Verfahrensgang
VG Dresden (Aktenzeichen 12 K 1928/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 9. Juni 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 750 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückübertragung eines Mietwohngrundstücks an die Beigeladene nach dem Vermögensgesetz (VermG). Die Beigeladene hatte als erstberufene Erbin der früheren Grundstückseigentümerin die im Jahr 1974 angefallene Erbschaft ausgeschlagen. Für die damals minderjährige Klägerin als eine der nächstberufenen Erben hatte ihre sorgeberechtigte Mutter die Erbschaft im Jahr 1978 ausgeschlagen. Im Rückübertragungsbescheid nahm die Beklagte das Vorliegen des Schädigungstatbestands (§ 1 Abs. 2 VermG) mit der Begründung an, der Nominalwert der auf dem Grundstück lastenden Hypotheken habe den Einheitswert überschritten. Der Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat mit dem Ergebnis Erfolg, daß auf ihre Verfahrensrüge das angegriffene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).
1. a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, „ob der erbrechtliche Anspruch des nachberufenen Erben allein zum Tragen kommt, wenn sich der Erbe vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes auf seine Stellung als Erbe beruft, so daß der erstberufene (erstausschlagende) Erbe nicht wiedergutmachungsberechtigt ist”, betrifft die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Schädigungstatbestands des § 1 Abs. 2 VermG von den erbrechtlichen Ansprüchen. Hierzu hat der Senat in seinen beiden Urteilen vom 28. August 1997 – BVerwG 7 C 70.96 und 1.97 – BVerwGE 105, 172 = Buchholz 428 § 1 Nr. 120 und VIZ 1998, 33 rechtsgrundsätzliche Ausführungen gemacht. Die Beschwerde zielt mit ihrer Frage auf den in diesen Urteilen aufgestellten Rechtssatz, daß in den Fällen der sogenannten unvollständigen Kettenerbausschlagung der erstausschlagende Erbe die Beseitigung der Rechtswirkungen seiner Erbausschlagung durch einen grundstücksbezogen wirkenden Restitutionsanspruch vor einem nachberufenen Erben verlangen kann, der sich „vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes” nicht auf seine Stellung als Erbe berufen hat. Sie meint, daß sich die Klägerin in diesem Sinne auf ihre Stellung als Erbin berufen habe, weil sie bereits am 6. Juli 1990 unter Hinweis auf ihre Erbenstellung bei der Beklagten einen „Rückerwerbsantrag bezüglich des Grundstückes” gestellt habe.
Es liegt jedoch auf der Hand und bedarf daher keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, daß der von der Klägerin gestellte „Rückerwerbsantrag” den Vorrang eines entsprechenden Restitutionsanspruchs der erstberufenen Erbin schon deswegen nicht beseitigen konnte, weil er sich nicht gegen die erbrechtliche Wirksamkeit der Übernahme des Grundstücks in Volkseigentum richtete, sondern die Beseitigung der Rechtsfolgen einer in ökonomischer Zwangslage erklärten Erbausschlagung zum Gegenstand hatte. Die Klägerin machte damit keinen von der vorausgegangenen Erbausschlagung der Beigeladenen unabhängigen neuen Schädigungstatbestand geltend, wie er im Sinne des genannten Rechtssatzes beispielsweise anzunehmen sein kann, wenn die DDR-Behörden nach Erbausschlagung des erstberufenen Erben unter bewußter Mißachtung der Erbschaftsannahme durch den nächstberufenen Erben ein Grundstück in Volkseigentum überführt hatten. Ihr Antrag war vielmehr der Sache nach ebenfalls auf einen Restitutionsanspruch gerichtet, wie er in Nr. 4 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 in Aussicht gestellt und anschließend im Vermögensgesetz normiert worden ist. Mit einem solchen sozusagen gleichgerichteten „Rückerwerbsantrag” kann ein nachberufener Erbe den vorrangigen Restitutionsanspruch des erstberufenen Erben auch dann nicht zu Fall bringen, wenn er seinen Antrag bereits vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes gestellt hat; denn auch unter diesen Umständen gilt, daß der Restitutionsanspruch dem erstberufenen Erben zusteht, der auch nach erbrechtlichen Grundsätzen in erster Linie von der Schädigung betroffen war (BVerwG, a.a.O.).
b) Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) des angegriffenen Urteils von dem Senatsurteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 zuzulassen; denn die Beschwerde legt nicht dar, daß das Verwaltungsgericht ausdrücklich oder der Sache nach einen diesem Urteil widersprechenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat. Dem Beschwerdevorbringen läßt sich allenfalls die Behauptung entnehmen, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines Restitutionsanspruchs der Beigeladenen angenommen. Ein derartiger Rechtsanwendungsfehler erfüllt nicht den Zulassungsgrund der Divergenz.
2. Das angegriffene Urteil beruht jedoch auf dem von der Beschwerde gerügten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die erbrechtliche Position der Klägerin sei nicht geeignet, „den auf § 1 Abs. 2 VermG beruhenden und von der Beklagten zutreffend festgestellten Restitutionsanspruch der erstausschlagenden Erbin” zu beseitigen. Es ist damit im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, daß die Sonderrechtsordnung des Vermögensgesetzes das Erbrecht nur insoweit überlagert und ausschließt, als der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG erfüllt ist. Die Beschwerde beanstandet zu Recht, daß das Verwaltungsgericht bei seiner den Restitutionsanspruch betreffenden Folgerung einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt und darum den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) verletzt hat. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG ausschließlich mit der zitierten Bezugnahme auf die „zutreffend(e)” Feststellung bejaht. Diese Feststellung der Beklagten beschränkt sich darauf, daß sie in ihrem von der Klägerin angefochtenen Bescheid die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG mit dem Satz begründet hat, das Grundstück sei „im Zeitpunkt des Übergangs in Volkseigentum bei einem Einheitswert von 25 700 M mit Hypotheken im Nominalwert von 29 998 M” belastet gewesen. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß die tatsächlichen Voraussetzungen des Schädigungstatbestands mit dieser Feststellung allein nicht ausgefüllt werden. Ganz abgesehen davon, daß die Beklagte hierbei offensichtlich erst nach der Erbausschlagung der Beigeladenen eingetragene Aufbauhypotheken in Höhe von 24 000 M berücksichtigt hat und das vorläufige Nachlaßverzeichnis des Nachlaßpflegers vom 11. Oktober 1974 einen Reinnachlaß von über 16 000 M ausweist, ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die Beigeladene das Erbe aufgrund einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung des Grundstücks infolge nicht kostendeckender Mieten ausgeschlagen hat. Hierzu geben weder die Gründe der angefochtenen Bescheide noch der Inhalt der Verwaltungsakten den gebotenen Aufschluß. Da sich dem Verwaltungsgericht von seinem rechtlichen Ansatz her die Entscheidungserheblichkeit der tatsächlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG aufdrängen mußte, hatte es sie auch ohne diesbezügliches Klagevorbringen lückenlos festzustellen und das entsprechende Ergebnis in den Gründen seines Urteils nachvollziehbar darzulegen. Hieran fehlt es. Unter diesen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Verwaltungsgericht auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage verfahrensfehlerhaft auf die Berechtigung der Beigeladenen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 VermG) geschlossen hat.
Der Senat nimmt diesen Verfahrensfehler zum Anlaß, das Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluß aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Gödel, Herbert
Fundstellen