Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbegebiet. Bebauungsplan. Funktionslosigkeit. faktisches Einkaufszentrum. Bestandsschutz
Leitsatz (amtlich)
Ein Bebauungsplan (hier: für ein Gewerbegebiet) ist nicht bereits deshalb ganz oder teilweise wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten, weil auf einer Teilfläche eine singuläre planwidrige Nutzung (hier: ein Einrichtungshaus mit einer Verkaufsfläche von 13 000 m FD) entstanden ist.
Normenkette
BauGB § 1 Abs. 3; BauNVO § 1 Abs. 10, §§ 8, 11 Abs. 3
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 30.07.1999; Aktenzeichen 10a D 53/97.NE) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin zu 1 trägt vier Fünftel, die Antragstellerin zu 2 ein Fünftel der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerinnen wenden sich im Normenkontrollverfahren gegen die Änderung eines Bebauungsplans, durch die abweichend von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO Einzelhandelsbetriebe bestimmter Branchen ausgeschlossen werden. Sie sind Eigentümerinnen von Grundstücken im Plangebiet, auf denen sich mehrere Geschäfte sowie ein Einrichtungshaus mit einer Verkaufsfläche von mehr als 13 000 qm befinden. Die Betriebe sind baurechtlich durch Einzel-Baugenehmigungen zugelassen; für sie wird mit der Bezeichnung „Einkaufszentrum D.-Park” geworben.
Der Normenkontrollantrag wurde abgelehnt. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde der Antragstellerinnen.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache gestützte Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich kein Grund, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
1. Wegen der Frage, unter welchen Voraussetzungen bei der Bauleitplanung von dem Vorhandensein eines faktischen Sondergebiets für den Einzelhandel auszugehen sei, kann die Revision nicht zugelassen werden. Ob diese Frage überhaupt in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte, ist schon zweifelhaft. Im vorliegenden Fall enthält sie jedenfalls keine entscheidungserhebliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Die Frage richtet sich hier nämlich allein gegen die Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts, daß das festgesetzte Gewerbegebiet, in dem sich – neben Einzelhandelsbetrieben, die im Gewerbegebiet zulässig seien – ein (einziges) genehmigtes Einrichtungshaus mit einer Verkaufsfläche von über 13 000 qm befinde, nicht schon wegen dieses „Ausreißers” zu einem faktischen Sondergebiet geworden sei, welches die Festsetzung „Gewerbegebiet” als zulässige Art der baulichen Nutzung verdränge. Für diese Rechtsauffassung ist es jedoch unerheblich, wann generell ein „faktisches Sondergebiet für den Einzelhandel” vorliegt. Entscheidend ist vielmehr, daß nach der zutreffenden Rechtsansicht des Normenkontrollgerichts ein einzelner „Ausreißer”, hier also eine singuläre planwidrige Nutzung, die Beachtlichkeit der planerischen Festsetzung grundsätzlich nicht in Frage stellen kann. Ob in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine andere rechtliche Beurteilung möglich sein mag, kann dahinstehen. Auf der Grundlage der tatrichterlichen Beurteilung durch das Normenkontrollgericht gibt der vorliegende Fall zu weiterführenden Überlegungen keinen Anlaß.
2. Ebenfalls nicht weiter klärungsfähig ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen von der Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans für ein abgrenzbares Teilgebiet des gesamten Geltungsbereichs auszugehen sei. Konkret geht es um die Frage, ob die Festsetzung der Nutzungsart „Gewerbegebiet” ganz oder teilweise funktionslos geworden ist, weil im Plangebiet ein „faktisches Sondergebiet für Einzelhandelsbetriebe” entstanden sei. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, wann einzelne Festsetzungen funktionslos sein können. Eine bauplanerische Festsetzung tritt außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, daß ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 3. Dezember 1998 – BVerwG 4 CN 3.97 – BVerwGE 108, 71 ≪76≫ – DVBl 1999, 786, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch für die Festsetzung eines Gewerbegebietes. Wann die Voraussetzungen der Funktionslosigkeit gegeben sind, ist dagegen eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Das Normenkontrollgericht führt im einzelnen aus, daß im vorliegenden Fall die Festsetzung eines Gewerbegebiets ihre Fähigkeit nicht verloren habe, zur städtebaulichen Ordnung dieses Bereichs weiterhin einen sinnvollen Beitrag im Sinne der ursprünglichen Planungskonzeption zu leisten. Die Beschwerde folgt der Beurteilung des Normenkontrollgerichts zwar nicht; eine über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende verallgemeinerungsfähige Frage läßt sich ihren Ausführungen aber nicht entnehmen.
3. Nicht entscheidungserheblich ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen bauplanungsrechtlich von einem faktischen Einkaufszentrum auszugehen sei. Das Normenkontrollgericht hat nämlich ausdrücklich offengelassen, ob auf den Grundstücken der Antragstellerinnen faktisch ein Einkaufszentrum entstanden sei. Das bedeutet, daß es zugunsten der Antragstellerinnen von einem faktischen Einkaufszentrum ausgegangen ist. Auf der Grundlage dieser Rechtsansicht käme es auf die Beantwortung der Frage in einem Revisionsverfahren nicht an.
Daran anschließend, möchte die Beschwerde geklärt wissen, ob einem faktischen Einkaufszentrum jeglicher baurechtlicher Bestandsschutz abgesprochen werden könne, und ob sich ein Bebauungsplan mit einem Einzelhandelsausschluß ohne weiteres gegen ein faktisches Einkaufszentrum durchsetze. Diese Fragen sind nicht klärungsbedürftig, sondern, soweit sie hier entscheidungserheblich sind, klar zu verneinen. Baurechtlicher Bestandsschutz kann sich aus der Bestandskraft einer Baugenehmigung ergeben. Ein solcher Bestandsschutz besteht hier nicht, weil eine Baugenehmigung für ein Einkaufszentrum niemals erteilt worden ist. Genehmigt worden sind vielmehr verschiedene Einzelhandelsgeschäfte, die nur als solche baurechtlichen Bestandsschutz genießen. Ob auch eine ungenehmigte, aber materiell rechtmäßige bauliche Nutzung schutzwürdig ist, ist hier ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Denn das streitige „faktische Einkaufszentrum” war auch niemals materiell rechtmäßig, weil es im Widerspruch zu der 2D nicht funktionslosen – Festsetzung eines Gewerbegebietes steht. Ein solches formell und materiell rechtswidriges Einkaufszentrum muß zwar gleichwohl bei einer Änderung des Bebauungsplans berücksichtigt werden; die Interessen ihrer Betreiber gehören zu den abwägungserheblichen privaten Belangen. Die Gemeinde darf sich aber in den Grenzen des § 1 Abs. 5 bis 9 BauNVO über sie hinwegsetzen und kann grundsätzlich auch den Einzelhandel ganz oder teilweise ausschließen. Dabei bleibt die bisherige, durch eine Baugenehmigung abgedeckte Nutzung von der Planänderung unberührt.
4. Keinen Grund zur Zulassung der Revision gibt die Frage, welche Anforderungen an die städtebauliche Begründung eines Einzelhandelsausschlusses zu stellen seien, wenn vorhandene Betriebe ohne die in § 1 Abs. 10 BauNVO vorgesehene Ausnahmeregelung davon erfaßt würden. Wegen ihrer Allgemeinheit ließe sich diese Frage nicht in einem Revisionsurteil, sondern nur durch eine umfassende Darstellung, etwa in einem Fachaufsatz oder in einem Kommentar, beantworten. Wie die Beschwerdebegründung zeigt, zielt die Beschwerde auch nicht etwa auf eine konkrete Rechtsfrage ab, sondern macht gegenüber der ausführlichen, an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts orientierten Begründung des Normenkontrollgerichts letztlich nur geltend, daß hier die durch Art. 14 GG geschützten Interessen der Antragstellerinnen gegenüber den städtebaulichen Belangen der Antragsgegnerin nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Ein Zulassungsgrund ist damit nicht dargelegt.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Rojahn
Fundstellen
BauR 2000, 854 |
NVwZ-RR 2000, 411 |
DÖV 2000, 518 |
GewArch 2000, 258 |
NuR 2000, 659 |
ZfBR 2000, 274 |
BRS 2000, 383 |
KomVerw 2000, 336 |
UPR 2000, 229 |
FuBW 2000, 748 |
FuNds 2001, 15 |