Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 29.07.1997; Aktenzeichen 7 A 439/97) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Juli 1997 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Das Berufungsgericht hat gegen die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, nicht deshalb verstoßen, weil es keine Ortsbesichtigung vorgenommen hat. Der bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger hat zwar schriftsätzlich angeregt, in dieser Richtung Beweis zu erheben. Wie aus § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhellt, ist das Gericht jedoch an Beweisanträge nicht gebunden. Von einer Beweisaufnahme kann es absehen, wenn es aus seiner materiellrechtlichen Sicht auf eine Klärung der Beweistatsachen nicht ankommt. Nach Auffassung des Klägers hätte eine Ortsbesichtigung ergeben, daß die Umgebung durch großzügig genutzte Grundstücke gekennzeichnet ist, die den Eindruck einer Park- und Waldlandschaft vermitteln. Nach der für die Anwendung des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO maßgeblichen Ansicht des Berufungsgerichts kommt es für den Erfolg der Klage indes nicht darauf an, ob das Vorhaben der Beigeladenen das so geprägte Ortsbild beeinträchtigt, da § 34 Abs. 1 BauGB insoweit keinen Nachbarschutz erzeugt. Von diesem rechtlichen Ansatz her hatte die Vorinstanz keinen Anlaß, im Wege einer Beweisaufnahme den Merkmalen des Ortsbildes nachzugehen. Daran änderte auch der Umstand nichts, daß das Verwaltungsgericht Berlin in dem von der Beschwerde zitierten Beschluß die nachbarschützende Wirkung des § 34 Abs. 1 BauGB anders beurteilt hat.
b) Der sinngemäß geltend gemachte Verstoß gegen § 130 a VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, daß der Kläger vor der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinne dieser Vorschrift angehört worden ist. Freilich kann es einer weiteren Anhörung bedürfen, wenn nach einer ersten Anhörungsmitteilung ein förmlicher Beweisantrag gestellt wird. Der Kläger reagierte auf den Hinweis des Berufungsgerichts vom 13. Juni 1997 im Schriftsatz vom 25. Juni 1997 u.a. mit dem Antrag, die Örtlichkeiten zu besichtigen. Damit wiederholte er indes lediglich, was bereits Gegenstand seines Vorbringens in der Berufungsbegründung vom 14. Februar 1997 gewesen war. Ein Vortrag, der zu Beweisfragen keine neuen Elemente enthält, löst nicht die Pflicht zu einer erneuten Anhörung aus (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18. Juni 1996 – BVerwG 9 B 140.96 – Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 16).
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimißt.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, daß ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich wendet, mit seiner Klage nur dann durchdringen kann, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt (BVerwG, Urteile vom 13. März 1981 – BVerwG 4 C 1.78 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 44 und vom 23. Mai 1986 – BVerwG 4 C 34.85 – BauR 1986, 542). Für einen solchen Verstoß reicht es nicht aus, daß ein Vorhaben sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – BVerwG 4 C 9.77 – BVerwGE 55, 369). Hinzu kommen muß objektivrechtlich, daß es im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehen, und subjektivrechtlich, daß es die gebotene Rücksichtnahme speziell auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung vermissen läßt. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn die Grundflächenzahl überschritten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 1994 – BVerwG 4 C 18.92 – BVerwGE 95, 277), und schon gar nicht, wenn das Vorhaben das Ortsbild beeinträchtigt. Der Senat hat überdies klargestellt, daß Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung nicht für sich genommen einen Maßstab dafür bilden, ob Beeinträchtigungen im Sinne des Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, daß der einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden, gibt es nicht. Eine Schutzgewähr besteht insoweit nur nach Maßgabe des einschlägigen Rechts. Im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB ist entscheidend, wie schutzwürdig die baurechtliche Stellung des Betroffenen ist. Je weniger der Nachbar in dieser Hinsicht an Rücksichtnahme verlangen kann, mit desto geringerem Gewicht schlägt der Gesichtspunkt von Wertminderungen bei der gebotenen Interessenabwägung zu seinen Gunsten zu Buche (vgl. BVerwG, Beschluß vom 24. April 1992 – BVerwG 4 B 60.92 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 109). Die Beschwerde legt nicht dar, in welcher Richtung diese Rechtsprechung der Ergänzung oder Fortentwicklung bedarf.
Auch soweit die Beschwerde mit ihrer Argumentation an die Spruchpraxis des Senats zum Nachbarschutz in überplanten Gebieten anknüpft, zeigt sie kein Klärungsbedürfnis auf. Daß sich ein Nachbar im Geltungsbereich eines Bebauungsplans unabhängig davon, ob er im Sinne des Rücksichtnahmegebots unzumutbar betroffen wird, gegen Maßnahmen zur Wehr setzen kann, die geeignet sind, den Gebietscharakter zu verändern, beruht darauf, daß Gebietsfestsetzungen als solche bundesrechtlich nachbarschützend ausgestaltet sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 – BVerwG 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151). Die für überplante Gebiete entwickelten Grundsätze lassen sich dagegen nicht auf den unbeplanten Innenbereich übertragen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. Oktober 1995 – BVerwG 4 B 215.95 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 131). § 34 Abs. 1 BauGB knüpft die Zulässigkeit an eigenständige Voraussetzungen, die im Vergleich mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans notwendigerweise weniger scharf sind, da sie sich an der Umgebungsbebauung zu orientieren haben. Die Vorschrift bietet keine Garantie dafür, daß die Eigenart eines Gebiets auf Dauer unangetastet bleibt. Der vom Gesetzgeber in § 34 Abs. 1 BauGB verwandte Zulässigkeitsmaßstab bringt es zwangsläufig mit sich, daß sich der Beurteilungsrahmen für künftige Vorhaben durch bauliche Veränderungen in der Umgebung verschieben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 – BVerwG 4 C 19.90 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 155).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Berkemann, Hien, Halama
Fundstellen
BRS 1997, 529 |
BRS 1998, 529 |