Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 07.10.2008; Aktenzeichen 9 A 209.07) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Mit Bescheid vom 18. August 1995 stellte das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin fest, dass der Kläger politisch Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 4 BerRehaG sei und die Verfolgungszeit vom 4. April 1973 bis zum 11. Dezember 1985 gedauert habe, und erteilte eine Rehabilitierungsbescheinigung nach § 17 Abs. 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 BerRehaG. Mit Bescheid vom 1. März 2007 wurde der genannte Bescheid insoweit zurückgenommen, als darin das Vorliegen von Ausschließungsgründen im Sinne von § 4 BerRehaG verneint worden war. Der Kläger habe die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS bzw. das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der DDR bewusst falsch mit Nein beantwortet. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage zurückgewiesen, da Ausschließungsgründe nach § 4 BerRehaG gegeben seien.
Rz. 2
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.), noch ist eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erkennbar (2.). Schließlich liegt auch der nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügte Verfahrensmangel nicht vor (3.).
Rz. 3
1. Der Kläger misst der Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung bei, weil zu klären sei, ob
“entgegen der richterlichen Würdigung er tatsächlich gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht habe.”
Rz. 4
Dies rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sind weder in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt noch sonst ersichtlich. Die aufgeworfene Frage betrifft den konkreten Sachverhalt des vorliegenden Falles, ohne erkennbar werden zu lassen, ob diese Konstellation in einer nennenswerten Zahl weiterer Fälle ebenfalls zur Entscheidung stehen könnte. Im Kern beschränkt sie sich darauf, die Tatsachenwürdigung des Verwaltungsgerichts anzugreifen und grundsätzliche Bedeutung zu behaupten. Selbst wenn unter Weglassung der einzelfallbezogenen Elemente unterstellt wird, dass der Kläger fallübergreifend geklärt wissen will, wann im Sinne von § 4 BerRehaG ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit gegeben ist, rechtfertigt dies eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht. Der Senat hat diese Frage – soweit sie einer generalisierenden Antwort zugänglich ist – dahin gehend entschieden, dass eine Spitzeltätigkeit für die Stasi bzw. ihr gleichzustellende Organe unter Inkaufnahme einer Drittschädigung im Regelfall einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begründet. Ausreichend ist der Nachweis, dass die gelieferten Informationen geeignet gewesen sind, den Denunzierten ernsthaft in Gefahr zu bringen. In subjektiver Hinsicht setzt ein Verstoß gegen die genannten Grundsätze ein schuldhaftes Verhalten voraus (Urteil vom 8. März 2002 – BVerwG 3 C 23.01 – BVerwGE 116, 100 = Buchholz 428.8 § 4 BerRehaG Nr. 1; Urteil vom 19. Januar 2006 – BVerwG 3 C 11.05 – Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 2). Ob unter Beachtung dieser Grundsätze die Voraussetzungen des Ausschließungsgrundes erfüllt sind, ist anhand der konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzellfalles zu entscheiden.
Rz. 5
Schließlich stellt sich nach Auffassung des Klägers die Frage, ob im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn unmissverständliche Fragen eines behördlichen Formulars korrekt beantwortet werden. Insoweit wird die Beschwerdebegründung den Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht. Sie zeigt nicht ansatzweise auf, inwieweit dieser Frage fallübergreifende Bedeutung zukommen könnte. Hinter der vermeintlichen Grundsatzfrage verbirgt sich der Sache nach ebenfalls nur ein Angriff auf die Tatsachenwürdigung durch die Vorinstanz.
Rz. 6
2. Die gerügten Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind ebenfalls nicht erkennbar.
Rz. 7
Der Kläger sieht eine Divergenz zu dem Urteil des Senats vom 8. März 2002 (a.a.O.) darin, dass das Verwaltungsgericht eine Notlage, aufgrund derer er sich der Spitzeltätigkeit im Jahre 1952 nicht habe entziehen können, verneint habe. Die inoffizielle Tätigkeit nach 1961 habe sich lediglich auf Gesichtspunkte des Betriebsschutzes bei der Wismut bezogen und die verfassten Berichte hätten niemandem geschadet. Eine rügefähige Abweichung wird durch dieses Vorbringen nicht dargetan. Hinsichtlich der Berichte aus den Jahren 1952 und 1953 verkennt der Kläger bereits, dass das Verwaltungsgericht die Vorgänge aus dieser Zeit nicht herangezogen hat, um die Voraussetzungen des Ausschließungsgrundes des § 4 BerRehaG zu bejahen. Im Hinblick auf die Würdigung seiner Tätigkeit von 1962 bis 1964 arbeitet der Kläger keine einander widersprechenden Rechtssätze heraus, die der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und dem herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegen. Vielmehr meint er, dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 4 BerRehaG hätte verneinen müssen, wenn es den von ihm vorgetragenen Sachverhalt ordnungsgemäß unter die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze subsumiert hätte. Solche vermeintlichen Rechtsanwendungsfehler begründen jedoch keine Abweichung im revisionsrechtlichen Sinn. Der Kläger lässt zudem außer Acht, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung ausdrücklich die Rechtsauffassung in dem genannten Urteil zugrunde gelegt hat.
Rz. 8
Ebenso wenig gelingt es dem Kläger, eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beginn des Laufs der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG darzulegen. Seiner Auffassung nach hat das Verwaltungsgericht im Gegensatz zum Beschluss des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 – BVerwG Gr. Sen. 1 und 2.84 – (BVerwGE 70, 356 = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 33) übersehen, dass es dem Beklagten ohne eine neue Tatsachengrundlage verwehrt gewesen sei, nach Ablauf der Jahresfrist am 1. März 2007 einen erneuten Rücknahmebescheid zu erlassen. Auch insoweit arbeitet der Kläger keine einander widersprechenden Rechtssätze heraus, die der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und dem herangezogenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegen. Vielmehr wirft er dem Verwaltungsgericht erneut eine Fehlanwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor. Die angeblich fehlerhafte Anwendung von Rechtssätzen kann jedoch keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründen.
Rz. 9
3. Auch einen Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) legt der Kläger nicht schlüssig dar. Er rügt, dass das Verwaltungsgericht seinen Vortrag übergangen habe, dass er nicht freiwillig mit dem Betriebsschutz der Wismut Gera kooperiert habe, sondern hierzu durch Androhung einer Deportation nach Russland wegen eines geringfügigen unabsichtlichen Erzbesitzes erpresst worden sei. Der Sache nach macht er damit eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) geltend. Dieser Anspruch wird verletzt, wenn ein Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten, obwohl es für seine Entscheidung erheblich ist, nicht zur Kenntnis nimmt oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung zieht (Beschluss vom 18. Oktober 2006 – BVerwG 9 B 6.06 – Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66). Die Zulassung einer Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO setzt aber die Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Verfahrensverstoßes voraus. Insoweit verkennt der Kläger, dass der Androhung einer Deportation nach Russland nur im Zusammenhang mit seiner Spitzeltätigkeit in den Jahren 1952 und 1953 Relevanz zukommt. Das Verwaltungsgericht hat bei der Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen des Ausschließungsgrundes des § 4 BerRehaG erfüllt sind, jedoch nur auf die Vorgänge im Zeitraum von 1962 bis 1964 abgestellt. Hinsichtlich dieses Zeitraumes hat sich das Verwaltungsgericht mit dem Vorbringen des Klägers – insbesondere dem Vortrag, er habe niemandem nachweislich geschadet und es sei nur um die Betriebssicherheit gegangen – auseinander gesetzt. Damit hat es den Klagevortrag zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Mehr gebietet die Verfahrensgarantie des Art. 103 Abs. 1 GG nicht. Sie fordert insbesondere nicht, dass das Gericht der Argumentation des Klägers folgt.
Rz. 10
4. Die persönlichen, schriftsätzlichen Ausführungen des Klägers sind einer Sachprüfung nicht zugänglich. Sie sind erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO bei Gericht eingegangen und stammen nicht, wie von § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO gefordert, von einem Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt. Abgesehen davon wird in diesen Schriftsätzen auch kein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend aufgezeigt.
Rz. 11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Kley, Dr. Dette, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen