Entscheidungsstichwort (Thema)

Bauvorhaben im Außenbereich. Ortsteil, im Zusammenhang bebauter. Gemarkungsgrenze. Gemeindegrenze. Bebauungszusammenhang. Splittersiedlung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil angrenzendes unbebautes Grundstück gehört nicht schon deshalb zu diesem Bebauungszusammenhang, weil es mit seiner anderen Seite an eine Gemeindegrenze reicht.

 

Normenkette

BBauG 1960 §§ 30, 34; BauGB § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 21.01.1997; Aktenzeichen 10 A 5534/94)

VG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.09.1994; Aktenzeichen 9 K 4794/91)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Januar 1997 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger begehrt einen Bauvorbescheid für ein Wohngebäude auf einem Grundstück, das einerseits an bebaute Grundstücke in derselben Gemeinde und andererseits an ein zum Außenbereich der Nachbargemeinde gehörendes Grundstück angrenzt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil das Grundstück des Klägers im Außenbereich liege und seine Bebauung öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 2 und 3 BauGB beeinträchtige.

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für die Zulassung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. a) Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht sei bei der Abgrenzung von Innen- und Außenbereich insoweit von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 1967 – BVerwG 4 C 25.66 – (BVerwGE 27, 137) abgewichen, als es bei seiner Beurteilung den Verlauf der Gemeindegrenze als unerheblich angesehen habe, kann offenbleiben, ob das Berufungsurteil überhaupt auf einer Abweichung von der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beruhen kann. Dies ist zweifelhaft, weil das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 1967 – BVerwG 4 C 25.66 – (a.a.O.) zu § 34 des Bundesbaugesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 23. Juni 1960 (BGBl I S. 341) – BBauG 1960 – ergangen ist, während nunmehr allenfalls der geänderte § 34 Abs. 1 BauGB zur Anwendung kommen könnte. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Rechtssatz, daß ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne von § 34 BBauG 1960 nur auf dem Gemarkungsgebiet der planungsbefugten Gemeinde bestehen könne, aus der damaligen Gesetzesfassung abgeleitet, die mit den Worten begann: “In Gebieten, für die die Gemeinde noch nicht beschlossen hat, einen Bebauungsplan im Sinne von § 30 BBauG aufzustellen, …”. Diese Wendung ist inzwischen entfallen, so daß in einer abweichenden Auslegung des § 34 Abs. 1 BauGB keine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen dürfte (so Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 31. März 1995 – 1 L 4063/93 – BauR 1995, 824 ≪825≫).

Diese Frage kann indes dahinstehen, weil das Berufungsurteil unabhängig hiervon nicht von dem Urteil vom 26. Mai 1967 – BVerwG 4 C 25.66 – (a.a.O.) abweicht. In diesem Urteil ist ausgesprochen worden, daß die auf dem Gebiet der Nachbargemeinde faktisch vorhandene Bebauung in die Prüfung, ob das Baugrundstück zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil gehöre, nicht einzubeziehen sei. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht – bei der Anwendung des § 34 BBauG 1960 – der Gemarkungsgrenze eine einschränkende Funktion im Sinne einer rechtlichen Begrenzung innerhalb eines tatsächlich vorhandenden Bebauungszusammenhangs zugesprochen. Demgegenüber rügt die Beschwerde sinngemäß, das Berufungsgericht habe der Gemeindegrenze keine erweiternde Funktion zugemessen; wenn es die Gemeindegrenze in seine Beurteilung mit einbezogen hätte, hätte es die Bebauung im Gemeindegebiet des Klägers unter Einschluß seines Grundstücks als zum nicht beplanten Innenbereich gehörig angesehen. Mit diesem Beschwerdevorbringen ist eine Divergenz nicht dargetan. Mit seinen Ausführungen, die Gemeindegrenze sei keine Linie, bis zu der – etwa einer Straße oder einem Landschaftseinschnitt vergleichbar – unbebaute Grundstücke als noch zum Bebauungszusammenhang gehörend angesehen werden könnten, hat das Berufungsgericht keinen dem Urteil vom 26. Mai 1967 widersprechenden Rechtssatz aufgestellt. Die kritischen Bemerkungen zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 1967 – BVerwG 4 C 25.66 – (a.a.O.) tragen das Berufungsurteil nicht, sondern erweisen sich – wie das Berufungsgericht selbst einräumt (“Wie lediglich der Vollständigkeit halber angemerkt sei…”– Berufungsurteil S. 13) – als obiter dictum.

b) Die Beschwerde rügt, daß das Berufungsgericht auch bei der Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB von dem Urteil des Senats vom 26. Mai 1967 – BVerwG 4 C 25.66 – (a.a.O.) abgewichen sei. Bei der Einschätzung, daß das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspreche, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtige und eine unerwünschte Zersiedelung des Außenbereichs darstelle, habe es dem Verlauf der Gemeindegrenze keine Bedeutung beigemessen. Auch diese Aussagen des Berufungsurteils lassen keine Abweichung von der o.g. Entscheidung des Senats erkennen; in ihm wird für die Prüfung des Belangs der zu befürchtenden Entstehung einer Splittersiedlung gerade hervorgehoben, daß es bei einem Hinzutreten des Vorhabens zu einer vorhandenen Bebauung keinen Unterschied mache, “… ob diese Bebauung – ganz oder teilweise – von dem Vorhaben durch eine kommunale Grenze getrennt wird”. (a.a.O. S. 140).

c) Soweit die Beschwerde geltend macht, daß das Berufungsgericht bei der Prüfung der Zersiedelung des Außenbereichs dem Vorhaben zu Unrecht eine Vorbildwirkung für die südlich gelegene Freifläche zugemessen habe, werden – ohne Erhebung einer Verfahrensrüge – die tatrichterlichen Feststellungen und die Beweiswürdigung angegriffen. Mit solchen Angriffen gegen die berufungsgerichtliche Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall kann eine Abweichungsrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO jedoch nicht begründet werden. Das Berufungsgericht ist mit der Annahme eines unerwünschten Zersiedelungsvorgangs im Außenbereich auch in der Sache nicht von dem Urteil des Senats vom 26. Mai 1967 – BVerwG 4 C 25.66 – (a.a.O.) abgewichen. Der Senat hat dort diesen öffentlichen Belang dahin gehend präzisiert, daß über die (abstrakte) Gefahr des Anschlusses weiterer Vorhaben auf benachbarten Grundstücken hinaus das Vorhaben den Vorgang der Zersiedelung einleitet oder gar vollzieht (a.a.O. S. 139). Bei Wohnbauten im Außenbereich werde dies regelmäßig der Fall sein; Ausnahmen seien denkbar, wenn sich die Streubebauung im Außenbereich als die herkömmliche Siedlungsform darstelle oder das Vorhaben in organische Beziehung zu bereits vorhandener Bebauung trete. Letztere Ausnahme setze allerdings voraus, daß es sich bei dieser Bebauung nicht selbst um eine zu mißbilligende Splittersiedlung handle (BVerwG a.a.O. S. 140). Das Berufungsgericht hat die sich südlich des klägerischen Grundstücks befindliche Bebauung als einen Siedlungssplitter im Außenbereich angesehen, dessen Erweiterung unerwünscht sei (Berufungsurteil S. 11, 18). Damit befindet es sich auch hinsichtlich der Rechtsanwendung auf den Einzelfall in Übereinstimmung mit den von dem Senat entwickelten Maßstäben.

2. Auch mit ihrer Frage, welche Bedeutung die Gemeindegrenze für die Abgrenzung des Innenbereichs im Sinne des § 34 BauGB vom Außenbereich im Sinne des § 35 BauGB sowie bei den öffentlichen Belangen nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB habe, muß die Beschwerde erfolglos bleiben. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt nur in Betracht, wenn die als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage für die Entscheidung erheblich ist (BVerwG, Beschluß vom 1. Juli 1986 – BVerwG 2 B 65.85 – (DVBl 1986, 1159 m.w.N.) und sie sich nicht auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten läßt. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

a) Wie bereits oben ausgeführt, stellt sich im Berufungsurteil die Frage nach der Bedeutung der Gemeindegrenze für die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich aufgrund der tragenden tatrichterlichen Würdigungen des Berufungsgerichts nur in einer Richtung, nämlich in erweiternder Funktion. Tragend ist die Annahme im Berufungsurteil, daß die in der Örtlichkeit nicht erkennbare Gemeindegrenze nicht über den tatsächlichen Bebauungszusammenhang hinausgreifend zu wirken vermag (Berufungsurteil S. 13/14). Dieser Rechtssatz betrifft aber keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, für deren Klärung es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Der Gesetzeswortlaut des § 34 Abs. 1 BauGB läßt unzweideutig erkennen, daß die Beurteilung, ob ein Grundstück Teil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils ist, primär von tatsächlichen Merkmalen abhängt (BVerwG, Urteil vom 6. November 1968 – BVerwG 4 C 2.66 – BVerwGE 31, 20 ≪21≫; Urteil vom 6. November 1968 – BVerwG 4 C 31.66 – BVerwGE 31, 22 ≪26≫, stRspr). Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß ein an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil angrenzendes unbebautes Grundstück nicht schon deshalb zu diesem Bebauungszusammenhang gehört, weil es mit seiner anderen Seite an die Gemeindegrenze reicht. Erst recht ist die Gemeindegrenze für die Abgrenzung des Innen- und Außenbereichs bedeutungslos, wenn das Baugrundstück an der Gemeindegrenze lediglich an bebaute Grundstücke, die zu keinem im Zusammenhang bebauten Ortsteil gehören, grenzt; dies hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall angenommen.

b) Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage nach der Bedeutung der Gemeindegrenze bei den öffentlichen Belangen nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB betrifft – sollte sie überhaupt in dieser pauschalen Form beantwortbar sein – jedenfalls keinen das Berufungsurteil tragenden Rechtssatz.

Das Berufungsgericht hat dem Vorhaben entgegengehalten, daß es auf dem Gebiet der Stadt Meerbusch die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lasse. Gegen diese tatrichterliche Würdigung wendet sich die Beschwerde, wie oben ausgeführt, ohne Erfolg. Damit betreffen aber die Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit den übrigen vom Berufungsgericht angeführten Versagungsgründen stehen, keine Rechtssätze, auf denen das Berufungsurteil beruht. Ist ein Urteil auf mehrere selbständige und tragfähige Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn in bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt (BVerwG, Beschluß vom 6. September 1979 – BVerwG 8 B 35 und 37.79 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 176).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Lemmel, Heeren

 

Fundstellen

DÖV 1997, 967

NuR 1998, 91

BRS 1997, 260

BRS 1998, 260

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