Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 26.02.2014; Aktenzeichen 4 KS 1/12) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I
Der Kläger ist ein nicht eingetragener Verein. Er ist Teil der „Hells Angels”-Bewegung. Durch Verfügung vom 18. Januar 2012 stellte das Innenministerium des beklagten Landes Schleswig-Holstein fest, dass der Zweck und die Tätigkeit des Klägers den Strafgesetzen zuwider liefen und der Kläger sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Der Kläger sei verboten und werde aufgelöst. Ferner wurde dem Kläger jede Tätigkeit und die Bildung von Ersatzorganisationen untersagt. Die Verbreitung und Verwendung seiner Kennzeichen wurde verboten. Das Vermögen des Klägers sowie näher bezeichnete Sachen Dritter wurden beschlagnahmt und eingezogen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Verbotsverfügung vom 18. Januar 2012 aufgehoben, soweit in dieser festgestellt werde, dass sich der Kläger gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Der Kläger erstrebt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II
Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Aus den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.
Der Kläger möchte die folgende Frage geklärt wissen:
„Kommt der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) folgenden Beweislast der Verbotsbehörden bezüglich der konkreten Geeignetheit eines Vereinsverbotes bzw. des Nichtvorliegens milderer, gleich effektiver Maßnahmen eine für die tatbestandliche Feststellung der Strafgesetzwidrigkeit oder die Eröffnung eines behördlichen Rechtsfolgeermessens eigenständige Bedeutung unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Rezeption der EMRK im bundesdeutschen Verfassungsrecht zu?”
Der Kläger macht hierzu geltend, es sei bislang nicht ausreichend erörtert, inwieweit sich die auf Grundlage von Art. 11 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Voraussetzungen für ein Vereinsverbot mit den in der nationalen Rechtsprechung etablierten Grundsätzen zur Feststellung der Strafgesetzwidrigkeit eines Vereins im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG vertrügen. Während nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Verhältnismäßigkeitserwägungen allein auf der Tatbestandsseite der Verbotsvorschriften stattfänden, führe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Verhältnismäßigkeitskontrolle auch auf der Rechtsfolgenseite durch. Dem komme Relevanz vor allem im Rahmen des von dem Gerichtshof (der Kläger erwähnt vor allem: EGMR, Urteil vom 11. Oktober 2001 – Nr. 48848/07, Rhino u.a./Schweiz – HUDOC Rn. 62 ff. und am Rande: EGMR, Urteil vom 29. April 1999 – Nr. 25088/94 u.a., Chassagnou u.a./ Frankreich – HUDOC Rn. 109 ff.) betonten Erfordernisses der Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK in Bezug auf die Geeignetheit des Verbots und das von der Verbotsbehörde zu beweisende Fehlen milderer Mittel zu. An einer Auseinandersetzung mit diesen Erfordernissen fehle es im vorliegenden Fall.
Die beschriebene Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt und nicht erst in einem Revisionsverfahren gefunden werden muss.
Gemäß Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten. Mit dieser abschließenden Festlegung von Verbotsgründen beschränkt Art. 9 Abs. 2 GG das kollektive Recht auf Fortbestand der Vereinigung und setzt dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit von Verfassungs wegen eine eigenständige Grenze. Die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 9 GG ist mithin dahin auszulegen, dass Absatz 1 die Vereinigungsfreiheit lediglich mit der sich aus Absatz 2 ergebenden Einschränkung gewährleistet (BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 1989 – 2 BvL 4/87 – BVerfGE 80, 244 ≪253≫). Hieraus folgt, dass im einzelnen Fall den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur bei der Prüfung Rechnung getragen werden kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verbotsgrunds erfüllt sind, denn nach der Feststellung eines solchen Grunds ist nach der Regelungsstruktur des Art. 9 Abs. 2 GG für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kein Raum mehr. Die Feststellung eines Verbotsgrunds und die an diese anknüpfende Auflösung des betreffenden Vereins setzen deshalb die Berücksichtigung sämtlicher Anforderungen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voraus (stRspr; zuletzt Urteil vom 14. Mai 2014 – BVerwG 6 A 3.13 – juris Rn. 22, 70). Bei dem hier in Rede stehenden Verbotsgrund des Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG bildet das Erfordernis, dass ein unter dem Gesichtspunkt der Strafgesetzwidrigkeit relevantes und dem Verein zuzurechnendes Verhalten einzelner Personen dessen Charakter prägen muss, den Ansatzpunkt für die Berücksichtigung der aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ableitbaren Gebote (Urteile vom 5. August 2009 – BVerwG 6 A 3.08 – BVerwGE 134, 275 = Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 50 Rn. 16, 42 und vom 19. Dezember 2012 – BVerwG 6 A 6.11 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 59 Rn. 50 f.; Beschluss vom 19. November 2013 – BVerwG 6 B 25.13 – juris Rn. 23).
In Fallgestaltungen, in denen ein Vereinsverbot im Sinne der von dem Kläger bezeichneten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 11. Oktober 2011 a.a.O.) nicht geeignet oder nicht erforderlich ist, verbietet sich die Annahme einer strafgesetzwidrigen Prägung eines Vereins. Demgegenüber ist eine derartige Prägung gegeben, wenn von dem Verein als solchem eine Gefahr für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter ausgeht, der nur durch die Beendigung der Existenz des Vereins entgegengewirkt werden kann.
Der Sachverhalt, der dem genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Grunde lag und von dem Gerichtshof in die erstgenannte Fallgruppe eingeordnet worden ist, betraf die Einbindung eines Vereins in die rechtswidrige Besetzung von leerstehenden Häusern. Dieser Sachverhalt ist mit dem Fall des Klägers nicht vergleichbar. Dies ergibt sich zum einen aus den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts über die einzelnen strafbaren Handlungen von Mitgliedern des Klägers bzw. eines seiner Supporterclubs, gegen die der Kläger in der Begründung seiner Beschwerde keine Verfahrensrügen erhebt; es folgt zum anderen aus den rechtlichen Erwägungen der Vorinstanz zur Zurechnung dieser Straftaten gegenüber dem Kläger, die dieser als solche nicht angreift (vgl. zu den tatsächlichen und rechtlichen Darlegungen des Oberverwaltungsgerichts: UA S. 47 ff.). In Anbetracht der Schwere der in Rede stehenden Straftaten hat das Oberverwaltungsgericht den Fall des Klägers nach den Maßstäben der zweiten der oben genannten Fallgruppen entschieden. Grundsätzlicher rechtlicher Klärungen bedarf es in diesem Zusammenhang nicht.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Neumann, Dr. Möller, Hahn
Fundstellen