Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 12.05.2003; Aktenzeichen 26 N 99.1281) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsteller beilegen.
a) Die Frage, ob “im Rahmen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO das Vorliegen einer möglichen Verletzung des subjektiven Rechts gemäß § 1 Abs. 6 BauGB bei planbedingter Verkehrszunahme wegen ‘Geringfügigkeit’ verneint werden (kann), wenn sich die Lärmbelastung an dem betroffenen Grundstück in einem allgemeinen Wohngebiet nach Verwirklichung der Planung mehr als verdoppelt”, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ob vermehrte Verkehrslärmbeeinträchtigungen im Sinne des Senatsbeschlusses vom 9. November 1979 – BVerwG 4 N 1.78 u.a. – (BVerwGE 59, 87) mehr als “geringfügig” zu Buche schlagen, lässt sich nicht anhand fester Maßstäbe beurteilen. Im Beschluss vom 19. Februar 1992 – BVerwG 4 NB 11.91 – (NJW 1992, 2844) hat der Senat darauf hingewiesen, dass sich die Schwelle der Abwägungsrelevanz bei Verkehrslärmerhöhungen nicht allein durch einen Vergleich von Lärmwerten markieren lässt. Selbst eine Lärmzunahme, die, bezogen auf einen rechnerisch ermittelten Dauerschallpegel, für das menschliche Ohr kaum hörbar ist, kann nach dieser Entscheidung zum Abwägungsmaterial gehören. Daraus lässt sich indes nicht im Umkehrschluss folgern, dass Lärmerhöhungen oberhalb der Hörbarkeitsschwelle stets als Abwägungsposten zu berücksichtigen sind. Es bedarf vielmehr einer wertenden Betrachtung der konkreten Verhältnisse. Eine Lärmverdoppelung kann je nachdem, welche Rolle die Vorbelastung spielt und wie schutzwürdig das jeweilige Gebiet ist, ein Indikator für eine mehr als geringfügige Betroffenheit sein. Regelhafte Schlüsse lässt sie, für sich genommen, indes nicht zu. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Zu Erkenntnissen, die hierüber hinausgehen, würde das von den Antragstellern erstrebte Revisionsverfahren keine Gelegenheit bieten.
b) Die Antragsteller halten für klärungsbedürftig, ob “die Frage der ‘Geringfügigkeit’ der Lärmbeeinträchtigung aufgrund einer planbedingten Verkehrszunahme ausschließlich anhand prognostizierter Verkehrs(aufkommens)zahlen bewertet werden (kann), wenn auch Lärmpegelwerte bzw. Differenzwerte der Dauerschallpegel vor und nach Verwirklichung der Planung bezüglich der betroffenen Grundstücke vorliegen”. Diese Frage lässt sich unschwer beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Zwischen dem Verkehrsaufkommen und den Lärmpegelwerten besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Zu den privaten Belangen, die im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen sind, gehört ggf. auch das Interesse, vor vermehrten Lärmimmissionen bewahrt zu bleiben. Ob dieses Interesse gewichtig genug ist, um abwägungsbeachtlich zu sein, hängt von der aus Pegelangaben ablesbaren Intensität der zusätzlichen Lärmbelastung ab, die sich wiederum nicht losgelöst davon beurteilen lässt, in welchem Umfang sich die Verkehrsmenge verändert. Ohne sich Klarheit darüber zu verschaffen, welches Verkehrsmehraufkommen zu erwarten ist, ist der Planungsträger gar nicht in der Lage, eine Lärmprognose anzustellen. Übersteigt die Lärmbelastung trotz der Pegelerhöhung nicht das Maß des Geringfügigen, so kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die mangelnde Abwägungserheblichkeit von der einen oder der anderen Warte her begründet wird.
c) Auch mit der Frage, ob “eine Verletzung des subjektiven Rechts gemäß § 1 Abs. 6 BauGB wegen planbedingter Verkehrszunahme offensichtlich ausscheiden (kann), wenn die planende Gemeinde in dem Bebauungsplanverfahren es als erforderlich angesehen hat, bezüglich der betroffenen Grundstücke der Antragsteller ein Immissionsgutachten einzuholen”, zeigen die Antragsteller keinen Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Ob das Interesse, vor vermehrten Verkehrslärmimmissionen verschont zu bleiben, zum Abwägungsmaterial gehört, hängt davon ab, ob es den vom Senat in der Grundsatzentscheidung vom 9. November 1979 – BVerwG 4 N 1.78 u.a. – (a.a.O.) formulierten Relevanzkriterien genügt. Danach dürfen Belange außer Betracht bleiben, die durch die Planungsentscheidung nicht mehr als geringfügig betroffen werden. Ob dies der Fall ist, ist eine Frage rechtlicher Wertung, die nur auf der Grundlage von tatsächlichen Erkenntnissen getroffen werden kann. Erst wenn die Gemeinde klare Vorstellungen von den immissionsschutzrechtlichen Auswirkungen ihrer Planung hat, kann sie abschätzen, ob die Schwelle der Abwägungsrelevanz erreicht ist oder nicht. Verfügt sie insoweit nicht selbst über eine zuverlässige Datenbasis, so muss sie sich die erforderlichen Kenntnisse anderweitig verschaffen. Die Einholung eines Immissionsgutachtens bietet sich als ein für diesen Zweck geeignetes Mittel an. Denn lässt die Gemeinde unaufgeklärt, welche Lärmbeeinträchtigungen durch ihr Planvorhaben voraussichtlich hervorgerufen werden, so setzt sie sich der Gefahr eines Abwägungsdefizits aus.
2. Die geltend gemachten Abweichungen liegen nicht vor.
a) Die Antragsteller zeigen nicht auf, mit welchem abstrakten Rechtssatz sich das Normenkontrollgericht in Widerspruch zu der Rechtsauffassung gesetzt haben soll, die der Senat im Beschluss vom 19. Februar 1992 – BVerwG 4 NB 11.91 – (a.a.O.) vertreten hat. Sie bestreiten selbst nicht, dass die Vorinstanz das von ihnen zitierte Judikat zur Kenntnis genommen und zur Grundlage seiner eigenen Entscheidung gemacht hat. Sie räumen auch ein, dass der Senat im Beschluss vom 19. Februar 1992 zum Ausdruck gebracht hat, dass es bei der Beurteilung der Abwägungserheblichkeit von Verkehrslärm nicht allein auf einen Vergleich von Lärmwerten ankommt. Sie entnehmen indes dem Geist der Senatsentscheidung, dass jedenfalls Pegelerhöhungen in einer Größenordnung von mehr als 8 dB(A) nicht als geringfügige Mehrbelastung eingestuft werden dürfen. Nach ihrer Ansicht ist dem Umstand, dass der Senat im Beschluss vom 19. Februar 1992 selbst einer Pegeldifferenz von 1,5 dB(A) die Eignung, abwägungsbeachtlich zu sein, nicht abgesprochen hat, als Wertungsvorgabe Rechnung zu tragen. Die von ihnen zitierte Entscheidung enthält jedoch keine regelhaften Aussagen. Der Senat hebt im Gegenteil hervor, dass weder eine Pegelerhöhung um 2 dB(A), die die Hörbarkeitsschwelle markiert, noch eine Zunahme um 3 dB(A), die einer Verdoppelung des Verkehrsaufkommens entspricht, für sich genommen als Indikator dafür zu werten ist, dass die Interessen der Anwohner einer Straße nicht mehr nur geringfügig betroffen sind. Vielmehr hängt es von den konkreten Gegebenheiten ab, wann die Grenzlinie der Abwägungsrelevanz überschritten ist. Diesen rechtlichen Ansatz hat das Normenkontrollgericht nicht in Frage gestellt.
b) Der Standpunkt, den die Vorinstanz eingenommen hat, kollidiert auch nicht mit abstrakten Rechtssätzen, die der Senat im Urteil vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – (BVerwGE 107, 215) formuliert hat. Danach sind an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO keine höheren Anforderungen zu stellen, als sie auch für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gelten. Der Antragsteller genügt seiner Darlegungspflicht, wenn er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass seine abwägungserheblichen Belange bei der Planungsentscheidung zu kurz gekommen sind. Aus dem Vorbringen der Antragsteller ergibt sich nicht, dass die Vorinstanz die Anforderungen, die sich aus der Senatsrechtsprechung ergeben, überspannt hat. Das Normenkontrollgericht durfte, ohne sich in Widerspruch zu der vom Senat im Urteil vom 24. September 1998 geäußerten Rechtsauffassung zu setzen, die schalltechnische Untersuchung vom 21. Januar 1998 und das in den Akten enthaltene Fotomaterial verwerten, um sich einen Eindruck von dem Gewicht der geltend gemachten Nachteile zu verschaffen. Die Antragsteller lassen außer Acht, dass es für die Antragsbefugnis nicht genügt, verbale Behauptungen aufzustellen. Wie der Senat in dem von ihnen zitierten Urteil hervorgehoben hat, kommt es nicht allein darauf an, bestimmte Tatsachen vorzutragen. Erforderlich sind vielmehr Angaben, die hinreichend substantiiert sind, um eine Rechtsverletzung möglich erscheinen zu lassen. Die Antragsteller stellen selbst nicht in Abrede, ihr Vorbringen mit den Ergebnissen der schalltechnischen Untersuchung vom 21. Januar 1998 untermauert zu haben. Als kritikwürdig sehen sie an, dass es das Normenkontrollgericht nicht damit hat bewenden lassen, das Gutachten unter dem von ihnen angesprochenen Blickwinkel der Lärmpegelerhöhung zu würdigen, sondern dass das Gericht anhand der in der Untersuchung genannten Zahlen maßgeblich auf das prognostizierte Verkehrsaufkommen abgestellt hat. Indes liegt auf der Hand, dass es bei der Prüfung der Antragsbefugnis nicht vom Belieben des Antragstellers abhängen kann, welche Teile eines von ihm als Tatsachenstütze ins Verfahren eingeführten Gutachtens oder welche sonstigen von ihm als rechtsbedeutsam qualifizierten Aktenvorgänge der Tatrichter zur Kenntnis nehmen und zur Grundlage seiner Entscheidung machen darf.
3. Die Verfahrensrüge greift ebenfalls nicht durch.
Das angefochtene Urteil beruht nicht auf aktenwidrigen Feststellungen. Zwar ist an keiner Stelle davon die Rede, dass nach den Berechnungen der Sachverständigen Pegelerhöhungen von zum Teil mehr als 8 dB(A) zu erwarten sind. Dies ist indes kein Beleg dafür, dass das Normenkontrollurteil mit dem Akteninhalt nicht übereinstimmt. Das Normenkontrollgericht stellt maßgeblich darauf ab, dass die Straße, an der die Grundstücke der Antragsteller liegen, schon jetzt eine Erschließungsfunktion hat. Es geht davon aus, dass im Falle der Verwirklichung des Planvorhabens die Verkehrsmenge um 40 Kfz/24 h steigt. Diese Zunahme stuft es unter Berücksichtigung der Funktion und der bisherigen Verkehrsbelastung der Straße als “geringfügig” im Sinne der Senatsrechtsprechung ein. Daraus folgert es im Hinblick auf das Interesse der Antragsteller, vor vermehrten Verkehrslärmbeeinträchtigungen bewahrt zu bleiben, dass “die Belastung durch den zu erwartenden Erschließungsverkehr, der durch das geplante Neubaugebiet hervorgerufen wird, nicht die Grenze zur Abwägungserheblichkeit (überschreitet)”. Aus dieser Begründungsstruktur ergibt sich mittelbar, dass es die von den Sachverständigen prognostizierten Pegelerhöhungen für rechtlich irrelevant hält. Selbst wenn sich diese Einschätzung als fehlerhaft erwiesen hätte, würde es sich nicht um einen Verfahrensmangel, sondern um eine Frage der Anwendung des materiellen Rechts gehandelt haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Paetow, Halama, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 1351551 |
BauR 2004, 1132 |
BTR 2004, 46 |