Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutterkuhprämie. Mutterkuh. Färse. trächtige Färse. individuelle Höchstgrenze. einzelstaatliche Reserve. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage vorgelegt, ob eine trächtige Färse nur dann eine Mutterkuh im Sinne des Abschnitts 1 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 ist, wenn sie eine Mutterkuh ersetzt, für die in demselben Wirtschaftsjahr ein Prämienantrag gestellt wurde.
Dem Europäischen Gerichtshof wird ferner die Frage vorgelegt, ob ein Erzeuger Prämienansprüche in einem Wirtschaftsjahr auch dann mit der Folge ihres Einzugs zur einzelstaatlichen Reserve nicht genutzt hat, wenn er die Prämie zwar beantragt hat, der Antrag jedoch abgelehnt wurde, weil die betreffenden Tiere nicht prämienfähig waren, und ob eine solche Auslegung mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar wäre.
Normenkette
VO (EWG) Nr. 805/68 Art. 4a, Nr. 3886/92 Art. 33, Nr. 3887/92 Art. 10
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 29.04.2004; Aktenzeichen 20 A 2983/02) |
VG Münster (Urteil vom 05.06.2002; Aktenzeichen 9 K 383/02) |
Tenor
- Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Europäischen Gerichtshof werden folgende Fragen zur Auslegung von Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2066/92 vorgelegt:
- Ist eine trächtige Färse nur dann eine Mutterkuh im Sinne des Abschnitts 1 der Verordnung, wenn sie eine Mutterkuh ersetzt, für die ein Prämienantrag gestellt wurde?
- Ist eine trächtige Färse auch dann eine Mutterkuh im Sinne des Abschnitts 1 der Verordnung, wenn sie im vorangegangenen Wirtschaftsjahr eine Mutterkuh, für die ein Prämienantrag gestellt worden ist, ersetzt hat und als prämienfähig anerkannt worden ist?
- Wird eine trächtige Färse, für die ein Prämienantrag gestellt wurde, jedenfalls dann prämienfähig, wenn sie noch vor dem Ablauf der Antragsfrist abkalbt?
Ferner werden dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Auslegung von Art. 33 Abs. 2 und 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2311/96 vorgelegt:
Hat ein Erzeuger Prämienansprüche in einem Wirtschaftsjahr auch dann nicht genutzt, wenn er die Prämie zwar beantragt hat, der Antrag jedoch abgelehnt wurde, weil die betreffenden Tiere nicht prämienfähig waren?
Gilt dies auch dann, wenn kein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Antragstellung gegeben ist?
Wäre dies mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar?
- Ist Art. 33 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3886/92 dahin auszulegen, dass in Fällen wie dem vorliegenden Prämienansprüche erhalten bleiben, weil ein (ordnungsgemäß begründeter) Ausnahmefall vorliegt?
- Sind Prämienansprüche, die einem Erzeuger auf der Grundlage von Art. 33 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 entzogen wurden, weil er im Wirtschaftsjahr 1998 seine Prämienansprüche zwar zu mehr als 70 %, aber zu weniger als 90 % genutzt hat, nach Ablauf der zweijährigen Sperrfrist bevorzugt an diesen Erzeuger zu vergeben?
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um Mutterkuhprämien.
Der Kläger beantragte am 20. April 1998 unter Hinweis auf seine individuelle Höchstgrenze von 65,3 Prämienansprüchen die Mutterkuhprämie für insgesamt 64 Mutterkühe im Wirtschaftsjahr 1998. Bei 17 Tieren gab er das Datum der ersten Abkalbung nicht an, bestimmte sie aber als Ersatztiere für Mutterkühe. Es handelte sich um trächtige Färsen. 10 von ihnen hatte der Kläger bereits im vorangegangenen Haltungszeitraum 1997 als Ersatz für Mutterkühe bestimmt, die am 21. Oktober 1997 aus seinem Bestand ausgeschieden waren; die 7 anderen sollten Mutterkühe ersetzen, die zwischen dem 21. Januar und dem 17. April 1998 aus dem Bestand ausgeschieden waren. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kalbten 13 der Färsen noch vor dem Ende der Antragsfrist am 15. Mai 1998 ab.
Am 24. März 1999 zahlte der Beklagte Prämienvorschüsse für 47 Tiere in Höhe von 13 277,50 DM an den Kläger aus.
Mit Zuteilungsbescheid vom 3. Mai 1999 setzte der Beklagte die individuelle Höchstgrenze für Prämienansprüche mit Wirkung ab dem 10. Juni 1998 auf 47 herab. Der Kläger habe im Jahr 1998 weniger als 90 % seiner Prämienansprüche genutzt, weshalb der ungenutzte Anteil zugunsten der staatlichen Reserve freizusetzen sei. Die 17 trächtigen Färsen könnten nicht anerkannt werden; trächtige Färsen könnten nur anerkannt werden, wenn sie Mutterkühe nach Antragstellung während des 6-monatigen Haltungszeitraums ersetzten. Den klägerischen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 1999 zurück.
Mit weiterem Bescheid vom 23. August 2001 lehnte er den Prämienantrag für 1998 ab und forderte den gezahlten Vorschuss zuzüglich Zinsen in Höhe von 3 % über dem jeweiligen Basiszinssatz zurück. Die Differenz zwischen der Zahl der beantragten (64) und der prämienfähigen Tiere (47) liege über 20 %. Sie gehe auf fahrlässig falsche Angaben des Klägers zurück, weshalb überhaupt keine Prämie gewährt werden könne. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2002 zurück.
Der Kläger hat jeweils rechtzeitig Klage erhoben. Er begehrt die Aufhebung des Zuteilungsbescheides sowie die Verpflichtung des Beklagten, ihm eine Mutterkuhprämie für 1998 für 64 Tiere zuzüglich 0,5 % Zinsen pro Monat seit Klageerhebung zu gewähren.
Das Verwaltungsgericht Münster hat den Beklagten mit Urteil vom 5. Juni 2002 zur Bewilligung einer Mutterkuhprämie für 1998 in Höhe von 8 757,84 DM verpflichtet und den angefochtenen Rückforderungsbescheid in dieser Höhe aufgehoben, die Klage im übrigen aber abgewiesen. Dem Kläger stehe eine Prämie nur für 47 Tiere zu, denn seine Herde habe im Zeitpunkt der Antragstellung nur 47 Mutterkühe gezählt. Die trächtigen Färsen seien nicht prämienfähig. Der Prämienanspruch sei allerdings nicht auf Null, sondern lediglich um zweimal 17,04 % zu kürzen. Insofern komme nicht das Sanktionsrecht des Jahres 1998, sondern rückwirkend das dem Kläger günstigere Sanktionsrecht von 2001 zur Anwendung, nach dem zu einer Kürzung nur schuldhaft falsche Angaben im Antrag führten. Den Kläger treffe aber hinsichtlich der Färsen, die bereits im Vorjahreshaltungszeitraum zulässigerweise eine Mutterkuh ersetzt hatten, keine Schuld; nach der Formulierung der Belehrungen und der Gestaltung der Antragsformulare habe er vielmehr davon ausgehen können, dass eine derartige Färse ihren Status als Mutterkuhersatz auch im Folgejahr behalte. Das treffe auf 9 Färsen zu, so dass eine schuldhaft falsche Antragstellung nur hinsichtlich der 8 übrigen Färsen vorliege. Bezogen auf 47 prämienfähige Tiere entspreche dies einem Anteil von 17,04 %, was zu einer Kürzung des Prämienanspruchs um 34,08 % auf 8 757,84 DM führe. Dies sei nicht unverhältnismäßig und auch mit dem gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip vereinbar. Rückzahlung der erhaltenen Vorauszahlung nebst Zinsen schulde der Kläger daher nur in Höhe von 4 519,66 DM. In überschießender Höhe sei der Rückforderungsbescheid daher aufzuheben. Der Zuteilungsbescheid hingegen sei rechtmäßig. Der Beklagte habe die individuelle Höchstgrenze für Prämienansprüche mit Recht auf 47 Tiere herabgesetzt. Werde die Höchstgrenze in einem Prämienjahr nicht zu mindestens 90 % genutzt, so müsse die Behörde den nicht genutzten Anteil zur nationalen Reserve einziehen. Nutzen lasse sich die Höchstgrenze nur mit der Haltung prämienfähiger Tiere. 1998 habe der Kläger aber nur 47 prämienfähige Tiere gehalten. Auf Verschulden komme es nicht an, ein Ermessen habe die Behörde nicht.
Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 29. April 2004 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht habe richtig erkannt, dass nur die 47 Kühe, nicht aber die 17 trächtigen Färsen prämienfähig gewesen seien. Das gelte auch für die 10 – nicht 9 – trächtigen Färsen, die im vorangegangenen Wirtschaftsjahr 1997 als prämienfähig anerkannt worden seien; jedes Wirtschaftsjahr sei nämlich für sich zu beurteilen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts entfalle der Prämienanspruch aber vollständig, weil die Differenz zwischen der Zahl der beantragten und der Zahl der prämienfähigen Tiere mehr als 20 % betrage. Der Kläger könne sich für keines der 17 zu Unrecht beantragten Tiere auf den Sanktionsausschluss des neuen EG-Sanktionsrechts berufen, weil er sachlich unrichtige Angaben gemacht habe und – vor allem angesichts des vom Beklagten ausgegebenen Merkblatts – nicht auf andere Weise belegen könne, dass ihn keine Schuld treffe. Sei der Prämienanspruch für 1998 entfallen, so habe der Beklagte den ausgezahlten Vorschuss mit Recht zurückverlangt. Schließlich habe der Beklagte auch zu Recht die individuelle Höchstgrenze für den Kläger auf 47 Prämienansprüche festgelegt. Die Kürzung habe erfolgen müssen, weil der Kläger im Jahr 1998 nur 47 und damit weniger als 90 % seiner bisherigen Höchstgrenze genutzt habe. Das Nutzen des Anspruchs setze voraus, dass neben einer formgerechten Antragstellung die beantragten Tiere auch prämienfähig seien. Die bloße Antragstellung könne nicht genügen, weil andernfalls der marktregulierende Zweck der Kontingentierung vereitelt werde. Der Einzug des ungenutzten Teilkontingents zur staatlichen Reserve stelle keine Sanktion, sondern eine verschuldensunabhängige Folge dar und sei auch nicht unverhältnismäßig, da der Kläger sein Kontingent bei zweckmäßigem Verhalten hätte ausschöpfen können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers. Er trägt im Wesentlichen vor: Nach dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift seien neben Mutterkühen auch trächtige Färsen prämienfähig, die eine Mutterkuh ersetzen. Die damit angesprochene Ersetzung müsse sich auf eine Mutterkuh aus dem Bestand des Züchters beziehen, die die Herde verlassen habe. Zum Zeitpunkt der Ersetzung besage die Vorschrift hingegen nichts. Die Auffassung des Berufungsgerichts zwinge den Züchter dazu, den geplanten Verkauf von Mutterkühen zu verschieben, bis eine trächtige Färse abgekalbt habe, selbst wenn dies unwirtschaftlich sei; lasse sich der Abgang der Mutterkuh nicht verschieben – etwa bei einer Notschlachtung –, so müsse der Züchter sogar herdenfremde Mutterkühe hinzukaufen, um – nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts – nicht noch eine Kontingentkürzung hinnehmen zu müssen. All dies liege nicht in der Absicht der EG-Verordnung. Deren Zweck bestehe zwar durchaus in der Einkommenssicherung; betrachtet werde die Herde des Züchters jedoch in ihrem kontinuierlichen Bestand und nicht lediglich in unverbunden nebeneinander stehenden Sechsmonatszeiträumen. Prämienfähig seien mithin alle 17 trächtigen Färsen, weil sie abgegangene Mutterkühe ersetzt hätten, jedenfalls aber diejenigen 10 Färsen, die bereits im Haltungszeitraum 1997 Mutterkühe ersetzt hätten und vom Beklagten als prämienfähig anerkannt worden seien. Sollte dem allem nicht zu folgen sein, so dürfe doch jedenfalls die individuelle Höchstgrenze nicht herabgesetzt werden. Denn er habe sein Kontingent auch 1998 vollständig “genutzt”. Ein Ausnutzen könne nicht schon dann geleugnet werden, wenn Fehler im Antrag oder spätere Fehler – etwa eine verzögerte Ersetzung einer abgegangenen Mutterkuh – dazu führten, dass einzelne Tiere nicht als prämienfähig anerkannt würden. Im vorliegenden Fall liege der Fehler allein darin, dass der Prämienantrag zu früh, nämlich vor dem Abkalben der hochträchtigen Färsen gestellt worden sei. 14 der 17 Färsen hätten noch innerhalb der Antragsfrist abgekalbt und wären dann auch nach der Auffassung des Berufungsgerichts prämienfähige Mutterkühe gewesen. Bei dieser Sachlage lasse sich nicht behaupten, das individuelle Kontingent sei nicht genutzt worden. Schließlich sei die Kontingentkürzung unverhältnismäßig. Der Fehler der zu frühen Antragstellung werde schon durch die Prämienkürzung sanktioniert; dann dürfe er aber nicht zusätzlich dadurch bestraft werden, dass seine individuelle Höchstgrenze auf Dauer herabgesetzt werde.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich nicht am Verfahren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung über die Revision hängt von der Auslegung von Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts ab. Das Verfahren ist daher auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof sind die aus dem Tenor ersichtlichen Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (Art. 234 EG).
1. Mit Bescheid vom 23. August 2001, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2002, lehnte der Beklagte den Prämienanspruch des Klägers ab. Hiergegen richtet sich der eine Teil der vorliegenden Klage.
a) Ob dem Kläger der geltend gemachte Prämienanspruch zusteht, beurteilt sich nach denjenigen Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts und des ergänzenden Bundesrechts, die sich für das in Rede stehende Wirtschaftsjahr 1998 Geltung beilegten, also nach der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl Nr. L 148/24) in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 2066/92 vom 30. Juni 1992 (ABl Nr. L 215/49), bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2634/97 (ABl Nr. L 356/13), nach der Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/20), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2502/97 (ABl Nr. L 345/21), sowie nach der Verordnung über die Gewährung von Prämien an Erzeuger von Rind- und Schaffleisch (Rinder- und Schafprämien-Verordnung) vom 7. Oktober 1987 (BGBl I S. 2266) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. September 1995 (BGBl I S. 1146), zuletzt geändert durch Verordnung vom 9. Dezember 1997 (BGBl I S. 2873).
Nach Art. 4d Abs. 1 VO (EWG) Nr. 805/68 erhalten Erzeuger, die in ihrem Betrieb Mutterkühe halten, auf Antrag eine Prämie für die Erhaltung des Mutterkuhbestandes (Mutterkuhprämie). Nach Art. 4d Abs. 5 VO (EWG) Nr. 805/68 wird die Prämie Erzeugern gewährt, die während zwölf Monaten vom Tag des Prämienantrags an weder Milch noch Milcherzeugnisse aus ihrem Betrieb abliefern und die während mindestens sechs aufeinander folgenden Monaten vom Tag des Prämienantrags an mindestens die in dem Antrag angemeldete Zahl von Mutterkühen halten. Art. 4a dritter Anstrich VO (EWG) Nr. 805/68 definiert als Mutterkuh (i) eine Kuh, die einer Fleischrasse angehört oder aus der Kreuzung mit einer dieser Rassen hervorgegangen ist und zu einem Bestand gehört, der zur Aufzucht von Kälbern für die Fleischerzeugung dient, und (ii) eine trächtige Färse, die dieselben Voraussetzungen erfüllt und eine Mutterkuh ersetzt.
b) Der Kläger meldete in seinem Antrag 47 Kühe und 17 trächtige Färsen an. Die Kühe waren Mutterkühe im Sinne von Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (i) VO (EWG) Nr. 805/68 und damit prämienfähig. Im Streit steht, ob auch die 17 Färsen als Mutterkühe galten. Das setzt nach Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68 voraus, dass sie (jeweils) eine Mutterkuh ersetzten. Hierzu bedarf der Klärung, ob damit nur trächtige Färsen gemeint sind, die eine Mutterkuh ersetzen, für die ein Prämienantrag gestellt wurde, oder ob ausreicht, dass sie nur überhaupt eine Mutterkuh aus dem Bestand des Erzeugers ersetzen.
Die Frage lässt sich nach dem Wortlaut der Verordnung nicht beantworten. Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68 sagt über den Zeitpunkt der Ersetzung (auch vor oder nur nach der jeweiligen Antragstellung) oder über die Bezugsgröße der Ersetzung (alle Kühe der Herde oder nur beantragte Kühe) nichts aus. Auch aus der Zweckbestimmung der Mutterkuhprämie lässt sich hierfür nichts gewinnen. Die Regelung verfolgt das Ziel, die Einkommensverluste der Erzeuger auszugleichen, die diese infolge der Senkung des Interventionspreises hinzunehmen hatten (3. Erwägungsgrund zur Verordnung/EWG Nr. 2066/92). Daraus ergibt sich für die hier in Rede stehende Frage nichts. Daneben bezweckt die Mutterkuhprämie, auf den Erhalt des Mutterkuhbestandes hinzuwirken (vgl. Art. 4d Abs. 1 VO/EWG Nr. 805/68). Auch hieraus lassen sich keine Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser Frage gewinnen. Sicherlich wird dieser Zweck vornehmlich dadurch erfüllt, dass die Gewährung der Prämie daran geknüpft wird, dass die jeweils beantragte Zahl von Mutterkühen während eines sechsmonatigen Zeitraums im Bestand des Erzeugers gehalten wird. Ob aber die Prämie nur für Kühe oder auch für trächtige Färsen beantragt werden darf, die zuvor aus dem Bestand ausgeschiedene Kühe ersetzt haben, folgt daraus nicht.
Für die Auffassung des Beklagten spricht allerdings die Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/36) mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem, die auf der Grundlage von Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates vom 27. Dezember 1992 (ABl Nr. L 355/1) ergangen ist und für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1648/95 vom 6. Juli 1995 (ABl Nr. L 156/27) geändert worden ist. Gemäß Art. 10 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 werden die im Betrieb vorhandenen Rinder nur berücksichtigt, wenn es sich um die im Beihilfeantrag identifizierten Tiere handelt. Eine für die Prämie angegebene Mutterkuh kann jedoch durch eine andere Mutterkuh ersetzt werden, sofern dies innerhalb einer Frist von 20 Tagen geschieht, nachdem das Tier den Betrieb verlassen hat, und diese Ersetzung spätestens am dritten Tag nach der Ersetzung im besonderen Register eingetragen wird. Diese Vorschrift spricht dafür, dass das Gemeinschaftsrecht unter “Ersetzung” nur die Ersetzung eines beantragten Tieres durch ein nicht beantragtes Tier versteht, mithin eine Ersetzung nur nach der jeweiligen Antragstellung erfolgen kann. Die Besonderheit von Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68 besteht dann darin, dass eine Kuh nicht nur durch eine andere Kuh, sondern auch durch eine trächtige Färse ersetzt werden kann. Eine trächtige Färse kann aber nicht schon im Antrag aufgeführt werden, sondern ist nur prämienfähig, wenn sie im Sinne von Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92, also nach Antragstellung während des Haltungszeitraums, eine beantragte Kuh ersetzt.
Diese Auslegung wird durch die weitere Rechtsentwicklung bestätigt. Die Verordnung (EWG) Nr. 805/68 wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2000 durch die Verordnung (EG) Nr. 1254/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl Nr. L 160/21) ersetzt. Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1254/1999 wird die Mutterkuhprämie Erzeugern gewährt, die während mindestens sechs aufeinander folgenden Monaten ab dem Tag der Beantragung der Prämie eine Zahl Mutterkühe von mindestens 80 % und eine Zahl Färsen von höchstens 20 % der Anzahl Tiere halten, für die die Prämie beantragt wurde. Färsen sind hiernach nunmehr prinzipiell prämienfähig, unabhängig davon ob sie trächtig sind und unabhängig davon, ob sie eine im Antrag angegebene Mutterkuh “ersetzen” (vgl. Art. 3 Buchstabe g der Verordnung). Der Verordnungsgeber wollte damit das alte Recht ausdrücklich inhaltlich ändern. Im 7. Erwägungsgrund zu der Verordnung heißt es, dass, um die Regelung für die Erzeuger flexibler zu gestalten, die Mutterkuhprämie auf Färsen ausgeweitet werden sollte.
c) Der Kläger meint des weiteren, dass immerhin die 10 Tiere, die schon am 21. Oktober 1997 als trächtige Färsen Kühe ersetzt hatten und deshalb im Wirtschaftsjahr 1997 prämienfähig gewesen waren, auch im Wirtschaftsjahr 1998 prämienfähig gewesen seien, obwohl sie erst nach Antragstellung abgekalbt haben, also auch bei Antragstellung für die Prämie 1998 noch trächtige Färsen waren. Das wirft die Frage auf, ob der Vorgang der Ersetzung im Sinne von Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68 sich auf denselben Prämienantrag beziehen muss oder sich auch auf den vorangegangenen Prämienantrag beziehen kann.
Hier hilft Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 nicht weiter. Aus dieser Vorschrift ergibt sich zwar, dass sich der Begriff der Ersetzung auf den vorangegangenen Prämienantrag bezieht und erlaubt, Tiere, die im Antrag nicht identifiziert waren, gleichwohl zu berücksichtigen, wenn sie nämlich an die Stelle von im Antrag identifizierten Tieren treten. Die Vorschrift besagt aber nichts dazu, welche Tiere als Mutterkühe im Antrag identifiziert werden dürfen. Sie verhält sich also nicht zu der Frage, ob trächtige Färsen als Mutterkühe im Antrag identifiziert werden dürfen, wenn sie schon im vorangegangenen Haltungszeitraum eine Kuh ersetzt haben und daher prämienfähig waren.
Der Beklagte und die Vorinstanzen berufen sich auf den Wortlaut von Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68. Diese Vorschrift definiert als Mutterkuh (auch) eine trächtige Färse, die eine andere Mutterkuh “ersetzt”. Die Wahl des Präsens deutet nach ihrer Ansicht darauf hin, dass die Ersetzung in demselben Prämienverfahren erfolgen muss, dass aber Ersetzungen aus dem vorangegangenen Prämienverfahren unberücksichtigt bleiben. Andernfalls hätte es nahe gelegen zu sagen: “die eine Mutterkuh ersetzt oder ersetzt hat”. Das werde bestätigt durch das Prinzip der Jährlichkeit, nach dem das gesamte Prämiensystem konstruiert sei; ein jahresübergreifender Zusammenhang bestehe nicht.
Diese Auffassung führt allerdings zu praktischen Problemen. Angesichts des neunmonatigen Tragezeitraums von Rindern ist nicht zu verkennen, dass trächtige Färsen, die erst gegen Ende eines Haltungszeitraums – also Anfang November – eine Kuh ersetzt haben, vielfach erst nach Ablauf des nachfolgenden Antragszeitraums am 15. Mai des Folgejahres abkalben werden. Das Anliegen des Klägers, dass einmal prämienfähige Färsen auch im Folgejahr prämienfähig bleiben, ist verständlich; denn andernfalls ist der Erzeuger gezwungen, Kühe hinzuzukaufen, um sein Kontingent auszuschöpfen, obwohl er trächtige Färsen in seinem Bestand hat, die alsbald selbst Kühe sein werden. Allenfalls könnte er die neu erworbenen Kühe nach Antragstellung sofort wieder verkaufen und durch seine trächtigen Färsen ersetzen. Ein derartiges Verhalten ist wirtschaftlich nicht sinnvoll. Es fragt sich, ob diese missliche Konsequenz durch eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts vermieden werden kann, die gleichwohl mit dessen Sinn und Zweck in Übereinstimmung steht.
d) Schließlich meint der Kläger, jedenfalls die 13 Färsen seien als prämienfähig anzuerkennen, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts noch bis zum Ablauf der Antragsfrist am 15. Mai 1998 abgekalbt haben. Es dürfe ihm nämlich nicht zum Nachteil gereichen, dass er seinen Antrag früh, nämlich schon am 20. April 1998 gestellt hatte. Das wirft die Frage auf, ob eine trächtige Färse, für die ein Prämienantrag gestellt wurde, jedenfalls dann prämienfähig wird, wenn sie noch vor dem Ablauf der Antragsfrist abkalbt, oder ob der Erzeuger ein derartiges Tier noch innerhalb der Antragsfrist “nachnominieren”, also nunmehr als Mutterkuh deklarieren muss.
2. Mit Zuteilungsbescheid vom 3. Mai 1999, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 1999, setzte der Beklagte die individuelle Höchstgrenze für Prämienansprüche des Klägers mit Wirkung ab dem 10. Juni 1998 von 65,3 auf 47 herab. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage mit ihrem weiteren Teil.
a) Gemäß Art. 4d VO (EWG) Nr. 805/68 des Rates gilt für den Prämienanspruch jedes Erzeugers eine individuelle Höchstgrenze. Diese Höchstgrenze wird nach bestimmten Regeln in Orientierung an ein Bezugsjahr festgelegt. Nach Art. 4f VO (EWG) Nr. 805/68 bildet jeder Mitgliedstaat eine einzelstaatliche Reserve, aus der bestimmten Erzeugern Prämienansprüche eingeräumt werden können. Die Durchführungsbestimmungen finden sich in der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/20). Deren Art. 33 in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 2311/96 vom 2. Dezember 1996 (ABl Nr. L 313/9) bestimmt:
(1) (…)
(2) Hat ein Erzeuger in jedem Jahr nicht mindestens 70 % seiner Ansprüche genutzt, so wird der nicht genutzte Anteil der nationalen Reserve zugeführt, außer
– wenn der Erzeuger höchstens sieben Prämienansprüche besitzt (…);
– wenn sich der Erzeuger an einem von der Kommission anerkannten Extensivierungsprogramm beteiligt;
– wenn sich der Erzeuger an einer von der Kommission anerkannten Vorruhestandsregelung beteiligt (…) oder
– wenn ein ordnungsgemäß begründeter Ausnahmefall vorliegt.
(3) (…)
(4) Für die Jahre 1997 und 1998 wird die in Absatz 2 (…) genannte Zahl von 70 % auf 90 % angehoben. In diesem Fall können die der nationalen Reserve zugeführten Ansprüche in den Jahren 1998 und 1999 nicht wieder verteilt werden.
b) Der Beklagte und die Vorinstanzen halten die Voraussetzung des Art. 33 Abs. 2 und 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 für gegeben. Der Kläger habe im Jahr 1998 nicht mindestens 90 % seiner Prämienansprüche genutzt. Dass er Prämien für 64 Tiere beantragt habe, sei unerheblich. Es komme nicht auf die tatsächlich beantragten Tiere an, sondern nur auf die zu Recht beantragten Tiere. Das seien aber nur 47 gewesen, weil die ebenfalls beantragten 17 trächtigen Färsen nicht prämienfähig gewesen seien. Das wirft die Frage auf, ob ein Erzeuger Prämienansprüche im Wirtschaftsjahr 1998 auch dann nicht im Sinne von Art. 33 Abs. 2 und 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 genutzt hat, wenn er die Prämie zwar beantragt hat, der Antrag jedoch abgelehnt wurde, weil die betreffenden Tiere – aus Gründen wie den vorliegenden – nicht prämienfähig waren.
Eine solche Auslegung entspricht nicht Sinn und Zweck der Vorschrift. Es soll verhindert werden, dass Erzeuger, die ihren Betrieb verkleinern und deshalb ihre individuelle Höchstgrenze nicht mehr ausschöpfen, ihre bisherigen Prämienansprüche horten; derart ungenutzte Prämiensprüche sollen vielmehr der einzelstaatlichen Reserve zugeführt werden, damit sie für andere Betriebe nutzbar gemacht werden können. So liegt der Fall aber nicht. Der Kläger hat seinen Betrieb nicht verkleinert. Er hat seine Prämienansprüche auch nicht auf einen anderen Erzeuger übertragen oder eine vergleichbare andere betriebsbezogene Disposition getroffen. Der Kläger wollte und will vielmehr seine individuelle Höchstgrenze ausschöpfen. Dass ihm dies im Wirtschaftsjahr 1998 – je nach der Antwort auf die Fragen zu 2. – nicht gelungen ist, liegt nur daran, dass er sich über die Voraussetzungen für die Prämienberechtigung trächtiger Färsen geirrt hat.
Die Rechtsauffassung des Beklagten und der Vorinstanzen läuft darauf hinaus, dass ein Prämienanspruch nur dann im Sinne von Art. 33 VO (EWG) Nr. 3886/92 “genutzt” wird, wenn die Nutzung erfolgreich ist und zur Zuerkennung der Prämie führt, dass aber schon dann keine “Nutzung” vorliegt, wenn ein Prämienantrag aus irgend einem Grunde keinen Erfolg hat, auch weil er etwa verspätet gestellt wurde oder an Formfehlern leidet. In dieser Auslegung käme Art. 33 Abs. (2 und) 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 in der Wirkung einer zusätzlichen Sanktion für Unregelmäßigkeiten bei der Antragstellung gleich. Es fragt sich, ob dies mit allgemeinen Grundsätzen des europäischen Gemeinschaftsrechts vereinbar wäre. Das europäische Gemeinschaftsrecht kennt ausweislich Art. 5 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 verschiedene Arten verwaltungsrechtlicher Sanktionen. Dazu zählen neben dem vollständigen oder teilweisen Entzug eines Vorteils auch dann, wenn der Wirtschaftsteilnehmer nur einen Teil dieses Vorteils rechtswidrig erlangt hat (Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c), der Ausschluss von einem Vorteil oder Entzug eines Vorteils für einen Zeitraum, der nach dem Zeitraum der Unregelmäßigkeit liegt (Buchstabe d), und der vorübergehende Entzug einer Genehmigung oder einer Anerkennung, die für die Teilnahme an einem gemeinschaftlichen Beihilfesystem erforderlich ist (e). Die Mutterkuhprämie kann nur innerhalb der individuellen Höchstgrenze beansprucht werden. Die Herabsetzung der individuellen Höchstgrenze kommt daher dem Entzug eines entsprechenden Teils der Mutterkuhprämie für einen Zeitraum, der nach dem Zeitraum der Unregelmäßigkeit liegt (Art. 5 Abs. 1 Buchstabe d VO/EG, Euratom Nr. 2988/95), oder dem Entzug einer Genehmigung oder einer Anerkennung, die für die Teilnahme an dem System der Mutterkuhprämie erforderlich ist (Buchstabe e), gleich. Die beiden genannten Sanktionen wirken einschneidend. Sie sind nur deshalb verhältnismäßig, weil sie niemals auf Dauer, sondern nur für einen vorübergehenden Zeitraum verhängt werden. Die Herabsetzung der individuellen Höchstgrenze wirkt hingegen auf Dauer. Sie schließt den Erzeuger insoweit für alle Zukunft von Prämienansprüchen aus. Das ist einwandfrei, sofern der Erzeuger insoweit an Prämienansprüchen kein Interesse mehr hat, sei es weil er seinen Betrieb eingeschränkt oder aufgegeben hat, sei es weil er ihn mitsamt der Prämienansprüche auf einen anderen Erzeuger übertragen hat. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
Den vorstehenden Bedenken könnte durch eine Auslegung des Art. 33 Abs. 2 und 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 dahin Rechnung getragen werden, dass ein Erzeuger seinen individuellen Prämienanspruch schon dann “nutzt”, wenn er ihn mit einem Prämienantrag geltend macht, unabhängig von dessen Erfolg. Allerdings wendet der Beklagte ein, dann stünde derjenige, der von vornherein aussichtslose Prämienanträge stelle, besser als derjenige, der wegen der Aussichtslosigkeit auf den Prämienantrag verzichte. Das unterstellt jedoch, dass der Erzeuger seinen Mutterkuhbestand reduziert hat, und vergleicht den missbräuchlich dennoch weiterhin gestellten Prämienantrag mit dem folgerichtig nicht mehr gestellten Prämienantrag. Die Auslegung einer Rechtsnorm sollte sich jedoch am Regelfall und nicht am Missbrauchsfall orientieren. Der Gefahr des Missbrauchs kann durch besondere Vorkehrungen begegnet werden, die aber auch nur Missbrauchsfälle erfassen sollten.
c) Sollte der Auslegung des Beklagten und der Vorinstanzen zu folgen sein, so dass es an einer “Nutzung” der Prämienansprüche auch in Fällen wie dem vorliegenden fehlt, so schließt sich die Frage an, ob die nötige Verhältnismäßigkeit der Regelung auf anderem Wege hergestellt werden kann. Dies führt zu der Erwägung, ob in Fällen wie dem vorliegenden die individuellen Prämienansprüche ausnahmsweise erhalten bleiben, weil im Sinne von Art. 33 Abs. 2 letzter Anstrich VO (EWG) Nr. 3886/92 ein – unterstellt: ordnungsgemäß begründeter – Ausnahmefall vorliegt. Wie diese Vorschrift auszulegen ist, lässt sich der Verordnung und ihren Motiven nicht entnehmen.
d) Alternativ wäre zu erwägen, ob die gebotene Verhältnismäßigkeit dadurch hergestellt werden kann, dass der Entzug von Prämienansprüchen nicht auf Dauer wirkt, sondern – wie bei einer Sanktion geboten – zeitlich begrenzt wird. Das führt zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Erzeuger, der Prämienansprüche nach Art. 33 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3886/92, nicht aber nach Art. 33 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3886/92 verloren hat, nach Ablauf der zweijährigen Sperrfirst die Wiederzuteilung dieser Prämienansprüche verlangen kann.
Art. 33 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3886/92 enthält die Grundregel. Hiernach werden vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen individuelle Prämienansprüche erst dann zur einzelstaatlichen Reserve eingezogen, wenn der Erzeuger sie nicht in jedem Jahr zu mindestens 70 % nutzt. Nach den Annahmen des Beklagten und der Vorinstanzen hat der Kläger im Wirtschaftsjahr 1998 nur 47 Prämienansprüche genutzt, obwohl ihm 65,3 Prämienansprüche zustanden. Damit hat der Kläger aber mehr als 70 % seiner Prämienansprüche genutzt, so dass eine Kürzung nach Art. 33 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3886/92 nicht in Betracht gekommen wäre.
Art. 33 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 hat die Nutzungsgrenze für die Jahre 1997 und 1998 auf 90 % angehoben und vorgeschrieben, dass derart eingezogene Prämienansprüche in den Jahren 1998 und 1999 aus der einzelstaatlichen Reserve nicht vergeben werden dürfen. Es handelt sich um eine Sondermaßnahme zur Bewältigung der BSE-Krise. Sie beruht auf einer besonderen Ermächtigung in Art. 4f Abs. 4 VO (EWG) Nr. 805/68 des Rates, die durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 2222/96 des Rates vom 18. November 1996 (ABl Nr. L 296/50) eingefügt wurde und ausweislich ihres 6. Erwägungsgrundes darauf zielte, einen Beitrag zur Produktionssteuerung während der erwähnten Sonderlage zu leisten. Die Kommission hat von dieser Sonderermächtigung mit Einfügung von Art. 33 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 2311/96 vom 2. Dezember 1996 (ABl Nr. L 313/9) Gebrauch gemacht. Ausweislich des 4. Erwägungsgrundes zu dieser Verordnung sah sie einen Beitrag zur Produktionsbeschränkung darin, Prämienansprüche, die von den Erzeugern in einem Jahr nicht geltend gemacht werden, für zwei Jahre zu blockieren.
Das wirft aber die Frage auf, was mit den derart blockierten Prämienansprüchen nach Ablauf der zweijährigen Sperrfrist zu geschehen hat. Namentlich stellt sich die Frage, ob die blockierten Ansprüche bevorzugt an ihre bisherigen Inhaber zurückzugeben sind oder ob sie nach den allgemeinen Regeln an jegliche Interessenten ausgegeben werden können. Eine Vorrangstellung der bisherigen Inhaber dürfte durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten sein, der verlangt, von Sondermaßnahmen Betroffene nicht stärker zu belasten, als es die Sonderlage erfordert. Ohne die Sondermaßnahme hätte der Kläger, wie gezeigt, seine Prämienansprüche ungekürzt behalten. Das könnte es gebieten, ihm die Prämienansprüche, die ihm aufgrund einer Sonderregelung zum Zwecke der vorübergehenden “Blockierung” entzogen worden sind, nach dem Ende der Sonderlage wieder zurückzugeben.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
AuUR 2006, 46 |
www.judicialis.de 2005 |