Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 15.03.2004; Aktenzeichen 12 UE 1326/03.A) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. März 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die Beschwerde, die sich auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) stützt, bleibt ohne Erfolg.
Sie rügt als Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft am Schluss der Sitzung nicht nur über die unbedingt gestellten Beweisanträge der Kläger entschieden, sondern zusätzlich ein “Schlussurteil” verkündet. Hiermit hätten die Kläger nicht rechnen können. Dadurch sei es ihnen unmöglich gemacht worden, an der Verkündung der Entscheidung über die Beweisanträge teilzunehmen und auf die erfolgte Ablehnung zu reagieren. Mit diesem Vorbringen ist eine Gehörsverletzung nicht in einer Weise bezeichnet, die den gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht. Allerdings muss der zu begründende Beschluss über die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten unbedingten Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO den Beteiligten so eröffnet werden, dass sie noch die Möglichkeit haben, sich vor der abschließenden Entscheidung hierzu zu äußern. Denn Sinn und Zweck der Regelung ist es, dem Antragsteller Gelegenheit zu geben, sich auf die durch die Ablehnung entstandene Verfahrenslage einzustellen (vgl. Geiger in Eyermann, VwGO, 11. Auflage § 86 Rn. 31 u.a. unter Hinweis auf Urteil vom 11. April 1986 – BVerwG 4 C 57.82 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 29). Es ist daher insbesondere unzulässig, den Beschluss gleichzeitig mit dem Urteil zu verkünden. Das Berufungsgericht hätte daher am Schluss der Sitzung nicht sowohl den Ablehnungsbeschluss nach § 86 Abs. 2 VwGO als auch – nach kurzer Unterbrechung – das Urteil verkünden dürfen, ohne den Klägern Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Gleichwohl hat die Beschwerde mit dieser Rüge keinen Erfolg. Denn sie legt nicht, wie dies bei einer derartigen Gehörsrüge regelmäßig erforderlich ist, hinreichend dar, was die Kläger bei ausreichender Gehörsgewährung nach Ablehnung ihrer Beweisanträge mit den aus dem Berufungsurteil ersichtlichen Gründen noch vorgetragen hätten, etwa welche weiteren Beweisanträge sie ergänzend gestellt hätten und inwiefern dieser weitere Vortrag ihrer Klage hätte zum Erfolg verhelfen können (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 und vom 13. Dezember 2002 – BVerwG 1 B 95.02 – Buchholz a.a.O. Nr. 67). Ihr pauschaler Hinweis, sie hätten “fehlende Substanziierung nachgebessert, Entscheidungserheblichkeit aufgezeigt bzw. im Rahmen von Gegenvorstellungen offenkundige Missverständnisse bei der Interpretation von Erkenntnisquellen beseitigt”, genügt diesen Anforderungen nicht. Soweit die Beschwerde unter Berufung auf § 138 VwGO darüber hinaus rügt, das Berufungsgericht habe nach Verkündung des ablehnenden Beschlusses am Schluss der Sitzung die mündliche Verhandlung trotz Abwesenheit der nicht ordnungsgemäß geladenen Kläger und ihrer Prozessbevollmächtigten fortgesetzt und damit zugleich gegen das Gebot der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung und den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen (§ 138 Nr. 4 und 5 VwGO), verkennt sie, dass das Berufungsgericht ausweislich des Sitzungsprotokolls am Schluss der Sitzung nicht erneut in die mündliche Verhandlung eingetreten ist, sondern lediglich den Beschluss über die Ablehnung der Beweisanträge und kurz darauf das Urteil verkündet hat. Insoweit besteht hier kein wesentlicher Unterschied zu dem in der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entschiedenen Fall der gleichzeitigen Verkündung von Ablehnungsbeschluss und Urteil.
Die Beschwerde rügt ferner als Gehörsverletzung, das Berufungsgericht habe in mehreren Zusammenhängen widersprüchlich argumentiert und fehlerhafte Schlussfolgerungen aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen getroffen. Die Kläger hätten hiermit nicht rechnen können. Deshalb sei gegen ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen worden. In Wahrheit greift die Beschwerde mit ihren Ausführungen die dem Tatrichter vorbehaltene Sachverhalts- und Beweiswürdigung an. Sie verkennt hierbei, dass etwaige Mängel der Beweiswürdigung und der richterlichen Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzurechnen sind (stRspr; vgl. Beschluss vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 m.w.N.). Etwas anderes mag allenfalls bei einer von Willkür geprägten Beweiswürdigung, etwa bei offensichtlich widersprüchlichen oder aktenwidrigen Feststellungen sowie bei Verstößen gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze gelten. Dass die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an derartigen Fehlern leidet, zeigt die Beschwerde indes nicht auf. Soweit die Beschwerde sich auf die exilpolitischen Betätigungen der Kläger in Deutschland, insbesondere auf die Solidaritätsaktionen zugunsten der Hungerstreiks von Gefangenen in türkischen Haftanstalten bezieht, geht sie nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht zwischen politischen Betätigungen in der Türkei und in Deutschland unterschieden hat. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich – im Sinne der Beschwerde – angenommen, dass derartige Solidaritätsaktionen strafrechtlich relevant sein können, sofern sie in der Türkei stattgefunden haben. Es gebe allerdings keine Erkenntnisse, dass türkische Staatsangehörige, die sich im Ausland an solchen Sympathieveranstaltungen beteiligt hätten, in der Türkei mit Strafverfahren oder anderen Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätten (UA S. 39). Vor dem Hintergrund dieser differenzierenden Erwägungen, die im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung durchaus plausibel erscheinen, sind die Beanstandungen der Beschwerde nicht nachvollziehbar. Von einer willkürhaften Beweiswürdigung kann jedenfalls keine Rede sein. Entsprechendes gilt für den Vorwurf, das Berufungsgericht habe hinsichtlich der Frage von Präzedenzfällen Schlüsse gezogen, die insbesondere mit den von den Klägern vorgelegten Erkenntnismitteln nicht vereinbar seien. Das Berufungsgericht hat seine Annahme, dass es keine tragfähigen Hinweise auf derartige Präzedenzfälle gebe, sorgfältig und detailliert begründet (UA S. 40 ff.). Die Beschwerde macht im Kern geltend, das Berufungsgericht hätte andere Schlüsse ziehen müssen. Ein willkürliches Vorgehen des Berufungsgerichts wird jedoch nicht im Ansatz benannt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Der weitere Vorwurf, das Berufungsgericht habe aus seiner Feststellung, dass sich türkische Behörden im Zusammenhang mit den exilpolitischen Aktivitäten der Kläger nicht an deren Verwandte in der Türkei gewandt hätten, fehlerhafte Schlussfolgerungen gezogen, greift ebenfalls nicht durch. Von allem anderen abgesehen hat das Berufungsgericht aus dieser Feststellung nicht geschlossen, dass die Kläger “verfolgungsfrei in die Türkei zurückkehren könnten”. Es hat die Feststellung lediglich als Beleg dafür gewertet, es gebe auch von daher keine Hinweise darauf, dass die Kläger in der Türkei mit konkreten Ermittlungen rechnen müssten (UA S. 39 f.). Auch diese Erwägung kann nicht als willkürhafte Schlussfolgerung beurteilt werden.
Soweit die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe Beweisanträge der Kläger abgelehnt, wird nicht deutlich, was die Beschwerde im Einzelnen beanstanden will. Sie setzt sich mit der Begründung des Gerichts für dessen Ablehnung der Anträge nicht auseinander und geht auch nicht darauf ein, ob die Ablehnung vom Prozessrecht gedeckt ist oder nicht. Sie moniert, das Berufungsgericht habe nicht alle Erkenntnismittel zur Kenntnis genommen, andernfalls hätte es eine “Nähe” von der Gruppe Tayad zur DHKP-C annehmen müssen. Auch dieser Vorwurf ist unverständlich. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich einen organisatorischen Zusammenhang zwischen Tayad und DHKP-C als zutreffend unterstellt (UA S. 40). Es hat zusätzlich eine Auskunft des Auswärtigen Amtes wiedergegeben, in der Tayad “von türkischen Behörden als der DHKP-C nahe stehend angesehen” werde (UA S. 41). Unbegründet ist auch der Vorwurf, das Berufungsgericht habe Vorbringen der Kläger nicht zur Kenntnis genommen. Ansonsten hätte das Gericht – im Hinblick auf die Veröffentlichung in “Özgür Politika” – nicht davon sprechen können, dass die Kläger bei ihren exilpolitischen Betätigungen nicht “im Vordergrund” gestanden hätten. Das Berufungsgericht ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Kläger wegen des Berichts in der “Özgür Politika” den türkischen Sicherheitsbehörden als aktive Unterstützer der Hungerstreiks in der Türkei aufgefallen seien (UA S. 40); durch den Bericht sei die Verbreitung ihres Protestes und ihrer Solidarität mit den Hungerstreiks “ganz erheblich gestiegen” und “damit auch die Gefahr der Entdeckung und der Registrierung durch türkische Stellen” (UA S. 42).
Die Revision kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden. Die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Solch eine Rechtsfrage lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Die von ihr aufgeworfenen Fragen, ob Anhänger einer DHKP-C-nahen Organisation, die im Ausland die Hungerstreiks von Gefangenen in der Türkei aktiv unterstützt haben, bei einer Rückkehr Strafverfahren zu gewärtigen haben und ob Vorgehensweise und Verfolgungsinteresse türkischer Behörden hinsichtlich von Aktivisten der PKK “dem gleichen Muster folgen” und “übertragbar” sind auf Aktivisten einer DHKP-C-nahen Organisation, zielen – von allem anderen abgesehen – nicht auf eine Rechtsfrage, sondern beziehen sich auf die den Tatsachengerichten vorbehaltene Feststellung und Würdigung der politischen Verhältnisse in der Türkei.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83b AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I S. 718) nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83b Abs. 2 AsylVfG a.F. (vgl. § 60 RVG).
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Richter, Beck
Fundstellen