Verfahrensgang
VG Köln (Aktenzeichen 8 K 8343/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 9. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 090 Euro (entspricht 8 000 DM) festgesetzt.
Gründe
Die auf Grundsatz- (1.) und Verfahrensrügen (2.) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist unbegründet, und zwar sowohl hinsichtlich des die Zusicherung (a) als auch hinsichtlich des die Offenbarung von Gewissensgründen (b) betreffenden Vorbringens.
a) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob eine Behörde nach Zuständigkeitswechsel im Verfahren – hier: zunächst Kreiswehrersatzamt, dann Bundesamt für den Zivildienst – an eine von der zuvor zuständigen Behörde gegebene Zusicherung gebunden ist, kann die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits nicht rechtfertigen. Es liegt nämlich keine Zusicherung (§ 38 Abs. 1 VwVfG) vor, an welche die von der Beschwerde unterstellte Rechtsfolge im Falle des Zuständigkeitsüberganges anknüpfen könnte. Die aufgeworfene Frage würde sich daher in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen.
Wie der Kläger bereits in seiner Klagebegründung vor dem Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, ist dem Kreiswehrersatzamt in seinem Schreiben vom 7. Februar 2000 an ihn ein Fehler bei der Beschreibung der weiteren Behandlung seines Antrags auf Kriegsdienstverweigerung unterlaufen. Als er seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung am 12. November 1999 stellte, war der Musterungsbescheid vom 1. März 1996 schon bestandskräftig, so dass sein Antrag vom 12. November 1999 auf „Nachmusterung” eine Tauglichkeitsüberprüfung auslöste und kein Musterungsverfahren. Daher war die Mitteilung des Kreiswehrersatzamtes, dass der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nach Abschluss des Musterungsverfahrens an das Bundesamt für Zivildienst weitergeleitet werde, unzutreffend; denn die dieser Einschätzung zugrunde liegende Vorschrift des § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG bezieht sich nur auf die Zeit vor Bestandskraft des Musterungsbescheides, nicht aber auf die Zeit vor der Bestandskraft eines Bescheides nach Tauglichkeitsüberprüfung. Die aus der vorgenannten Rechtsvorschrift folgende sog. Nachrangigkeit des Verfahrens auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer endet nämlich mit der Bestandskraft des Musterungsbescheides (Urteil vom 8. September 1999 – BVerwG 6 C 16.98 – Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 20).
Da das Schreiben des Kreiswehrersatzamtes offenkundig auf einer irrigen Anwendung des § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG beruht, kann ihm entgegen der Rechtsauffassung des Klägers keine dem Erlass des angefochtenen Bescheids vom 6. September 2000 entgegenstehende Zusicherung entnommen werden. Unter einer Zusicherung versteht das Gesetz die Zusage der Behörde, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (§ 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Die Zusicherung setzt eine Erklärung der Behörde mit erkennbarem Rechtsbindungswillen voraus; eine Auskunft über die Rechtslage oder die bloße Ankündigung der Behörde, sich künftig in bestimmter Weise verhalten zu wollen, reicht für die Annahme einer Zusicherung nicht aus. Das Schreiben des Kreiswehrersatzamtes an den Kläger vom 7. Februar 2000 lässt nicht den Willen der Behörde erkennen, sich gegenüber dem Kläger rechtlich zu binden. Vielmehr deutet es, da darin fälschlich von dem bevorstehenden Abschluss „des Musterungsverfahrens” die Rede ist, lediglich darauf hin, dass das Kreiswehrersatzamt bei seiner Abfassung den bestandskräftigen Musterungsbescheid vom 1. März 1996 übersehen und deshalb einen für den Antrag des Klägers nicht zutreffenden vorformulierten Text verwendet hat. Selbst wenn das Kreiswehrersatzamt das Schreiben vom 7. Februar 2000 in Kenntnis des Bescheides vom 1. März 1996 abgefasst und darüber hinaus angenommen haben sollte, § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG sei im Verfahren der Tauglichkeitsüberprüfung entsprechend anzuwenden, hätte es gegenüber dem Kläger keine rechtsverbindliche Zusicherung abgegeben. Denn auch unter dieser Voraussetzung kann dem Schreiben nicht mehr als die Mitteilung entnommen werden, dass die Behörde mit dem Antrag des Klägers auf Kriegsdienstverweigerung gemäß § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG zu verfahren gedachte. Für eine weitergehende behördliche Erklärung mit Rechtsbindungswillen bestand nach Lage der Dinge kein Anlass.
b) Die Revision kann auch nicht zur Klärung der Frage zugelassen werden, „ob Art. 4 Abs. 1 GG – allein oder in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw. dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – einem Wehrpflichtigen, der einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt hat, das Recht gibt, seine höchstpersönlichen Daten, insbesondere seine Gewissensentscheidung, daneben auch Lebenslauf und Führungszeugnis, erst dann ihm fremden dritten Behördenmitarbeitern zu offenbaren, wenn dies – nach Klärung sonstiger, z.B. gesundheitlicher Aspekte – unumgänglich ist, um eine für den Wehrpflichtigen aus Gewissensgründung untragbare Einberufung zum Wehrdienst zu vermeiden”. Die entsprechende Frage ist für den Schutzbereich von Art. 4 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das sog. Recht auf informationelle Selbstbestimmung bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) beantwortet worden (aa) und ist für die im Vergleich zu Art. 4 Abs. 3 GG weniger spezielle Regelung über die Gewissensfreiheit in Art. 4 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht anders zu beurteilen (bb).
aa) Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits festgestellt, die Auffassung, dass die Verfassung den Wehrpflichtigen davor schütze, seine Gewissensgründe für die Kriegsdienstverweigerung zu offenbaren, bis mit Gewissheit feststehe, dass er sich nicht auf eine Wehrdienstausnahme berufen könne, ihn also davor schütze, seine Gewissensgründe in diesem Sinne „ohne Not” zu offenbaren, treffe in dieser Allgemeinheit nicht zu. Die Verfassung gebietet weder direkt noch in verfassungskonformer Auslegung des § 13 Abs. 3 KDVG, dass der bestandskräftig Gemusterte durch Anträge, welche die Entscheidung des Musterungsverfahrens ändern sollen bzw. mit denen die eigene Tauglichkeit erneut überprüft werden soll, den Aufschub der Anerkennungsentscheidung erreichen kann, nur um sich sogar die Vorlage der gesetzlich vorgeschriebenen Antragsunterlagen zu ersparen (a.a.O. S. 4).
Anderes ergibt sich weder aus dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung noch aus Art. 4 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Denn das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung überlässt es nicht der Entscheidung des Kriegsdienstverweigerers, wann er – ohne seine Anerkennung zu gefährden – die für die Anerkennung erforderlichen Unterlagen beibringt. Im Gegenteil setzt das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen aus Art. 4 Abs. 3 GG die Offenbarung dieser Gewissensgründe geradezu voraus (BVerwG a.a.O. S. 5). Auch Art. 4 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewährt dem Kläger keinen Anspruch auf Aussetzung des Anerkennungsverfahrens. Das Grundrecht unterscheidet nämlich nicht zwischen denjenigen, für die eine Wehrdienstausnahme eingreift oder eingreifen könnte und den anderen, bei denen dies nicht der Fall ist (BVerwG a.a.O. S. 6). Das Anerkennungsverfahren hat u.a. die Funktion, dass sich die zuständigen staatlichen Stellen davon überzeugen, ob mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass die Verweigerung des Wehrpflichtigen auf einer durch Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Gewissensentscheidung beruht. Insoweit hat das Anerkennungsverfahren dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu entsprechen. Dieser fordert, dass der antragstellende Wehrpflichtige nicht stärker belastet werden darf, als dies zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Die Mittel, die das Gesetz verwendet, müssen geeignet sein, den angestrebten Zweck zu erreichen (BVerfGE 69, 1, 35). Auch insoweit begegnet es aber keinen Bedenken, dass ab Bestandskraft des Musterungsbescheides dem Wehrpflichtigen regelmäßig zugemutet wird, das Anerkennungsverfahren, das er selbst durch einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in Gang gesetzt hat, durch Vorlage der nach § 2 Abs. 2 Satz 3 KDVG geforderten Anlagen zu betreiben (BVerwG a.a.O. S. 7). Darüber hinaus ist das Musterungsverfahren die entscheidende Grundlage für die Personalplanung der Bundeswehr. Spätestens ab dessen unanfechtbarem Abschluss ist dem Kriegsdienstverweigerer eine Vervollständigung seines Antrags durch Vorlage seiner persönlichen Daten und Darlegung der Beweggründe seiner Gewissensentscheidung auch zuzumuten. Denn es liegt in seiner Hand, berechtigte Einwände gegen den Musterungsbescheid so rechtzeitig vorzubringen, dass dieser nicht wirksam wird. Soweit hierin eine Belastung des Kriegsdienstverweigerers liegt, ist dieser angesichts der damit verbundenen rechtlichen Vorteile eher gering. Denn § 3 Abs. 2 Satz 1 KDVG schützt ihn vor einer Einberufung, bis sein Antrag unanfechtbar und rechtskräftig abgelehnt ist. Kommt es dem Kriegsdienstverweigerer aber in atypischer Weise allein und entscheidend darauf an, die Beweggründe für seine Gewissensentscheidung nicht eher preiszugeben, bevor nicht mit Sicherheit feststeht, dass er dem bestandskräftigen Musterungsbescheid entsprechend weiterhin wehrdienstfähig ist, so ist ihm zuzumuten, dass er das Verfahren der Rücknahme seines Antrags und der späteren Stellung eines Zweitantrags wählt, auch wenn ein Zweitantrag mit Erschwernissen und insbesondere mit dem Verlust der Wohltat des § 3 Abs. 2 Satz 1 KDVG verbunden ist (BVerwG a.a.O. S. 7).
bb) Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Art. 4 Abs. 3 GG) ist die gegenüber dem Grundrecht auf Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) speziellere Vorschrift. Durch Art. 4 Abs. 1 GG wird die Unverletzlichkeit des Gewissens und die Freiheit, nach dessen bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfahrenen Geboten handeln zu dürfen, garantiert, und durch Art. 4 Abs. 3 GG wird – daran anknüpfend – selbst in ersten Konfliktlagen, in denen der Staat seine Bürger besonders fordert, dem Schutz des freien Gewissens des Einzelnen der Vorrang eingeräumt. Dementsprechend trifft das voranstehend zu Art. 4 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Ausgeführte allemal auch in Anbetracht der im Vergleich dazu allgemeineren Regelung über die Gewissensfreiheit zu. Demnach wird dem Kläger äußerstenfalls zugemutet, unter Inkaufnahme gewisser Nachteile das Verfahren der Rücknahme seines Antrags auf Kriegsdienstverweigerung und der späteren Stellung eines Zweitantrags zu wählen, um sich der früheren Preisgabe seiner Gewissensgründe zu entziehen.
2. Der Kläger sieht einen Verfahrensmangel in der Form der Verletzung der Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) darin, dass das Verwaltungsgericht kein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt hat, „ob Wehrpflichtige, bei denen parallel ein Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren und ein KDV-Verfahren anhängig ist, primär ihre generelle Verfügbarkeit geklärt haben wollen oder primär an der Entscheidung über den KDV-Antrag interessiert sind”. Nach Ansicht des Klägers hätte das Gutachten ergeben, „dass jedenfalls über 95 % aller Wehrpflichtigen mit dieser Fallkonstellation primär wissen wollen, ob sie generell verfügbar sind oder nicht, und diese damit die Gruppe typischer Wehrpflichtiger verkörpern”.
Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg, weil die zur Begutachtung gestellte Frage eine Rechtsfrage ist, für deren Beantwortung das Gericht selbst zuständig ist.
Wie der Kläger selbst ausführt, richtet sich seine Verfahrensrüge der Sache nach gegen die im zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O. S. 6) enthaltene Erwägung, eine dem § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG entsprechende Regelung für die Fälle nach Bestandskraft des Musterungsbescheides würde es (zudem) ermöglichen, den Verfahrensgang immer aufs Neue zu blockieren, und entspräche schließlich auch nicht dem typischen Interesse der Wehrpflichtigen. Denn dieser solle nicht länger als erforderlich in der Ungewissheit leben, ob er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werde; nur wenn er hierüber Gewissheit habe, könne er seine weitere Lebensplanung darauf einstellen. Diese vom Verwaltungsgericht übernommenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts betreffen nicht die Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, sondern dienen der Erläuterung der Regelung in § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG, wonach die Entscheidung über den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nur für die Dauer des Musterungsverfahrens zurückgestellt wird, und der Abschätzung der Folgen dieser Regelung für die Wehrpflichtigen. Es handelt sich demnach um eine Frage der Rechtsanwendung, die einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist. Die Bewertung der von einer gesetzlichen Regelung betroffenen Interessen obliegt allein dem Gericht, das hierbei keiner Unterstützung durch einen Sachverständigen bedarf.
Soweit der Kläger darüber hinaus eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, ist sein Vorbringen mangels näherer Bezeichnung des gerügten Verfahrensmangels (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) bereits unzulässig.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F., § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Graulich
Fundstellen