Entscheidungsstichwort (Thema)
Staatliche Verwaltung. nicht auffindbarer Eigentümer. nicht bekannter oder nicht auffindbarer Miterbe. Erbe. Erbengemeinschaft. Gesamthandseigentum. herrenloses Eigentum. öffentliches Aufgebot. Aufgebotsverfahren. Ausschluss. Ausschlussbescheid. Eigentum. Erbrecht. Enteignung. Inhalts- und Schrankenbestimmung. Entschädigungsfonds. Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG
Leitsatz (amtlich)
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz über die Regelung offener Vermögensfragen (Entschädigungsgesetz – EntschG) vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) in der Fassung des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom 10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471) ist, soweit davon Rechte einzelner nicht auffindbarer Miterben betroffen sind, nicht mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar.
Normenkette
GG Art. 14 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 3; EntschG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 7; GBBerG § 15; BGB §§ 1911, 2032-2033, 2038-2039, 2042 Abs. 1, § 2094; VermG § 2a Abs. 1, 1a, § 11b
Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 30.06.2005; Aktenzeichen 1 K 3193/04) |
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu eingeholt, ob § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz über die Regelung offener Vermögensfragen (Entschädigungsgesetz – EntschG) vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) in der Fassung des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom 10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471), soweit davon die Rechte von Miterben betroffen sind, mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 des GG vereinbar ist.
Tatbestand
I
Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist, dass nach der durch das Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471) erfolgten Ergänzung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Entschädigungsgesetzes – EntschG – Miterben, die mit den zu Gebote stehenden Mitteln nicht auffindbar waren, von ihren Rechten hinsichtlich ehemals staatlich verwalteter Vermögenswerte auch dann ausgeschlossen werden können, wenn weitere Miterben vorhanden sind und deren Aufenthalt bekannt ist.
Der 1977 verstorbene Vater der Klägerin war Eigentümer des im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücks … Weg … in F…. Die Klägerin ist Miterbin nach ihrem Vater zu 1/3. Das Grundstück stand von 1963 bis zum 31. Dezember 1992 unter staatlicher Verwaltung nach § 6 der DDR-Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 (GBl-DDR I S. 615).
Im September 1999 vom Landkreis Havelland angestellte Nachforschungen ergaben zwar, dass der verstorbene Eigentümer des Grundstücks verheiratet gewesen war und drei Töchter hatte, jedoch nichts zu deren aktuellem Aufenthaltsort. Im Januar 2000 eröffnete das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen das Aufgebotsverfahren gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG. Der Vermögenswert wurde im Bundesanzeiger Nr. 120 vom 30. Juni 2000, Seite 12 294, bekanntgegeben; die Berechtigten bzw. ihre Rechtsnachfolger wurden aufgefordert, sich bis zum 8. November 2001 beim Bundesamt zu melden. Im September 2000 machte eine der Schwestern der Klägerin unter Vorlage eines entsprechenden Teilerbscheins fristgerecht Ansprüche für sich und eine weitere Schwester geltend. Sie teilte zugleich mit, dass sie den Aufenthaltsort der ungefähr im Jahr 1965 nach Großbritannien verzogenen Klägerin, die geschieden sei und zwei Kinder habe, trotz umfangreicher Nachforschungen nicht hätten ermitteln können. Auf Antrag der Schwester bestimmte das Amtsgericht Nauen mit Beschluss vom 20. April 2001 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu ihrem Abwesenheitspfleger und betraute ihn mit ihrer Vertretung bei der Beantragung des Erbscheins nach ihrem Vater sowie der Verwaltung und Verwertung des Nachlasses. Im Juli 2001 meldete der Abwesenheitspfleger der Klägerin ihre Ansprüche beim Bundesamt an und legte einen Teilerbschein vor, der sie als Miterbin auswies. Im September 2001 wurden die Klägerin und ihre beiden Schwestern als Eigentümerinnen des Grundstücks in Erbengemeinschaft im Grundbuch eingetragen.
Nachdem auch weitere Recherchen nach dem Aufenthaltsort der Klägerin ohne Erfolg geblieben waren, schloss das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 9. September 2004 die Klägerin “mit ihren gesamthänderisch gebundenen Rechten an dem für sie eingetragenen Grundstücksmiteigentum und dem dazugehörigen Grundstückskonto” aus und stellte fest, dass ihr Miteigentumsanteil auf die Bundesrepublik Deutschland – Entschädigungsfonds – übergehe. Zur Begründung heißt es: Mit der Ergänzung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG durch das Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 10. Dezember 2003 sei klargestellt worden, dass dem Entschädigungsfonds nicht beanspruchte Rechte auch dann zustünden, wenn es sich um Rechte von Miteigentümern oder Miterben handele.
Die vom Abwesenheitspfleger der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Potsdam mit Urteil vom 30. Juni 2005 abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt: Es sei unschädlich, dass das ausgeschlossene Recht im Bescheid als Grundstücksmiteigentum bezeichnet worden sei, denn es ergebe sich aus der Begründung des Bescheides unzweifelhaft, dass der Anteil der Klägerin als Miterbin gemeint sei. Unstreitig sei, dass das Grundstück bis zum 31. Dezember 1992 unter staatlicher Verwaltung gestanden habe und die Beklagte mit hinreichend hohem Aufwand, aber gleichwohl erfolglos versucht habe, den Aufenthalt der Klägerin zu ermitteln. Es gebe, obgleich auch bereits ihre beiden Schwestern erhebliche Anstrengungen zum Auffinden der Klägerin unternommen hätten, keine Anhaltspunkte zu ihrem Aufenthaltsort und keinen weiteren Ansatzpunkt für zusätzliche Nachforschungen. Die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG seien erfüllt, auch wenn der Abwesenheitspfleger der Klägerin ihre Rechte angemeldet habe. Lasse man das Auftreten eines gesetzlichen Vertreters genügen, werde der Zweck des Aufgebotsverfahrens unterlaufen. Der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG ermöglichte Ausschluss eines Eigentümers sei verfassungsgemäß. Es handele sich um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, die wegen der Besonderheiten der Grundstückssituation im Beitrittsgebiet gerechtfertigt sei. Dies folge aus dem massenhaften Phänomen der staatlichen Verwaltung von Grundstücken in der ehemaligen DDR und der daraus resultierenden teilweise unklaren Eigentumszuordnung sowie dem legitimen gesetzgeberischen Ziel, einen sozialverträglichen Ausgleich u.a. durch die Gewährung von Entschädigungen und Ausgleichsleistungen aus dem Entschädigungsfonds herbeizuführen.
Mit ihrer – vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen – Revision macht die Klägerin geltend: Das angebliche Gesetzesanliegen, die offenen Vermögensfragen im Hinblick auf ehemals staatlich verwaltete Grundstücke alsbald zu bereinigen, erfordere nicht den Ausschluss eines Berechtigten unbekannten Aufenthalts, wenn sich ein gerichtlich bestellter Abwesenheits- oder Nachlasspfleger für ihn gemeldet habe. Dieser sei als gesetzlicher Vertreter befugt, sämtliche Rechte und Pflichten des abwesenden Grundstücks(mit)eigentümers wahrzunehmen. Mit seiner Bestellung und der Anzeige des Vertretungsverhältnisses gegenüber dem Bundesamt handele es sich nicht mehr um einen “nicht beanspruchten Vermögenswert” im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG. Außerdem seien § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG und § 15 GBBerG wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Bei der so eröffneten Ausschlussmöglichkeit handele es sich nicht um eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, sondern um eine entschädigungslose Enteignung. Die Abführung der nicht beanspruchten Vermögenswerte an den Entschädigungsfonds diene der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, nämlich der Finanzierung der sich aus dem Einigungsvertrag und den nachfolgenden Regelungen ergebenden Wiedergutmachungsansprüche. Es sei nicht zu erkennen, weshalb es für das Gemeinwohl abträglich sein solle, wenn Eigentümer oder Miteigentümer eines Vermögenswertes unbekannt seien, da ihre Rechte durch Nachlass- oder Abwesenheitspfleger bzw. gesetzliche Vertreter nach § 11b VermG wahrgenommen werden könnten.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Sie trägt vor: Seien Eigentümer oder Erben eines ehemals staatlich verwalteten Grundstücks unbekannt oder unbekannten Aufenthalts, hindere die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters bzw. Pflegers nicht die Durchführung des Aufgebotsverfahrens, da dessen Ziel sonst verfehlt werde. Der Ausschluss nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG sei keine Enteignung, sondern eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Zu den vorrangigen Aufgaben des Gesetzgebers in den neuen Bundesländern gehöre die Grundbuchbereinigung. Eine Dauerfremdverwaltung von Grundbesitz nicht bekannter oder nicht auffindbarer Eigentümer, Miteigentümer oder Miterben solle vermieden und die wirtschaftliche Entwicklung angekurbelt werden. Der Gesetzgeber habe bei der Bewältigung des Teilungsunrechts einen besonders weiten Gestaltungsspielraum. Mit Blick auf die Interessen der betroffenen Eigentümer und die Gemeinwohlbelange sei die Inhalts- und Schrankenbestimmung verhältnismäßig, wenn das Bundesamt bei der Suche nach Eigentümern bzw. Erben einen hohen Ermittlungsaufwand betrieben habe.
Entscheidungsgründe
II
Das Verfahren wird gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu eingeholt, ob § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) in der Fassung des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom 10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471), soweit davon Rechte von Miterben betroffen sind, mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG sind an den Entschädigungsfonds Veräußerungserlöse nach § 11 Abs. 4 des Vermögensgesetzes und sonstige nicht beanspruchte Vermögenswerte abzuführen, die bis zum 31. Dezember 1992 unter staatlicher Verwaltung standen, wenn der Eigentümer oder Inhaber sich nicht nach öffentlichem Aufgebot gemäß § 15 des Grundbuchbereinigungsgesetzes gemeldet hat. Nach Satz 2 dieser Regelung sind nicht beanspruchte Vermögenswerte im Sinne des Satzes 1 auch die nicht bekannten oder nicht auffindbaren Miteigentümern oder Miterben zustehenden Rechte. Dieser Satz 2 wurde durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom 10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471) angefügt. In der Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt, die Ergänzung stelle klar, dass diese Vorschrift nicht nur für im Alleineigentum einer Person befindliche Vermögensgegenstände gelte, sondern auch für Rechte von Miteigentümern und Miterben. Handele es sich um Rechte an einer Gemeinschaft zur gesamten Hand, so werde der Entschädigungsfonds Mitglied dieser Gemeinschaft (BTDrucks 15/1180 S. 20).
1. Die Gültigkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG ist für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich, soweit dort als an den Entschädigungsfonds abzuführende sonstige nicht beanspruchte Vermögenswerte ausdrücklich auch die Rechte angesehen werden, die nicht auffindbaren Miterben zustehen. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Grundgesetz bejaht, wäre die Revision der Klägerin zurückzuweisen, da es sich bei ihrer Mitberechtigung an dem Grundstück wegen ihres nach wie vor unbekannten Aufenthalts um einen nicht beanspruchten Vermögenswert im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG handelt. Danach war die Beklagte gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 GBBerG zum Erlass eines Ausschlussbescheides ermächtigt. Wenn dagegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG für nichtig erklärt wird, fehlte es an einer Rechtsgrundlage für den Ausschluss der Klägerin, weshalb das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und der angefochtene Bescheid aufzuheben wäre.
Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage entfällt nicht deshalb, weil das angegriffene Urteil aus anderen Gründen entweder aufgehoben oder bestätigt werden müsste, so dass es auf die Gültigkeit der dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten Vorschrift nicht ankäme. Der angefochtene Ausschlussbescheid erweist sich nicht bereits deshalb als rechtswidrig, weil der für die Klägerin bestellte Abwesenheitspfleger ihre Rechte im Zuge des Aufgebotsverfahrens angemeldet hat. Ebenso wenig ist der Ausschlussbescheid deshalb aufzuheben, weil unter Verstoß gegen § 15 Abs. 2 Satz 2 GBBerG nicht die zu Gebote stehenden Mittel zum Auffinden der Klägerin eingesetzt wurden oder das von der Beklagten durchgeführte Aufgebotsverfahren aus sonstigen Gründen fehlerhaft war.
a) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, es handele sich bei den aus ihrer Miterbenstellung ergebenden Rechten der Klägerin in Bezug auf das Grundstück um einen “sonstigen nicht beanspruchten Vermögenswert” im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG, obgleich ihr Abwesenheitspfleger unter Vorlage eines Teilerbscheins ihre Ansprüche geltend gemacht hatte.
Das Ausschlussverfahren des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG dient der baldigen Bereinigung der Eigentumsverhältnisse an staatlich verwalteten Vermögenswerten bei unbekannten Berechtigten oder Berechtigten unbekannten Aufenthalts (Beschluss vom 18. Mai 2006 – BVerwG 3 B 176.05 – Buchholz 428.41 § 10 EntschG Nr. 4; Urteil vom 16. Mai 2007 – BVerwG 3 C 25.06). Die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters nach § 11b VermG oder – wie hier – eines Abwesenheitspflegers nach § 1911 BGB bewirkt gerade nicht die durch die Sonderregelung bezweckte Bereinigung der Vermögenslage, weil sie die Eigentumsverhältnisse im Hinblick auf den Vertretenen nicht klärt. Es bleibt nach wie vor unklar, ob er seine Eigentumsrechte jemals wieder wahrnehmen wird. Außerdem führt das Verfahren nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG zu einer besonderen Eigentumszuordnung, weil der Vermögenswert oder der für ihn erzielte Erlös bei Erfolglosigkeit des Aufgebotsverfahrens und – wie zu ergänzen ist – Fortdauer der Ungewissheit über den Eigentümer oder seinen Aufenthalt bis zum Eintritt der Bestandskraft des Ausschlussbescheides (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 – BVerwG 3 C 25.06) an den Entschädigungsfonds abzuführen ist. Diese besondere Eigentumszuordnung könnte allein durch die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters unterlaufen werden, obwohl sich an dem für die Zuordnung maßgeblichen Sachverhalt – der Unbekanntheit oder Unauffindbarkeit des Eigentümers – nichts ändert (vgl. Beschluss vom 18. Mai 2006 a.a.O.; i.E. ebenso Broschat, in: Fieberg u.a., VermG, § 10 EntschG Rn. 42a und Kuhlmey/Wittmer, in: Kimme ≪Hrsg.≫, Offene Vermögensfragen, § 10 EntschG Rn. 34). Bereits der Umstand, dass der Gesetzgeber ein Aufgebots- und Ausschlussverfahren ungeachtet dessen vorgesehen hat, dass § 11b VermG oder § 1911 BGB die Möglichkeit zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters geben, wenn der Eigentümer unbekannt oder unbekannten Aufenthalts ist, belegt, dass der Gesetzgeber das Tätigwerden eines solchen Vertreters nicht als ausreichend angesehen hat, um die gewünschte Klärung der Eigentumsverhältnisse herbeizuführen. Für das gerichtliche Aufgebotsverfahren nach §§ 946 ff. ZPO, das vor der Einführung des behördlichen Verfahrens nach § 15 GBBerG bei der Abwicklung der staatlichen Verwaltung zur Klärung der Eigentumsverhältnisse Anwendung fand, wird ebenfalls davon ausgegangen, dass das Handeln eines Abwesenheitspflegers den Fristablauf nicht unterbricht (vgl. Eickmann, in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, 2. Aufl. 2001, §§ 977 bis 981 Rn. 4).
b) Der Ausschlussbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte im Vorfeld des Aufgebotsverfahrens nicht, wie nach § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 GBBerG erforderlich, die zu Gebote stehenden Mittel zur Ermittlung des Aufenthalts der Klägerin eingesetzt hat. An den hierbei zu betreibenden Aufwand sind im Hinblick auf den mit dem Aufgebots- und Ausschlussverfahren verbundenen Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechte strenge Anforderungen zu stellen (zutreffend VG Berlin, Beschluss vom 6. November 2003 – 29 A 294/02 – VIZ 2004, 463; vgl. auch Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Voßhoff u.a., BTDrucks 14/7237 S. 2 f.). Diesen Anforderungen wurde hier indes genügt. Weder über die vom Landkreis Havelland im September 1999 gestellten Anfragen beim Landeseinwohneramt und beim Landesarchiv Berlin sowie bei den Nachlassgerichten Berlin-Charlottenburg und Berlin-Schöneberg noch durch die zusätzlichen Recherchen der Beklagten beim Berliner Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen, bei den Nachlassgerichten in Langenfeld und Lippstadt, der Stadtverwaltung Hilden und beim Abwesenheitspfleger der Klägerin konnte deren Aufenthaltsort ermittelt werden. Auch die Nachforschungen der beiden Schwestern der Klägerin in Großbritannien (u.a. Kontaktaufnahme mit der Polizei und der Stadtverwaltung in Glasgow, Aufgabe einer Suchanzeige in der örtlichen Zeitung) waren ohne Erfolg geblieben. Weitere Erfolg versprechende Ermittlungsansätze sind – wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist – nicht ersichtlich.
c) Anhaltspunkte dafür, dass es im Aufgebotsverfahren zu Verfahrensfehlern gekommen ist, die zur Rechtswidrigkeit des Ausschlussbescheides führen, gibt es nicht. Der Vermögenswert wurde gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 GBBerG im Bundesanzeiger vom 30. Juni 2000 und vom 30. Dezember 2000 mit den erforderlichen Angaben bekannt gegeben; die Berechtigten bzw. ihre Rechtsnachfolger wurden aufgefordert, sich beim Bundesamt zu melden. Zwar ist diese Bekanntgabe bereits vor der Ergänzung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG durch das am 17. Dezember 2003 in Kraft getretene Entschädigungsrechtsänderungsgesetz erfolgt. Doch folgt aus dieser Ergänzung nicht etwa das Erfordernis einer erneuten Bekanntgabe. Der Text des Aufgebotes, das sich nicht nur an die Berechtigten, sondern ausdrücklich auch an ihre Rechtsnachfolger wandte, machte auch für Miterben in einer noch nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft unmissverständlich deutlich, dass sie ihre Rechte rechtzeitig anmelden mussten, um deren Verlust zu vermeiden. In diesem Sinne haben die beiden weiteren Miterbinnen des Grundstückseigentümers, die Schwestern der Klägerin, die im Aufgebotsverfahren ausgesprochene Aufforderung ersichtlich auch verstanden.
d) Umgekehrt gibt es keinen rechtlichen Grund, weshalb das Urteil des Verwaltungsgerichts auch dann Bestand haben könnte, wenn die den Ausschluss anordnende Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG unwirksam wäre. Hält das Bundesverfassungsgericht die in Satz 2 enthaltene Regelung für verfassungswidrig, soweit sie die Rechte von unbekannten Miterben oder Miterben unbekannten Aufenthalts ausdrücklich einbezieht, steht dies zugleich einer Auslegung des Satzes 1 entgegen, die – bei Nichtigkeit des Satzes 2 – jedenfalls dessen Regelungsgehalt bereits dem alten Satz 1 beilegen würde.
2. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG in der Fassung des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes ist nach der Auffassung des Senats mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar. Bei dem Ausschluss von Miterben, die der Person oder aber jedenfalls nach ihrem Aufenthalt unbekannt sind, handelt es sich nicht um eine entschädigungslose Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG, sondern um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie genügt nicht den an eine solche Inhalts- und Schrankenbestimmung zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.
a) Durch den angegriffenen Ausschlussbescheid und die zugrunde liegenden Regelungen wird der Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berührt. Dabei kann dahinstehen, ob das Eigentum oder das Erbrecht betroffen ist, das neben dem Erblasser auch das Recht des testamentarischen oder gesetzlichen Erben schützt, die vererbten Gegenstände zu erlangen (vgl. BVerfGE 91, 346 ≪360≫; 97, 1 ≪6≫). Eigentum und Erbrecht unterliegen gleichermaßen dem Schutz von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die Klägerin ist als Miterbin Teil der Gesamthandsgemeinschaft, der gemäß § 2032 BGB der Nachlass als gemeinschaftliches Vermögen zusteht. Allerdings weicht die vom Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG gewählte Konstruktion von dem erbrechtlichen System des Bürgerlichen Gesetzbuches insofern ab, als dieses vor der erbrechtlichen Auseinandersetzung nur Rechte der Miterben am Nachlass insgesamt kennt (vgl. § 2032 BGB) und dem Miterben nur eine Verfügung über seinen Anteil an dem Nachlass gestattet (vgl. § 2033 Abs. 1 BGB), nicht aber über seinen Anteil an einzelnen Nachlassgegenständen (§ 2033 Abs. 2 BGB). Demgegenüber betrifft die genannte Ausschlussregelung Rechte an einzelnen Nachlassgegenständen, die sie entzieht und auf den Entschädigungsfonds überleitet. Die Folge ist eine unterschiedliche personelle Zusammensetzung der Erbengemeinschaft, je nach dem, um welchen Nachlassgegenstand es geht. Eine solche Vorgehensweise ist dem Gesetzgeber jedoch nicht verwehrt. Eine vergleichbare “Aufspaltung” des Nachlasses nimmt etwa auch § 2a Abs. 1a VermG vor.
b) In der Entziehung der vermögenswerten Rechte, die sich aus der Miterbenstellung der Klägerin in Bezug auf das Grundstück ergeben, liegt keine Enteignung, die den Anforderungen von Art. 14 Abs. 3 GG entsprechen muss, sondern eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.
Die Enteignung ist auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet (stRspr, vgl. u.a. BVerfGE 100, 226 ≪240≫; 101, 239 ≪259≫; 102, 1 ≪15 f.≫; 104, 1 ≪9≫). Die Enteignung setzt den Entzug konkreter Eigentumspositionen voraus, doch ist nicht jeder Entzug eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG. Diese ist beschränkt auf solche Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll (vgl. BVerfGE 38, 175 ≪179 f.≫; 104, 1 ≪9 f.≫).
Auf eine solche hoheitliche Güterbeschaffung zur Durchführung eines konkreten Vorhabens zielt die Entziehung von vermögenswerten Rechten auf der Grundlage eines Ausschlussbescheides nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG jedoch nicht ab. Der Ausschlussbescheid regelt die Neuzuordnung von vermögenswerten Rechten für den Fall, dass nach ergebnislosen Aufklärungsbemühungen auch ein nachfolgend eingeleitetes Aufgebotsverfahren zur Ermittlung eines Eigentümers oder Miteigentümers bzw. Erben oder Miterben, sei es der Person oder dem Aufenthaltsort nach, ohne Erfolg geblieben ist. Damit sollen nach der Beendigung der staatlichen Verwaltung von Vermögenswerten im Beitrittsgebiet, die gemäß § 11a Abs. 1 Satz 1 VermG spätestens zum 31. Dezember 1992 eingetreten ist, die Eigentumsverhältnisse bei unbekannten Berechtigten oder Berechtigten unbekannten Aufenthalts bereinigt und eine – auch nur faktische – Herrenlosigkeit beseitigt werden.
Allerdings hat sich der Gesetzgeber zu den mit dem Aufgebots- und Ausschlussverfahren nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG verfolgten Zielen weder in den Materialien zum Entschädigungsgesetz (vgl. zu § 10 Abs. 1 Nr. 8 EntschG i.d.F. des Regierungsentwurfs: BTDrucks 12/4887 S. 37 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 12/7588 S. 40) noch in der Begründung für die Anfügung von § 15 GBBerG im Zweiten Gesetz zur Änderung zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften – 2. Zwangsvollstreckungsnovelle – vom 17. Dezember 1997 (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 13/9088 S. 26) ausdrücklich geäußert. Jedoch ergibt sich aus der Begründung zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EntschG, wonach an den Entschädigungsfonds nicht anderweitig zuzuordnende Vermögenswerte aus dem Bereich des Amtes für den Rechtsschutz des Vermögens der Deutschen Demokratischen Republik und Überweisungen der Hinterlegungsstellen nach § 4 Abs. 2 des Schuldbuchbereinigungsgesetzes abzuführen sind, dass es dem Gesetzgeber darauf ankam, die Entstehung von “herrenlosem” Vermögen zu vermeiden (BTDrucks 12/4887 S. 37). Dieser Gedanke kann wegen der Vergleichbarkeit der Ausgangssituation auch auf die an ein ergebnisloses Aufgebotsverfahren anknüpfende Regelung in Nr. 7 übertragen werden.
Das mit der Regelung angestrebte Ziel der Vermeidung herrenlosen Vermögens bedarf dabei der Präzisierung. Davon geht offensichtlich auch der Gesetzgeber selbst aus, nachdem er das Adjektiv “herrenlos” in der Gesetzesbegründung in Anführungszeichen gesetzt hat. Nachdem er einen Ausschluss auch für solche Vermögenswerte vorsieht, bei denen lediglich der Aufenthaltsort des Eigentümers/Erben bzw. Miteigentümers/Miterben unbekannt ist, ist offensichtlich auch eine faktische Herrenlosigkeit gemeint, also der Fall, dass der Berechtigte zwar der Person nach feststeht, aber nicht auffindbar und damit nicht erreichbar ist.
Zwar gibt es mit dem Erlass eines Ausschlussbescheides nicht nur einen Verlierer, sondern durch die Neuzuordnung der Rechte auch einen Gewinner. Begünstigt durch einen auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m § 15 GBBerG ergangenen Ausschlussbescheid wird der Entschädigungsfonds. Damit wird der Eigentumszugriff aber nicht zu einem Güterbeschaffungsvorgang und damit zu einer Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG. Dies gilt selbst in Ansehung der Aufgabe des Fonds, Leistungen nach dem Entschädigungsgesetz und dem Ausgleichsleistungsgesetz zu finanzieren. Darin liegt nach der dargestellten Intention des Gesetzgebers nicht der Grund für die Entziehung der Rechte, sondern allenfalls für die Auswahl desjenigen, der den Vermögenswert erhalten soll. Die damit ermöglichte Verwendung der entzogenen Vermögenswerte ist nicht, wie dies für eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG erforderlich wäre, Zweck des Aufgebots- und Ausschlussverfahrens nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG, sondern Folge der angestrebten Eigentumsbereinigung.
Demgemäß handelt es sich bei der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG getroffenen Regelung um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (ebenso i.E. VG Berlin, Beschluss vom 6. November 2003 – 29 A 294/02 – a.a.O.). Solche Vorschriften bleiben auch dann Inhalts- und Schrankenbestimmungen, wenn sie konkrete Vermögenspositionen ganz oder teilweise entziehen oder hierzu für den Einzelfall die Voraussetzung bilden (vgl. zum erweiterten Verfall von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers nach § 73d StGB: BVerfGE 110, 1 ≪24 f.≫ m.w.N.; vgl. a. BVerfGE 83, 201 ≪211 ff.≫). Auch eine – etwa wegen einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – verfassungswidrige Inhaltsbestimmung stellt nicht zugleich einen “enteignenden Eingriff” im verfassungsrechtlichen Sinne dar und kann wegen des unterschiedlichen Regelungsgehalts von Inhaltsbestimmung und Enteignung auch nicht in einen solchen umgedeutet werden (BVerfGE 79, 174 ≪192≫ m.w.N.).
c) Nach der Überzeugung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Einfügung von Satz 2 in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG die Grenzen einer im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich zulässigen Regelung überschritten.
aa) Bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG muss der Gesetzgeber die schutzwürdigen Interessen des Berechtigten und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Er muss sich dabei im Einklang mit allen anderen Verfassungsnormen halten; insbesondere ist er an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Berechtigten aufzuerlegenden Belastungen. Einschränkungen seiner Befugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. Überschreitet der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken diese Grenzen, so ist die gesetzliche Regelung unwirksam (stRspr, vgl. u.a. BVerfGE 100, 226 ≪240 f.≫ m.w.N.).
bb) Zwar ist ausgehend von diesen Grundsätzen die Grundregelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG verfassungsgemäß. Das aus verfassungsrechtlicher Sicht legitime Anliegen des die Wiedervereinigung und ihre Folgen regelnden Gesetzgebers, “herrenloses”, d.h. auch faktisch herrenloses Vermögen zu vermeiden, rechtfertigt es grundsätzlich, einen in angemessener Zeit mit zumutbaren Mitteln nicht auffindbaren Eigentümer oder Rechtsinhaber mit seinen Rechten auszuschließen. Eine solche Maßnahme ist zur Verwirklichung des mit dem Gesetz verfolgten Ziels erforderlich, klare Eigentumsverhältnisse zu schaffen. Ein herrenloser Zustand lässt sich bei unbekanntem Eigentümer oder bei unbekanntem Aufenthalt dieses Eigentümers auf Dauer nur durch Zuordnung des Vermögenswertes an einen neuen Eigentümer vermeiden, der zur Ausübung seines Rechts und damit auch zur Wahrnehmung der damit verbundenen Pflichten bereit und in der Lage ist. Aus diesem Grund führen bloße Vertretungsregelungen wie die gesetzliche Vertretung nach § 11b VermG oder die Bestellung eines Pflegers nach § 1911 BGB oder § 1960 BGB nicht weiter, weil sie am Kernproblem – der Herrenlosigkeit – nichts ändern. Sie sind darauf angelegt, vorübergehende Verwaltungs- oder auch Verfügungshindernisse zu beseitigen, ohne jedoch die Eigentumszuordnung hinsichtlich des Vermögenswertes oder des dafür erzielten Erlöses endgültig zu bereinigen und damit den Rechtsverkehr von den mit der ungeklärten Eigentumssituation verbundenen Problemen dauerhaft zu entlasten.
cc) Grundlegend anders verhält es sich bei der Berechtigung eines Miterben an einem Vermögenswert. Das Ziel, herrenloses Eigentum zu vermeiden, erfordert in solchen Fällen nicht den Ausschluss des unbekannten Miterben oder des Miterben unbekannten Aufenthalts, um einen neuen, erreichbaren Eigentümer an seine Stelle zu setzen, der die Funktion des Eigentümers nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch ausfüllt.
In Ansehung der nach § 2032 BGB zur gesamten Hand gehaltenen Nachlassgegenstände gibt es bei der Unauffindbarkeit eines Miterben gerade keinen herrenlosen Zustand, der einen staatlichen Zugriff auf die Rechte dieses Miterben erforderlich machen würde. Anders als beim Alleineigentum, bei dem bei Nichtgreifbarkeit des Eigentümers die mit dem Eigentum verbundenen Rechte und Pflichten gegenüber Dritten dauerhafter Regelung bedürfen, gibt es bei der gesamthänderischen Erbengemeinschaft bereits gesetzliche Vorkehrungen, falls einzelne Miterben unbekannt oder unbekannten Aufenthalts sind. Die §§ 2038 ff. BGB räumen den übrigen Miterben entsprechende Verwaltungsrechte ein, unter anderem über die Notgeschäftsführungsbefugnis nach § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB. Auch die Eigentumszuordnung regelt das Zivilrecht. An die Stelle des nicht auffindbaren Miterben treten – im Falle einer Todeserklärung und je nach deren Zeitpunkt – die an seiner Stelle berufenen Erben, oder es findet nach § 2094 Abs. 1 BGB Anwachsung statt. Die Probleme, die mit den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts bewältigt werden müssen, bestehen lediglich “nach innen”, also innerhalb der Erbengemeinschaft. Im Außenverhältnis gibt es mit den übrigen auffindbaren Miterben sowohl für Private als auch für die Behörden verantwortliche Ansprechpartner, denen die Nachlassgegenstände gemeinschaftlich zugeordnet sind. Insofern kann im Hinblick auf die Nachlassgegenstände weder von einer rechtlichen noch von einer faktischen Herrenlosigkeit gesprochen werden. Herrenlos ist allenfalls die Mitberechtigung des nicht auffindbaren Miterben. Faktische oder rechtliche Beeinträchtigungen im Rechtsverkehr, derer sich der Staat im Interesse des Gemeinwohls über die im Bürgerlichen Recht bereits getroffenen Regelungen hinaus annehmen müsste, entstehen daraus nicht. Probleme dürften sich im Gegenteil eher dann ergeben, wenn der Entschädigungsfonds nach dem Ausschluss des unbekannten oder unauffindbaren Miterben dessen Stelle in der Erbengemeinschaft einnimmt. Ein solches den in der Regel familiär verbundenen Erben fremdes Zwangsmitglied, das lediglich ein finanzielles, aber kein Affektionsinteresse hinsichtlich der Nachlassgegenstände hat, wird bei der gemeinschaftlichen Verwaltung des Nachlasses nicht den Erhalt des Familienerbes im Auge haben, sondern vor allem dessen Verwertung. Insoweit wird es ohne Rücksicht auf familiäre Interessen die Auseinandersetzung des Erbes betreiben, die es gemäß § 2042 Abs. 1 BGB regelmäßig verlangen kann.
Auch aus der Kommentarliteratur ergeben sich keine überzeugenden Argumente für die mit dem Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vorgenommene Parallelisierung von Alleineigentum einerseits und Rechten von Miterben andererseits. Dort wird – ohne weitere Begründung – nur darauf verwiesen, dass etwas anderes mit Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht vereinbar sei und ein Anwachsen bei den Mitgliedern der Gemeinschaft nicht zu begründen wäre (vgl. Broschat, in: Fieberg u.a., VermG, § 10 EntschG Rn. 42b). Das erste Argument trifft jedoch aus den dargestellten Gründen gerade nicht zu, der zweite Einwand geht im Hinblick auf die vom Gesetzgeber in § 2094 BGB getroffene Regelung fehl.
dd) Zudem wirft die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG eingefügte Regelung im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG deshalb Probleme auf, weil das Vermögensgesetz für die Restitution im Gegensatz zur Abwicklung der staatlichen Verwaltung eine Verweigerung der Rückgabe bei einem unbekannten Miterben oder einem Miterben unbekannten Aufenthalts ebenso wenig kennt wie den nachträglichen, nach der Restitution vorzunehmenden Ausschluss eines solchen Miterben von seinen Rechten. Nach § 2a Abs. 1 Satz 1 VermG wird ein Vermögenswert an eine Erbengemeinschaft selbst dann zurückgegeben, wenn deren Mitglieder nicht sämtlich namentlich bekannt sind; in diesem Fall wird der Vermögenswert der Erbengemeinschaft nach dem zu bezeichnenden Erblasser restituiert. Es ist dann ausschließlich Sache der weiteren Miterben, die Probleme zu bereinigen, die sich durch die Unauffindbarkeit eines Miterben ergeben. Ein sachlicher Grund dafür, warum das Recht eines unauffindbaren Miterben im Fall der Beendigung der staatlichen Verwaltung als nicht beanspruchter Vermögenswert qualifiziert wird, während es im Fall der vermögensrechtlichen Restitution ausreicht, dass einer der Miterben den Anspruch der in der Erbengemeinschaft verbundenen Erben geltend macht (vgl. § 2039 BGB), ist nicht ersichtlich. Der vergleichende Blick auf § 2a Abs. 1 Satz 1 VermG zeigt, dass der Gesetzgeber im Vermögensrecht trotz nicht vollständig aufgefundener Erbengemeinschaften keine herrenlosen Zustände gesehen hat, die eine Abhilfe durch hoheitliche Maßnahmen erfordern.
ee) Die Zuweisung eines nicht beanspruchten Miterbenanteils an den Entschädigungsfonds führt neben der Verletzung des individuellen Eigentums oder Erbrechts zudem zu einem Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ebenfalls gewährleistete Institutsgarantie des Erbrechts. Zu deren grundlegendem Gehalt gehören die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts (vgl. BVerfGE 93, 165 ≪173≫). Bei gewillkürter Erbfolge wird die Testierfreiheit beeinträchtigt, weil entgegen § 2094 Abs. 1 BGB selbst dann keine Anwachsung stattfindet, wenn der Erblasser die gesetzliche Erbfolge ausgeschlossen und damit zum Ausdruck gebracht hat, dass bei Ausfall eines Erben nur die von ihm eingesetzten Personen erbberechtigt sein sollen. Bei gesetzlicher Erbfolge entfällt das Verwandtenerbrecht im Umfang des dem unauffindbaren Miterben zustehenden Erbanteils. Auch diese Eingriffe in die Institutsgarantie sind aus den bereits dargestellten Gründen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
3. Eine verfassungskonforme Auslegung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG in der Fassung durch das Entschädigungsrechtsänderungsgesetz, mit der die dargestellten Gründe für die Verfassungswidrigkeit der Regelung ausgeräumt werden könnten, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm und deren Entstehungsgeschichte nicht möglich.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
DÖV 2008, 784 |
DVBl. 2007, 1449 |