Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 17.07.2007; Aktenzeichen 3 LD 5/04) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf die Revisionszulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO, § 69 BDG gestützte Beschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben.
Nachdem das Verwaltungsgericht die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis ausgesprochen hatte, hat das Oberverwaltungsgericht nach Eintritt des Beklagten in den Ruhestand dessen Ruhegehalt auf die Dauer von drei Jahren um ein Zehntel gekürzt. Das Berufungsurteil ist im Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung ergangen. Darin heißt es, die Disziplinarklageschrift habe zunächst an einem wesentlichen Mangel gelitten, weil die Klage nicht vom Kläger als dem Dienstvorgesetzten des Beklagten, sondern vom Kläger als Vertreter der sachlich unzuständigen Unfallkasse des Bundes in deren Namen erhoben worden sei. Dieser Mangel sei aber im Berufungsverfahren dadurch behoben worden, dass der Kläger nach entsprechender Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist eine neue Disziplinarklageschrift eingereicht habe.
1. Der Kläger hält die Rechtsfrage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, ob die Erhebung der Disziplinarklage durch eine sachlich unzuständige Behörde im Wege der Mangelbeseitigung gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BDG geheilt werden könne oder die Abweisung der Disziplinarklage durch Prozessurteil nach sich ziehen müsse.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwerdeführer, diese Voraussetzungen darzulegen (Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; stRspr).
Der Kläger hat einen generellen Klärungsbedarf nicht aufgezeigt. Die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage kann, soweit sie hier von entscheidungserheblicher Bedeutung ist, ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Gemäß § 55 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG ist den Tatsachengerichten in Disziplinarklageverfahren die Möglichkeit eröffnet, auf die Heilung wesentlicher Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens und der Klageschrift hinzuwirken. Hierzu können sie den Kläger auffordern, den Mangel innerhalb einer von ihnen gesetzten Frist zu beseitigen. Geschieht dies nicht, so ist das Disziplinarklageverfahren gemäß § 55 Abs. 3 Satz 3 BDG einzustellen.
Ein wesentlicher Mangel der Klageschrift liegt vor, wenn diese nicht den gesetzlichen Anforderungen an die ordnungsgemäße Erhebung der Disziplinarklage, etwa den Vorgaben des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG für den Inhalt der Klageschrift entspricht (vgl. Urteil vom 25. Januar 2007 – BVerwG 2 A 3.05 – NVwZ 2007, 960 ≪961≫). Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen des § 34 Abs. 2 Satz 1 und 2 BDG, d.h. die Erhebung der Disziplinarklage durch eine hierfür nicht zuständige Stelle in jedem Fall als heilbarer Mangel im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG angesehen werden kann. Ein Mangel im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG mit der Folge der Heilungsmöglichkeit gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Klageschrift wie hier vom zuständigen Dienstvorgesetzten zwar unterzeichnet, aber nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der von ihm geleiteten Dienstbehörde eingereicht worden ist. Denn bei dieser Fallgestaltung liegt die Verantwortung für die Entscheidung, Disziplinarklage zu erheben, und für den Inhalt der Klageschrift von Anfang an bei dem Dienstvorgesetzten. Sein Auftreten als gesetzlicher Vertreter der Dienstbehörde anstelle des Auftretens als Dienstvorgesetzter stellt allenfalls einen formalen Mangel dar. Der Beseitigung eines solchen Mangels durch Einreichen einer neuen Klageschrift in der Eigenschaft als Dienstvorgesetzter können schutzwürdige Interessen des Beklagten jedenfalls dann nicht entgegenstehen, wenn die neue Klageschrift wie hier mit der alten inhaltlich vollständig übereinstimmt. Unter dieser Voraussetzung spricht auch das Gebot der Beschleunigung gemäß § 4 BDG für die Zulässigkeit des Vorgehens gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BDG.
2. Der Beklagte sieht einen Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darin, dass das Oberverwaltungsgericht das Berufungsurteil mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung erlassen hat. Dies verstoße gegen § 66 Satz 1 BDG, wonach über die Berufung aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden sei. Daher sei die Vorschrift des § 101 Abs. 2 VwGO im Disziplinarklageverfahren gemäß § 3 BDG nicht anwendbar.
Dieser Verfahrensrüge bleibt der Erfolg schon deshalb versagt, weil der Beklagte das Rügerecht gemäß §§ 556, 295 Abs. 1 ZPO verloren hat. Diese Vorschriften finden gemäß § 173 Abs. 1 VwGO im Verwaltungsprozess Anwendung (Urteile vom 31. August 1964 – BVerwG 8 C 350.63 – BVerwGE 19, 213 ≪234≫ und vom 6. Juli 1998 – BVerwG 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 ≪132≫; stRspr). Sie gelten dementsprechend gemäß § 3 BDG auch im Disziplinarklageverfahren (Beschluss vom 24. Juli 2007 – BVerwG 2 B 65.07 – juris Rn. 4).
Gemäß § 556 ZPO kann ein Beteiligter die Verletzung einer das Verfahren der Berufungsinstanz betreffenden Vorschrift in der Revisionsinstanz nicht mehr rügen, wenn er das Rügerecht bereits in der Berufungsinstanz nach § 295 ZPO verloren hat. Nach der ersten Alternative des Absatzes 1 dieser Vorschrift verliert ein Beteiligter das Rügerecht, wenn er auf die Befolgung der Verfahrensvorschrift verzichtet. Der anwaltlich vertretene Beklagte hat auf eine weitere mündliche Verhandlung vor Erlass des Berufungsurteils verzichtet. Er hat zweimal unmissverständlich erklärt, er sei mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden:
Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2006 geht hervor, dass das Oberverwaltungsgericht trotz Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme kein Berufungsurteil aufgrund dieser Verhandlung erlassen hat, weil beide Beteiligten um Vertagung und Anberaumung eines neuen Termins nach Versetzung des Beklagten in den Ruhestand gebeten haben. In der Folgezeit hat der Beklagte auf eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hingewirkt: In dem Schriftsatz vom 19. September 2006 hat er das Datum des Eintritts des Beklagten in den Ruhestand mitgeteilt, um Fortsetzung des Verfahrens nach diesem Datum gebeten und erklärt, er verzichte bereits jetzt auf die Durchführung eines weiteren Termins zur mündlichen Verhandlung. Nachdem sich der Kläger hiermit einverstanden erklärt hatte, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 17. April 2007 erneut um eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren unter Berücksichtigung der Erörterungen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. Juli 2006 gebeten. In Anbetracht dieses Prozessverhaltens des Beklagten erscheint es widersprüchlich, dass er nunmehr den Erlass des Berufungsurteils im schriftlichen Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO als rechtsfehlerhaft rügt.
An dem Verlust des Rügerechts ändert nichts, dass sich die Besetzung des Oberverwaltungsgerichts bei Erlass des Berufungsurteils von der Besetzung in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2006 unterschieden hat: Zum einen liegt darin kein Verfahrensfehler. Denn im schriftlichen Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO entscheidet das Gericht durch diejenigen Richter, die zum Zeitpunkt der Entscheidung unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben sowie der Beschlüsse des Gerichtspräsidiums und des zuständigen Spruchkörpers über die Geschäftsverteilung für die Entscheidung zuständig sind. Die Prozessordnung fordert nicht, dass die Richter, die an der Entscheidung im schriftlichen Verfahren mitwirken, an zuvor durchgeführten mündlichen Verhandlungen teilgenommen haben. Zur Mitwirkung berufen sind nicht diejenigen Richter, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, sondern diejenigen Richter, die am Beratungstag nach den Regelungen über die Geschäftsverteilung zuständig sind (Beschlüsse vom 2. April 1971 – BVerwG 4 B 5.71 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 78 = DÖV 1971, 711 und vom 16. Oktober 1997 – BVerwG 7 C 7.97 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 50).
Zum anderen musste sich der Prozessbevollmächtigte des Beklagten über diese Rechtslage und die möglichen Folgen für die Besetzung des Oberverwaltungsgerichts bei Erlass des Berufungsurteils im Klaren sein. Er musste damit rechnen, dass an der Berufungsentscheidung Richter mitwirken würden, die nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hatten. Dies muss sich der Beklagte nach dem Rechtsgedanken des § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Diese Vorschrift ist hier gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 3 BDG anwendbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichtsgebühren werden gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben.
Unterschriften
Prof. Dr. Kugele, Dr. Müller, Dr. Heitz
Fundstellen