Verfahrensgang

Hamburgisches OVG (Aktenzeichen 5 Bf 26/96)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Zulassungsgründe liegen nicht vor oder sind jedenfalls nicht in der erforderlichen Weise (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) dargelegt.

Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Berufungsurteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem das Berufungsurteil beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Die Prüfung des Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe beschränkt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

1. Das Berufungsgericht hat der Klage des Klägers, eines als Minderjähriger nach Deutschland eingereisten und hier wegen eines Rauschgiftdelikts verurteilten türkischen Staatsangehörigen, der sich gegen seine Ausweisung wendet, stattgegeben, weil bei Erlass der Ausweisungsverfügung nicht die erforderliche ernsthafte und konkrete Wiederholungsgefahr bestanden habe. Vor diesem Hintergrund rügt die Beklagte als Verfahrensfehler, das Gericht habe bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr einen logischen Fehler begangen, indem es von zwei miteinander nicht vereinbaren Versionen zur Motivation des Klägers ohne ausreichende Begründung der einen den Vorzug vor der anderen gegeben habe. Damit wird jedoch allenfalls ein materieller Fehler bei der Rechtsanwendung, aber kein das Verfahren betreffender Fehler, namentlich kein Fehler im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), dargelegt. Die Beschwerde kritisiert vielmehr die logische Geschlossenheit der gerichtlichen Argumentation. Gelingt es dem Gericht nicht, seine Überlegungen als logische Abfolge einander bedingender und aufeinander aufbauender gedanklicher Schritte darzustellen, so stellt der darin liegende Mangel einen solchen der Anwendung des sachlichen Rechts, aber keinen Verfahrensfehler dar, es sei denn, dass die Begründung so unverständlich ist, dass dies dem Fehlen jeglicher Begründung im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO gleichkommt (vgl. hierzu Beschluss vom 5. Juni 1998 – BVerwG 9 B 412.98 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 = NJW 1998, 3290). Davon kann hier keine Rede sein.

2. Die Beklagte macht weiterhin den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Diese Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerdebegründung muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer in verallgemeinerungsfähiger Weise zu beantwortenden, bisher revisionsgerichtlich nicht entschiedenen Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann.

a) Die Beklagte hält für klärungsbedürftig, „welche Erkenntnisquellen für die erforderliche Gefahrenprognose heranzuziehen sind”, und verdeutlicht diese Frage dahin, dass bei einer Beteiligung am Rauschgifthandel wegen dessen besonderer Gefährlichkeit und der damit verbundenen Rückfallgefahr die bloße strafgerichtliche Verurteilung zur Begründung der erforderlichen konkreten Wiederholungsgefahr als genügend angesehen werden müsse. Damit wird jedoch nicht dargelegt, dass der anzulegende Maßstab bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr weiterer Klärung bedarf, sondern lediglich gerügt, dass das Berufungsgericht im konkreten Fall zu strenge Anforderungen gestellt habe. Aus welchen Umständen des Einzelfalls das Gericht die für die Bejahung oder Verneinung einer Wiederholungsgefahr erforderliche richterliche Überzeugung gewinnt, lässt sich nicht allgemein und fallübergreifend klären. Dass das Berufungsgericht von einer grundsätzlichen Verkennung des anzulegenden Maßstabes ausgeht, ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen; im Übrigen würde dies auch nicht die Grundsatzrevision, sondern allenfalls die Divergenzrevision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnen. Deren Voraussetzungen liegen jedoch, wie noch darzulegen sein wird, ebenfalls nicht vor.

b) Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache auch nicht wegen der Frage zu, ob bei Erlass der Ausweisungsverfügung Umstände berücksichtigt werden müssen, die erst zwei Jahre später in einem Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufgeführt worden sind. Dem darin liegenden Vorwurf, von der Ausländerbehörde Unmögliches zu verlangen, ist das Berufungsgericht selbst durch den Hinweis begegnet, sämtliche Umstände, auf die die Strafvollstreckungskammer ihre für den Kläger günstige Sozialprognose gestützt habe, hätten bereits im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vorgelegen und deswegen von der Beklagten berücksichtigt werden müssen. Damit hält sich die Entscheidung an den Grundsatz, dass für die Rechtmäßigkeit der Ausweisung der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung maßgebend ist. Sollte – was das Beschwerdevorbringen nahelegt – die Auffassung des Berufungsgerichts unzutreffend sein, die genannten Umstände hätten bereits im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vorgelegen, so läge hierin wiederum lediglich ein Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts, aber kein Ansatzpunkt für die Klärung einer grundsätzlichen Frage.

Versteht man das Vorbringen der Beklagten dahin, dass grundsätzlich geklärt werden soll, ob die Ausländerbehörde verpflichtet ist, im Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Ausweisung eines Straftäters im Hinblick auf dessen soziale Prognose dieselben oder vergleichbare Ermittlungen anzustellen, wie Jahre später die Strafkammer im Zusammenhang mit einer Entscheidung über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung, so rechtfertigt auch diese Frage die Zulassung der Revision nicht. Die Frage zielt ungeachtet ihrer allgemeinen Formulierung auf Umstände des Einzelfalls, die sich einer generellen Beantwortung entziehen. Grundsätzlich klärungsfähig und in der Rechtsprechung des beschließenden Senats bereits geklärt ist, welche Maßstäbe im Rahmen einer Regel- oder Ermessensausweisung an die Wiederholungsgefahr zu stellen sind. Welche Tatsachen bei der Anwendung des jeweils geltenden Maßstabes für eine sachgerechte Entscheidung im Einzelfall herangezogen werden müssen, entzieht sich hingegen einer generellen Klärung.

c) Auch die weitere Frage, ob die vom Gericht genannten Umstände der Tat und der Täterpersönlichkeit überhaupt geeignet seien, die Besorgnis auszuräumen, dass der Kläger weitere Straftaten begehen werde, zielt auf die Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls durch das Berufungsgericht und führt auf kein fallübergreifendes Problem des Bundesrechts.

d) Die Frage, ob bei türkischen Arbeitnehmern, die unter den Schutz des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei fallen, eine Ausweisung jedenfalls 1994 noch auf generalpräventive Gründe gestützt werden durfte, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Das Berufungsgericht hat diese Frage in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 20. Februar 2000 – Rs. C-340/97 – ≪Nazli≫ – InfAuslR 2000, 161) zu Recht verneint. Mit dem Grundsatz, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich ist, ist es nicht unvereinbar, diese Rechtmäßigkeit im Licht späterer gerichtlicher Entscheidungen zu beurteilen. Diese stellen nämlich lediglich die bereits früher maßgebliche Rechtslage fest.

e) Schließlich führt auch der Hinweis der Beschwerde nicht auf eine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts, die vom Berufungsgericht herangezogenen positiven Aspekte hätten nicht bei der Ausweisung, sondern in einem Befristungsverfahren nach § 8 Abs. 2 AuslG geprüft werden müssen. Es ist nicht klärungsbedürftig, dass „positive Aspekte”, die im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vorliegen, nicht erst bei der Befristung, sondern bereits in jenem Verfahren im Hinblick darauf zu prüfen sind, ob eine Ausweisung überhaupt zulässig ist, ob ein Ausnahmefall vorliegt oder ob sie einer Ausweisung nach Ermessen entgegenstehen (vgl. § 45 Abs. 2 AuslG). Welche Aspekte hierbei zu berücksichtigen sind, ist wiederum eine Frage des Einzelfalls.

3. Soweit sich die Beschwerde auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO stützt, hat sie ebenfalls keinen Erfolg. Eine zur Zulassung der Revision führende Divergenz wird von der Beklagten nicht geltend gemacht. Sie liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgerückt ist. Das Darlegungserfordernis verlangt in diesem Zusammenhang Ausführungen darüber, dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen widersprechenden Rechtssatz gestützt hat. Daran fehlt es hier. Dies gilt namentlich für die gerügte Abweichung von dem Urteil des beschließenden Senats vom 28. Januar 1997 – BVerwG 1 C 17.94 – (Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10). Die Beschwerde weist außerdem auf Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Hamburg und Nordrhein-Westfalen sowie des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hin, in denen bei vergleichbaren Sachverhalten die Rechtmäßigkeit der Ausweisung bestätigt worden sei. Damit wird keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bezeichnet. Zum einen gehören die von der Beschwerde erwähnten Gerichte nicht zu den in der Vorschrift genannten. Zum anderen begründet der bloße Unterschied der Ergebnisse bei den Entscheidungen vergleichbarer Sachverhalte keine Divergenz.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

 

Unterschriften

Meyer, Hahn, Groepper

 

Fundstellen

Dokument-Index HI565846

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