Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Urteil vom 17.11.1998; Aktenzeichen 26 B 95.3363)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. November 1998 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger wehren sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Genehmigung zum Anbau eines Wintergartens vor der südwestlichen Außenwand seines Wohnhauses. Der Wintergarten soll bei einer Grundfläche von 4,50 m × 1,40 m in seiner Höhe unter Einbeziehung eines vorhandenen Balkons über Erdgeschoß und Obergeschoß reichen und von einer abgerundeten Verglasung überdeckt werden, die unterhalb der Traufe des Wohnhauses endet. Die Kläger sind Eigentümer des dem Baugrundstück im Südwesten benachbarten, ebenfalls mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks. Beide Grundstücke liegen im allgemeinen Wohngebiet. Die Kläger machen geltend, durch die Verglasung des Wintergartens würden zwangsläufig Lichtreflexe auf ihr Grundstück geworfen, die sie nicht hinnehmen müßten. Die überdimensionale gebogene Glasfläche führe bei Sonnenschein zu einer unerträglichen Spiegelreflexion, die die ordnungsgemäße Nutzung verschiedener Zimmer ihres Wohnhauses, besonders aber der Terrasse und des Gartens unmöglich mache.

Ihre Klage blieb im ersten und zweiten Rechtszug ohne Erfolg. Mit ihrer Beschwerde erstreben die Kläger die Zulassung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.

1. Die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

Die Kläger rügen vor allem, daß das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt habe, weil es ihrem Antrag, zum Nachweis der durch den genehmigten Wintergarten hervorgerufenen unerträglichen Blendwirkung ein Sachverständigengutachten einzuholen, nicht stattgegeben habe. Sie vermissen im Berufungsurteil eine Auseinandersetzung mit ihrem Beweisantrag und sehen in dem Übergehen ihres Antrags eine Verletzung der richterlichen Begründungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Außerdem rügen sie in diesem Zusammenhang eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Diese Rügen sind unbegründet. Das Vorgehen bei der Aufklärung des Sachverhalts liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Zur Klärung allgemeinkundiger Tatsachen oder solcher Tatsachen, die der Lebenserfahrung entsprechen, bedarf es keines Sachverständigenbeweises. Auf Erfahrungswissen verweist das Berufungsgericht, soweit es ausführt, es entspreche der Lebenserfahrung, daß Glas je nach dem Winkel des einfallenden Sonnenlichts Reflexionen bewirken könne, die von den davon Betroffenen als äußerst unangenehm empfunden würden. Es unterstellt daher die Behauptung der Kläger, daß sie durch den genehmigten Wintergarten in starkem Maß solchen Immissionen ausgesetzt seien, als wahr (vgl. Urteilsabschrift S. 7 – 8). Darin liegt zugleich die von den Klägern vermißte Auseinandersetzung mit ihrem Beweisantrag. Soweit die Kläger darüber hinaus unter Beweis stellen, daß die befürchteten Lichteinwirkungen „unerträglich”, „unzumutbar” und deshalb wohngebietsunverträglich seien, handelt es sich um rechtliche Bewertungen, die dem Gericht obliegen und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sind.

Die Kläger rügen ferner einen Verstoß gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO): Nach der Einnahme des Augenscheins durch das Berufungsgericht im Juni 1997 habe ein Richterwechsel stattgefunden. Das Berufungsgericht habe deshalb nur solche Eindrücke im Urteil verwerten dürfen, die in die Niederschrift über die Beweisaufnahme aufgenommen worden seien. Im Berufungsurteil seien jedoch Gesichtspunkte und Eindrücke verwertet worden, die in der Niederschrift über den Augenschein nicht enthalten seien. Das gelte insbesondere für die Beschreibung der Verglasung am Wintergarten und der Ausrichtung der Wohnräume der Kläger nach Südosten, „bezüglich des optischen Näherrückens der Anwesen im Bereich des Bebauungsplans … infolge der Hanglage” und in bezug „auf die drittschützende Wirkung der südöstlichen Baugrenze auf dem Grundstück des Beigeladenen”. Dieses Beschwerdevorbringen berücksichtigt nicht, daß sich das Berufungsgericht bei der Erfassung der örtlichen Verhältnisse und bei der Einschätzung der von den Klägern befürchteten Lichtimmissionen nicht nur auf die Niederschrift über die Augenscheinseinnahme, sondern auf die Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans und dessen Begründung, auf die Bauantragsunterlagen in den beigezogenen Sachakten der Bauaufsichtsbehörde (mit Flurkartenauszug, Bauzeichnung und Baubeschreibung) sowie auf das in erster und zweiter Instanz zu den Gerichtsakten gereichte Lichtbildermaterial stützen konnte. Es ist weder von der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich, daß die Niederschrift über die Beweisaufnahme in Verbindung mit den bezeichneten weiteren Unterlagen unzureichend gewesen sein könnte, um den an der Urteilsfällung beteiligten Richtern die erforderliche Tatsachengrundlage für ihre Entscheidung zu vermitteln.

2. Eine Divergenz zu dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 1992 – BVerwG 4 B 230.91 – (Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 3 = UPR 1992, 271) legt die Beschwerde nicht dar. Der vorgenannte Beschluß betrifft den Schutz eines Kleingartengebiets vor Verkehrslärm, nicht die hier umstrittenen Reflexionen des Sonnenlichts. Im übrigen ist der in der Beschwerdebegründung vom 25.Januar 1999 auf Seite 5 formulierte Rechtssatz, von dem das Berufungsgericht abgewichen sein soll, in dem Senatsbeschluß vom 17. März 1992 nicht enthalten.

3. Die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage, „ob Einwirkungen von Lichtimmissionen in den Außenwohnbereich zu einer Wohngebietsunverträglichkeit führen und es gerade wegen des Außenwohnbereichs auch an der Zumutbarkeit der Verweisung der Betroffenen auf Abschirmmaßnahmen fehlt”, hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger beimessen. Die Frage, ob eine bestimmte Nutzung dem in § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauNVO konkretisierten Rücksichtnahmegebot widerspricht, beantwortet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, deren Würdigung vornehmlich dem Tatrichter obliegt. Die aufgeworfene Frage kann deshalb nicht in einer verallgemeinerungsfähigen Weise geklärt werden. Die Zumutbarkeit von Lichtimmissionen, die durch die Verglasung eines Wintergartens verursacht werden und Gegenstand einer Nachbarklage sind, beurteilt sich nach dem Grad der Schutzwürdigkeit und der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Innen- und Außenwohnbereiche des Nachbarn. Dabei liegt es auf der Hand und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, daß das Maß der Schutzbedürftigkeit im Einzelfall auch davon abhängen kann, ob der Nachbar ohne größeren Aufwand im Rahmen des Ortsüblichen und Sozialadäquaten zumutbare Abschirmmaßnahmen ergreifen kann. Der Verwaltungsgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, daß die Bereitschaft, Lichtimmissionen gleichsam als zwangsläufige Folge typischer Wohnformen (Wintergärten aus handelsüblichem Fensterglas) zu akzeptieren, offenkundig auch damit zusammenhänge, daß der Eigenschutz gegen Lichtimmissionen – anders als der Schutz vor Lärm oder Gerüchen – ohne Einbußen für die Wohnqualität durch herkömmliche Maßnahmen wie Vorhänge oder Jalousien innerhalb der Gebäude und Hecken oder Rankgerüste in den Außenwohnbereichen bewerkstelligt werden könne. Ob und in welchem Umfang solche Abschirmmaßnahmen möglich und im Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn zumutbar sind, ist wiederum Teil der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall. Einen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde insoweit nicht auf.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Berkemann, Halama, Rojahn

 

Fundstellen

BauR 1999, 1279

ZfBR 1999, 358

BRS 2000, 412

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