Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 29.01.2013; Aktenzeichen 2 D 102/11.NE) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je ¼.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 80 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 2
1. Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die geltend gemachte Abweichung des angegriffenen Urteils von dem Beschluss des Senats vom 11. November 2002 – BVerwG 4 BN 52.02 – (Buchholz 406.11 § 3 BauGB Nr. 9) ist nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan.
Rz. 3
Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328). Daran fehlt es hier. Die Beschwerde bezieht sich auf den vom Senat in seinem Beschluss vom 11. November 2002 – BVerwG 4 BN 52.02 (a.a.O.) formulierten Rechtssatz, das zuständige Gemeindeorgan dürfte einen Bebauungsplan nicht als Satzung beschließen, ohne sich ein Urteil über die Abwägungsrelevanz der Anregungen gebildet zu haben; andernfalls seien Abwägungsdefizite vorprogrammiert. Diesem Rechtssatz hat das Oberverwaltungsgericht nicht widersprochen. Es hat ihn seiner Entscheidung vielmehr wortgetreu zugrunde gelegt. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts bedeute das jedoch nicht, dass sich der Rat der Gemeinde beim Satzungsbeschluss mit jedem Vorbringen, das während der Offenlegung verlautbart wurde, eingehend auseinandersetzen, und die Erwägungen, aus denen er dem Vorbringen nicht folgt, im Detail dokumentieren muss. Aus dem Umstand, dass die Prüfung der Stellungnahmen untrennbar mit dem Abwägungsgebot verbunden sei, folge zugleich, dass das Fehlen dezidierter Auseinandersetzungen bei der Prüfung der Einwendungen jedenfalls dann für die Gültigkeit der Planungsentscheidung unschädlich sei, wenn es sich auf Aspekte beziehe, die nicht abwägungsrelevant waren oder ersichtlich in die Abwägung eingestellt wurden. Für eine ordnungsgemäße Abwicklung der Prüfung nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB reiche es aus, wenn die einzelnen Einwendungen in ihren Kernaussagen aufgelistet und ihnen jeweils die Stellungnahmen oder Vorschläge der Verwaltung gegenübergestellt werden.
Rz. 4
Die Beschwerde hält dem entgegen, dass das vom Senat geforderte eigene Urteil des zuständigen Gemeindeorgans über die Abwägungsrelevanz denklogisch nur demjenigen möglich sei, dem sämtliche nicht erkennbar abwegigen und für die Urteilsbildung wesentlichen Tatsachen bekannt seien. Sie wendet sich damit gegen die Schlussfolgerungen, die das Oberverwaltungsgericht aus dem in Bezug genommenen Rechtssatz des Senats gezogen hat. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Rechtssatzdivergenz zeigt sie nicht auf.
Rz. 5
2. Die Revision hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 6
Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde – zusammengefasst – die Frage,
ob eine ordnungsgemäße Prüfung fristgemäß abgegebener Stellungnahmen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB nur angenommen werden kann, wenn dem zur Beschlussfassung über die Stellungnahmen berufenen Gemeindeorgan im Zeitpunkt der Beschlussfassung sämtliche, die Identität der Einwendung und des Einwenders konkretisierenden Informationen unbeschadet der Frage, ob die Informationen objektiv abwägungsrelevant sind, vorliegen und die konkreten Gründe seiner Betroffenheit bekannt sind, oder ob nur solche Informationen (seitens der Verwaltung) vorgelegt werden müssen, die für die konkrete Planungssituation objektiv abwägungsrelevant sind.
Rz. 7
Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres im Sinne der angegriffenen Entscheidung beantworten (vgl. hierzu z.B. Beschluss vom 28. Mai 1997 – BVerwG 4 B 91.97 – juris Rn. 4 ≪insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10≫), ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Rz. 8
Nach der Senatsrechtsprechung (Urteil vom 25. November 1999 – BVerwG 4 CN 12.98 – BVerwGE 110, 118 ≪125≫) ist die nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB gebotene Prüfung der vorgebrachten Bedenken und Anregungen untrennbar mit dem Abwägungsgebot verbunden. Sie hat den Zweck, notwendiges Abwägungsmaterial zu beschaffen und zu vervollständigen. Die vorgebrachten Anregungen sind daraufhin zu überprüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sie in dem Plan berücksichtigt werden können und sollen. Ihre abschließende Prüfung ist somit Bestandteil des Abwägungsvorgangs und geht in das Abwägungsergebnis ein. Die abschließende Entscheidung über die Anregungen ist dem Satzungsbeschluss vorbehalten. Sie obliegt dem Gemeindeorgan, das den Satzungsbeschluss zu fassen hat, d.h. in aller Regel dem Gemeinderat.
Rz. 9
Das schließt nicht aus, dass die Beschlussfassung des für den Satzungsbeschluss zuständigen Gemeindeorgans von dritter Seite vorbereitet wird. Eine Vorbereitung durch Gemeindeausschüsse hat der Senat (Urteil vom 25. November 1999 a.a.O.) ausdrücklich gebilligt. Mehr noch entspricht es aber ständiger Planungspraxis, dass die Stellungnahmen durch die Gemeindeverwaltung oder ein beauftragtes Planungsbüro aufbereitet, mit einer Stellungnahme versehen und zum Gegenstand einer Beschlussvorlage für das zuständige Beschlussorgan gemacht werden (Reidt, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 472). Auch diese Vorgehensweise ist im Grundsatz rechtlich unbedenklich. Insoweit reicht es aus, wenn dem Beschlussorgan die eingegangenen Stellungnahmen in ihrem wesentlichen Inhalt vorgelegt oder vorgetragen werden (Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Bd. 1, Stand Juni 2013, § 3 Rn. 61), wobei sich aus Sinn und Zweck der Prüfpflicht nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB, das notwendige Abwägungsmaterial zu beschaffen und zu vervollständigen, ergibt, dass all diejenigen Inhalte wesentlich sind, die im Sinne der § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB für die Abwägung von Bedeutung sind. Ist dies gewährleistet, kann sich der Gemeinderat bei der Prüfung der Anregungen und der abschließenden Entscheidung hierüber auf die Vorlage der Verwaltung beziehen und sich diese gegebenenfalls auch inhaltlich zu Eigen machen (Jäde, in: Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB/BauNVO, 7. Aufl. 2013, § 3 BauGB Rn. 32). Ermittlungsfehler und – je nach den Umständen des Einzelfalls – auch Gewichtungsfehler im Abwägungsvorgang liegen erst vor, wenn dem Rat abwägungserhebliche Inhalte vorenthalten worden sind, oder wenn der Rat die vorgebrachten Anregungen, soweit sie abwägungserheblich waren, aus sonstigen Gründen nicht in seine Abwägung eingestellt hat (Urteil vom 25. November 1999 a.a.O.).
Rz. 10
Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht deshalb angenommen, dass das Fehlen einer dezidierten Auseinandersetzung mit den Einwendungen jedenfalls dann für die Gültigkeit der Planungsentscheidung unschädlich ist, wenn es sich auf Aspekte bezieht, die nicht abwägungsrelevant waren oder ersichtlich in die Abwägung eingestellt wurden. Der Auffassung der Beschwerde, dem für die Abwägung zuständigen Gemeindeorgan müssten im Grundsatz “sämtliche” Einwendungen vorliegen, weil nur auf diese Weise gewährleistet sei, dass es sich ein Urteil über die Abwägungsrelevanz der Anregungen bilden könne, ist das Oberverwaltungsgericht mit Recht entgegengetreten. Aus der vom Senat (Beschluss vom 11. November 2002 – BVerwG 4 BN 52.02 – Buchholz 406.11 § 3 BauGB Nr. 9 = juris Rn. 5) verwendeten Formulierung, das zuständige Gemeindeorgan dürfe den Bebauungsplan nicht als Satzung beschließen, ohne sich ein Urteil über die Abwägungsrelevanz der Anregungen gebildet zu haben, auf die sich die Beschwerde bezieht, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Sie ist in dem Sinne zu verstehen, dass sich das für die Beschlussfassung zuständige Gremium ein Urteil über das Gewicht sämtlicher abwägungsrelevanter Belange gebildet haben muss. Die Möglichkeit einer vorbereitenden Ausscheidung all derjenigen Informationen, die für die Abwägungsentscheidung ersichtlich nicht von Bedeutung sind, sollte dadurch nicht in Abrede gestellt werden.
Rz. 11
Welche der in den eingegangenen Stellungnahmen enthaltenen Informationen zu dem entscheidungserheblichen Abwägungsmaterial gehören und deshalb dem zur Entscheidung berufenen Gemeindeorgan notwendigerweise vorzulegen oder vorzutragen sind, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und entzieht sich einer rechtsgrundsätzlichen Klärung. Das gilt auch für solche Informationen, die die Identität der Einwendung und des Einwenders konkretisieren.
Rz. 12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Petz, Dr. Decker
Fundstellen
Haufe-Index 6397477 |
ZfBR 2014, 371 |
NJW-Spezial 2014, 270 |
FSt 2014, 741 |