Studie: Potenzial von 625.000 Wohnungen mit Nachverdichtung

Knapp sieben Millionen Wohnungen sind zwischen 1949 und 1968 in Deutschland gebaut worden, viele der Siedlungen entstanden am Stadtrand mit großzügigen Frei- und Grünflächen – hier sieht eine Studie Potenzial von 625.000 Wohnungen durch Nachverdichtung.

Der Mietwohnungsmarkt in Deutschland ist angespannt – Nachverdichtung in den Städten und Wachstumsregionen könnte eine Lösung für das anhaltende Problem sein. Bulwiengesa hat im Auftrag des gewerblichen Immobilienfinanzierers Berlin Hyp in einer Kurzstudie ein theoretisches Potenzial von 625.000 neuen Wohnungen errechnet.

Im Zentrum der Untersuchung standen Siedlungen aus den 1950er und 1960er Jahren mit großzügigen Frei- und Grünflächen. Bestandsmieter können von einer Qualitätssteigerung des Quartiers profitieren, so die Studienautoren.

Wohnraum: Mehr Angebot durch Nachverdichtung

"Rentabel und zugleich bezahlbar zu bauen ist unter den momentanen Rahmenbedingungen häufig nur mit enormen Anstrengungen machbar", sagt Sascha Klaus, Vorstandsvorsitzender der Berlin Hyp AG. Verschiedene Lösungsansätze für eine Entspannung des Wohnungsmarktes müssten geprüft und vermeintliche Randdisziplinen wie die Nachverdichtung in den Blick genommen werden.

Das Potenzial bei den Wohnbeständen der 1950er und 1960er Jahre ist der Studie zufolge erheblich: Knapp 6,8 Millionen Wohnungen sind zwischen 1949 und 1968 gebaut worden, viele der Siedlungen entstanden am damaligen Stadtrand und sind mit großzügigen Frei- und Grünflächen versehen.

"Konkret könnten nach unseren Berechnungen deutschlandweit etwa 625.000 Geschosswohnungen an nachgefragten Standorten im Rahmen von Nachverdichtungsmaßnahmen gebaut werden", so André Adami, Bereichsleiter Wohnen bei Bulwiengesa. Nur ein Teil des Potenzials wäre demnach ein signifikanter Beitrag zur Erhöhung des Wohnraumangebots.

Entsprechend der Zensus-Erhebung aus dem Jahr 2022 befinden sich rund fünf Millionen Geschosswohnungen in diesen Gebäuden in der Hand von kommunalen Wohnungsunternehmen, Genossenschaften und privaten Wohnungsgesellschaften.

Weniger Baukosten, Genehmigungsverfahren und Zersiedelung

Die Vorteile liegen dem Bulwiengesa-Experten zufolge auf der Hand: Er sieht eine Kostenersparnis durch bereits vorhandene Grundstücke, weniger zeitaufwändige Genehmigungsverfahren und weniger Zersiedelung der Städte. Dabei dürften die Belastungen für die Bestandsmieter aber nicht unterschätzt werden: Die könnten durch eine gute Kommunikation zumindest abgemildert werden. Zudem könnten Bestandsmieter von einer mit der Nachverdichtung einhergehenden Qualitätssteigerung des Quartiers und meist einem breiteren Wohnungsangebot profitieren.

Die Studie prognostiziert für die kommenden Jahre einen steigenden Anteil der Nachverdichtungen an der Neubautätigkeit in Deutschland. "Der Anteil der Finanzierungen für Nachverdichtungsprojekte ist zurzeit trotz vieler erkennbarer Vorteile noch überschaubar", erklärt Berlin-Hyp-Chef Klaus. Bestandshalter sollten daher intensiv prüfen, ob es im Portfolio nicht ungenutzte Potenziale gibt, die ein wirtschaftliches Bauen an Standorten mit vorhandener Infrastruktur ermöglichen.

Nachverdichtungen: Pro & Contra im Überblick

Diese Vorteile skizziert die Studie aus der Neubebauung von vorhandenen Freiflächen:

  • Geringere Kosten: Grundstücke verursachen in einer solchen Projektentwicklung keinen Liquiditätsabfluss und können im Rahmen der Finanzierung bereits den Eigenkapitalanteil darstellen. Auf den Grundstücksanteil entfallen meist rund 20 Prozent der Gesamtgestehungskosten, sodass der Neubau günstiger errichtet und vermietet werden kann.
  • Höhere Geschwindigkeit: Die Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit richtet sich in der Regel nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB). In Absatz 1 heißt es dazu: "Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist (...)". Der Genehmigungsprozess gestaltet sich vergleichsweise schnell.
  • Stärkere Innenentwicklung: Mit der Nachverdichtung wird einer Zersiedelung entgegengewirkt und das übergeordnete Ziel der "Innen- vor Außenentwicklung" unterstützt.
  • Bessere Infrastrukturauslastung: Vorhandene Angebote über den öffentlichen Nahverkehr, Bildungseinrichtungen bis zum Einzelhandel werden besser ausgelastet. Es entstehen in der Regel keine größeren neuen Kosten für Grundstückseigentümer und Kommunen.
  • Stärkere Durchmischung: Eine Nachverdichtung führt zur Aufwertung von meist monofunktionalen Quartieren, wenn neue Nutzungen und Wohnungsprodukte realisiert werden, wie Kindertagesstätten oder Seniorenwohnungen.
  • Größere Produktvielfalt: Durch eine Neubebauung mit bisher nicht vorhandenen Wohnungstypen oder barrierefreien Wohnungen werden neue Zielgruppen zur sozialen und/oder demografischen Durchmischung der Siedlung erschlossen. Ältere Mieter können im angestammten Quartier bleiben und größere, familiengerechte Wohnungen freiziehen.
  • Höhere Attraktivität: Ein weiterer Vorteil einer Nachverdichtung im Bestand ist die höhere Attraktivität des Quartiers für die Vermietung aufgrund der oftmals besseren Mikrostandortqualität gegenüber Neubausiedlungen. Die Wohnqualität einer gewachsenen Siedlung mit etablierten Grün-, Freiflächen- und Nutzungsstrukturen wird häufig höher bewertet.

Folgende Nachteile wurden für die Studie diskutiert:

  • Höherer Logistikaufwand: Es entstehen kurzzeitige Beeinträchtigungen durch Baulärm, Staub und Baustellenfahrzeuge. Aufgrund der dichten Bebauungsstruktur entstehen baulogistische Herausforderungen, beispielsweise für die Schaffung der Baustellenzufahrt und die Bereitstellung von Lagerflächen für Baumaterial. Wegen Brandschutz könnten neue Durch- und Zufahrtsstraßen für die Feuerwehr bei der Planung notwendig werden, was die Grundstücksfläche reduziert.
  • Dichtere Bebauung: Langfristige Beeinträchtigungen entstehen, etwa durch eine stärkere Verschattung der Bestandsgebäude und eine geringere Privatsphäre durch neue Nachbarn.
  • Erhöhter Lärm: Mit einer Kita oder einer Quartiersgarage gehen häufig höhere Lärm- und Verkehrsbelastungen einher.
  • Weniger Grünflächen: Grundsätzlich steigt in der Regel die Versiegelung im Quartier, da Grün- und Freiflächen wegfallen. Zudem müssen oft Bäume gefällt werden. Der Lebensraum für Tiere reduziert sich und die Luftzirkulation mit Nachteilen für das Stadtklima ist beeinträchtigt.
  • Weniger Stellplätze: Durch die Neubebauung reduziert sich oft auch die Anzahl der Parkplätze. Häufig werden bei Nachverdichtungen keine neuen Stellplätze realisiert, sodass sich die Nachfrage auf die verbliebenen Autoparkplätze erhöht.
  • Höherer Kommunikationsbedarf: Die Eigentümer der Siedlungen sind sehr häufig mit Protesten der Bestandsmieter konfrontiert. Unter dem Motto "not in my backyard" entstehen Bürgerinitiativen und Demonstrationen gegen die Nachverdichtung. Der Vorhabenträger hat einen hohen Kommunikationsaufwand. Es entstehen zusätzliche Kosten und Verzögerung oder gar Abwendungen.

Bulwiengesa-Kurzstudie mit Beispielen von Nachverdichtungen:

"Nachverdichtung: Wieviel Potenzial steckt in den Wohnsiedlungen der 1950er und 1960er Jahre?"


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Schlagworte zum Thema:  Wohnungsbau, Nachverdichtung