Entscheidungsstichwort (Thema)
Normenkontrollverfahren. Antragsbefugnis. Eigentumsverletzung. Grundeigentum. Nachbargrundstück. Ortsrandlage. Aussichtslage
Leitsatz (amtlich)
Die Befugnis des Grundstückseigentümers gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wegen einer möglichen Verletzung seines Eigentums die Feststellung der Nichtigkeit eines Bebauungsplans im Normenkontrollverfahren zu beantragen, hat seinen Grund darin, dass der Bebauungsplan mit seinen Festsetzungen die zulässige Nutzung des Grundstücks und damit im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmt (stRspr des beschließenden Senats, vgl. Beschluss vom 7. Juli 1997 – BVerwG 4 BN 11.97 – Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 22; Beschluss vom 10. März 1998 – BVerwG 4 CN 6.97 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 123).
Die Belegenheit eines Grundstücks im Geltungsbereich eines (Änderungs-)Bebauungsplans allein begründet die Antragsbefugnis nicht. Eine Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO macht deshalb nicht geltend, wer vorträgt, sein Grundstück hätte ohne Änderung der für dieses geltenden Festsetzungen in den Geltungsbereich eines – die zulässige Nutzung anderer Grundstücke regelnden – Änderungsbebauungsplans einbezogen werden müssen.
Der Umstand allein, dass ein bisher unbebautes Grundstück künftig bebaut werden darf, macht das Interesse des Nachbarn an der Erhaltung dieses Zustandes, z.B. wegen der Ortsrand- und Aussichtslage, noch nicht zu einem abwägungserheblichen Belang mit der Folge, dass damit die Verletzung des Rechts auf gerechte Abwägung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO geltend gemacht werden könnte (im Anschluss an Urteil vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215).
Normenkette
BauGB § 1 Abs. 6; VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 11.05.2000; Aktenzeichen 3 S 690/99) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, die Revision gegen sein Urteil vom 11. Mai 2000 nicht zuzulassen, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan „Helenenburgweg II, 2. Änderung” der Antragsgegnerin. Der Bebauungsplan ergänzt den Bebauungsplan „Helenenburgweg II, 1. Änderung” und setzt im Wesentlichen ein einzelnes Wohngrundstück fest. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Helenenburgweg II, 1. Änderung” liegt das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück der Antragsteller. Es grenzt unmittelbar an das neue Plangebiet und bildete bisher den Abschluss der südlichen Baureihe am Ortsrand.
Der Normenkonrollantrag wurde als unzulässig abgewiesen, weil den Antragstellern die erforderliche Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO (in der Fassung des 6. VwGOÄndG) fehle. Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Sie zeigt keinen Grund auf, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte. Soweit die von ihr als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Fragen für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblich sind, sind sie bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Der geltend gemachte Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz liegt nicht vor.
1. Die Beschwerde möchte geklärt wissen, ob „die für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. erforderliche Möglichkeit einer Rechtsverletzung in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ausgeschlossen (ist), wenn das dem Plangebiet unmittelbar benachbarte Grundstück der Antragsteller nicht im Geltungsbereich des angegriffenen Bebauungsplans liegt, auch wenn der Bebauungsplan angesichts seines Geltungsbereichs und seiner Bedeutung faktisch nur eine Erweiterung des schon bestehenden Bebauungsplangebiets ist, in dem sich das Grundstück der Antragsteller befindet, die planende Gemeinde also mit der Neuabgrenzung die Änderung des bisherigen Bebauungsplans umgangen hat”. Mit dieser Frage bezieht sich die Beschwerde auf den Begründungssatz im Normenkontrollurteil, eine mögliche Rechtsverletzung könne sich nicht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben, weil das Grundstück der Antragsteller nicht im Geltungsbereich des streitigen Änderungsplans liege. Die Beschwerde macht sinngemäß geltend, bei einer korrekten Abgrenzung des Plangebiets müsste der Geltungsbereich des streitigen 2. Änderungsplans in den bestehenden Plan, in dessen Geltungsbereich das Grundstück der Antragsteller liegt, einbezogen werden. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die formulierte Frage eingeschränkt zu verstehen ist; geklärt werden soll nur, ob der Eigentümer eines außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans gelegenen Grundstücks unter bestimmten Umständen wie ein Eigentümer eines Grundstücks innerhalb des Plangebiets antragsbefugt nach § 47 Abs. 2 VwGO sein kann.
Diese Frage ist ohne weiteres zu verneinen. Sie beruht nämlich auf der unzutreffenden Prämisse, dass jeder Eigentümer eines Grundstücks im Geltungsbereich eines Bebauungsplans jede Festsetzung dieses Plans im Normenkontrollverfahren angreifen kann. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Antragsbefugnis wegen einer möglichen Eigentumsverletzung jedoch regelmäßig nur zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft (BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 1997 – BVerwG 4 BN 11.97 – Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 22 = NVwZ-RR 1998, 416 – ZfBR 1997, 314; Urteil vom 10. März 1998 – BVerwG 4 CN 6.97 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 123 = NVwZ 1998, 732 = ZfBR 1998, 205). In diesem Fall kann der Eigentümer die Festsetzung gerichtlich überprüfen lassen, weil eine planerische Festsetzung den Inhalt seines Grundeigentums bestimmt; die (potenzielle) Rechtswidrigkeit eines derartigen normativen Eingriffs braucht der Eigentümer nicht hinzunehmen. Die Belegenheit eines Grundstücks innerhalb oder außerhalb des Plangebiets entscheidet also nicht allein über die Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren; vielmehr ist maßgebend, dass der Bebauungsplan planerische Festsetzungen für das Grundstück enthält und dass sich der Eigentümer des Grundstücks durch sie beschwert fühlt. Im vorliegenden Fall mag gestritten werden können, ob die so genannte 2. Planänderung als ein kleiner selbständiger Bebauungsplan erlassen werden durfte, oder ob das Plangebiet in den Ursprungsplan hätte aufgenommen werden müssen. In beiden Fällen bliebe das Grundstück der Antragsteller jedoch von den neuen Festsetzungen unberührt, so dass eine Verletzung ihres Grundeigentums in dem geschilderten Sinne ausgeschlossen ist. Die Festsetzungen für das Grundstück der Antragsteller – also die Festsetzungen, die den Inhalt ihres Grundeigentums bestimmen – sind bereits in dem früheren Bebauungsplan getroffen worden; dieser Plan ist nicht Gegenstand des vorliegenden Normenkontrollverfahrens; durch seine Festsetzungen fühlen sich die Antragsteller auch nicht beschwert.
Der Frage, ob ein Grundstückseigentümer auch durch Festsetzungen auf einem Nachbargrundstück in seinem Eigentum verletzt sein kann, braucht nicht nachgegangen zu werden. Denn die – neben der Antragsbefugnis wegen möglicher Eigentumsverletzung in Betracht kommende – Antragsbefugnis wegen einer möglichen Verletzung des Abwägungsgebotes reicht in jedem Fall weiter; abwägungsbeachtlich sind nämlich nicht nur subjektive Rechte, sondern darüber hinaus auch bestimmte Interessen. Auch das Normenkontrollgericht durfte sich deshalb auf die Prüfung beschränken, ob eine Verletzung des Abwägungsgebots zu Lasten der Antragsteller möglich sei.
2. Ebenfalls nicht mehr grundsätzlich klärungsbedürftig sind die beiden Fragen nach den Voraussetzungen der Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO wegen möglicher Verletzung des Abwägungsgebots. Wie auch die Beschwerde nicht verkennt, hat der Senat mit Urteil vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – (BVerwGE 107, 215 – DVBl 1999, 100) entschieden, dass das in § 1 Abs. 6 BauGB enthaltene Abwägungsgebot hinsichtlich solcher privater Belange drittschützenden Charakter hat, die für die Abwägung erheblich sind. Das bedeutet, dass antragsbefugt ist, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat.
Der Senat hat in dieser Entscheidung ferner darauf hingewiesen, dass nicht jeder private Belang für die Abwägung erheblich ist, sondern nur solche, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulichen Bezug haben. Insoweit könne auf die Rechtsprechung zum Nachteilsbegriff nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. zurückgegriffen werden. Diese auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 1979 – BVerwG 4 N 1.78, 2 – 4.79 – (BVerwGE 59, 87) zurückgehende Rechtsprechung wird dann zusammenfassend referiert: Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Bebauungsplan nicht erkennbar waren (BVerwGE 107, 215 ≪219≫).
Demgegenüber macht die Beschwerde geltend, klärungsbedürftig sei, ob die Abwägungserheblichkeit eines privaten Belanges zusätzlich davon abhänge, dass „die Betroffenheit dieser Belange ‚zudem’ auch noch mehr als geringfügig, in ihrem Eintritt zumindest wahrscheinlich und für die planende Stelle bei der Entscheidung über den Plan als abwägungserheblich erkennbar” sei. Zur Klärung dieser Frage bedarf es jedoch keines Revisionsverfahrens. Die Gemeinde kann und muss bei der Aufstellung eines Bebauungsplans nicht jeden in Betracht kommenden privaten Belang in ihrer Abwägung berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats sind insbesondere geringfügige und für die Gemeinde mangels entsprechender Hinweise der betroffenen Grundstückseigentümer nicht erkennbare negative Auswirkungen der Beplanung auf Nachbargrundstücke nicht abwägungserheblich (vgl. BVerwGE 59, 87 ≪103≫). Diese Rechtsprechung gilt weiter; die Änderung der prozessrechtlichen Vorschrift des § 47 Abs. 2 VwGO ist für sie ohne Bedeutung, weil sie § 1 Abs. 6 BauGB und damit das materielle Recht betrifft.
Wann ein privater Belang so stark betroffen wird, dass er im Rahmen der Abwägung von der Gemeinde besonders beachtet werden muss, lässt sich dagegen nicht allgemeinverbindlich festlegen. Das gilt auch für den von den Antragstellern hier geltend gemachten privaten Belang der Erhaltung einer besonderen Aussichts- und Ortsrandlage. Der Umstand allein, dass ein bisher unbebautes Grundstück künftig bebaut werden darf, macht das Interesse des Nachbarn an der Erhaltung des bisherigen Zustandes jedenfalls noch nicht zu einem abwägungserheblichen Belang. Wann die Schwelle zur Abwägungserheblichkeit überschritten wird und wann deshalb auch eine Verletzung des Abwägungsgebotes zu Lasten des Nachbarn möglich ist, ist dagegen eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Ihr fehlt nicht nur die grundsätzliche Bedeutung, die nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Voraussetzung für die Revisionszulassung wäre; sie unterliegt auch weitgehend der tatrichterlichen Beurteilung durch das Normenkontrollgericht.
3. Die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist unbegründet. Das Normenkontrollgericht war nicht verpflichtet, von Amts wegen eine Ortsbesichtigung durchzuführen.
Die Beschwerde macht geltend, das Normenkontrollgericht hätte die Feststellung, die Antragsteller hätten sich die Aussicht selbst durch die Anlegung einer hohen Hecke genommen, nicht ohne Einnahme eines Augenscheins treffen dürfen. Dem ist nicht zu folgen. Es ist schon zweifelhaft, ob diese Feststellung überhaupt entscheidungstragend ist. Das Normenkontrollgericht führt aus, eine besonders schutzwürdige Aussichtslage in Richtung Westen sei „weder dargetan noch ersichtlich, abgesehen davon, dass sich die Antragsteller nach Westen hin durch die Anlegung einer hohen Hecke selbst die Aussicht genommen haben” (Urteil, S. 10 f.). Das kann so zu verstehen sein, dass eine – nach der materiellrechtlichen Auffassung des Normenkontrollgerichts erforderliche – „besondere Aussichtslage” nicht vorhanden ist, so dass es auf die Hecke nicht mehr ankommen würde.
Aber selbst wenn die Hecke und die durch sie bedingte Beeinträchtigung der Aussicht für das Normenkontrollgericht von entscheidungstragender Bedeutung gewesen sein sollte, musste es hier keine Ortsbesichtung durchführen. Denn die Antragsteller haben einen derartigen Beweisantrag nicht gestellt. Die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme von Amts wegen musste sich dem Normenkontrollgericht hier schon deshalb nicht aufdrängen, weil ihm Fotografien der Hecke vorlagen. Es wäre Sache der Antragsteller gewesen, einen Beweisantrag zu stellen, wenn sie diese von der Antragsgegnerin, aber auch von ihnen selbst vorgelegten Fotografien für nicht aussagekräftig angesehen haben. Die Rüge, dass der Sachverhalt nicht von Amts wegen erschöpfend aufgeklärt worden sei, kann nicht dazu dienen, Beweisanträge zu ersetzen, welche ein Beteiligter selbst zumutbarerweise hätte stellen können, aber zu stellen unterlassen hat (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1978 – BVerwG 3 B 6.78 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 116).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Heeren
Fundstellen
NJW 2001, 314 |
BauR 2000, 1834 |
NVwZ 2000, 1413 |
IBR 2000, 559 |
DÖV 2001, 43 |
NuR 2001, 44 |
ZfBR 2000, 564 |
BRS 2000, 249 |
DVBl. 2000, 1881 |
UPR 2000, 465 |
FSt 2001, 535 |