Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung für durch den Bereich "kommerzielle Koordinierung" ins Ausland verkaufte bewegliche Sachen
Leitsatz (amtlich)
Die vermögensrechtliche Entschädigung für bewegliche Sachen, deren Restitution nach § 4 Abs. 1 VermG ausgeschlossen ist und für die keine Erlösauskehr nach § 10 VermG in Betracht kommt, richtet sich auch bei staatlicher Verwertung jedenfalls, wenn kein Erlösnachweis vorliegt, nach § 5a EntschG und nicht nach § 5 EntschG.
Verfahrensgang
VG Chemnitz (Urteil vom 13.04.2022; Aktenzeichen 1 K 3297/17) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 13. April 2022 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 21 985,55 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Der Kläger wurde im März 1979 im Testament des im Juli desselben Jahres verstorbenen Dr. H. als dessen Alleinerbe eingesetzt. Das Staatliche Notariat B. stellte einen entsprechenden Erbschein aus, erklärte ihn jedoch 1980 für unwirksam, weil der Erblasser nicht mehr testierfähig gewesen sei. Im Jahr 1981 wurde der Kläger wegen zoll- und devisenrechtlicher Vergehen sowie wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren sowie zu Schadensersatzzahlungen an den Nachlasspfleger des Erblassers verurteilt. Mit Erbschein vom 9. November 1983 stellte das genannte Notariat fest, gesetzlicher Erbe des Dr. H. sei die Deutsche Demokratische Republik, vertreten durch den Rat des Kreises B. Dieser übersandte der Tresorverwaltung bei dem Ministerium der Finanzen Wertsachen aus dem Nachlass des Dr. H. Die Tresorverwaltung teilte dem Kreis Übernahmewerte in Höhe von 4 873,51 M/DDR für Geldscheine und Münzen und von 537 716,50 M/DDR für Schmuck, Edelsteine und Münzen mit.
Rz. 2
Im Jahr 1995 wurde der zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik erteilte Erbschein gerichtlich eingezogen. Im folgenden Jahr wurde der Kläger rechtskräftig strafrechtlich rehabilitiert, soweit er wegen Diebstahlsdelikten verurteilt und deshalb eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren und zwei Monaten Dauer verhängt worden war.
Rz. 3
Auf Antrag des Klägers stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Oktober 2015 fest, dem Kläger stehe eine Entschädigungsleistung unter anderem für den Verlust beweglicher Gegenstände zu, die im Eigentum des Dr. H. gestanden hätten. Der Entschädigungsbetrag sei bezüglich dieser Gegenstände gemäß § 5a Abs. 4 EntschG auf 40 000 DM zu begrenzen.
Rz. 4
Der Kläger hat gegen diesen Bescheid Klage erhoben und beantragt, festzustellen, dass ihm ein gegebenenfalls zu schätzender Anspruch auf Erlösauskehr gemäß § 10 VermG, hilfsweise ein Anspruch auf weitere Entschädigung gemäß § 5 EntschG zustehe. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision hinsichtlich seines Hilfsantrags.
Rz. 5
Die Beschwerde, die einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rügt und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.
Rz. 6
1. Der gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) wegen aktenwidriger und widersprüchlicher Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist nicht substantiiert dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Rz. 7
Eine aktenwidrige Feststellung setzt voraus, dass eine Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung in offensichtlichem Widerspruch zu einer durch Bezugnahme auf die Akten festgestellten Tatsache steht. Der Widerspruch muss zweifelsfrei zu Tage liegen, sodass es keiner weiteren Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts bedarf (BVerwG, Beschlüsse vom 30. Juli 2001 - 4 BN 41.01 - NVwZ 2002, 87 ≪88≫ und vom 28. März 2013 - 4 B 15.12 - juris Rn. 22). Dies legt der Kläger nicht dar. Der von ihm geltend gemachte Widerspruch bezieht sich nicht auf tatsächliche Feststellungen, sondern auf deren Subsumtion unter den Schädigungstatbestand. Der Sache nach rügt er, das Verwaltungsgericht habe nicht allein die Erteilung des Erbscheins im Jahr 1983 als Schädigung einordnen dürfen. Vielmehr habe es wegen der bestandskräftigen, auf unlautere staatliche Machenschaften abstellenden behördlichen Feststellung der Entschädigungsberechtigung von einer mehraktigen Schädigung ausgehen müssen, die erst durch Veräußerung oder Verwertung der Wertgegenstände abgeschlossen worden sei. Abgesehen davon, dass der betreffende Bescheid sich nicht zum Schädigungscharakter der geltend gemachten Veräußerung oder Verwertung äußert, liegt der angebliche Widerspruch nicht in den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, sondern in deren materiell-rechtlicher Würdigung.
Rz. 8
Auch die vermeintliche Missachtung der gerichtlichen Bindung an die Teilbestandskraft des angegriffenen Bescheides ist nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend zu machen. Läge sie vor, wäre sie als Verletzung materiellen revisiblen Rechts einzuordnen. Widersprüchliche, wenn auch nicht aktenwidrige Feststellungen der Vorinstanz zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.
Rz. 9
2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2019 - 8 B 37.18 - ZfWG 2019, 262 Rn. 4). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Rz. 10
Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage,
ob der Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 EntschG auch diejenigen Vorgänge erfasst, in denen der Übernahmewert/Verkaufserlös enteigneter beweglicher Vermögenswerte an den Staatshaushalt abgeführt wurde bzw. hierin ein von § 5 Abs. 1 EntschG erfasster privater geldwerter Anspruch liegt,
ist nicht klärungsbedürftig, denn sie lässt sich ohne Weiteres - verneinend - mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung aus dem Gesetz beantworten.
Rz. 11
§ 5a EntschG regelt die Bemessungsgrundlage der Entschädigung für bewegliche Sachen. Die Höchstsumme der Entschädigung wird in Absatz 4 auf 40 000 Deutsche Mark beschränkt. Die Regelung soll den Gesetzgebungsauftrag gemäß § 9 Abs. 3 VermG a. F. umsetzen. Sie ermöglicht die Entschädigung für den schädigungsbedingten Verlust beweglicher Sachen, die von der Natur der Sache her nicht mehr zurückgegeben werden können und für die eine Erlösauskehr nach § 10 VermG nicht in Betracht kommt (BT-Drs. 14/1932 S. 10 f.).
Rz. 12
Die Neuregelung soll die zuvor bestehende Gesetzeslücke (dazu vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 1998 - 7 C 40.97 - BVerwGE 107, 380) schließen und die Bemessung der Entschädigung für alle beweglichen Sachen erschöpfend regeln (vgl. BT-Drs. 14/1932 S. 10, BVerwG, Urteil vom 17. Juli 2014 - 5 C 20.13 - Buchholz 428.41 § 3 EntschG Nr. 13 Rn. 32). Sie ist auch auf bewegliche Sachen anzuwenden, bei denen davon auszugehen ist, dass sie durch den Bereich "kommerzielle Koordinierung" ins Ausland verkauft wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2000 - 8 C 23.99 - BVerwGE 112, 106 ≪109 f.≫).
Rz. 13
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die wiedergutzumachende Schädigung in der vollständigen und endgültigen Verdrängung des bisherigen Eigentümers aus seinem Eigentum liegt. Geklärt ist weiter, dass die faktische Enteignung beweglicher Sachen bereits mit deren Zuführung zu den Finanzbehörden zur weiteren Verwendung eingetreten ist, selbst wenn Nachweise für eine anschließende wirtschaftliche Verwertung fehlen (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2000 - 8 C 23.99 - BVerwGE 112, 106 ≪108≫). Gegenstand der Schädigung sind nämlich auch bei späterer Verwertung die beweglichen Sachen selbst, sodass - mangels Erlösauskehransprüchen gemäß § 10 VermG - nur eine nach § 5a EntschG zu bemessende Entschädigung verlangt werden kann.
Rz. 14
Die gegenteilige Auffassung, bei Verwertung der enteigneten Sachen richte die Entschädigungsbemessung sich nicht nach § 5a EntschG, sondern nach § 5 EntschG, findet im Gesetz keine Grundlage. Sie widerspricht dem Wortlaut und der Systematik beider Vorschriften. Diese differenzieren klar und eindeutig nach dem Schädigungsobjekt, beschränken den Anwendungsbereich des § 5 EntschG auf die Entziehung von Ansprüchen und bestimmen die Entschädigungsbemessung bei beweglichen Sachen nach deren umgestellten Wert im Zeitpunkt ihrer Entziehung. Der in den Gesetzesmaterialien dokumentierte Regelungszweck rechtfertigt keine andere Abgrenzung der Anwendungsbereiche. Mit § 5a EntschG wollte der Gesetzgeber die Entschädigungsbemessung für bewegliche Sachen regeln, für die kein Erlösauskehranspruch nach § 10 VermG bestand und die nicht bereits Gegenstand der Unternehmensrestitution oder -entschädigung waren. Die neue Vorschrift sollte die zuvor insoweit bestehende, in der Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 19. November 1998 - 7 C 40.97 - BVerwGE 107, 380 ≪384≫) benannte Gesetzeslücke vollständig schließen (vgl. BT-Drs. 14/1932 S. 10; BVerwG, Urteil vom 17. Juli 2014 - 5 C 20.13 - Buchholz 428.41 § 3 EntschG Nr. 13 Rn. 32). Dem widerspräche es, zuvor in diese Lücke fallende und nun vom Tatbestand des § 5a EntschG erfasste bewegliche Sachen aus dessen Anwendungsbereich herauszunehmen. Ebenso wenig lässt sich die Anwendung des § 5 EntschG auf diese Sachen erstrecken. Die Voraussetzungen einer Analogie liegen schon mangels verbliebener Lücke nicht vor.
Rz. 15
Die vom Kläger befürwortete Auslegung lässt sich schließlich nicht damit rechtfertigen, in den Fällen der Verwertung oder Veräußerung beweglicher Sachen seien der Übernahmewert oder der Veräußerungserlös als Forderung im Sinne des § 5 EntschG zu entschädigen oder einer solchen Forderung gleichzustellen. Das Verwertungsschicksal der Sachen ändert nichts daran, dass Gegenstand der Entziehung die Sachen selbst und nicht später dafür gebuchte Übernahmewerte oder Erlöse waren. Die unter Verweis auf die Gemeinsame Arbeitshilfe des Bundesministeriums der Finanzen, des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen und der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zum Entschädigungsgesetz und Ausgleichsleistungsgesetz (Stand: November 2011) aufgeworfene Frage, ob Abweichendes gelte, wenn Erlöse aus der Verwertung beweglicher Sachen, die an den Staatshaushalt abgeführt wurden, nachgewiesen worden seien, würde sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Nach den nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen und damit den Senat bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegt kein solcher Nachweis vor. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Entschädigungsbemessung gemäß § 5a EntschG sind zu Recht nicht geltend gemacht. Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht berührt (BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 u. a. - BVerfGE 102, 254 ≪297≫ m. w. N.). Die Vorschrift ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber auf dem Gebiet der Wiedergutmachung ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zukommt, der durch § 5a EntschG willkürfrei ausgefüllt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juli 2014 - 5 C 20.13 - Buchholz 428.41 § 3 EntschG Nr. 13 Rn. 37).
Rz. 16
Sollte der Kläger mit seinen Erwägungen zum Übernahmewert sinngemäß die Frage aufwerfen, ob dessen Ausweisung als Veräußerungserlös im Sinne des § 10 VermG anzusehen ist, käme es darauf im angestrebten Revisionsverfahren nicht an. Dort wäre wegen der Teilrechtskraft der angegriffenen Entscheidung davon auszugehen, dass dem Kläger kein Erlösauskehranspruch nach § 10 VermG zusteht. Die Nichtzulassungsbeschwerde richtet sich nicht gegen die Abweisung des entsprechenden Hauptantrags, sondern ist ausdrücklich auf die Abweisung des auf § 5 EntschG gestützten Hilfsantrags beschränkt.
Rz. 17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten des Bevollmächtigten der Beklagten ist im Verfahren der Kostenfestsetzung zu prüfen. Bei der vorliegend zu treffenden Kostengrundentscheidung ist allein die Verteilung der Kostenlast dem Grunde nach auszusprechen, ohne dass hierdurch die Erstattungsfähigkeit einzelner Kostenpositionen präjudiziert wäre.
Rz. 18
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 3 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 15826248 |
JZ 2023, 709 |
LKV 2023, 315 |