Leitsatz (amtlich)
Die Potenzialfeststellung als Ergebnis einer psychologischen Eignungsprüfung darf als Auswahlkriterium im Auswahlverfahren für die Zulassung von Feldwebeln zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes nur herangezogen werden, wenn sie im Termin der Auswahlentscheidung hinreichend aktuell ist.
Tatbestand
Rz. 1
Der Antragsteller begehrt die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes für das Auswahljahr 2017.
Rz. 2
Der... geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit. Seine derzeit auf zwölf Jahre festgesetzte Dienstzeit wird mit Ablauf des 30. Juni... enden. Mit Wirkung vom 1.... 2016 wurde er zum Hauptfeldwebel ernannt. Nach vorangegangener Kommandierung ab 29. Februar 2016 wird er seit dem 1. Mai 2016 als Personalfeldwebel... beim... verwendet.
Rz. 3
Mit Formularantrag vom 25. Juli 2013 beantragte der Antragsteller seine Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes für das Auswahljahr 2014. Seine aus diesem Anlass absolvierte Potenzialfeststellung für Unteroffiziere ergab für ihn am 3. September 2013 einen Indexwert 70 (Eignungskategorie: Kein Potenzial für Berufsunteroffizier oder Offizier des militärfachlichen Dienstes). Das Bundesamt für das Personalmanagement lehnte den Zulassungsantrag mit Bescheid vom 28. Mai 2014 ab. Am 21. August 2015 stellte der Antragsteller einen Zulassungsantrag für das Auswahljahr 2016, der mit Bescheid vom 26. April 2016 ebenfalls abgelehnt wurde.
Rz. 4
Mit Formularantrag vom 10. Juni 2016 wiederholte der Antragsteller für das Auswahljahr 2017 den Antrag auf Laufbahnzulassung. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Mai 2017 lehnte das Bundesamt für das Personalmanagement den Antrag ab und führte zur Begründung aus, dass sich der Antragsteller in der Auswahlkonferenz für Offiziere des militärfachlichen Dienstes 2017 im Eignungs- und Leistungsbild gegenüber besser bewerteten Kandidaten nicht habe durchsetzen können.
Rz. 5
Gegen diese ihm am 25. Juli 2017 eröffnete Entscheidung legte der Antragsteller mit einem an das "BAPersBW, Militärringstraße 1000, 50737 Köln" adressierten Schreiben vom 16. August 2017 Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, dass aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich sei, warum sein Leistungsbild für die jetzige Auswahlkonferenz als nicht ausreichend beurteilt worden sei. Eine Potenzialfeststellung aus dem Jahr 2013, die in das Auswahlverfahren mit eingeflossen sei, sei für den heutigen Zeitpunkt nicht mehr aussagekräftig. Obwohl die Bundeswehr eine erneute Feststellung des Potenzials nicht ausschließe, sei ihm aus Kapazitäts- oder sonstigen Gründen keine weitere Chance eingeräumt worden. Darüber hinaus habe das Bundesministerium der Verteidigung angewiesen, ein neues Konzept zur "Eignungsdiagnostik und Potenzialanalyse durch den Psychologischen Dienst der Bundeswehr" zu erarbeiten. Damit werde ein Verfahren zugrunde gelegt, das infrage gestellt sei. Aus seiner Sicht sei sein Beurteilungsbild aussagekräftiger. Die aus seinen Beurteilungen auf verschiedenen Dienstposten nachgewiesene Leistungssteigerung habe er im Rahmen der Potenzialfeststellung nicht aufzeigen können. Der Antragsteller gab das Beschwerdeschreiben ausweislich des vorgelegten Einlieferungsbelegs der Deutschen Post,..., am 21. August 2017 auf. Nach dem Sendungsnachweis ging das Beschwerdeschreiben am 24. August 2017 beim Bundesamt für das Personalmanagement ein.
Rz. 6
Die Beschwerde wies das Bundesministerium der Verteidigung mit Beschwerdebescheid vom 4. Oktober 2017 zurück. Es führte aus, dass die Beschwerde wegen Fristversäumung unzulässig sei. Sie sei ausweislich des Eingangsstempels erst nach Ablauf der am 25. August 2017 abgelaufenen Beschwerdefrist am 28. August 2017 zunächst beim Bundesamt für das Personalmanagement IV 1.2 Recht und am 5. September 2017 bei der zuständigen Beschwerdestelle Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - eingegangen. Umstände, die eine fristgerechte Beschwerdeeinlegung unmöglich gemacht hätten und die als Hinderungsgründe nach § 7 WBO anzusehen seien, seien nicht ersichtlich. Auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 WBO seien nicht erfüllt. In den dienstaufsichtlichen Feststellungen legte das Bundesministerium der Verteidigung dar, dass der Antragsteller mit einem Punktsummenwert von 900,685 in der Auswahlkonferenz für das Jahr 2017 Platz 59 der Vorsortierliste erreicht habe. Der - bei zehn Zulassungsmöglichkeiten - zuletzt übernommene Bewerber habe über einen deutlich besseren Punktsummenwert von 962,545 Punkten verfügt. Grundlage der Wertermittlung seien die letzte planmäßige Beurteilung des Antragstellers zum Vorlagetermin 30. September 2016 und seine vorletzte Beurteilung zum Vorlagetermin 30. September 2015 gewesen. Die daraus ersichtlichen Durchschnittswerte der Aufgabenerfüllung von 8,50 und von 8,38 sowie die jeweils bescheinigte Entwicklungsprognose "Förderung bis in die höchsten Verwendungen der Laufbahn" seien in die Wertermittlung ebenso eingegangen wie der Eignungsgrad "in außergewöhnlichem Maße geeignet" aus der Laufbahnbeurteilung und die in der Potenzialfeststellung erzielten 70 Indexpunkte.
Rz. 7
Gegen diesen ihm am 16. Oktober 2017 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Oktober 2017 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt und sich auf § 7 WBO berufen. Den Antrag hat das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - mit seiner Stellungnahme vom 11. Dezember 2017 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Rz. 8
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens wiederholt und vertieft der Antragsteller sein Beschwerdevorbringen. Er betont, dass ihn an einer möglichen Fristversäumung kein Verschulden treffe. Die Beschwerde habe er am 21. August 2017 als Einschreiben bei der Post aufgegeben. Er habe nicht zu verantworten, wenn die Beschwerde nach den internen Postlaufzeiten in der Kaserne dem zuständigen Sachbearbeiter nicht rechtzeitig vorliege. § 7 Abs. 1 WBO sei anzuwenden. Die Potenzialfeststellung aus dem Jahr 2013 sei nicht mehr aktuell. Selbst die Antragsgegnerin scheine rechtliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Auswahlverfahrens zu haben.
Rz. 9
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin unter Aufhebung der Bescheide vom 2. Mai 2017 und vom 4. Oktober 2017 zu verpflichten, über seinen Antrag auf Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes für das Auswahljahr 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Rz. 10
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Rz. 11
Es bekräftigt den Inhalt seines Beschwerdebescheids und verweist vorsorglich auf seine dienstaufsichtlichen Feststellungen, wonach die Beschwerde auch in der Sache unbegründet sei. Nr. 118 der Bereichsdienstvorschrift C-1335/1 "Eignungsdiagnostik und Potenzialanalyse durch den Psychologischen Dienst der Bundeswehr", die die Geltungsdauer des Ergebnisses einer Potenzialanalyse auf zwei Jahre begrenze, sei nach dem Erlass des BMVg - P III 5 - vom 22. Juli 2016 auf das bestehende Verfahren der Potenzialfeststellung für Unteroffiziere nicht anzuwenden. Das Bundesamt für das Personalmanagement sei angewiesen worden, das bestehende Verfahren der Potenzialfeststellung bis Dezember 2018 so zu überarbeiten, dass dabei ausschließlich Merkmale mit entsprechender hoher Stabilität erfasst würden, für die eine fünfjährige Gültigkeit der Ergebnisse festgelegt werden könne.
Rz. 12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung - R II 2 -... und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 13
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
Rz. 14
1. Der Antrag ist zulässig. Seiner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der nach Nr. 1027 ZDv-A 1340/49 für das Antragsbegehren maßgebliche Zulassungstermin 1. Oktober 2017 bereits im Zeitpunkt der Vorlage des Verfahrens beim Senat verstrichen war. Der Rechtsstreit hat sich hierdurch nicht in der Hauptsache erledigt, weil eine rückwirkende Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes rechtlich zulässig ist und nach der Praxis des Bundesministeriums der Verteidigung aufgrund einer Ausnahmegenehmigung noch erfolgen könnte, wenn der Zulassungsantrag in der Sache erfolgreich wäre (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Juni 2012 - 1 WB 34.11 - juris Rn. 15 m.w.N. und vom 27. Mai 2014 - 1 WB 58.13 - juris Rn. 16 m.w.N.).
Rz. 15
2. Der Antrag ist auch begründet.
Rz. 16
Die Entscheidung des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 2. Mai 2017, die Zulassung des Antragstellers zu der angestrebten Laufbahn abzulehnen, und der Beschwerdebescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom 4. Oktober 2017 sind rechtswidrig; sie verletzen den Antragsteller in seinen Rechten und sind deshalb aufzuheben (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 WBO). Da die Sache nicht spruchreif ist, ist das Bundesministerium der Verteidigung zur Neubescheidung des Zulassungsantrags vom 10. Juni 2016 für das Auswahljahr 2017 zu verpflichten (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 4 WBO).
Rz. 17
Die Ablehnung des Zulassungsantrags unter Zugrundelegung einer im Jahr 2013 beim Antragsteller durchgeführten Potenzialfeststellung für Unteroffiziere und die Bewertung der Beschwerde des Antragstellers als unzulässig im Beschwerdebescheid sind rechtswidrig. Auf die im Jahr 2013 vom Antragsteller absolvierte Potenzialfeststellung durfte für das Auswahljahr 2017 nicht mehr zurückgegriffen werden. Bei der Beurteilung der Fristwahrung durch die Beschwerde vom 16. August 2017 hat das Bundesministerium der Verteidigung die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 WBO nicht hinreichend berücksichtigt.
Rz. 18
a) Dem Antragsteller ist im Ergebnis die Versäumung der Beschwerdefrist nicht entgegenzuhalten.
Rz. 19
Kenntnis von dem die Beschwerdefrist im Sinne des § 6 Abs. 1 WBO auslösenden Beschwerdeanlass hatte der Antragsteller am 25. Juli 2017, als ihm die Entscheidung des Bundesamts für das Personalmanagement vom 2. Mai 2017 gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt wurde. Die Monatsfrist für die Einlegung der Beschwerde endete am 25. August 2017 (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Das Fristende wurde nicht dadurch hinausgeschoben, dass eine vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden wäre (§ 7 Abs. 2 WBO); denn als truppendienstliche Erstmaßnahme, gegen die nicht allein der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft ist, bedurfte die Entscheidung keiner Rechtsbehelfsbelehrung (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 WB 26.10 - Rn. 30 m.w.N. und vom 26. November 2013 - 1 WB 40.13 - Rn. 21). Innerhalb dieser Frist ist bei den gesetzlich festgelegten Empfangsadressaten einer Beschwerde, beim nächsten Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers (§ 5 Abs. 1 Satz 1 WBO) oder bei der zuständigen Beschwerdestelle (§ 5 Abs. 1 Satz 2 WBO), keine Beschwerde eingegangen. Die Vorschrift des § 23 Abs. 2 Satz 1 WBO, wonach die Beschwerde auch bei der Stelle eingelegt werden kann, deren Entscheidung angefochten wird, ist nicht anwendbar, weil sie nicht für truppendienstliche Erstmaßnahmen gilt, sondern nur für Rechtsbehelfe in Verwaltungsangelegenheiten (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 - 1 WB 40.13 - Rn. 22).
Rz. 20
Innerhalb der Beschwerdefrist ist nur die an das "BAPersBw" adressierte Beschwerde des Antragstellers am 24. August 2017 bei der zentralen Poststelle des Bundesamts eingegangen. Sie war damit an eine für die Einlegung der Beschwerde unzuständige Stelle gerichtet.
Rz. 21
Grundsätzlich liegt es im Verantwortungs- und Risikobereich eines Rechtsbehelfsführers, dafür zu sorgen, dass der von ihm gewählte Rechtsbehelf innerhalb der Rechtsbehelfsfrist bei der zuständigen Stelle eingeht. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. - auch zum Folgenden - z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 11. März 2008 - 1 WB 8.08 - Buchholz 450.1 § 5 WBO Nr. 1 Rn. 26 m.w.N. und vom 26. November 2013 - 1 WB 40.13 - Rn. 24 m.w.N.) kommt jedoch eine entsprechende Anwendung des § 7 Abs. 1 WBO in Betracht, wenn der Rechtsbehelf gerade infolge eines pflicht- oder regelwidrigen Verhaltens der zunächst angegangenen unzuständigen Stelle erst nach Fristablauf bei der zuständigen Stelle eingegangen ist. Die angegangene Behörde ist zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, ein eingehendes Schriftstück sofort darauf zu prüfen, ob die eigene Zuständigkeit gegeben ist oder ob es an eine zuständige Stelle weiterzuleiten ist; sie hat den eingegangenen Vorgang vielmehr im regulären Geschäftsablauf an die zuständige Stelle abzugeben - unter Umständen mit dem Hinweis auf die Eilbedürftigkeit. In Anwendung dieser und der folgenden Maßstäbe kann sich der Antragsteller erfolgreich auf Umstände berufen, die im Sinne von § 7 Abs. 1 WBO als unabwendbarer Zufall zu werten sind.
Rz. 22
Der Antragsteller konnte für die von ihm postalisch aufgegebene Beschwerde auf einen regulären Postlauf innerhalb von einem Werktag, längstens innerhalb von zwei Werktagen vertrauen und anschließend von einem rechtzeitigen Eingang der Beschwerdeschrift bei seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten ausgehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1975 - 2 BvR 99/74 - BVerfGE 40,42 ≪45≫) muss ein Rechtsmittelführer, der sich zur Beförderung seines Rechtsmittelschreibens der Post bedient, die gewöhnliche Laufzeit einer Postsendung je nach deren Art und je nach der Entfernung zwischen Aufgabe- und Zustellort einkalkulieren. Dabei sind übliche Verzögerungen der Laufzeit, wie sie durch verminderten oder ganz entfallenden Leerungs- und Zustelldienst an Wochenenden und Feiertagen entstehen, von vornherein in die Berechnung einzubeziehen. Wenn das beachtet wird und es im Einzelfall keine konkreten Hinweise auf andersartige Verzögerungen gibt, darf der Bürger darauf vertrauen, dass die normale Postlaufzeit nicht überschritten wird (BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1975 - 2 BvR 99/74 - BVerfGE 40, 42 ≪45≫; ebenso auch BVerwG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 WB 11.05 - BA S. 8 f.). Es kann davon ausgegangen werden, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen grundsätzlich am folgenden Werktag ausgeliefert werden; ohne konkrete Anhaltspunkte muss ein Rechtsmittelführer deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (ebenso: BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 4 C 2.12 - BVerwGE 147, 37 Rn. 8).
Rz. 23
Nach den vom Antragsteller vorgelegten Belegen der Deutschen Post hat er die Beschwerde am Montag, 21. August 2017, als Einschreiben bei der Filiale der Deutschen Post AG in... aufgegeben. Adressiert war das Schreiben an das Bundesamt für das Personalmanagement in 50737 Köln. Angesichts der Nähe des Aufgabe- und des Zielortes und des Umstandes, dass es sich um eine reguläre Arbeitswoche ohne Feiertage handelte, konnte der Antragsteller davon ausgehen, dass sein Beschwerdeschreiben am Folgetag, spätestens jedoch am 23. August 2017 (Mittwoch) beim Bundesamt für das Personalmanagement eingehen würde. Selbst wenn der Eingang dort bei der zentralen Poststelle erfolgt wäre, hätte bei regulärem Geschäftsgang und bei Berücksichtigung des vom Antragsteller in der Beschwerde ausdrücklich und gut sichtbar mitgeteilten Eröffnungsdatums des angefochtenen Bescheids ohne Weiteres die Möglichkeit bestanden, bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am Freitag, dem 25. August 2017, fristgerecht die dienstinterne Übermittlung an den Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers zu bewerkstelligen. Die Zwei-Wochen-Frist des § 7 Abs. 1 WBO hat der Antragsteller mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewahrt.
Rz. 24
b) Der Antrag des Antragstellers auf Neubescheidung seines Zulassungsbegehrens ist auch in der Sache begründet.
Rz. 25
Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Zulassung von Feldwebeln zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes im Dienstverhältnis einer Berufssoldatin oder eines Berufssoldaten gemäß § 27 Abs. 1 SG in Verbindung mit § 3 und § 40 SLV aufgrund der Ermächtigung in § 44 SLV in Kapitel 9 der ZDv A-1340/49 "Beförderung, Einstellung, Übernahme und Zulassung von Soldatinnen und Soldaten" sowie in der ZDv A-1340/75 "Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes" näher geregelt. Danach wird die Entscheidung über die Zulassung vom Bundesamt für das Personalmanagement getroffen (Nr. 906 ZDv A-1340/49; Nr. 105, 205 ZDv A-1340/75). Dessen Entscheidung, die Zulassung zu der angestrebten Laufbahn abzulehnen, kann vom Wehrdienstgericht nur auf Ermessensfehler (§ 17 Abs. 3 Satz 2 WBO, § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 114 VwGO) sowie darauf überprüft werden, ob die im Wege der Selbstbindung an eine tatsächliche Verwaltungspraxis (Art. 3 Abs. 1 GG) vom Bundesministerium der Verteidigung in Verwaltungsvorschriften (z.B. in Erlassen, Zentralen Dienstvorschriften oder Richtlinien) festgelegten Maßgaben und Verfahrensvorschriften eingehalten sind; gegebenenfalls ist die Prüfung auf die Vereinbarkeit der in Rede stehenden Erlassbestimmung mit höherrangigem Recht zu erstrecken (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 16. September 2004 - 1 WB 21.04 - Buchholz 236.110 § 2 SLV 2002 Nr. 5, vom 20. September 2011 - 1 WB 48.10 - BVerwGE 140, 342 Rn. 28 und vom 28. März 2018 - 1 WB 8.17 - juris Rn. 18).
Rz. 26
In Konkretisierung des Ziels, die nach Eignung, Befähigung und Leistung am besten geeigneten Bewerber für die in Rede stehende Laufbahn auszuwählen und zur Zulassung vorzuschlagen, wird, soweit - wie hier - die Anzahl der geeigneten Bewerber den Bedarf übersteigt, nach Nr. 304 Zentralvorschrift A1-1340/75-5000 "Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes" eine Vorsortierung als Grundlage der Betrachtung gebildet. Nach Nr. 305 der genannten Zentralvorschrift werden als quantifizierbare Kriterien zur Erstellung der Vorsortierung die letzte Beurteilung, die Potenzialfeststellung, die vorletzte Beurteilung und die Laufbahnbeurteilung der Bewerber herangezogen. Die Gewichtung dieser Kriterien ist in den Anlagen 4.1 und 4.2 der Zentralvorschrift A1-1340/75-5000 im Einzelnen dargestellt. Anhand von Eignungs- und Leistungskriterien werden dabei Punkte vergeben, nach denen die Punktsummenwerte der Bewerber ermittelt werden. Entscheidend sind dabei der jeweilige Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung und die Entwicklungsprognose in den beiden genannten (planmäßigen) Beurteilungen, der Empfehlungsgrad aus der Laufbahnbeurteilung und die Indexpunkte aus der Potenzialfeststellung.
Rz. 27
Dieses Verfahren, das in der Struktur der maßgeblichen Vorsortierungskriterien weitgehend den früheren Regelungen entspricht, hat der Senat wiederholt rechtlich gebilligt (vgl. z. B. BVerwG, Beschlüsse vom 20. September 2011 - 1 WB 38.10 - Rn. 24 f., vom 21. Mai 2015 - 1 WB 5.15 - juris Rn. 35 f. und vom 25. Februar 2016 - 1 WB 4.15 - Rn. 34). Er hat insbesondere entschieden, dass die erstmals für das Auswahljahr 2015 erweiterte Anforderung von nunmehr zwei planmäßigen Beurteilungen als Portepéeunteroffizier als Voraussetzung für die Teilnahme am Auswahlverfahren für Offiziere des militärfachlichen Dienstes mit höherrangigem Recht vereinbar ist (BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2017 - 1 WB 2.16 - Buchholz 449.2 § 40 SLV 2002 Nr. 5 Rn. 44, 47 ff.).
Rz. 28
Auf dieser Basis wurden nach Mitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung für die Punktsummenwertermittlung beim Antragsteller die Durchschnittswerte der Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten (8,50 aus seiner planmäßigen Beurteilung zum 30. September 2016 und 8,38 aus seiner vorletzten planmäßigen Beurteilung zum 30. September 2015), die darin festgestellten Entwicklungsprognosen für den Antragsteller (jeweils: "Förderung bis in die höchsten Verwendungen der Laufbahn"), aus der Laufbahnbeurteilung vom 2. August 2016 die Eignungsbewertung für den Laufbahnwechsel ("in außergewöhnlichem Maß geeignet") und das Ergebnis der Potenzialfeststellung (Indexwert von 70 Punkten) zugrunde gelegt. Die Einzelwerte stimmen mit denen der in der Personalgrundakte enthaltenen planmäßigen Beurteilungen, der Laufbahnbeurteilung und der vom Bundesministerium der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Ergebnismitteilung der Potenzialfeststellung vom 3. September 2013 überein.
Rz. 29
Dass das Bundesamt für das Personalmanagement auch eine Potenzialfeststellung für Unteroffiziere in das Auswahlverfahren für die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes einbeziehen kann, hat der Senat ebenfalls grundsätzlich gebilligt. Dafür war und ist maßgeblich, dass es in der Personalorganisationshoheit des Bundesministeriums der Verteidigung liegt, ob es in das Zulassungsverfahren für die in Rede stehende Laufbahn zusätzliche Erkenntnisquellen einführt, die neben den verschiedenen Beurteilungsarten und bestimmten fachlichen Empfehlungen ergänzende prognostische Aussagen über die Eignung der Bewerber für die angestrebte Laufbahn oder für den laufbahnrelevanten Status (Berufssoldat) leisten können (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 20. September 2011 - 1 WB 38.10 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 61 Rn. 40).
Rz. 30
Die Potenzialfeststellung als zusätzliche Erkenntnisquelle kann ihre materielle Funktion als eignungsrelevante Aussage über die Persönlichkeit des Bewerbers im Auswahlverfahren für Offiziere des militärfachlichen Dienstes aber nur dann erfüllen, wenn ihr eine hinreichende Aktualität, das heißt eine zeitliche Nähe zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung zukommt. Insofern kann für die Potenzialfeststellung, die in ihrer prognostischen Aussage eine beurteilungsähnliche Rechtsnatur aufweist, nichts anderes gelten als für dienstliche Beurteilungen, die in anderen Auswahlverfahren für höherwertige militärische Verwendungen als (mit) ausschlaggebend herangezogen werden und für die der Senat in ständiger Rechtsprechung eine hinreichende Aktualität im Verhältnis zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung verlangt (vgl. z. B. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Mai 2011 - 1 WB 59.10 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 60 Rn. 32 und vom 27. August 2015 - 1 WB 59.14, 1 WB 61.14 - juris Rn. 41). Ob ein Soldat im Feldwebel-Dienstgrad an seinen dienstlichen Aufgaben nachhaltig "wächst" und sich für ein bestimmtes militärisches Berufsbild im Dienstalltag auch charakterlich bzw. unter psychologischen Eignungskriterien steigert oder nicht, kann zeitlichen Schwankungen unterliegen; dieser Befund kann als Potenzialanalyse für einen Laufbahnaufstieg nicht in einer einmaligen, für viele Jahre bindenden Momentaufnahme gleichsam "in Stein gemeißelt" werden. Der Fall des Antragstellers illustriert eine derartige Entwicklung, weil dieser im Zeitraum zwischen seiner Potenzialfeststellung vom 3. September 2013 und der Auswahlkonferenz im Februar 2017 insgesamt drei planmäßige Beurteilungen (zum 30. September 2013, zum 30. September 2015 und zum 30. September 2016) erhalten hat, in denen er sich gerade auch im Abschnitt "Persönlichkeitsprofil" erheblich gesteigert hat.
Rz. 31
Die vom Bundesministerium der Verteidigung im Beschwerdebescheid zitierte Bereichsdienstvorschrift C-1335/1 "Eignungsdiagnostik und Potenzialanalyse durch den Psychologischen Dienst der Bundeswehr" ist in ihrer 1. Version zum 30. Oktober 2015 und ihrer 2. Version zum 2. Januar 2017 in Kraft getreten und legt in Nr. 118 fest, dass die Gültigkeit von Ergebnissen eignungsdiagnostischer Instrumente und Verfahren zwei Jahre beträgt, gerechnet ab dem Feststellungsdatum des Assessmentergebnisses. Im Gegensatz zu früheren Regelungen über die Potenzialfeststellung für Unteroffiziere, die in der Regel nur die einmalige Absolvierung dieses Prüfverfahrens und keine Geltungsfrist für dessen Ergebnisse vorsahen, enthält die neue Vorschrift nunmehr eine auf zwei Jahre fixierte Geltungsdauer der Potenzialanalyse.
Rz. 32
Der Antragsteller hat seine Potenzialfeststellung am 3. September 2013 absolviert. Im Zeitpunkt der Auswahlkonferenz für das Auswahljahr 2017 (vom 6. Februar bis 16. Februar 2017) war dieses Ergebnis dreieinhalb Jahre alt und entsprach damit nicht mehr der dargelegten materiellen Anforderung einer hinreichenden Aktualität, die durch eine Geltungsdauer von zwei Jahren zwischen Potenzialfeststellung und Auswahlkonferenz repräsentiert wird. Daher ist die Entscheidung des Bundesamts für das Personalmanagement auf einer nicht hinreichend aktuellen Entscheidungsgrundlage getroffen worden und mithin rechtswidrig. Der Antragsteller hat Anspruch auf eine neue Potenzialfeststellung und auf dieser Grundlage auf Neubescheidung seines Zulassungsantrags.
Rz. 33
Ohne Erfolg macht das Bundesministerium der Verteidigung geltend, dass mit der Weisung BMVg - P III 5 - vom 22. Juli 2016 zur Bereichsdienstvorschrift C-1335/1 die Anwendung ihrer Nr. 118 auf das bestehende Verfahren ausgeschlossen worden sei. Es begegnet bereits erheblichen formellen Bedenken, ob ein Angehöriger des Referates BMVg - P III 5 - mit einfacher Weisung und offensichtlich ohne Beteiligung der Interessenvertretungen eine Bereichsdienstvorschrift des Ministeriums teilweise für nicht anwendbar erklären kann, die ihrerseits unter Beteiligung des Hauptpersonalrats beim Bundesministerium der Verteidigung sowie des Gesamtvertrauenspersonenausschusses und der Hauptschwerbehindertenvertretung beim Bundesministerium der Verteidigung zustande gekommen ist. Entscheidend ist aber, dass die Weisung vom 22. Juli 2016 die vom Senat oben dargelegten Mängel einer unbefristet gültigen Potenzialfeststellung materiell ausdrücklich bestätigt, weil darin dem Bundesamt für das Personalmanagement wegen der erkannten Probleme einer fehlenden längerfristigen Aktualität der bestehenden Potenzialfeststellungen ein Prüf- und Überarbeitungsauftrag erteilt wird, das bestehende Verfahren bis Dezember 2018 so zu überarbeiten, dass dabei ausschließlich Merkmale mit entsprechend hoher Stabilität erfasst werden, für die eine fünfjährige Gültigkeit der Ergebnisse festgelegt werden kann. Damit wird eingeräumt, dass die im bestehenden Potenzialfeststellungsverfahren verwendeten Merkmale nur eine kurzfristige Gültigkeit rechtfertigen können.
Rz. 34
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO.
Fundstellen
Haufe-Index 12193852 |
JZ 2019, 305 |