Leitsatz (amtlich)

  • Durchsuchungen und Beschlagnahmen sind nach § 16 Abs. 1 Satz 1 WDO zur Aufklärung eines Dienstvergehens durch richterliche Anordnung ohne Beschränkung auf das disziplinargerichtliche Verfahren zulässig, so dass sie auch bereits während der der Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens vorhergehenden Vorermittlungen durchgeführt werden können.
  • Wie im Strafverfahren kann auch im Disziplinarverfahren die Wahrheitsfindung die privaten Geheimhaltungsbelange der Patienten überwiegen, vorausgesetzt, der Einblick in die Patientendaten ist zur Aufklärung erforderlich und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt.
 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2; WDO § 16 Abs. 1 S. 1, §§ 85, 86 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; StPO § 53 Abs. 1 Nr. 3, § 97 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 3

 

Tatbestand

Gegen den Soldaten, einen Oberstarzt, liefen disziplinarische Ermittlungen wegen des Verdachts der Ausübung einer ungenehmigten bezahlten Nebentätigkeit während der Dienstzeit. In diesem Zusammenhang wurde ihm vorgeworfen, er habe bei einer privaten Gesellschaft den dortigen Betriebsarzt über einen längeren Zeitraum regelmäßig während der Dienstzeit vertreten und in Einzelfällen auch in den Diensträumen seines Instituts medizinische Untersuchungen und Behandlungen von Mitarbeitern dieser Privatfirma, aber auch anderer Nicht-Bundeswehrangehöriger, durchgeführt und außerdem medizinische Gutachten für eine andere Firma erstellt. Die daraus erzielten Einnahmen habe er entweder für sich behalten oder in eine eigens dafür eingerichteten “PPL-Kasse” seiner Abteilung eingezahlt. Aufgrund eines Antrags des Wehrdisziplinaranwalts ordnete der Vorsitzende der zuständigen Truppendienstkammer die Durchsuchung der Diensträume des Soldaten, seiner amtlichen Unterkunft und seines Dienst-Personalcomputers sowie die Beschlagnahme der in den Diensträumen und in der amtlichen Unterkunft aufgefundenen privaten Datenträger, Unterlagen oder sonstigen Schriftstücke und der auf dem Dienst-Personalcomputer befindlichen privaten Anwendungsprogramme und eingegebenen Daten an, soweit sie sich auf diese Nebentätigkeiten bezogen. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Soldaten hat der Senat als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die in dem angefochtenen Beschluss angeordneten Durchsuchungen und Beschlagnahmen waren gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 WDO zulässig. Danach dürfen Durchsuchungen und Beschlagnahmen nur auf richterliche Anordnung zur Aufklärung eines Dienstvergehens vorgenommen werden. Die vom Verteidiger des Soldaten vertretene Rechtsauffassung, diese Vorschrift gelte nicht für disziplinarische Vorermittlungen im Rahmen von § 86 Abs. 2 WDO, findet im Gesetz keine Stütze. Nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 1 WDO sind derartige Maßnahmen “zur Aufklärung eines Dienstvergehens” durch richterliche Anordnung ohne Beschränkung auf das disziplinargerichtliche Verfahren zulässig, so dass sie auch bereits während der der Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens vorhergehenden Vorermittlungen durchgeführt werden können. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Durchsuchung und Beschlagnahme in der Wehrdisziplinarordnung nicht im Zweiten Teil, Dritter Abschnitt “Das disziplinargerichtliche Verfahren”, sondern im Zweiten Teil, Erster Abschnitt, “Allgemeine Bestimmungen” geregelt sind. Eine Begrenzung der Anordnungsbefugnis auf eine bestimmte Art von Ermittlungen oder einen bestimmten Verfahrensabschnitt findet sich weder in § 16 WDO noch sonst in diesem Abschnitt. Auch Sinn und Zweck des § 16 Abs. 1 Satz 1 WDO sprechen dafür, dass richterlich angeordnete Beschlagnahmen und Durchsuchungen bereits im Vorverfahren zulässig sind. Durch die Vorermittlungen soll die Grundlage für die Entscheidung der Einleitungsbehörde geschaffen werden, das disziplinargerichtliche Verfahren einzuleiten oder nicht einzuleiten. In diesem Stadium des Verfahrens müssen erste tatsächliche Feststellungen getroffen und Ermittlungen durchgeführt werden, um Klarheit zu gewinnen, ob ein Soldat möglicherweise ein Dienstvergehen begangen hat. Hierzu können auch Durchsuchungen und Beschlagnahmen erforderlich werden. Wären diese erst nach der Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 WDO zulässig, so könnte in den Fällen, in denen die Gefahr der Verdunkelung oder der Vernichtung von Beweismitteln droht, der Zweck dieser Maßnahmen, Gegenstände zu Beweiszwecken zu sichern, in Frage gestellt oder gar vereitelt werden, insbesondere deshalb, weil die Betroffenen, die im Rahmen der Vorermittlungen gehört werden, die Möglichkeit hätten, während dieser Zeit wichtige Beweismittel dem Zugriff zu entziehen. Auch im Strafprozess ist die Anordnung derartiger Maßnahmen nicht an einen bestimmten Abschnitt des Gerichtsverfahrens gebunden (§§ 94 ff. StPO). Die Rechte der Personen, gegen die sich die Durchsuchung bzw. die Beschlagnahmen richten, insbesondere die Beachtung der Wahrung ihrer Grundrechte, sind auch in diesem frühen Verfahrensabschnitt gewährleistet; denn gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 WDO dürfen diese Maßnahmen nur auf richterliche Anordnung vorgenommen werden.

Die Ansicht des Verteidigers, die Durchsuchung der amtlichen Unterkunft des Soldaten sei “a priori” rechtswidrig, weil sie nicht zu den durchsuchungsfähigen Gegenständen gehöre (so auch Dau, WDO 3. Aufl., § 16 RdNr. 16 ohne Angabe von Gründen), findet weder in der Verfassung noch im Gesetz eine Stütze. Gemäß Art. 13 Abs. 2 GG dürfen Wohnungsdurchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. § 16 Abs. 1 Satz 1 WDO enthält die gesetzliche Ermächtigung für Durchsuchungen und Beschlagnahmen “zur Aufklärung eines Dienstvergehens” auf richterliche Anordnung. Hierbei wird nicht danach unterschieden, ob es sich um eine dienstliche Unterkunft oder die Privatwohnung eines Soldaten handelt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob, wie offensichtlich der Vorsitzende der Truppendienstkammer meint, rechtlich ein Unterschied zwischen einer amtlichen Unterkunft im umschlossenen militärischen Bereich oder einer Privatwohnung zu sehen ist, da bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 GG i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 WDO Wohnungsdurchsuchungen oder Beschlagnahmen zulässig sind, unabhängig davon, um welche Art von Wohnung es sich handelt.

Die vom Vorsitzenden der Truppendienstkammer getroffenen Anordnungen verstoßen auch nicht gegen den verfassungsmäßig garantierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie waren zur Aufklärung des Sachverhalts geboten. (wird ausgeführt)

Auch die angeordnete Beschlagnahme der in der amtlichen Unterkunft des Soldaten und auf dem Dienst-Personalcomputer des Soldaten vorhandenen Patientendaten (Anordnungen Nrn. 2.1 und 2.2) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist die Beschlagnahme von Patientendaten, auf die sich das ärztliche Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO erstreckt, unzulässig (§ 85 WDO i.V.m. § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Gemäß § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO gelten diese Beschränkungen der Beschlagnahme aber nicht, wenn die zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten einer Teilnahme oder einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig sind oder wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren. Bei der gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 WDO gebotenen entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift auf die Wehrdisziplinarordnung bedeutet dies, dass die vom Soldaten erhobenen und gespeicherten Patientendaten der Beschlagnahme unterliegen, weil er im Verdacht steht, ein Dienstvergehen begangen zu haben, und sich insoweit nicht auf ein ärztliches Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann. Dem steht nicht entgegen, dass die Beschlagnahme einen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre und in das verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt (BVerfGE 32, 373 [381]). Die Eingriffe in die Grundrechte der Personen, die vom Soldaten untersucht und deren persönliche Daten in seinem Gewahrsam sind, sind aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens, weil sie nur von den Betroffenen und nicht von dem Soldaten geltend gemacht werden können; denn er wird nicht durch die Offenbarung dieser Daten, jedenfalls nicht unmittelbar, in seinen Rechten verletzt (vgl. BGHSt 38, 144 [147]). Unabhängig davon kann ebenso wie im Strafverfahren auch im Disziplinarverfahren die Wahrheitsfindung die privaten Geheimhaltungsbelange der Patienten überwiegen, vorausgesetzt, der Einblick in die Patientendaten ist zur Aufklärung erforderlich und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Hierbei ist nicht ohne Belang, ob und inwieweit eine rechtliche und tatsächliche Gewähr dafür gegeben ist, dass das Wissen um die grundsätzlich der ärztlichen Schweigepflicht unterfallenden Patientendaten auf den Kreis der unmittelbar Beteiligten beschränkt werden kann (für das Strafverfahren vgl. BVerfG a.a.O.; BGHSt a.a.O.).

Die Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Vorsitzenden der Truppendienstkammer war die Ermittlung der Zahl der von dem Soldaten untersuchten Fälle zur Wahrheitsfindung erforderlich, da diese Daten wegen seines Schweigens bei der Befragung durch seinen Disziplinarvorgesetzten und der Nichtoffenbarung durch externe Stellen auf anderem Wege nicht ermittelt werden konnten. Auch ist, wie oben dargelegt, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt worden, und es besteht nicht die Gefahr, dass durch die Beschlagnahme die sensiblen Patientendaten einer größeren oder unbefugten Öffentlichkeit bekannt werden. Ziel der Beschlagnahme ist es allein, festzustellen, in wie vielen Fällen und über welchen Zeitraum der Soldat ohne die erforderliche dienstliche Genehmigung Flugtauglichkeitsuntersuchungen an Privatpersonen durchgeführt und welche Einnahmen er dabei erzielt hat. Der von ihm jeweils festgestellte ärztliche Befund ist für diese Feststellungen ohne Belang, so dass solche Gesundheitsdaten auch nicht in die Disziplinarakten aufgenommen und in ein möglicherweise einzuleitendes disziplinargerichtliches Verfahren weder eingebracht werden müssen noch dürfen. Diesem Umstand hat der ermittelnde Wehrdisziplinaranwalt im übrigen Rechnung getragen; denn er hat gegenüber dem Truppendienstgericht erklärt, die vertraulichen Patientendaten seien nicht Gegenstand der Ermittlungen, sondern sollten nur hinsichtlich des Umfangs und des Zeitpunkts ihrer Erstellung sowie der dafür erhaltenen Einnahmen ausgewertet werden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die zuständigen Stellen nicht an diese verfassungsrechtlich vorgegebenen Einschränkungen ihrer Ermittlungstätigkeit halten.

 

Fundstellen

ZBR 2001, 68

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