Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitwirkung, Voraussetzungen der – des Personalrats bei der Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen zur Aufhebung von tarifwidrigen Leistungen. Verwaltungsanordnungen, Voraussetzungen der Mitwirkung des Personalrats bei der Vorbereitung von – zur Aufhebung von tarifwidrigen Leistungen. Tarifwidrige Leistungen, Voraussetzungen der Mitwirkung des Personalrats bei der Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen zur Aufhebung von –
Leitsatz (amtlich)
Eine Verwaltungsanordnung des Leiters der Dienststelle, die der Mitwirkung des Personalrats bedarf, liegt auch dann vor, wenn damit eine tarifwidrige, für die Beschäftigten günstige Praxis beendet wird, es sei denn, die bisherige (rechtswidrige) Handhabung war bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig unzulässig.
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg – Fachsenat für Personalvertretungssachen – vom 17. Mai 1988 wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Verfahrensbeteiligten streiten um die Beteiligungsrechte des Personalrats bei der Regelung der Vergütung von Rufbereitschaft.
Beim städtischen Werkhof der Stadt St. Georgen wurde bei den etwa 20 bis 30 Arbeitern, die beim Winterdienst unter anderem Rufbereitschaft leisteten, über die geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen hinaus über mehr als 10 Jahre hinweg bei der Berechnung des Arbeitslohnes im Rahmen der Rufbereitschaft für den Winterdienst die Arbeitszeit so berechnet, daß der tatsächlichen Arbeitszeit eine Stunde hinzugerechnet wurde. Damit sollte der Zeitaufwand der Arbeiter für die Anfahrt pauschal berücksichtigt werden. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1985 teilte der Beteiligte, der Bürgermeister der Stadt St. Georgen, den Dienststellenleitern, bei denen entsprechende Arbeiter tätig waren, und dem Antragsteller, dem örtlichen Personalrat, die ab 1. Januar 1985 geltenden neuen Entschädigungssätze für Rufbereitschaft mit und wies auf die tarifvertraglichen Bestimmungen bezüglich Entschädigung für Rufbereitschaft hin. Weiterhin wird in dem Schreiben festgestellt, geleistete Überstunden seien in der Regel durch zusätzliche Freizeit abzugelten. Die zu bezahlende Arbeitszeit beginne mit der Arbeitsaufnahme und ende mit dem Ende der Arbeitszeit (Ausnahme: garantierte Arbeitszeit von 2 bis 3 Stunden); es heißt weiter: „Bisher einseitig von der Stadt darüber hinausgehende Leistungen können nicht mehr gewährt werden.”
Der Antragsteller, der nicht beteiligt worden war, machte geltend, die vorgesehene Regelung sei eine unvertretbare Verschlechterung für die Beschäftigten. Sie sei rechtsunwirksam, weil sie der Mitbestimmung des Personalrats unterlegen habe und dieser nicht beteiligt worden sei. Nachdem mehrere Gespräche und Schriftwechsel erfolglos geblieben waren, hat der Antragsteller das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren eingeleitet und beantragt,
festzustellen, daß ihm bei der Anordnung des Beteiligten vom 16. Oktober 1985 ein Mitwirkungsrecht gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 Landespersonalvertretungsgesetz Baden-Württemberg (LPVG) zugestanden habe,
hilfsweise, daß ihm gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 LPVG ein Mitbestimmungsrecht zugestanden habe.
Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag stattgegeben und festgestellt, daß dem Antragsteller ein Mitwirkungsrecht gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 LPVG zugestanden habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat die dagegen eingelegte Beschwerde des Beteiligten zurückgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Die Anordnung des Beteiligten vom 16. Oktober 1985 sei keine Einzelregelung, sondern eine Verwaltungsanordnung, die gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 LPVG der Mitwirkung des Personalrates unterliege. Sie sei von allgemeiner und grundsätzlicher Art. Sie betreffe eine unbestimmte Anzahl wiederkehrender Sachverhalte, da sie künftige Winterdienste ohne zeitliche Begrenzung erfasse und alle Beschäftigten in ihrer Gesamtheit, mindestens aber einen unbestimmten Teil derselben, betreffe. Sie regele ferner die innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten. Sie ziele auf eine Gestaltung hin, nämlich den Wegfall der pauschalen Wegezeiten. Dem Mitwirkungsrecht stehe nicht entgegen, daß es hierfür eine tarifvertragliche Regelung gebe, denn es stehe nicht unter einem gesetzlichen Tarifvorbehalt. Zwar seien übertarifliche Leistungen materielle Arbeitsbedingungen, die grundsätzlich nicht Gegenstand der Mitbestimmung, sondern der Tarifpolitik seien, doch gelte diese Einschränkung nicht für die Mitwirkung.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Beteiligten. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Schreiben vom 16. Oktober 1985 sei keine mitwirkungsbedürftige Verwaltungsanordnung. Es stelle die tarifliche Rechtslage klar und gebe die zuvor getroffene Entscheidung bekannt, daß die bisher von der tariflichen Rechtslage abweichenden Leistungen, nämlich im Wege der pauschalierten Wegezeitanrechnung, künftig nicht mehr gewährt würden. Er sei zu dieser Rückgängigmachung verpflichtet gewesen. Die Wegezeitpauschale sei eigenmächtig und ohne Wissen des Personalamtes von der früheren Bauhofleitung bzw. dem zuständigen Meister unter Verstoß gegen Tarifrecht bewilligt worden. Andere zur Rufbereitschaft im Winterdienst eingesetzte Arbeiter (z.B. in der Stadtgärtnerei) hätten diese Vergünstigung nicht erhalten. Es handele sich somit um die notwendige Korrektur einer rechtswidrigen Tarifanwendung oder um die Beendigung einer allgemein entstandenen Betriebsübung, die nicht der Mitwirkung des Personalrats unterlägen. Unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht habe der Verwaltungsgerichtshof die entscheidungserhebliche Tatsache der eigenmächtigen und tarifwidrigen früheren Praxis, die er habe rückgängig machen müssen, nicht gewürdigt. Der Beteiligte beantragt,
den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg – Fachsenat für Personalvertretungssachen – vom 17. Mai 1988 aufzuheben und den Beschluß des Verwaltungsgerichts Freiburg – Fachkammer für Personalvertretungssachen – vom 8. Dezember 1987 abzuändern sowie den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Er tritt der Rechtsbeschwerde entgegen und verteidigt den angefochtenen Beschluß.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben zutreffend festgestellt, daß das Schreiben des Beteiligten vom 16. Oktober 1985 eine Verwaltungsanordnung war, an der der örtliche Personalrat gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 LPVG mitzuwirken hatte.
Das Mitwirkungsrecht erfaßt nach dieser Vorschrift die Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen einer Dienststelle für die innerdienstlichen, sozialen oder persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs. Eine Verwaltungsanordnung im personalvertretungsrechtlichen Sinne ist jede Regelung, welche die Dienststelle in Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Rechte als Dienstherr oder Arbeitgeber gegenüber allen ihren Beschäftigten, jedenfalls aber gegenüber einer unbestimmten Anzahl ihrer Beschäftigten, trifft, ohne daß es auf ihre Form ankommt (Beschluß vom 6. Februar 1987 – BVerwG 6 P 9.85 – ≪BVerwGE 77, 1≫ mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzungen sind bei dem Schreiben des Beteiligten vom 16. Oktober 1985 erfüllt.
Es gliedert sich in zwei rechtlich unterschiedlich zu bewertende Teile. Soweit die tarifvertraglichen Bestimmungen über die Entschädigung für Rufbereitschaft aufgeführt werden, einschließlich der ab 1. Januar 1985 geltenden Sätze, handelt es sich nicht um eine Verwaltungsanordnung, weil die alleinige Wiedergabe und Bekanntmachung einer unmittelbar geltenden tarifvertraglichen Bestimmung keine Regelung mit verwaltungsintern anordnendem Charakter ist. Sie verlangt nicht mit unmittelbar gestaltender Wirkung von den Beschäftigten ein Tun oder Unterlassen (in diesem Sinne Beschluß vom 2. Januar 1986 – BVerwG 6 P 16.82 – hinsichtlich der Konkretisierung bestehender dienstlicher Verpflichtungen; VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 20. März 1984 – 15 S 2472/82 – ≪ZBR 1984, 347≫).
Das Schreiben vom 16. Oktober 1985 enthält aber insoweit eine Regelung, als es „feststellt”, daß „bisher einseitig von der Stadt darüber hinausgehende Leistungen nicht mehr gewährt werden können”. Damit hat der Beteiligte mit unmittelbarer Wirkung für alle Beschäftigten angeordnet, daß die bisherige günstigere Berechnung des Arbeitslohnes im Rahmen der Rufbereitschaft für den Winterdienst nicht mehr gelten soll. Durch den damit verbundenen Entzug dieser über die tarifvertraglichen Bestimmungen hinausgehenden Vergünstigung wurde in die innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten eingegriffen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht festgestellt hat, betrifft diese Anordnung die Art und Weise der Berechnung der zu erbringenden Arbeitszeit mit entsprechender Auswirkung auf die Entlohnung. Das Schreiben vom 16. Oktober 1985 verliert insoweit auch nicht deshalb den Charakter einer Regelung, weil die Zahlung der Wegezeitpauschale weder tarifvertraglich gerechtfertigt noch aufgrund einer betrieblichen Übung begründet war (vgl. Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 1988 – 9 S a 82/88 –) und weil der Beteiligte damit den genannten Vorschriften Geltung verschaffen wollte. Das Mitwirkungsrecht des § 80 Abs. 1 Nr. 1 LPVG kennt keinen Tarifvorbehalt wie das Mitbestimmungsrecht gemäß § 79 Abs. 1 und Abs. 2 LPVG. Die Mitwirkung ist ein formalisiertes Instrument, um der Personalvertretung in besonders nachdrücklicher Weise Gehör zu verschaffen, ohne ihr eine rechtlich festgelegte Einflußnahme auf die Maßnahmen der Dienststelle zu ermöglichen. Sie hat ihren Platz dort, wo die Organisations- und Personalhoheit des Dienstherrn einen mitbestimmenden Einfluß der Personalvertretung nicht zuläßt, aber gleichwohl sichergestellt werden soll, daß die Personalvertretung nicht nur formal angehört wird, sondern daß ihre Überlegungen in die Entscheidungen darüber einbezogen werden, ob und wie bestimmte Regelungen oder Maßnahmen getroffen werden sollen (Beschluß vom 6. Februar 1987 – BVerwG 6 P 9.85 –, a.a.O.). Der örtliche Personalrat hat ein berechtigtes Interesse daran, vor der Anordnung der Beendigung der bisherigen, für die Beschäftigten günstigen Praxis seine nach seiner Meinung dagegen sprechenden Vorstellungen vorzutragen, es sei denn, die bisherige (rechtswidrige) Handhabung war bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig unzulässig.
Das war nicht der Fall. Die Wegezeitpauschale wurde nach dem vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Sachverhalt über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren hinweg gewährt. Es war nicht von vornherein abwegig, sondern prüfungs- und erörterungswürdig, ob etwaige Ansprüche der Beschäftigten auf Weitergewährung aufgrund einer betrieblichen Übung entstanden waren und ob das langjährige Schweigen des Beteiligten hierzu als Einverständnis zu werten war. Die Tatsache, daß nach dem Vortrag des Beteiligten ihm diese Berechnungsweise nicht bekannt war, ändert hieran nichts. Sie hat zwar letztlich dazu geführt, daß das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg einen entsprechenden Anspruch eines Beschäftigten verneint hat. Sie beweist aber, daß die Sach- und Rechtslage zwischen den Verfahrensbeteiligten unklar war, so daß die nunmehr herbeigeführte rechtliche Klärung nicht von vornherein außer jedem Zweifel stand.
Die Anordnung vom 16. Oktober 1985 richtet sich auch an eine unbestimmte Anzahl von Beschäftigten. Sie verfolgt auf der einen Seite den Zweck, klarzustellen, daß diejenigen, die bisher – tarifwidrig – die Wegezeitpauschale erhalten haben, künftig diese Vergünstigung verlieren sollen. Das war zwar im Augenblick des Erlasses der Anordnung ein konkret bestimmbarer Personenkreis. Darüber hinaus soll aber mit dieser Mitteilung auch sichergestellt werden, daß zukünftig im gesamten Bereich der Dienststelle des Beteiligten die Wegezeitpauschale nicht mehr gewährt wird. Damit sind alle Beschäftigten, die in Zukunft zum Winterdienst herangezogen werden sollen, gleich in welcher Dienststelle des Beteiligten sie tätig sind, erfaßt. Dieser Personenkreis ist im Gegensatz zu demjenigen, der bisher die Pauschale erhalten hatte, nicht von vornherein konkret bestimmbar.
Auch wenn die Wiedergabe der tarifvertraglichen Vorschriften für sich genommen nicht mitwirkungsbedürftig ist, so erstreckt sich das Mitwirkungsrecht des Antragstellers doch auf das gesamte Schreiben vom 16. Oktober 1985. Sein maßgeblicher Zweck war die Anordnung, daß die Wegezeitpauschale wegfallen und künftig nicht mehr gewährt werden solle. Der Hinweis auf das Tarifrecht sollte diese Anweisung lediglich erläutern. Auch das Mitwirkungsbegehren des Antragstellers bezog sich allein darauf, diese „Schlechterstellung” der Beschäftigten gegenüber der bisherigen Praxis, die nach seiner Auffassung nicht gerechtfertigt war, zu verhindern.
Die von dem Beteiligten erhobene Verfahrensrüge, der Verwaltungsgerichtshof habe nicht aufgeklärt, ob die tarifwidrige Berechnung der zu entlohnenden Arbeitszeit beim Einsatz aus der Rufbereitschaft auf den Bereich des Werkhofs (Bauhof) beschränkt gewesen sei und ob das Personalamt hiervon erst beim Wechsel der Bauleitung erfahren habe, ist nicht entscheidungserheblich. Das Schreiben vom 16. Oktober 1985 verliert auch dann nicht seinen Regelungscharakter, wenn die Pauschale nur für den Bereich des Bauhofs gezahlt worden war. Die Anordnung sollte – wie dargelegt – ausschließen, daß die Pauschale in Zukunft allen möglicherweise in Betracht kommenden Beschäftigten der Dienststelle des Beteiligten gewährt wird. Insoweit kommt es nicht darauf an, welcher Personenkreis die Pauschale bisher erhalten hat. Auch die Unkenntnis des Personalamtes über die Zahlung der Pauschale und ein mögliches Fehlverhalten von Mitarbeitern im Bauhof bei der Gewährung dieser Vergünstigung könnten das Mitwirkungsrecht des Personalrates nicht ausschließen. Denn auch in diesem Falle wäre er berechtigt gewesen, im Wege des Mitwirkungsverfahrens gemeinsam mit dem Beteiligten die Frage zu prüfen und zu erörtern, ob sich nicht auch bei Unkenntnis des Beteiligten über die Bewilligungspraxis und bei unkorrektem Verhalten von Mitarbeitern im Bauhof eine langjährige Betriebsübung herausgebildet hatte, die Ansprüche der Beschäftigten auf Zahlung der Pauschale zumindest nicht als unwahrscheinlich erscheinen ließ.
Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof weiterhin festgestellt, daß das Mitwirkungsrecht nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil es materielle Arbeitsbedingungen betrifft, die infolge des Tarifvorbehalts des § 79 Abs. 2 LPVG nicht der Mitbestimmung unterliegen. Wie der Senat in seinem Beschluß vom 6. Februar 1987 – BVerwG 6 P 9.85 – (a.a.O.) unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung ausgeführt hat, hält er eine Beschränkung der Mitwirkungsbefugnis auf Gegenstände, die auch der Mitbestimmung unterliegen, nicht mehr für gerechtfertigt. Der Mitwirkung ist ein Bereich eröffnet, der der Mitbestimmung gerade verschlossen ist.
Nach alledem war die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Das Schreiben vom 16. Oktober 1985 enthält in dem entscheidenden Satz eine Regelung der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten, die der Mitwirkung des örtlichen Personalrats unterlag.
Unterschriften
Dr. Eckstein, Ernst, Dr. Seibert, Albers, Dr. Vogelgesang
Fundstellen