Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht der Gefahrenabwehr. Strafverfolgung. Kostenregelung. Ersatzansprüche
Leitsatz (amtlich)
Ein entschädigungspflichtiger Polizeiträger kann Aufwendungsersatz nach Landespolizeirecht (hier: Art. 72 Abs. 1 BayPAG) auch dann verlangen, wenn die zugrunde liegende Maßnahme nicht allein der Gefahrenabwehr, sondern zugleich auch der Strafverfolgung gedient hat.
Normenkette
GG Art. 70 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1; StPO §§ 464 ff.; BayPAG Art. 72 Abs. 1
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 10.01.2001; Aktenzeichen 24 B 99.3316) |
VG München (Entscheidung vom 16.09.1999; Aktenzeichen M 17 K 97.2928) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2 627,75 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde hält sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig, ob der Landesgesetzgeber einen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch für von der Polizei ersetzte Schäden eines Dritten begründen kann, wenn diese Schäden bei einer Strafverfolgungsmaßnahme der Polizei – hier der Festnahme der Kläger wegen des Verdachts eines Raubes – entstanden sind. Die Beschwerde geht davon aus, dass die Polizei im vorliegenden Fall ausschließlich strafverfolgend tätig geworden ist, und legt für diesen Fall dar, dass die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung von Entschädigungsansprüchen im Zusammenhang mit Ermittlungs- und Strafverfahren beim Bund liege und die Kostenregelungen der Strafprozessordnung eine Ergänzung durch den Landesgesetzgeber nicht zuließen.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, an die das Bundesverwaltungsgericht mangels entsprechender Verfahrensrügen gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), diente die Festnahme der Kläger sowohl der Strafverfolgung als auch der Beseitigung einer von ihnen ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Gestalt drohender weiterer Straftaten (Beschlussabdruck S. 7). Der Fall bietet daher keinen Anlass, die von der Beschwerde aufgeworfene Frage zu beantworten. In einem Revisionsverfahren wäre somit auch nicht zu erörtern, ob die rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs, wie die Beschwerde meint, in dem Sinne zu verstehen sind, dass Art. 72 Abs. 1 PAG trotz der Bestimmung des Anspruchsverpflichteten nach Art. 7 und 8 PAG und der von der Beschwerde aufgezeigten kompetenzrechtlichen Bedenken auch in Fällen Anwendung findet, in denen die Polizei ausschließlich in Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach der Strafprozessordnung tätig geworden ist.
Sollte die Beschwerde geklärt wissen wollen, ob der Landesgesetzgeber durch Bundesrecht daran gehindert ist, den in Rede stehenden Ersatzanspruch (Art. 72 Abs. 1 PAG) für Fälle vorzusehen, in denen die Polizei zugleich gefahrenabwehrend und strafverfolgend tätig geworden ist, rechtfertigte diese Frage die Zulassung der Revision deshalb nicht, weil sie keiner Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Sie ist ohne weiteres zu verneinen.
Gemäß Art. 70 Abs. 1 GG fällt die Regelung des Rechts der all-gemeinen Gefahrenabwehr grundsätzlich in die Kompetenz der Länder. Das Recht der Strafverfolgung gehört gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung. Die Polizei nimmt Aufgaben der Gefahrenabwehr wie auch der Strafverfolgung wahr (vgl. hierzu Urteil vom 3. Dezember 1974 – BVerwG 1 C 11.73 – BVerwGE 47, 255, 260 ff.). Diese Aufgaben stehen grundsätzlich nebeneinander, auch wenn eine polizeiliche Maßnahme im Einzelfall der Erfüllung beider Aufgaben dienen kann. Dementsprechend überschneiden sich die Regelungen des Polizeirechts und der Strafprozessordnung grundsätzlich nicht. Es bedürfte daher eines besonderen Hinweises darauf, dass der Bundesgesetzgeber in Wahrnehmung seiner Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Rechtsfolgen ausschließen will, die das Landesrecht an das gefahrenabwehrende Handeln der Polizei knüpft. Ein solcher Hinweis fehlt hier. Namentlich lässt sich den strafverfahrensrechtlichen Kostenregelungen (§§ 464 ff. StPO) nichts dafür entnehmen, dass diese Vorschriften polizeirechtlich begründete Erstattungs- und Ersatzansprüche der hier in Rede stehenden Art ausschließen könnten, wenn die polizeiliche Maßnahme zugleich der Strafverfolgung diente.
Im Gegensatz zur Ansicht des Verwaltungsgerichts kann im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf abgestellt werden, ob sich eine polizeiliche Maßnahme nach ihrem Gesamteindruck als solche der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr darstellt. Dieser im Urteil vom 3. Dezember 1974 (a.a.O., S. 264 f.) entwickelte Ansatz betrifft nur die Frage, in welchem Rechtsweg Maßnahmen der Polizei gerichtlich überprüft werden. Aus den in diesem Urteil näher dargelegten Gründen kann die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit nur einheitlich entschieden werden; demgemäß bedarf es einer Gesamtwürdigung aus der Sicht eines verständigen Bürgers. Dies besagt jedoch nichts für die hier erörterte Frage des Verhältnisses des strafverfahrensrechtlichen Kostenrechts zu einem landesrechtlich begründeten Ersatzanspruch.
Nichts anderes kann übrigens dem in der Beschwerdebegründung angeführten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. August 2000 – BVerwG 1 B 43.00 – entnommen werden. Darin war über eine Grundsatzrüge mit der gleichen Rechtsfrage wie im vorliegenden Verfahren zu entscheiden. Der zurückweisende Beschluss ist auf die Erwägung gestützt, nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sei es um die Kosten einer Maßnahme gegangen, welche die Begehung einer rechtswidrigen Tat habe verhindern oder deren Fortsetzung unterbinden sollen, nicht aber um Kosten, die im Zusammenhang mit der Verfolgung möglicher Straftaten entstanden und nach den Vorschriften der Strafprozessordnung zu beurteilen seien. Jedenfalls habe das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass die Festnahme des Klägers der Strafverfolgung gedient habe, denn nur in diesem Falle hätte sich die aufgeworfene Rechtsfrage stellen können. Diese Ausführungen sind – in Übereinstimmung mit dem zuvor Gesagten – dahin gehend zu verstehen, dass die aufgeworfene Frage sich nur unter der Voraussetzung habe stellen können, dass die Festnahme ausschließlich der Strafverfolgung gedient habe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 13 Abs. 2, § 14 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Gerhardt, Graulich
Fundstellen
Haufe-Index 640394 |
DÖV 2001, 1003 |
BayVBl. 2002, 55 |
DVBl. 2002, 494 |
NPA 2002, 0 |