Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 18.03.2011; Aktenzeichen 12 A 1878/09) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. März 2011 wird verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt …, …, beizuordnen, wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig, weil ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt worden ist.
Rz. 2
1.1 Die Beschwerde genügt nicht den Darlegungsanforderungen, soweit sie sich gegen die (erste) tragende Begründung in dem angegriffenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 12 f.) wendet, die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheides – namentlich die deutsche Volkszugehörigkeit des Klägers – lägen nicht vor, weil das Verwaltungsgericht Stuttgart mit rechtskräftigem Urteil vom 9. Dezember 2009 seine Klage auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG oder einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG mit der maßgeblichen Begründung abgelehnt habe, der Kläger sei weder deutscher Volkszugehöriger noch Abkömmling eines deutschen Volkszugehörigen.
Rz. 3
Die von der Beschwerde behauptete Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht hinreichend dargetan. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. etwa Beschlüsse vom 21. Juni 1995 – BVerwG 8 B 61.95 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 18 und vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, kann demgegenüber nicht zu einer Zulassung wegen Divergenz führen (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.). Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Beschwerde nicht.
Rz. 4
Zu ihrer Rüge (Beschwerdebegründung S. 7 f.), das Berufungsgericht sei von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 1993 – BVerwG 9 C 44.92 – und “infolge dessen” von dem Urteil vom 18. Dezember 2002 – BVerwG 5 C 40.01 – abgewichen, legt die Beschwerde bereits nicht dar, dass die genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und das angegriffene Urteil des Berufungsgerichts zu derselben Rechtsnorm ergangen sind. Sie berücksichtigt nicht in dem gebotenen Maße, dass sich die genannten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zur Erteilung eines Vertriebenenausweises nach § 1 Abs. 3 BVFG (a.F.) für einen Ehegatten verhalten, während im angegriffenen Berufungsurteil die Erteilung eines Aufnahmebescheides (aus Härtegründen) nach §§ 26, 27 BVFG in Rede steht. Die Beschwerde setzt sich nicht damit auseinander, dass diesen Anspruchsgrundlagen unterschiedliche Regelungsbereiche zugrunde liegen. § 1 Abs. 3 BVFG (a.F.) regelt die besondere Konstellation, unter welchen Voraussetzungen als Vertriebener auch gilt, wer ohne selbst deutscher Staatsangehöriger oder Volkszugehöriger zu sein, Ehegatte eines Vertriebenen ist. Um diese Konstellation eines abgeleiteten Statuserwerbs vom Ehegatten geht es in dem Rechtsstreit des Klägers, der einen Aufnahmebescheid nach §§ 26, 27 BVFG aus eigenem Recht begehrt, gerade nicht.
Rz. 5
Die Beschwerde vermag daher auch keinen abstrakten Rechtssatz aufzuzeigen, mit dem das Berufungsgericht von dem auf die Konstellation des § 1 Abs. 3 BVFG (a.F.) bezogenen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sein soll und erfüllt auch insoweit nicht die Anforderungen an die Darlegung einer Rechtssatzdivergenz. Die Beschwerde macht zwar geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe in den von ihr genannten Entscheidungen “den Rechtssatz aufgestellt, wonach in dem Rechtsstreit des nichtdeutschen Ehegatten, der den Vertriebenenausweis nach § 1 Abs. 3 BVFG begehrt, die deutsche Volkszugehörigkeit des anderen Ehegatten im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in vollem Umfang nachzuprüfen” sei, “wenn die Behörde dessen auf § 1 Abs. 1 und 2 BVFG gestütztes Begehren auf Ausstellung des Vertriebenenausweises mangels deutscher Volkszugehörigkeit bestandskräftig abgelehnt” habe (Beschwerdebegründung S. 7). Die Beschwerde legt jedoch nicht hinreichend dar, dass das Berufungsgericht von diesem Rechtssatz durch die Aufstellung eines entgegenstehenden Rechtssatzes abgewichen ist. Dies ist auch schwerlich möglich, weil sich das Berufungsgericht mit der bezeichneten Konstellation des Statuserwerbs von Ehegatten nicht zu befassen hatte. Vielmehr hat das Berufungsgericht sein Urteil auf die tragende Begründung gestützt, der Kläger besitze keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides, weil das Verwaltungsgericht Stuttgart mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 9. Dezember 2009 seine Klage auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG oder einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG mit der maßgeblichen Begründung abgelehnt habe, der Kläger sei weder selbst deutscher Volkszugehöriger noch Abkömmling eines deutschen Volkszugehörigen (UA S. 12 f.).
Rz. 6
Auch soweit die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 7 f.) rügt, das Berufungsurteil verletze Art. 19 Abs. 4 GG, weil es die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart unter anderem im Hinblick auf ihre Aussagekraft und Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren unzutreffend bewertet habe, wird eine Rechtssatzdivergenz nicht aufgezeigt. Der Sache nach wirft die Beschwerde dem Berufungsgericht lediglich eine fehlerhafte Anwendung von Rechtsgrundsätzen vor. Eine solche kann jedoch nicht zur Zulassung wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) führen.
Rz. 7
1.2 Ein Verfahrensmangel, der gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Zulassung der Revision führen könnte, ist ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet.
Rz. 8
a) Die Ausführungen der Beschwerde zu Art. 19 Abs. 4 GG (Beschwerdebegründung S. 7 f.) beziehen sich allein auf die von ihr erhobene Divergenzrüge und lassen sich nicht als Erhebung einer Verfahrensrüge begreifen oder in eine solche umdeuten. Selbst wenn sie als eine solche verstanden werden müssten, genügten sie nicht den Darlegungsanforderungen, weil damit ein Verfahrensmangel nicht substanziiert aufgezeigt wird.
Rz. 9
b) Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend (Beschwerdebegründung S. 8), das Berufungsgericht habe gegen den Aufklärungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, weil es sich nicht mit der Prüfung der deutschen Volkszugehörigkeit des Klägers befasst habe.
Rz. 10
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht unter anderem die substanziierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können (vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Juli 2007 – BVerwG 9 B 1.07 – juris, vom 21. Februar 2008 – BVerwG 5 B 122.07 – juris und vom 2. Juni 2008 – BVerwG 4 B 32.08 – juris). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Beschwerde setzt sich im Rahmen ihrer Aufklärungsrüge bereits nicht damit auseinander, dass es nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht darauf ankam, (weitere) Aufklärungsmaßnahmen im Hinblick auf die etwaige deutsche Volkszugehörigkeit des Klägers vorzunehmen. Denn das Berufungsgericht hat die Rechtsansicht vertreten, dass aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart bereits rechtskräftig feststehe, dass der Kläger kein deutscher Volkszugehöriger sei.
Rz. 11
c) Ein Verfahrensfehler ist auch nicht schlüssig dargelegt, soweit die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht hätte zumindest “den Prozessbevollmächtigten darauf hinweisen müssen, dass es im Gegensatz zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von einer weiteren Bindungswirkung der Urteile im vorangegangenen Verfahren” ausgehe (Beschwerdebegründung S. 8). Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) bzw. der richterlichen Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) ist damit nicht aufgezeigt. Die Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) konkretisiert zwar den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (Urteil vom 11. November 1970 – BVerwG 6 C 49.68 – BVerwGE 36, 264 ≪266 f.≫; Beschluss vom 4. Juli 2007 – BVerwG 7 B 18.07 – juris). Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt jedoch auch in der Ausprägung, die er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab seine Rechtsauffassung mitzuteilen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, s. etwa Beschlüsse vom 28. Dezember 1999 – BVerwG 9 B 467.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2, vom 26. November 2001 – BVerwG 1 B 347.01 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52 S. 4 und vom 9. Januar 2009 – BVerwG 5 B 53.08 – juris Rn. 9). Eine Ausnahme hiervon gilt zwar dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Anforderungen an den Sachvortrag oder auf sonstige rechtliche Gesichtspunkte stützen will, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nicht zu rechnen brauchte (vgl. Beschluss vom 29. Juli 2004 – BVerwG 9 B 23.04 – juris m.w.N.). Hinweise für eine solche Sachlage hat die Beschwerde jedoch nicht aufgezeigt. Dies konnte sie auch insofern nicht, als der Kläger nach dem Prozessverlauf damit rechnen musste, dass sich das Berufungsgericht auf den Rechtsstandpunkt stellen könnte, das Fehlen der deutschen Volkszughörigkeit stehe bereits aufgrund der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart fest. Denn die Beklagte hat im Berufungsverfahren ausdrücklich diese Rechtsansicht vertreten (Schriftsatz vom 5. März 2010, Bl. 82 f. der Gerichtsakte), so dass nicht ausgeschlossen werden durfte, dass sich das Berufungsgericht dem anschließen könnte.
Rz. 12
1.3 Aus den Ausführungen der Beschwerde im Schriftsatz vom 12. August 2011 ergibt sich im Hinblick auf die vorgenannte Divergenzrüge wie auch die Verfahrensrügen des Klägers nichts anderes. Soweit diese Ausführungen, da sie nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist bei dem Bundesverwaltungsgericht eingegangen sind, überhaupt (ergänzend) berücksichtigt werden können (vgl. Beschlüsse vom 2. März 1992 – BVerwG 9 B 256.91 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 2; vom 28. März 2001 – BVerwG 8 B 52.01 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 61), entsprechen auch sie nicht den Darlegungsanforderungen. Die Beschwerde macht damit im Wesentlichen nur geltend, aus welchen Gründen sie das angegriffene Urteil für unrichtig hält, legt aber keinen Zulassungsgrund dar.
Rz. 13
2. Die von der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 8 bis 12) weiter geltend gemachten Zulassungsgründe rechtfertigen die Zulassung ebenfalls nicht. Sie richten sich gegen die weiteren das angefochtene Urteil tragenden Gründe des Berufungsgerichts, das sich für den Fall, dass man seiner Auffassung zur Rechtskraftwirkung der vorangegangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart nicht folgen wolle, auf Folgendes gestützt hat: Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Aufnahmebescheids bestehe auch deshalb nicht, weil ein durchgehendes Bekenntnis des Klägers zum deutschen Volkstum von seiner Bekenntnis- und Erklärungsfähigkeit an nicht glaubhaft gemacht sei (UA S. 14 ff.), weil darüber hinaus auch ein Bekenntnis des Klägers zum deutschen Volkstum “auf vergleichbare Weise” (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BVFG) nicht vorliege (UA S. 16 ff.) und weil schließlich das Erfordernis der besonderen Härte (§ 27 Abs. 2 BVFG) nicht erfüllt sei (UA S. 18 ff.).
Rz. 14
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann in Fällen, in denen ein Urteil auf mehrere die Entscheidung selbstständig tragende Begründungen gestützt ist, die Revision gegen dieses Urteil nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes dieser tragenden Gründe ein Zulassungsgrund vorliegt (vgl. Beschlüsse vom 17. April 1985 – BVerwG 3 B 26.85 – Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 53; vom 24. Mai 2007 – BVerwG 4 BN 16.07 u.a. – BauR 2007, 2041 und vom 2. Dezember 2008 – BVerwG 5 B 60.08 – juris). Das ist hier nicht der Fall. Ein Zulassungsgrund ist – wie oben (1.) ausgeführt – jedenfalls hinsichtlich der (ersten) tragenden Erwägung des Oberverwaltungsgerichts nicht dargelegt worden.
Rz. 15
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 16
4. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung – wie sich aus den vorstehend ausgeführten Gründen ergibt – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 115, 121 Abs. 1 ZPO).
Rz. 17
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 49.2 des Streitwertkatalogs 2004 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).
Unterschriften
Vormeier, Dr. Störmer, Dr. Häußler
Fundstellen