutbar erschiene. Nach dem Regelungszusammenhang sowie Sinn und Zweck der Norm komme die Härteregelung bei der Hilfe zum Lebensunterhalt allerdings nur eingeschränkt zur Anwendung. Maßstab sei der aktuelle und künftige sozialhilferechtliche Bedarf, nicht die bisherige Lebensführung. Da die Alterssicherung, wie aus § 14 BSHG folge, als sozialhilferechtlicher Bedarf berücksichtigungsfähig sein könne und eine Kostenübernahme in Betracht komme, wenn dadurch ein von der Sozialhilfe unabhängiges Leben ermöglicht werde, nämlich wenn eine Rente von zumindest der Höhe der Hilfe zum Lebensunterhalt zu erwarten sei, könne auch die Nichtinanspruchnahme eines Vermögens geboten sein, das die Alterssicherung des Hilfesuchenden zum Ziele habe und diesem ermögliche, künftig dauerhaft ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu leben. Der Verwertung eines nach § 88 Abs. 1 und 2 BSHG einsatzpflichtigen Vermögens stehe § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG in Fällen der Alterssicherung aber nur dann entgegen, wenn das Vermögen gerade zur Alterssicherung bestimmt und auch geeignet sei. Von einer solchen Bestimmung sei beim Kläger in Berücksichtigung seines Alters auszugehen, doch sei die abgeschlossene Kapitallebensversicherung objektiv zur langfristigen Alterssicherung nicht geeignet. Eine Kapitallebensversicherung, wie der Kläger sie abgeschlossen habe, unterliege keiner Zweckbindung, so dass der Kläger nach Fälligkeit frei über das ihm dann zur Verfügung stehende Kapital disponieren könne. Auch der Zugriff von etwaigen Gläubigern auf dieses Vermögen sei ohne weiteres auch schon vor Fälligkeit möglich. Die Frage, ob der abgeschlossene Versicherungsvertrag seiner Höhe nach ausreichend bemessen sei, um dem Kläger voraussichtlich langfristig zu ermöglichen, unabhängig von Sozialhilfe zu leben, bedürfe keiner abschließenden Beantwortung, da bereits die Form der Kapitallebensversicherung der zu fordernden langfristigen Sicherung des Lebensunterhalts nicht genüge. Auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne der Kläger sich nicht berufen, da diese Rechtsprechung nicht das Recht der Sozialhilfe betreffe, sondern das der Arbeitslosenhilfe; die Anforderungen dieses Leistungsbereichs könnten wegen der dort geltenden besonderen Regelungen auch nicht ohne weiteres auf die Sozialhilfe übertragen werden.
Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision rügt der Kläger als Verstoß gegen Art. 3 GG, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Schonung von Vermögen zur Alterssicherung im Rahmen der Arbeitslosenhilfe nicht auf die Sozialhilfe angewandt worden sei.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und ist der Auffassung, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Schonung von Vermögen zur Alterssicherung sei auf die Gewährung von Sozialhilfe nicht übertragbar.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht begründet, so dass sie zurückzuweisen ist. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Verwaltungsgerichtshof die Kapitallebensversicherung des Klägers bzw. den hieraus resultierenden Rückkaufswert als einzusetzendes Vermögen i.S. des § 88 BSHG angesehen und eine Härte i.S. des Absatzes 3 Satz 1 dieser Bestimmung verneint hat.
Nach § 88 BSHG ist der vom Kläger geforderte Vermögenseinsatz nicht zu beanstanden. Es handelt sich bei der Lebensversicherung bzw. deren Rückkaufswert um verwertbares Vermögen i.S. des § 88 Abs. 1 BSHG (vgl. Urteil des Senats vom 19. Dezember 1997 – BVerwG 5 C 7.96 – BVerwGE 106, 105 ≪107, 109≫).
Im Gegensatz zu den der Altersvorsorge dienenden Ersparnissen, deren Ansammlung staatlich gefördert wird (Riester-Rente) und die vom Vermögenseinsatz nach dem zum 1. Januar 2002 neu eingefügten § 88 Abs. 2 Nr. 1a BSHG ausgeschlossen sind, ist die vom Kläger abgeschlossene Kapitallebensversicherung bzw. der hieraus resultierende Rückkaufswert nicht generell als Schonvermögen vor der Verwertung geschützt. Sie stellt einen sonstigen Geldwert i.S. von § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG dar, für den der Verwaltungsgerichtshof – von den Beteiligten unbeanstandet – bei der Prüfung der Einsetzbarkeit für die Hilfe zum Lebensunterhalt für den Kläger, der das 60. Lebensjahr seinerzeit bereits vollendet hatte, von einem Schonbetrag in Höhe von 4 500 DM gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vom 11. Februar 1988 (BGBl I S. 150) in der insoweit maßgeblichen Fassung der Ersten Änderungsverordnung vom 23. Oktober 1991 (BGBl I S. 2037) ausgegangen ist.
Die Härteregelung des § 88 Abs. 3 BSHG steht dem Einsatz dieses verwertbaren Vermögens (zum Stichtag 1. Mai 1999 mit einem Rückkaufswert von 24 760,24 DM abzüglich 7 000 DM Policendarlehen) nicht entgegen. Nach Satz 1 dieser Bestimmung darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde; nach Satz 2 ist dies bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen vor allem der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.
Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof es unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 1997 (a.a.O. S. 109) unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten im Rahmen der hier vorliegenden Hilfe zum Lebensunterhalt nicht als härtebegründenden Umstand angesehen, dass der Rückkaufswert einer Lebensversicherung erheblich hinter den auf sie erbrachten Eigenleistungen zurückbleiben kann.
Ebenfalls zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass die Gefährdung einer angemessenen Alterssicherung auch im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt eine Härte bedeuten kann, wenn nach Lage des Einzelfalls der Vermögenseinsatz und damit die Gefährdung der Alterssicherung als unzumutbar erscheint. Insoweit hat er im konkreten Fall unter Berücksichtigung des Alters des Klägers eine Bestimmung zur Alterssicherung bejaht, für die Kapitallebensversicherung des Klägers den Härtetatbestand nach § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG aber mit der Begründung verneint, dass die Kapitallebensversicherung objektiv zur langfristigen Alterssicherung nicht geeignet sei, weil sie keiner Zweckbindung unterliege, der Kläger vielmehr nach Fälligkeit frei über das ihm dann zur Verfügung stehende Kapital disponieren könne. Diese Überlegung steht in Übereinstimmung mit Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 19. Dezember 1997 bei der Bewertung von Sparguthaben im Zusammenhang mit der Regelung in § 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG geleitet haben: Der Schutz dieser Härtevorschrift könne “nur denjenigen zuteil werden, die ihr Vermögen auch nachweisbar für den Zweck der Alterssicherung verwenden; bloße Absichten oder unverbindliche Erwägungen … können dagegen nicht ohne weiteres zur Herausnahme eines Teiles des zu verwertenden Vermögens führen” (insoweit in BVerwGE 106, 105 nicht abgedruckt; vgl. aber in Buchholz 436.0 § 88 BSHG Nr. 35 ≪S. 11 f.≫). Diese Erwägungen tragen dem Umstand Rechnung, dass bei der Kapitallebensversicherung als verbreiteter Spar- und Kapitalbildungsform (vgl. dazu näher Hammel, ZfS 1997, 257 ff. und 1998, 292 ff.), die durch die Verknüpfung eines Sparvertrages mit einer Risikolebensversicherung gekennzeichnet ist, dem Versicherten bei Ablauf der Versicherungsdauer eine bestimmte Summe ohne jede Zweckbindung frei zur Verfügung steht und dieses Vorsorgekapital sich insofern nicht von dem auf einem Sparbuch angehäuften Vorsorgekapital unterscheidet, für das unzweifelhaft nur die Einsatzgrenze nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG gilt. Zu berücksichtigen ist auch, dass die allgemeine Härteregelung des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG atypische Lebenssachverhalte betrifft, bei deren Bestimmung von den Fällen des Regeltatbestandes des § 88 Abs. 2 auszugehen ist, welche – bezogen auf Altersvorsorgemaßnahmen – einen besonderen Verwertungsschutz indes nur für angemessene Hausgrundstücke (Nr. 7) und – seit Einfügung der Nr. 1a – für öffentlich geförderte Renten, aber eben nicht allgemein für auf das Alter abgeschlossene Sparverträge vorgeben. Es kann dahingestellt bleiben, wann private Altersvorsorgeverträge den genannten Tatbeständen des § 88 Abs. 2 BSHG gleichgestellt werden können; jedenfalls fallen darunter im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht Sparformen, die dem Berechtigten ein frei verfügbares, rechtlich keinen inhaltlichen Bindungen unterworfenes Kapital gewährleisten.
- Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Verwertungsschutz einer Kapitallebensversicherung bei Beziehern von Leistungen der Arbeitslosenhilfe ist entgegen der Rechtsansicht der Revision nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz übertragbar. Die im streitgegenständlichen Zeitraum unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung der Vermögensanrechnung im Sozialhilferecht einerseits und in der Arbeitslosenhilfe andererseits begründet in Anbetracht des dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen zustehenden Gestaltungsspielraumes keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) mit der Folge, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Schonung von Vermögen zur Alterssicherung im Rahmen der Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen werden müsste.
Soweit es in Anbetracht der Unwirtschaftlichkeit eines vorzeitigen Vermögenseinsatzes der Kapitallebensversicherung und der dem Kläger bei einer sofortigen Verwertung drohenden nicht unerheblichen Verluste geboten gewesen sein könnte, ihm nach § 89 BSHG für die Zeit bis zum Ablauf der Versicherung (am 1. Januar 2002) ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen, gesichert durch die Lebensversicherung, zu gewähren, scheidet eine Zurückverweisung an die Vorinstanz zur Prüfung der Voraussetzungen einer Darlehensgewährung hier deswegen aus, weil der für eine Darlehensgewährung in Betracht kommende Zeitraum abgelaufen ist und der Kläger nach gerichtlichem Hinweis nichts vorgetragen hat, was für einen fortbestehenden Aufklärungsbedarf und ein fortbestehendes rechtliches Interesse an einer Zurückverweisung sprechen könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen