Tenor
Die Erinnerung der Antragstellerin gegen den Kostenansatz vom 15. November 1995 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand
I.
Nachdem die Antragstellerin ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage BVerwG 11 A 87.95 zurückgenommen hat, hat der Senat das einstweilige Rechtsschutzverfahren eingestellt, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 20.000 DM festgesetzt. Daraufhin sind mit Kostenansatz vom 15. November 1995 Gerichtsgebühren (Verfahrensgebühren nach Nr. 2210 des Kostenverzeichnisses zu § 11 GKG) von 154 DM geltend gemacht worden.
Entscheidungsgründe
II.
Die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG zulässige Erinnerung dagegen ist unbegründet. Der Kostenansatz entspricht der Kostenentscheidung des zitierten Beschlusses. Entgegen ihrer Auffassung kann die Antragstellerin für sich Gerichtsgebührenfreiheit nicht beanspruchen. Über die Erinnerung hat der Berichterstatter als Einzelrichter zu entscheiden (vgl. § 87 a Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz – VerkPBG – vom 16. Dezember 1991 ≪BGBl I S. 2174≫). Als Annex zu der Kostenentscheidung nach Zurücknahme des Rechtsschutzantrages (vgl. § 87 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO) handelt es sich um eine im vorbereitenden Verfahren zu treffende Entscheidung über Kosten (vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 13. März 1995 – BVerwG 4 A 1.92 – ≪Buchholz 310 § 106 VwGO Nr. 18≫).
1. § 2 Abs. 3 Satz 1 GKG bestimmt, daß vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bundesrechtliche oder landesrechtliche Vorschriften über persönliche Kostenfreiheit keine Anwendung finden. Die mit Gesetz vom 20. August 1975 eingeführte Regelung entspricht dem mit ihrem Inkrafttreten außer Kraft getretenen § 163 Abs. 1 VwGO, hat jedoch – den gleichfalls seinerzeit außer Kraft getretenen – § 163 Abs. 2 VwGO nicht übernommen, der die den Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts durch Art. 140 GG gewährleistete Kostenfreiheit unberührt ließ. Daraus kann indessen nicht der Schluß gezogen werden, eine etwaige, durch Art. 140 GG gewährleistete Kostenfreiheit habe nachträglich beseitigt werden sollen (vgl. Hammer in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Bd. 2. Aufl. 1994, S. 1090). Vielmehr wurde eine Übernahme als entbehrlich angesehen, weil eine verfassungsrechtlich verbürgte Kostenfreiheit auch ohne einen besonderen Vorbehalt im Gerichtskostengesetz aufrechterhalten bleibe (vgl. die Amtliche Begründung zum Gesetz vom 20. August 1975 – BTDrucks 7/2016 S. 67). Wenn also für die Antragstellerin Kostenfreiheit für den Verwaltungsprozeß ursprünglich nach Art. 140 GG gewährleistet worden wäre, so bestünde diese fort (vgl. Kopp, VwGO Kommentar, 10. Aufl. 1994, § 163 Rn. 2; Redeker/von Oertzen, VwGO Kommentar, 10. Aufl. 1991, § 163).
2. a) Art. 140 GG erklärt Art. 136 – 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung – WRV – zu Bestandteilen des Grundgesetzes. Damit gilt Art. 138 Abs. 1 WRV weiterhin, der folgendes bestimmt:
„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.”
Nicht inkorporiert ist hingegen Art. 173 WRV, der den Fortbestand der bisherigen, auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes gemäß Art. 138 WRV anordnete. Gleichwohl kann für die Entscheidung über die Erinnerung unterstellt werden, daß die Gewährleistung des Art. 173 WRV auch bereits Inhalt von Art. 138 Abs. 1 WRV, die erstgenannte Verfassungsbestimmung folglich lediglich deklaratorischer Art ist (so ausdrücklich: Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933, Art. 173 Anm. 1, Art. 138 Anm. 4; Hesse, JöR N.F. Bd. 10 ≪1961≫ S. 3 ff./57; a.A.: Koellreutter, AöR N.F. 15. Bd. ≪1928≫, S. 1 ff./16; Huber, Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung, 1927, S. 94 f.; offengelassen in BVerfGE 19, 1/16).
b) Die dann vorzunehmende Prüfung ergibt, daß die von der Antragstellerin beanspruchte Kostenfreiheit keine Staatsleistung ist, die in den Schutzbereich von Art. 138 Abs. 1 WRV fällt.
Im Ausgangspunkt ist allerdings festzustellen, daß es in Preußen seit der Deklaration des Stempelgesetzes vom 27. Juni 1811 (GS S. 313) bis zum Preußischen Gerichtskostengesetz vom 28. Oktober 1922 (GS S. 363) an besondere Voraussetzungen geknüpfte Gebührenbefreiungen für die Kirchen gab. Schon das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seinem Beschluß vom 28. April 1965 (BVerfGE 19, 1 ff.) darauf hingewiesen, daß dieses Privileg nicht zu den Staatsleistungen im Sinne des Art. 138 Abs. 1 WRV gehöre. Dem ist – unabhängig von der Frage einer Verbindlichkeit nach § 31 BVerfGG – beizupflichten.
Dem Begriff der Staatsleistungen sind zunächst ohne weiteres hinzuzurechnen die – positiven – Beiträge des Staates zu den sächlichen und persönlichen Kosten der jeweiligen Kirche. Bereits das Reichsgericht hat darüber hinaus in seiner fortlaufenden Rechtsprechung (Beschlüsse vom 20. Juni 1925, 10. Oktober 1927, 20. Mai 1930 und 13. Juli 1931 – abgedruckt in: Lammers-Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts aufgrund Art. 13 Abs. 2 der Reichsverfassung, Bd. 1 S. 519 ff. ≪= RGZ 111, 134 ff.≫, S. 538 ff. ≪= JW 1927, S. 2852 mit Anmerkung Tatarin-Tarnheyden, JW 1928, S. 64 f.≫, Bd. 4, S. 297 ff. und S. 306 ff.) entwickelt, daß in dem vorliegenden Zusammenhang Leistung in einem Unterlassen bestehen kann, mithin auch sogenannte negative Staatsleistungen der Gewährleistung nach Art. 138 Abs. 1, 173 WRV unterfallen könnten. Nur diese Auslegung werde dem Sinn der genannten Verfassungsbestimmungen gerecht, die bisherige vermögensrechtliche Stellung der Kirche, soweit sie auf dem bis zur Trennung von Kirche und Staat bestehenden Zusammenhang mit dem Staat beruhte, bis zur Neuregelung des finanziellen Verhältnisses durch die Gesetzgebung nach Art. 138 Abs. 1 WRV aufrechtzuerhalten. Die Anerkennung als garantierte negative Staatsleistung setzt dann voraus, daß die betreffende Befreiung einen wesentlichen Teil derjenigen Unterstützung bildete, die der Staat der Kirche zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse gewährte, und daß er, wenn sie nicht bestanden hätte, statt ihrer entsprechende Leistungen an die Kirche hätte machen müssen (vgl. RGZ 111, 134/144; Isensee in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O. S. 1025). Allen – positiven wie negativen – Staatsleistungen im Sinne von Art. 138 Abs. 1 WRV ist als gemeinsames Merkmal eigen, daß sie historisch ihren Ursprung in einer staatlichen Gegenleistung für die Säkularisation kirchlichen Gutes haben. Mit der Einziehung des Kirchengutes entstand die Notwendigkeit, die Kirche von den laufenden, wiederkehrenden Lasten zu befreien und gleichzeitig ihre laufenden Kosten zu decken (vgl. im einzelnen zu Art und Umfang der nach Art. 138 Abs. 1 WRV ablösbaren Staatsleistungen: Huber a.a.O. S. 61 ff.; Weber, Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, 1948, S. 50 ff.). Kennzeichen der geschützten Privilegien ist dabei, daß es sich um fortlaufende, regelmäßig wiederkehrende Leistungen, sei es im positiven oder negativen Sinn, handeln muß. Nur dann nämlich kann es sich um wesentliche Teile der historisch gewachsenen staatlichen Unterstützung an die Kirchen gehandelt haben. Zu den fortlaufenden Leistungen gehören deshalb zwar die den Kirchen eingeräumten Steuerbefreiungen, nicht aber eine Gebührenfreiheit im Einzelfall für den Fall eines gerichtlichen Verfahrens. Mit Recht hat deshalb bereits das Bundesverfassungsgericht (a.a.O. S. 16) ausgeführt, aus diesen unterschieden ergebe sich, daß die Befreiung von Gerichtsgebühren keinen wesentlichen Teil der Unterstützung gebildet habe, die der Staat der Kirche zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse gewähre. Die im preußischen Recht vorgesehenen Gebührenbefreiungen zugunsten der Kirchen stellten somit keine Staatsleistungen im Sinne des Art. 138 WRV dar (a.A.: Hollerbach, JZ 1965, S. 612/614).
c) Zu Recht weist das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Beschluß vom 7. Januar 1987 – OVG 13 B 141.86 – ≪NVwZ 1987, S. 704 f.≫) darauf hin, der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsordnung sei offenbar davon ausgegangen, daß die Freiheit von Gerichtsgebühren zu den negativen Staatsleistungen an die Kirchen gehöre. § 163 Abs. 2 VwGO sei nämlich auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Bundestages in den Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung mit der Begründung eingefügt worden, daß es sich bei der nach Maßgabe des Landesrechts durch Art. 140 GG gewährleisteten Gebührenfreiheit um einen Bestandteil der verfassungsrechtlich verbürgten negativen Staatsleistungen an die Kirche handele (vgl. Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses vom 12. Mai 1959, BTDrucks 3/1094 S. 14 zu § 160 a; auch Koehler, VwGO Kommentar, 1960, § 163 Anm. B II.). Diese Vorstellung macht indessen vorkonstitutionelle, einfachgesetzliche Kostenbefreiungen nicht zu Staatsleistungen im Sinne von Art. 140 GG, Art. 138 Abs. 1 WRV. Im übrigen weist die bereits zitierte Amtliche Begründung zum Gesetz vom 20. August 1975 (BTDrucks 7/2016 S. 67) unter Bezugnahme auf den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 15. Juli 1969 (OVG V B 144.68 – DÖV 1970, S. 102) ausdrücklich darauf hin, es sei zweifelhaft, ob und inwieweit aus Art. 140 GG eine Kostenfreiheit der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts folge.
3. Die Nebenentscheidung folgt aus § 5 Abs. 6 GKG.
Unterschriften
Kipp
Fundstellen