Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzinteresse. Feststellungsinteresse. Wiederholungsgefahr. Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern. Kettenabordnungen. Mitbestimmungspflichtigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren dient nicht der Erstattung von Gutachten zu abstrakten Rechtsfragen, deren tatsächliche Bedeutung für die Beteiligten entfallen ist.
2. Für die Klärung der Frage der Mitbestimmungspflichtigkeit wiederholter Kurzabordnungen im Zusammenhang mit dem Aufbau der Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern besteht kein Feststellungsinteresse mehr.
Normenkette
BPersVG § 83 Abs. 2; ArbGG § 80 Abs. 2, § 46 Abs. 2; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg – Fachsenat für Personalvertretungssachen – vom 7. Dezember 1993 wird verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 6.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfahrensbeteiligten streiten über die Mitbestimmungspflichtigkeit von aufeinander folgenden Kurzabordnungen.
Von Ende 1990 bis Mitte 1992 ordnete der Beteiligte im Rahmen von Vorgaben der Bundesanstalt für Arbeit etwa 20 Beschäftigte in die neuen Bundesländer ab, um dort den Aufbau der Arbeitsverwaltung zu unterstützen. Der Antragsteller wurde nur in zwei oder drei Fällen beteiligt, da die weiteren Abordnungen jeweils unter drei Monaten lagen. Ein Teil der Beschäftigten wurde mehrmals abgeordnet. Bei acht von ihnen überstieg die Summe der Abordnungszeiten die Dauer von drei Monaten. Der Zeitraum zwischen den einzelnen Abordnungen der jeweiligen Beschäftigten betrug im kürzesten Fall zwei Tage (ein arbeitsfreies Wochenende), in den längsten Fällen mehr als sechs Monate.
Der Antragsteller machte mit Schreiben vom 9. Dezember 1991 gegenüber dem Beteiligten geltend, daß für jeden Fall im Rahmen der Unterstüzungsaktion, in dem die Summe der Abordnungen mehr als drei Monate betrage, ein Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG bestehe. Der Beteiligte wies diese Auffassung in seinem Antwortschreiben vom 2. April 1992 zurück: Ein Mitbestimmungsrecht sei nur gegeben, wenn die Einzelabordnung drei Monate übersteige.
Der Antragsteller hat daraufhin beim Verwaltungsgericht das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren eingeleitet und beantragt festzustellen, daß ihm bei der Abordnung von Mitarbeitern ein Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG auch bei einer kürzeren Abordnung zustehe, wenn im Zeitpunkt der Abordnung an eine Dienststelle in den neuen Bundesländern davon auszugehen sei, daß derselbe Arbeitnehmer mindestens ein weiteres Mal im Zusammenhang mit dem Aufbau der Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern abgeordnet werde und damit die Abordnung insgesamt drei Monate überschreite.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 4. Dezember 1992 festgestellt, daß der Antragsteller bei der Abordnung von Beschäftigten seiner Dienststelle (auch dann) mitzubestimmen habe, wenn es bei ein und demselben Beschäftigten zu mehreren Abordnungen komme, zwischen denen ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang bestehe, und die Gesamtabordnungszeit die Dauer von drei Monaten überschreite. In diesem Fall habe der Antragsteller erstmals bei der wiederholten Abordnung mitzubestimmen, mit der der Dreimonatszeitraum überschritten werde. In der Begründung hat das Gericht ausgeführt, daß der für erforderlich gehaltene enge zeitliche und sachliche Zusammenhang noch gegeben sein dürfte, wenn zwischen dem Ende der einen Kurzabordnung und dem Beginn der nächsten Abordnung nicht mehr als sechs Monate lägen.
Auf die Beschwerde des Beteiligten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 7. Dezember 1993 den Beschluß des Verwaltungsgerichts geändert und festgestellt, daß der Antragsteller bei der Abordnung von Beschäftigten seiner Dienststelle (auch dann) mitzubestimmen habe, wenn es bei ein und demselben Beschäftigten zu mehreren Abordnungen komme, zwischen denen lediglich ein Wochenende liege, und wenn die Abordnungen zusammen den Zeitraum von drei Monaten überschritten. Im übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof den Antrag des Antragstellers abgewiesen. Abgesehen von dem Fall, bei dem zwischen zwei Kurzabordnungen lediglich ein arbeitsfreies Wochenende gelegen habe, seien die Abordnungen nicht mitbestimmungspflichtig gewesen, weil sie jeweils für eine Dauer von weniger als drei Monaten ausgesprochen worden seien. Liege zwischen zwei Kurzabordnungen ein längerer Zeitraum, in dem eine Dienstleistungspflicht bei der Stammdienststelle begründet werde und der sich mithin nicht nur als formale Unterbrechung der Abordnung erweise, seien die Abordnungszeiträume mitbestimmungsrechtlich getrennt zu betrachten und unterlägen, da sie drei Monate nicht überstiegen, nicht der Mitbestimmung. Die ausdehnende, auf das unscharfe Kriterium eines engen und sachlichen Zusammenhanges zwischen den Kurzabordnungen abstellende Auslegung des Verwaltungsgerichts widerspreche der vom Gesetz gewollten, der Rechtsklarheit und Praktikabiliät dienenden klaren Abgrenzung zwischen mitbestimmungspflichtigem und mitbestimmungsfreiem Bereich.
Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers. Dem Verwaltungsgerichtshof sei zwar insoweit zu folgen, als das Verwaltungsgericht über den vom Antragsteller gestellten Antrag hinausgegangen sei und verallgemeinernde Feststellungen getroffen habe, wie sie nicht beantragt worden seien; er verkenne jedoch die überzeugende Begründung des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf das tatsächliche Begehren des Antragstellers, dem ein historisch einmaliger Sachverhalt, nämlich der Zusammenhang der Abordnungen mit dem Aufbau der Arbeitsverwaltungen in den neuen Bundesländern, zugrunde liege. Dem Beteiligten hätte angesichts seines Abgabendeputats von Anfang an klar sein müssen, in welchem Umfang Abordnungen erfolgen müßten und daß mehrmalige Abordnungen unumgänglich gewesen seien. Daraus ergebe sich die Mitbestimmungspflichtigkeit bereits der jeweils ersten Abordnung.
Der Antragsteller hat zunächst beantragt,
den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs aufzuheben und festzustellen, daß dem Antragsteller bei der Abordnung von Mitarbeiter/innen ein Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG auch bei einer kürzeren Abordnung zusteht, wenn im Zeitpunkt der Abordnungen an eine Dienststelle in den neuen Bundesländern davon auszugehen ist, daß dieselbe Arbeitnehmerin/derselbe Arbeitnehmer mindestens ein weiteres Mal im Zusammenhang mit dem Aufbau der Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern abgeordnet werden wird und damit die Abordnung insgesamt drei Monate überschreitet.
Der Beteiligte beantragt,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Die Unterstützungsaktion zum Aufbau einer Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern sei inzwischen ausgelaufen. Deshalb sei das Feststellungsinteresse des Antragstellers entfallen.
Der Antragsteller beantragt nunmehr,
festzustellen, daß dem Antragsteller bei der Abordnung von Mitarbeiter/innen ein Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG auch bei einer kürzeren Abordnung zusteht, wenn im Zeitpunkt der Abordnungen an eine Dienststelle davon auszugehen ist, daß dieselbe Arbeitnehmerin/derselbe Arbeitnehmer mindestens ein weiteres Mal zu dieser Dienststelle abgeordnet wird und damit die Abordnung insgesamt drei Monate überschreitet.
Für sein eigentliches Begehren, nämlich die Klärung der Streitfrage, ob bei wiederholten Kurzabordnungen derselben Beschäftigten ein Mitbestimmungsrecht besteht, wenn zum Zeitpunkt der ersten Abordnung bereits ersichtlich ist, daß nach kurzer Unterbrechung und in engem Zusammenhang eine weitere Abordnung desselben Beschäftigten erforderlich wird, sei die Abordnung von Beschäftigten in die neuen Bundesländer nur der konkrete Anlaß gewesen. Deswegen komme es nicht darauf an, ob nach dem zwischenzeitlich durchgeführten Aufbau der Arbeitsverwaltung in den neuen Ländern gleichartige Fallkonstellationen nochmals zu erwarten seien.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er bezweifelt das Feststellungsinteresse, weil nach Ablauf der Unterstützungsaktion keine mehr als nur geringfügige Wahrscheinlichkeit bestehe, daß es erneut zu gleichartigen Streitigkeiten kommen werde.
Entscheidungsgründe
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
Der erst in der Rechtsbeschwerdeinstanz geänderte Antrag ist schon deshalb unzulässig, weil es den Beteiligten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse vom 28. Dezember 1994 – BVerwG 6 P 35.93 – PersR 1995, 209, 210 und vom 24. September 1985 – BVerwG 6 P 21.83 – Buchholz 238.3 A § 92 BPersVG Nr. 4) grundsätzlich verwehrt ist, ihre bisher gestellten Sachanträge in der Rechtsbeschwerdeinstanz abzuändern. Im übrigen fehlt es beiden im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Anträgen bereits am Rechtsschutzbedürfnis in Form des Feststellungsinteresses.
Daß ein Antragsteller – wie hier – von vornherein einen vom anlaßgebenden konkreten Vorgang losgelösten Antrag zu einer Rechtsfrage stellt, ist ihm nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht verwehrt (Beschlüsse vom 25. Januar 1995 – BVerwG 6 P 19.93 – Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 90 und vom 2. Juni 1993 – BVerwG 6 P 3.92 – Buchholz 250 § 83 BPersVG Nr. 61). Wie im Fall des Übergangs von einem – erledigten – konkreten Antrag zu einem abstrakten Antrag gilt dies aber auch hier nur, wenn sich diese Rechtsfrage zwischen den Beteiligten mit einer gewissen, mehr als nur geringfügigen Wahrscheinlichkeit erneut stellen wird (BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juni 1995 – BVerwG 6 P 43.93 – PersR 1995, 428, 429, vom 20. April 1995 – BVerwG 6 P 17.93 – und vom 26. Januar 1994 – BVerwG 6 P 21.92 – PersR 1994, 213, 214). Es ist nicht Aufgabe der im personalvertretungsrechtlichen Beschlußverfahren zur Entscheidung berufenen Verwaltungsgerichte, Gutachten zu abstrakten Rechtsfragen zu erstatten, denen keine tatsächliche Bedeutung für die Beteiligten (mehr) zukommt.
Eine solche Wiederholungswahrscheinlichkeit scheidet hinsichtlich des zunächst im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Antrags von vornherein aus. Der Antrag bezieht sich ausdrücklich auf mehrfache Kurzabordnungen „im Zusammenhang mit dem Aufbau der Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern”. Die mit ihm aufgeworfenen Rechtsfragen können sich zukünftig nicht mehr stellen. Diese Unterstützungsaktion ist, wie der Beteiligte unwidersprochen vorgetragen hat, mittlerweile abgeschlossen. Für einen nochmaligen Aufbau der Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern ist kein Raum.
Aber auch hinsichtlich des im Rechtsbeschwerdeverfahren geänderten und somit unzulässigen Antrags bestünde für den Fall seiner Zulässigkeit keine hinreichende Wiederholungswahrscheinlichkeit. Zwar hat der Antragsteller versucht, den von den übrigen Beteiligten gegenüber dem ursprünglichen Antrag zu Recht geäußerten Zweifeln am Feststellungsinteresse dadurch Rechnung zu tragen, daß er die abstrakte Rechtsfrage vom Zusammenhang des Aufbaus der Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern gänzlich losgelöst hat. Er hat jedoch keine Ausführungen dazu gemacht, daß sich wenigstens diese Rechtsfrage mit der vom Senat geforderten, mehr als nur geringfügigen Wahrscheinlichkeit erneut als strittig stellen könnte. Solche Umstände sind auch nicht erkennbar. Die Frage der Mitbestimmungspflichtigkeit wiederholter Kurzabordnungen ist außerhalb der Unterstützungsaktion für die neuen Bundesländer ersichtlich nicht aufgetreten. Daß dies in Zukunft anders sein könnte, läßt sich zwar nicht völlig ausschließen, begründet aber noch keine hinreichende Wiederholungswahrscheinlichkeit; denn es sind gerade die Besonderheiten der Aufbausituation in den neuen Bundesländern, die zur streitigen Rechtsfrage geführt haben. Der Antragsteller hat hierzu selbst vorgetragen, daß dem Fall ein „historisch einmaliger Sachverhalt” zugrunde liegt. Denkbar ist allenfalls, daß es im Rahmen einer umfassenden Organisationsumstrukturierung der Arbeitsverwaltung zu einer Wiederholung der umstrittenen Konstellation kommen könnte. Es ist jedoch völlig offen, ob und unter welchen Bedingungen eine solche Strukturreform stattfindet und ob es dabei insbesondere notwendig werden könnte, eventuell auftretende Personallücken gerade im Wege wiederholter Kurzabordnungen zu schließen. Dagegen spricht vor allem, daß die wiederholte Kurzabordnungen begünstigenden Umstände im Zusammenhang mit dem Aufbau der Arbeitsverwaltung in den neuen Ländern (Freiwilligkeit der Abordnungen; geringe Attraktivität der neuen Länder für die Beschäftigten; nur begrenzter in Betracht kommender Personenkreis; Schwierigkeit langfristiger Bedarfsprognosen) auf eine Umstrukturierungssituation nicht oder jedenfalls nicht vergleichbar zutreffen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 29. Januar 1996 – BVerwG 6 P 45.93 –). Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, daß bei einer Behördenumstrukturierung eine Beteiligung des Personalrats wegen § 78 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG in jedem Fall stattfinden muß, der Rechtsstreit sich mithin also allein auf das Maß der Beteiligung des Personalrats beziehen kann und nicht – wie hier – darauf, ob ein Beteiligungsrecht des Personalrats überhaupt besteht.
Andere Gründe, aus denen sich ein Feststellungsinteresse für einen der beiden Anträge herleiten ließe, sind nicht ersichtlich.
Schließlich besteht auch kein Anlaß, an die Voraussetzungen für das Feststellungsinteresse im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes ausnahmsweise einen herabgestuften Maßstab anzulegen. Eine solche Möglichkeit hat der Senat erwogen, wenn in einer für die Beschäftigten bedeutungsvollen sozialen Angelegenheit effektiver Rechtsschutz anders nicht zu gewähren wäre (Beschluß vom 25. Januar 1995 – BVerwG 6 P 19.93 –). Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich nicht erfüllt. Einzelne wiederholte Abordnungen sind nicht als eine für die Beschäftigten „bedeutungsvolle” Angelegenheit anzusehen. Das mag bei einer Vielzahl wiederholter Abordnungen anders zu beurteilen sein; diese Konstellation wird aber im Falle der Umstrukturierung vom Mitwirkungsrecht des Personalrats nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG erfaßt und abgedeckt. Hierüber dürfte zwischen den Beteiligten kein Streit bestehen. Im übrigen wäre zur Sicherstellung effektiven Rechtsschutzes die vom Senat im genannten Beschluß angedeutete grundsätzliche Möglichkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes auch in Beteiligungsangelegenheiten zu berücksichtigen.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 10 Abs. 1 BRAGO i.V.m. § 8 Abs. 2 BRAGO.
Unterschriften
Niehues, Seibert, Vogelgesang, Eckertz-Höfer, Rubel
Fundstellen