Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Beschluss vom 05.07.2007; Aktenzeichen G 07.1) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs den Antrag der Klägerin abgelehnt und damit entschieden, dass dem Begehren der Klägerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der behördlichen Vorlageverweigerung – derzeit – nicht entsprochen werden kann. Der begehrten Feststellung steht entgegen, dass es nach dem derzeitigen Verfahrensstand an einer förmlich verlautbarten Entscheidung des Gerichts der Hauptsache zur Entscheidungserheblichkeit der nicht zugänglich gemachten Aktenteile und an einer darauf gründenden Ermessensentscheidung der gemäß § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO beigeladenen obersten Aufsichtsbehörde fehlt.
Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten – im vorliegenden Fall der Klägerin – auf Entscheidung des Fachsenats im selbstständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit bejaht hat.
Ob bestimmte Urkunden oder Akten der Vorlagepflicht des § 99 Abs. 1 VwGO unterliegen, entscheidet das Gericht der Hauptsache. Dies geschieht in der Weise, in der das Gericht der Hauptsache auch sonst seiner Pflicht zur Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhalts vom Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) nachkommt (vgl. Beschluss vom 9. November 1962 – BVerwG 7 B 91.62 – BVerwGE 15, 132 ≪133≫). Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten, muss das Gericht der Hauptsache zunächst darüber entscheiden, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen benötigt, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufzuklären. Denn für den Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit muss klargestellt sein, was er zum Gegenstand haben soll. Dazu bedarf es gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 358 ZPO grundsätzlich eines Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsache, weil die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren erfordert (Beschlüsse vom 24. November 2003 – BVerwG 20 F 13.03 – BVerwGE 119, 229 ≪230 f.≫; vom 22. Januar 2004 – BVerwG 20 F 6.03 – juris Rn. 4; vom 27. Februar 2004 – BVerwG 20 F 18.03 – und vom 12. Januar 2006 – BVerwG 20 F 12.04 – BVerwGE 125, 40 ≪42≫). Durch die Angabe des Beweisthemas verlautbart das Gericht förmlich, dass es diese Tatsachen als erheblich ansieht. Ferner legt sich das Gericht der Hauptsache dadurch, dass es ein positives Zwischenurteil nach § 173 VwGO i.V.m. § 303 ZPO erlässt, darauf fest, dass dem Fortgang des Verfahrens nicht das Fehlen bestimmter, streitig gewordener Sachentscheidungsvoraussetzungen entgegensteht und der Inhalt der Behördenakten nicht bereits deshalb unerheblich für die anstehende Entscheidung ist.
Ein Beweisbeschluss oder eine förmliche Äußerung des Gerichts der Hauptsache zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind (Beschlüsse vom 27. Februar 2004 – BVerwG 20 F 10.03 –; vom 26. August 2004 – BVerwG 20 F 19.03 –; vom 4. Mai 2006 – BVerwG 20 F 2.05, 20 PKH 3.05 –; vom 29. März 2006 – BVerwG 20 F 4.05 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 41; vom 15. Februar 2008 – BVerwG 20 F 13.07 – und vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 – zur Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz vorgesehen). Das ist immer dann der Fall, wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten – bereits – Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache ist und die Entscheidung des Verfahrens zur Hauptsache von der – allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden – Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind. Zutreffend hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs festgestellt, dass ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Die Vorlage der Akten ist nicht selbst Gegenstand des Rechtsstreits.
Eine förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit ist nicht erfolgt. Soweit die Klägerin darauf hinweist, der beschließende Senat habe eine prozessleitende Verfügung als ausreichend zur Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit angesehen und Bezug nimmt auf den Beschluss des Senats vom 15. August 2003 (– BVerwG 20 F 3.03 – BVerwGE 118, 352 ≪354 f.≫; vgl. auch die Beschlüsse vom selben Tag in den Parallelsachen – BVerwG 20 F 4.03 –; – BVerwG 20 F 7.03 – K&R 2004, 95; – BVerwG 20 F 8.03 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 34; – BVerwG 20 F 9.03 – NVwZ 2004, 745), ist zu beachten, dass der Senat die Anforderungen an eine förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit in der Folgezeit präzisiert hat.
Äußerungen des Verwaltungsgerichts während des Hauptsacheverfahrens genügen nicht den Anforderungen, die an die Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit gestellt werden.
Das Verwaltungsgericht hat zwar in seiner Abgabeverfügung vom 22. März 2007 gegenüber dem Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs unter ausführlicher Darlegung des Tatbestands darauf hingewiesen, dass zu prüfen sei, ob die maßgeblichen Grundsätze des Verwaltungskostenrechts beachtet worden seien, und ausgeführt, dass “(u)nter dieser Prämisse … die von der Klägerin … vorgetragene Entscheidungserheblichkeit der unterlassenen bzw. der nur geschwärzt vorgelegten Angaben nach der Sach- und Rechtslage geteilt” werde. Das Abgabeschreiben, auf das auch die Klägerin im Beschwerdeverfahren verweist, scheint den Beteiligten aber nicht förmlich zur Kenntnis gegeben worden zu sein. Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass den Beteiligten das gerichtliche Schreiben – vor Abgabe an den Fachsenat – zugeleitet worden ist. Dass die Beteiligten nunmehr um diese Mitteilung wissen, genügt nicht. Das Erfordernis der förmlichen Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit vor Abgabe an den Fachsenat gewährleistet, dass die oberste Aufsichtsbehörde auf dieser Grundlage in die gesetzlich geforderte Ermessensabwägung eintreten kann. Die oberste Aufsichtsbehörde ist wegen Art. 19 Abs. 4 GG in besonderem Maße gefordert, die sich im Verfahren der Hauptsache gegenüberstehenden Rechtspositionen der Beteiligten in die Ermessensabwägung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO einzustellen. Durch die Ermessenseinräumung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird ihr die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben (stRspr des Senats; zuletzt Beschluss vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 – m.w.N.). Dazu ist es – abgesehen von eindeutigen Fallkonstellationen – unerlässlich, dass die Entscheidungserheblichkeit einer Aktenvorlage durch Beschluss des Hauptsachegerichts förmlich feststeht. Nur auf der Grundlage einer solchen Feststellung kann die oberste Aufsichtsbehörde die ihr in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO auferlegte besondere Ermessensabwägung auf rechtlich gesicherter Grundlage durchführen (Beschluss vom 25. Februar 2008 – BVerwG 20 F 43.07 – zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen). Der Fachsenat und damit auch das Beschwerdegericht haben nur zu überprüfen, ob diese Entscheidung den an die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestellten Anforderungen genügt (Beschluss vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 –).
Wie im Beschwerdeverfahren ausdrücklich vorgetragen wird, hat sich das zuständige Bundesministerium mangels förmlicher Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit – bislang – auch gehindert gesehen, sein Ermessen auszuüben. Die Ausführungen gegenüber dem Gericht der Hauptsache mit Schriftsatz vom 9. November 2006 beschränken sich auf die Erläuterung der Vorgehensweise bei der Berechnung der Gebühren. Im Übrigen hat das Ministerium lediglich erklärt, welche Aktenseiten bei den vorgelegten Akten entnommen und geschwärzt worden sind.
Ebenso wenig lässt sich aus dem Hinweis des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2006, dass Behörden gesetzlich verpflichtet seien, die “gesamten Originalunterlagen” vorzulegen, ableiten, dass das Gericht damit die Entscheidungserheblichkeit aller Unterlagen hat bejahen wollen. Wie der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs zutreffend festgestellt hat, fehlt es dem Hinweis an der gebotenen Eindeutigkeit. Das gilt auch für die zwei gerichtlichen Verfügungen vom 27. Dezember 2006 und 29. Januar 2007, in denen das Gericht der Hauptsache auf das in § 99 Abs. 2 VwGO vorgesehene Verfahren verweist. Zu diesem Zeitpunkt hätte es vor allem deswegen einer eindeutigen Erklärung bedurft, weil die geschwärzten bzw. durch Entnahme “bereinigten” Akten zwischenzeitlich vom zuständigen Bundesministerium vorgelegt worden waren und sich daher dem Gericht der Hauptsache die Frage aufdrängen musste, ob es – neben den bereits zugänglich gemachten Aktenteilen – auch der vorenthaltenen Aktenteile zur Entscheidungsfindung bedurfte. Darauf hebt der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs zu Recht ab. Mit dem Hinweis, dass es hinsichtlich bestimmter Positionen der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit bedurft hätte, macht der Fachsenat deutlich, dass es im vorliegenden Fall nicht – wie in der Abgabeverfügung des Verwaltungsgerichts – genügt, allgemein auf die Grundsätze des Verwaltungskostenrechts zu verweisen, sondern darzulegen ist, aus welchen Rechtsgründen es auf die verschiedenen Positionen ankommt bzw. ob der Umstand, dass die Beklagte eine doppelte Aufgabenstellung inne hat, rechtlich beachtlich ist. Damit unterstreicht der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs die der Bindungswirkung einer förmlichen Verlautbarung zukommende besondere Bedeutung. Denn der Fachsenat ist grundsätzlich an die Rechtsauffassung des Hauptsachegerichts gebunden. Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (Beschlüsse vom 28. März 2006 – BVerwG 20 F 1.05 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 40 und vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 –). Das Hauptsachegericht muss daher mit Blick auf die Bindungswirkung hinreichend klar und mit der dem jeweiligen Sachverhalt geschuldeten Differenzierung darlegen, aus welchen rechtlichen Erwägungen heraus es der Offenlegung der verweigerten Angaben bedarf.
Der Umstand, dass das Gericht der Hauptsache – bislang – auf eine förmliche Äußerung zur Entscheidungserheblichkeit verzichtet hat, führt lediglich dazu, dass es nunmehr – nach Abschluss dieses Zwischenverfahrens – bei der erneuten Befassung mit der Sache über die Entscheidungserheblichkeit zu entscheiden haben wird. Je nach Entscheidung des Hauptsachegerichts sind der Klägerin dann entweder das Rechtsmittel im Hauptsacheverfahren oder – je nachdem wie die oberste Aufsichtsbehörde ihr Ermessen ausübt – die Möglichkeit eröffnet, einen (erneuten) Antrag auf Durchführung des Zwischenverfahrens zu stellen. Die von der Klägerin hilfsweise beantragte Zurückverweisung sieht das Gesetz nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für dieses Zwischenverfahren folgt aus § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Prof. Dr. Kugele, Dr. Bumke
Fundstellen