Nachgehend
Tenor
Die Anhörungsrügen der Kläger gegen das Urteil des Senats vom 7. Januar 2016 – 1 A 3.15 – werden zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rügeverfahrens zu je 1/5.
Gründe
Rz. 1
Die Anhörungsrügen, über die der Senat in der Besetzung nach § 10 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO entscheidet (BVerwG, Beschluss vom 6. November 2007 – 8 C 17.07 – juris), haben keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die von den Klägern mit Schriftsatz vom 27. Januar 2016 vor Zustellung des Urteils und allein auf der Grundlage der Pressemitteilung eingereichten Anhörungsrügen in der gesetzlichen Form erhoben wurden, nachdem sie ihre Rügen nach Zustellung des Urteils mit Schriftsatz vom 22. Februar 2016 innerhalb der Frist des § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO wiederholt und weiter substantiiert haben. Die Anhörungsrügen sind jedenfalls in der Sache nicht begründet, da der Senat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 2
Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung dar. Sie greift nur dann, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinander gesetzt hat. Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt sein, sondern vor Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können. Daher garantiert Art. 103 Abs. 1 GG den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage vor deren Erlass zu äußern. Das Gericht darf nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwerten, zu denen die Beteiligten vorher Stellung nehmen konnten (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2014 – 2 BvR 514/12 – NJW 2015, 1166 m.w.N.). An einer solchen Gelegenheit fehlt es nicht nur dann, wenn ein Beteiligter gar nicht zu Wort gekommen ist oder wenn das Gericht seiner Entscheidung Tatsachen zugrunde legt, zu denen die Beteiligten nicht Stellung nehmen konnten. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt auch voraus, dass die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt zwar grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; ihm ist auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen. Vielmehr nimmt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Aufklärungsund Erörterungspflichten, soweit sie über das Recht der Beteiligten hinausgehen, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass dieser Entscheidung zu äußern, grundsätzlich aus dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG aus (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Juli 1993 – 2 BvR 218/92 – juris Rn. 2 m.w.N). Es kommt im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags erst dann gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188 ≪190≫ m.w.N.). Dies war hier nicht der Fall.
Rz. 3
Soweit die Kläger geltend machen, dass die Entscheidung hinsichtlich der vom Senat angenommenen Führungsposition des Klägers zu 2 und der faktischen Autorität seines Präsidenten mit den Angaben der Kläger und dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu vereinbaren sei, ist ihr Vorbringen schon nicht geeignet, einen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör schlüssig aufzuzeigen. Denn der Senat, der die für die Entscheidung heranzuziehenden rechtlichen Maßstäbe einschließlich der sich dabei stellenden Rechtsfragen eingehend und umfassend mit den Beteiligten erörtert hat, hat sich mit dem Vortrag der Kläger im Klageverfahren, auf Regionalebene existiere kein Verein, auseinandergesetzt und im Urteil vom 7. Januar 2016 im Einzelnen dargelegt, warum nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen ist, dass René W., der in der Region Sachsen in Personalunion sowohl das Amt des Präsidenten des Führungschapters Dresdens als auch das des Regionalsprechers ausübte, entgegen der Einlassung der Kläger und ihrer Vertreter innerhalb des Regionalverbands Sachsen über alle den Gremium MC betreffende Angelegenheiten nicht nur bestens unterrichtet war, sondern insoweit auch eine eigene, von den Mitgliedern der anderen Chapter der Region nicht infrage gestellte Entscheidungsmacht in Anspruch genommen hat. Die von den Klägern erhobenen Einwände richten sich gegen diese tatrichterliche Feststellung und Würdigung des Beweisergebnisses sowie die hieraus für das Vorhandensein einer Verbandsstruktur auf Regionalebene in rechtlicher Hinsicht getroffenen Schlussfolgerungen; sie weisen nicht auf einen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör.
Rz. 4
Das Urteil stellt sich insoweit auch nicht als unzulässige Überraschungsentscheidung dar, insbesondere musste der Senat die Kläger zur Wahrung ihres rechtlichen Gehörs nicht darauf hinweisen, dass er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einer aus seiner Sicht entscheidungserheblichen faktischen Autorität des Präsidenten des Führungschapters ausgeht. Das Recht auf rechtliches Gehör schützt die Beteiligten davor, von neuen rechtlichen Gesichtspunkten überrascht zu werden. Vorliegend gehörte indes die Frage, ob auf Regionalebene ein Verein im Sinne des Vereinsgesetzes existiert, zu einer der Kernfragen des Verfahrens. Hierzu bedarf es nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 1 VereinsG (u.a.) einer organisierten Gesamtwillensbildung. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung weit auszulegen. Es bedarf weder einer Satzung noch spezifischer Vereinsorgane, sondern lediglich einer Organisationsstruktur, die faktisch auf eine organisierte Willensbildung schließen lässt; dies kann aus Indizien hergeleitet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 – 6 A 3.13 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62). Ob die innere Organisation einer Vereinigung so beschaffen ist, richtet sich angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, in denen Vereine eine organisierte Willensbildung organisieren und zur Grundlage ihrer Aktivitäten machen können, nach den konkreten Umständen des Einzelfalles (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Januar 2014 – 6 B 60.13 – juris Rn. 12). Entsprechend hat der Vorsitzende – wie die Kläger selbst einräumen – in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass es maßgeblich auf die Verhältnisse und die Praxis in der Region Sachsen ankommt. Damit musste ein gewissenhafter und sachkundiger Prozessbevollmächtigter damit rechnen, dass der Senat die Ausführungen der Kläger und ihrer Mitglieder zum Zustandekommen von Entscheidungen innerhalb der Region Sachsen und die weiteren sich hierzu aus den beigezogenen Akten ergebenden Erkenntnisse darauf überprüft, ob sich hieraus auf Regionalebene hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine organisierte Willensbildung – einschließlich einer auf faktischer Unterwerfung beruhenden autoritären Organisationsstruktur – ergeben. Insoweit hat der Senat – entgegen der Behauptung der Kläger – die Existenz des Klägers zu 1 auch nicht allein an der Satzung des Gremium MC Germany und deren Vorgaben festgemacht, sondern ausdrücklich die in der Region Sachsen gelebten Abweichungen mitberücksichtigt. Dass er hierbei nach Würdigung der Angaben der Kläger und der Zeugen zu einem anderen Ergebnis gekommen ist als die Kläger, begründet keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Hierauf musste der Senat unter den gegebenen Umständen auch nicht ausdrücklich hinweisen.
Rz. 5
Auch die Ablehnung der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung gestellten „Beweisanträge” auf Vernehmung verschiedener Zeugen zu Strukturen und Entscheidungsbefugnissen im Gremium MC verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten auf rechtliches Gehör. Denn sie findet im Prozessrecht eine ausreichende Stütze (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Mai 2012 – 2 BvR 1352/10 – juris Rn. 6 m.w.N.). Danach ist ein Beweisantrag unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- und Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. Auch Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung nicht nahelegen und können als unsubstantiiert abgelehnt werden. Das ist dann der Fall, wenn für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsache nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 8 B 99.13 – NVwZ 2015, 163 m.w.N.). In diesem Sinne handelte es sich bei dem „zum Beweis der Tatsache, dass weder feste Struktur noch Entscheidungsbefugnis, insbesondere Weisungsbefugnis gegenüber anderen Chaptern als sog. Region, keine Mitwirkungsbefugnis bei Gründung/Auflösung von Chaptern oder Wahl/Abwahl von Führungsmitgliedern hat”, gestellten Antrag um einen Beweisermittlungsantrag, der auf Negativaspekte und zudem nicht auf konkrete Beweistatsachen gerichtet war. Von der Möglichkeit, ihr Vorbringen insoweit gegebenenfalls weiter zu konkretisieren, haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung nach Ablehnung des Beweisantrags keinen Gebrauch gemacht.
Rz. 6
Eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör ergibt sich schließlich auch nicht aus den Feststellungen des Senats zur Reaktion des Regionalsprechers auf die Tat vom 30./31. Dezember 2011. Hierzu hat der Senat im Einzelnen dargelegt, dass der Kläger zu 1 auf diese schwere Straftat, bei der nach den Gesamtumständen von Anfang an der Verdacht bestand, dass sie von Vereinsmitgliedern im Vereinsinteresse – nämlich zur Vergeltung eines lebensgefährlichen Angriffs auf ein Mitglied und zur Selbstbehauptung gegenüber dem verfeindeten Hells Angels MC – begangen wurde, nicht reagiert hat, sondern stattdessen dem Regionalverband angehörende Vereinsmitglieder unter Mitwirkung bzw. mit Duldung des Klägers zu 1 wegen ihrer Tatbeteiligung belohnt wurden. Dass die Kläger auch diesbezüglich das Ergebnis der Beweisaufnahme anders würdigen, begründet keinen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör.
Rz. 7
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 159 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO; einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht (vgl. Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses ≪Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG≫).
Unterschriften
Prof. Dr. Berlit, Fricke, Dr. Rudolph
Fundstellen