Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 20.01.2011; Aktenzeichen 12 A 2925/09) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2011 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Rz. 1
Dem Kläger kann keine Prozesskostenhilfe bewilligt und kein Rechtsanwalt beigeordnet werden; denn die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Die in der fristgerecht eingegangenen Beschwerdeschrift vorgetragenen Gründe rechtfertigen die Zulassung der Revision nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO nicht.
Rz. 2
1. Es ist nicht zu erwarten, dass die Revision wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen wird. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 21. Juli 2011 – BVerwG 6 B 29.11 – juris Rn. 2 und vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO ≪n.F.≫ Nr. 26 S. 14).
Rz. 3
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Sie hat schon keine konkrete, fallübergreifende und höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage benannt. Die Beschwerdeschrift legt nicht dar, inwieweit die gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG in Bezug auf den Zeitpunkt des Spracherwerbs auslegungsbedürftig ist, inwiefern die im vorliegenden Fall auftretenden Fragen für eine Vielzahl von Fällen bedeutsam sind und aus welchen Gründen sie einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Vielmehr erschöpft die Beschwerde sich weitgehend in dem Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe entgegen der gesetzlichen Vorgabe nicht auf den Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, sondern auf den Zeitpunkt der Einreise abgestellt. Damit wird eine fehlerhafte Anwendung der Vorschrift im Einzelfall behauptet, aber kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt (vgl. Beschluss vom 21. Juli 2011 a.a.O. Rn. 3).
Rz. 4
Zudem wird auch die Entscheidungserheblichkeit der angesprochenen Frage für eine Revisionsentscheidung nicht hinreichend dargelegt. Dazu hätte schlüssig ausgeführt werden müssen, dass der Kläger nach den im Revisionsverfahren zu Grunde zu legenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts im Zeitpunkt der Einbeziehung in den Aufnahmebescheid (Juni 2006) über bessere Deutschkenntnisse verfügte als im Zeitpunkt der Einreise (August 2008). Der Kläger hat aber nur vorgetragen, dass er nach seiner eigenen Einschätzung zum Zeitpunkt der Bescheidserteilung besser deutsch gesprochen habe als zum Zeitpunkt der Einreise. Dies lässt auch die nötige Befassung mit den tatrichterlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Spracherwerb vermissen. Das Tatsachengericht hat festgestellt, dass die Deutschkenntnisse des Klägers im Wesentlichen aus der familiären Vermittlung im Kindesalter durch seine Großmutter mütterlicherseits stammen und dass die nach der Einreise festgestellten deutlich geringeren Sprachkenntnisse des Klägers im Vergleich zu seinem Bruder mit der geringeren Betreuungsdauer durch die Großmutter zu erklären sind. Diese tatrichterlichen Feststellungen dürften der Annahme entgegenstehen, der Kläger habe in Bezug auf die Beherrschung der deutschen Sprache zwischen familiärer Sprachvermittlung im Kindesalter und seiner Einreise ins Bundesgebiet jemals ein höheres Sprachniveau erreicht.
Rz. 5
2. Auch soweit die Beschwerde auf den Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützt ist, genügt sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine Divergenz ist gegeben, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 und vom 26. August 2010 – BVerwG 5 B 28.10 – juris Rn. 12).
Rz. 6
Zwar hat die Beschwerde behauptet, dass das angegriffene Berufungsurteil von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2003 (BVerwG 5 C 11.03 – NVwZ 2004, 753 und BVerwG 5 C 33.02 – BVerwGE 119, 6) abweicht. Sie befasst sich aber nicht damit, dass sich das Berufungsgericht ausdrücklich auf diese Entscheidungen bezogen hat (vgl. UA S. 18). Es wird auch nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht davon abweichende abstrakte Rechtssätze aufgestellt hätte. Solche divergierenden abstrakten Rechtssätze werden auch nicht formuliert. Damit wird der Sache nach nur eine fehlerhafte Anwendung nicht bestrittener Grundsätze im Einzelfall behauptet. Dies rechtfertigt aber die Zulassung der Divergenzrevision nicht (vgl. Beschluss vom 26. August 2010 a.a.O. Rn. 15).
Rz. 7
3. Schließlich dringen auch die vom Kläger (unter 3. der Beschwerdeschrift S. 7 f.) erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht durch.
Rz. 8
a) Damit macht der Kläger zum einen geltend, das Oberverwaltungsgericht hätte seinen Beweisantrag “zur Überprüfung seiner dialektgefärbten Deutschkenntnisse” nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, dass er auf Bewertungen abziele, die dem Gericht vorbehalten seien. Diese Auffassung sei “nicht richtig” und verletze seinen “Anspruch auf Vornahme der beantragten Aufklärungsmaßnahmen gem. § 86 Abs. 2 VwGO”. Ein deutsches Gericht sei nicht in der Lage, die Feststellungen eines Dialektsprechers zu ersetzen. Es könne auch nicht die Rede davon sein, dass der Beweisantrag “substanziiert” (gemeint ist offenbar: unsubstanziiert) gewesen sei. Mit diesem und dem weiteren Vortrag hierzu (vgl. Beschwerdebegründung S. 7/8) wird der behauptete Verfahrensmangel schon nicht ordnungsgemäß dargelegt und auch in der Sache nicht aufgezeigt. Insoweit fehlt es schon an der Mitteilung des genauen Inhalts des abgelehnten Beweisantrags, der im Übrigen – entgegen dem in der Beschwerde erweckten Eindruck – nicht auf die Hinzuziehung eines Dialektsachverständigen, sondern lediglich auf die Einbeziehung eines nicht näher spezifizierten sprachwissenschaftlichen Gutachtens gerichtet war.
Rz. 9
Im Übrigen ist auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung des tatsächlich gestellten Beweisantrags weder schlüssig dargelegt noch ersichtlich. Die Ablehnung eines Beweisantrags kann den Anspruch eines Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör nur dann verletzen, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Beschluss vom 12. Mai 1999 – BVerwG 9 B 264.99 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 3 m.w.N.). Auch das ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichteter Beweisantrag im Hinblick auf die eigene Sachkunde des Gerichts abgelehnt werden kann (vgl. Beschluss vom 11. Februar 1999 – BVerwG 9 B 381.98 – DVBl 1999, 1206). Es ist zudem anerkannt, dass ein deutsches Gericht in aller Regel auch ohne die Hinzuziehung eines Sachverständigen in der Lage ist, zu beurteilen, ob eine Person die deutsche Sprache so beherrscht, wie dies nach § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG erforderlich ist (Beschlüsse vom 4. April 2005 – BVerwG 5 B 24.05 – juris Rn. 9 und vom 19. November 1999 – BVerwG 5 B 75.99 – juris Rn. 4). Der Kläger hat ausweislich des Sitzungsprotokolls weder vor noch nach der Ablehnung seines Beweisantrags irgendeinen Umstand vorgetragen, der in seinem Fall ausnahmsweise eine besondere Sachkunde bei der Prüfung der Sprachkenntnisse nahegelegt hätte. Daher musste sich die Einschaltung eines sprachwissenschaftlichen Sachverständigen dem Oberverwaltungsgericht auch nicht im Rahmen seiner Untersuchungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO aufdrängen.
Rz. 10
b) Die Beschwerde beanstandet zum anderen als verfahrensfehlerhaft (Beschwerdebegründung S. 8 Abs. 2), das Berufungsgericht habe die Vernehmung des Bruders des Klägers abgelehnt, “obwohl dieser als Spätaussiedler anerkannt wurde und zwei Jahre jünger als der Kläger ist”. Es spreche doch alles dafür, dass der ältere Bruder das Deutsch maßgeblich an den jüngeren weitergegeben habe und nicht umgekehrt. Auch damit lässt sich ein Verfahrensverstoß nicht begründen, ebenso wenig mit den weiteren Ausführungen (a.a.O. S. 8 Abs. 3 ff.).
Rz. 11
Hiervon wiederum abgesehen, hat das Berufungsgericht den – ebenfalls nicht im Einzelnen mitgeteilten – Beweisantrag, den Bruder des Klägers als Zeugen zu vernehmen, ohne Gehörsverstoß abgelehnt. Hinsichtlich des Beweisthemas der familiären Vermittlung der deutschen Sprache konnte das Berufungsgericht den Antrag mit der Begründung abweisen, diese sei nicht streitig. Bereits erwiesene Tatsachen bedürfen keines weiteren Beweises. Bezüglich der unter Beweis gestellten Fähigkeit, im Zeitpunkt der Ausreise ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, hat das Berufungsgericht den Antrag abgelehnt, weil es an der hinreichend bestimmten Bezeichnung derjenigen Tatsachen fehle, die Gegenstand der unmittelbaren Wahrnehmung des Zeugen hierzu sein sollten. Dies ist prozessrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere werden die Anforderungen an die Pflicht zur Substanziierung von Beweisanträgen nicht überspannt.
Rz. 12
Bei einem Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen ist im Einzelnen darzulegen, welche Bekundungen über konkrete Wahrnehmungen von dem Zeugen zu erwarten sind, so dass das Gericht in die Lage versetzt wird, die Tauglichkeit des Beweismittels zu beurteilen. Es genügt nicht, bei Angabe des Beweisthemas lediglich die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anerkennung eines bestimmten Rechtsstatus zu wiederholen (vgl. Urteil vom 8. Februar 1983 – BVerwG 9 C 598.82 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 2; Beschluss vom 29. Juni 2001 – BVerwG 1 B 131.00 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 63). Im vorliegenden Fall hat der Kläger als Beweisthema lediglich eine gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung wiederholt und nicht konkret erläutert, auf Grund welcher in das Wissen des Zeugen gestellter Tatsachen der Schluss auf eine ausreichende Sprachbeherrschung im Zeitpunkt der Ausreise gerechtfertigt sei. Da der Kläger vom Oberverwaltungsgericht bei Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung auf die mangelnde Substanziierung seines Beweisantrags hingewiesen worden ist, hätte er sich das nunmehr vermisste Gehör dadurch verschaffen können und müssen, dass er konkrete ins Wissen des Zeugen gestellte Tatsachen vorgetragen und seinen Beweisantrag ggf. wiederholt hätte.
Rz. 13
Die beantragte Zeugenvernehmung war auch nicht im Hinblick auf die richterliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO geboten, weil sich das Gericht durch die ausführliche informatorische Vernehmung des Klägers selbst ein Bild über dessen aktuelle Deutschkenntnisse verschafft hatte und weil diese Vernehmung ausreichende Rückschlüsse auf das Sprachniveau des Klägers bei Einreise zuließ. Ein weiterer Aufklärungsbedarf bestand auch nicht im Hinblick darauf, dass das Oberverwaltungsgericht beim Bruder des Klägers (in dessen zeitgleich verhandelten Verfahren) von einer ausreichenden Sprachbeherrschung ausging. Denn die vom Berufungsgericht festgestellten Sprachbeherrschungsunterschiede konnten nachvollziehbar damit erklärt werden, dass der Bruder des Klägers – wie bereits ausgeführt – eine stärkere deutsche Sprachprägung erfahren hatte.
Unterschriften
Hund, Dr. Häußler, Dr. Fleuß
Fundstellen