Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 01.03.2007; Aktenzeichen 13a D 120/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. März 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass dem Begehren des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der behördlichen Vorlageverweigerung – derzeit – nicht entsprochen werden kann.
Der begehrten Feststellung steht entgegen, dass nach dem derzeitigen Verfahrensstand offen ist, ob die Kenntnis des Hauptsachegerichts vom Inhalt der Akten zur Entscheidung über die im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anfechtungs- und Bescheidungsklage erforderlich oder entbehrlich ist.
Ob bestimmte Urkunden oder Akten überhaupt der Vorlagepflicht des § 99 Abs. 1 VwGO unterliegen, weil sie deren Voraussetzungen erfüllen, entscheidet das Gericht der Hauptsache. Dies geschieht in der Weise, in der das Gericht der Hauptsache auch sonst seiner Pflicht zur Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhalts vom Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) nachkommt (vgl. Beschluss vom 9. November 1962 – BVerwG 7 B 91.62 – BVerwGE 15, 132 ≪133≫). Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten, muss das Gericht der Hauptsache zunächst darüber entscheiden, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen benötigt, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufzuklären. Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten – im vorliegenden Fall des Klägers – auf Entscheidung des Fachsenats im selbständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit bejaht hat. Denn für den Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit muss klargestellt sein, was er zum Gegenstand haben soll. Dazu bedarf es gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 358 ZPO grundsätzlich eines Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsache, weil die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren erfordert (Beschlüsse vom 24. November 2003 – BVerwG 20 F 13.03 – BVerwGE 119, 229 ≪230 f.≫, vom 22. Januar 2004 – BVerwG 20 F 6.03 – juris Rn. 4, vom 27. Februar 2004 – BVerwG 20 F 18.03 – und vom 12. Januar 2006 – BVerwG 20 F 12.04 – BVerwGE 125, 40 ≪42≫). Durch die Angabe des Beweisthemas verlautbart das Gericht förmlich, dass es diese Tatsachen als erheblich ansieht. Ferner legt sich das Gericht der Hauptsache dadurch, dass es ein positives Zwischenurteil nach § 173 VwGO i.V.m. § 303 ZPO erlässt, darauf fest, dass dem Fortgang des Verfahrens nicht das Fehlen bestimmter, streitig gewordener Sachentscheidungsvoraussetzungen entgegensteht und der Inhalt der Behördenakten nicht bereits deshalb unerheblich für die anstehende Entscheidung ist. Bei diesen Grundsätzen handelt es sich entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht um eine “relativ neue” Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Ein Beweisbeschluss oder eine förmliche Äußerung des Gerichts der Hauptsache zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind (Beschlüsse vom 27. Februar 2004 – BVerwG 20 F 10.03 –, vom 26. August 2004 – BVerwG 20 F 19.03 –, vom 4. Mai 2006 – BVerwG 20 F 2.05, 20 PKH 3.05 – und vom 29. März 2006 – BVerwG 20 F 4.05 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 41). Das ist immer der Fall, wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten – bereits – Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache ist und die Entscheidung des Verfahrens zur Hauptsache von der – allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden – Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind.
Zutreffend hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Insbesondere stellt die schlichte Abgabeverfügung des Vorsitzenden der Kammer vom 21. September 2006, der zugleich Berichterstatter war, ebenso wenig wie etwa die bloße Aktenbeiziehung mittels richterlicher Verfügung eine den Vorgaben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO genügende Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit dar.
Soweit die Beschwerde einwendet, der Kläger könne ohne Aktenkenntnis seine Klage “schon nicht zulässig machen”, und meint, dieser Umstand begründe eine Ausnahme vom Grundsatz der förmlichen Feststellung der Entscheidungserheblichkeit, wird verkannt, dass es sich bei den vom Beklagten angesprochenen Fragen der statthaften Klageart und der Klagebefugnis um Rechtsfragen handelt, zu deren Beantwortung es keiner auf den Verwaltungsvorgang gründenden Tatsachenkenntnis bedarf. Die Befürchtung der Beschwerde, der Kläger falle in eine “Rechtsschutzlücke”, weil die Behörde “in jedem Fall” die begehrte Vorlage unter Hinweis auf Zweifel an der Zulässigkeit der Klage verweigern könne, beruht auf einer unzutreffenden Annahme. Der Umstand, dass das Gericht der Hauptsache – bislang – auf eine förmliche Äußerung zur Entscheidungserheblichkeit verzichtet hat, führt lediglich dazu, dass es nunmehr – nach Abschluss dieses Zwischenverfahrens – bei der erneuten Befassung mit der Sache über die Entscheidungserheblichkeit zu entscheiden haben wird. Auf eine solche Entscheidung kann der Kläger mittels eines Beweisantrags hinwirken. Je nach Entscheidung des Hauptsachegerichts sind dem Kläger dann entweder das Rechtsmittel im Hauptsacheverfahren oder – je nachdem wie die oberste Aufsichtsbehörde ihr Ermessen ausübt – die Möglichkeit eröffnet, einen (erneuten) Antrag auf Durchführung des Zwischenverfahrens zu stellen. Von einer “Rechtsschutzlücke” kann insofern keine Rede sein, auch wenn faktisch eine Verlängerung der Gesamtverfahrensdauer zu beklagen ist. Soweit die Beschwerde rügt, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts seiner eigenen Rechtsprechung nicht gefolgt sei und nicht wenigstens das Zwischenverfahren ausgesetzt habe, bleibt anzumerken: Im Zwischenverfahren gemäß § 99 VwGO verbietet sich eine Aussetzung gemäß § 94 VwGO. § 99 Abs. 2 VwGO bildet eine abschließende Regelung für das Zwischenverfahren und sieht die Möglichkeit einer Aussetzung nicht vor. Eine Aussetzung verbietet sich auch deswegen, weil das Zwischenverfahren nicht i.S.d. § 94 VwGO vom Hauptsacheverfahren “abhängt”, was sich daran zeigt, dass das Hauptsachegericht auch zu der Auffassung gelangen kann, dass die Akten nicht entscheidungserheblich sind, so dass die Durchführung eines Zwischenverfahrens nicht in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für dieses Zwischenverfahren folgt aus § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Prof. Dr. Kugele, Dr. Bumke
Fundstellen